Charles Balanda ist ein erfolgreicher Architekt, dem es im großen und Ganzen verhältnismäßig gut geht. Bis er einen Brief bekommt, der sein Leben aus dem Gleichgewicht bringt und in dem nur drei Worte stehen: Anouk ist tot.
Dramaturgisch geschickt enthüllt Anna Gavalda, wer diese Anouk gewesen ist: eine Nachbarin in der Kindheit, eine alleinerziehende Mutter, bei der er immer Zuflucht nahm, wenn ihm das eigene Haus zu eng wurde, eine zwanzig Jahre ältere Frau, die für ihn so etwas wie die große Liebe wurde. Durch die seltsame Todesanzeige aufgewühlt, begibt sich Charles auf Spurensuche in die Provinz und findet heraus, wie kläglich Anouk gestorben ist. Dabei lernt er Kate kennen, die in ihrem Altruismus und ihrer Menschlichkeit glatt die kleine Schwester von Anouk sein könnte. Mit ihr bekommt Charles, der Anouks Liebe ausgeschlagen und sie schmählich im Stich gelassen hat, eine zweite Chance.
Dramaturgisch geschickt enthüllt Anna Gavalda, wer diese Anouk gewesen ist: eine Nachbarin in der Kindheit, eine alleinerziehende Mutter, bei der er immer Zuflucht nahm, wenn ihm das eigene Haus zu eng wurde, eine zwanzig Jahre ältere Frau, die für ihn so etwas wie die große Liebe wurde. Durch die seltsame Todesanzeige aufgewühlt, begibt sich Charles auf Spurensuche in die Provinz und findet heraus, wie kläglich Anouk gestorben ist. Dabei lernt er Kate kennen, die in ihrem Altruismus und ihrer Menschlichkeit glatt die kleine Schwester von Anouk sein könnte. Mit ihr bekommt Charles, der Anouks Liebe ausgeschlagen und sie schmählich im Stich gelassen hat, eine zweite Chance.
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Süddeutsche Zeitung Audio-Rezension
Jetzt anhörenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008Sie rauchen und sie amüsieren sich
Männer im Konjunktiv, Frauen in der Gurkenmaske: Anna Gavalda lässt alle auflaufen - und trotzdem geht's gut.
Von Sandra Kegel
Anna Gavalda schreibt Märchen für moderne Menschen. Dabei klingt die Geschichte der französischen Schriftstellerin selbst, als stamme sie aus einem ihrer Romane: Eine junge Frau vom Lande, alleinerziehende Mutter, schreibt nachts, wenn die Kinder schlafen, ein paar beschwingt-wehmütige Kurzgeschichten. Kein Verlag will sie haben; schließlich bringt ein kleines Pariser Haus das Debüt der unbekannten Lehrerin unter dem Titel "Je voudrais que quelqu'un m'attende quelque part" heraus. Zehn Jahre und drei Millionen verkaufte Bücher später liegt Anna Gavalda fünftes Werk vor: Und wieder ist "La Consolante" - unglücklich ins Deutsche übersetzt mit: "Alles Glück kommt nie" - in Frankreich auf die Bestsellerlisten gerutscht.
Das macht die Sache mit der Autorin nicht eben einfacher: Denn der Erfolg eines Buches ist noch kein Qualitätsgarant, sollte aber auch kein Anlass zu Misstrauen sein. Anna Gavalda widerfährt beides: Entweder wird sie von der Kritik über die Maßen hofiert und gleich mit Maupassant, Colette und Sagan verglichen, oder man tut ihr Werk als "typische Frauenliteratur" ab, als eine von Mademoiselle Miracle gestrickte Konfektionsware. So oder so wird man Anna Gavalda nicht gerecht. Denn auch wenn ihr literarisches Thema leicht zu durchschauen ist - sehnsüchtige Menschen aus der Großstadt brechen aus ihrer Verlorenheit aus, wagen Neues, finden ihr Glück und dabei vielleicht sich selbst -, ihre Erzählkunst ist keinesfalls seicht. Die Achtunddreißigjährige verfügt über Geist, Witz und trockene Ironie. Lieblichkeit findet sich in diesen Texte kaum je. Sie werden vielmehr getragen von einer geradezu unfranzösischen Leichtigkeit des Schreibens. Der oft akademischen französischen Literatur hat sie Temperament und Fabulierlust beigemischt. Auf diesen mehr als sechshundert Seiten ihres neuen Romans geht Gavalda bisweilen verschwenderisch mit Worten um. Dann wieder tuscht sie die Worte nur so hin, zwei oder drei, und beendet den Absatz. Und sie greift immer wieder ins Geschehen ein, indem sie den Leser direkt anspricht, sich mit ihm amüsieren will über die Irrungen des Literaturbetriebs oder die Wirrungen der handelnden Figuren. Zum Verrat am Personal kommt es gleichwohl nie.
Im Zentrum des Romans steht Charles Balanda, ein Mann in den besten Jahren. Der Architekt hat in seinem Beruf vieles erreicht. Er jettet um die Welt, von Land zu Land, von Baustelle zu Baustelle, und hat darüber die Bindung zu seiner Lebensgefährtin Laurence und deren Tochter Mathilde verloren. Ein bisschen hat dieser Charles sein Leben aber auch satt in der schicken Pariser Altbauwohnung mit einer Frau, die ihre Gesichtsmasken mehr liebt als seine Küsse. Bei einem Familienfest gerät Charles' konventionell gezimmerte Welt aus den Fugen, als er vom Tod Anouks erfährt, der Mutter eines Freundes aus Kindertagen. Ihm werden die Teller schwer, er muss sich setzen und findet auch bei Laurence keinen Trost. Doch ehe sich das dramatische Tremolo Bahn bricht, mischt sich die Erzählerin ein: "Ende des Tragödienstadels", ruft sie aus: "Wäre Charles Balanda, eins achtzig groß, achtundsiebzig Kilo schwer, barfuß, weiße Hose, offener Gürtel, die Arme vor der Brust verschränkt, die Nase in dem alten Kissen versenkt, irgendwann eingeschlafen, die Geschichte wäre zu Ende. Er wäre unser Held. Würde in ein paar Monaten siebenundvierzig, er hätte viel zu wenig gelebt . . . Uns fehlen die Worte, ihm wie mir." Das freilich ist gelogen, denn schon geht es flott weiter im Text. Der Roman setzt aufs Neue an und lehrt Charles das Fürchten: Er scheitert kläglich bei dem Versuch, die Erinnerung an den Engel aus seiner Kindheit zu vergessen. Irgendwann streckt er die Waffen und steigt nicht nur aus dem Flugzeug, sondern gleich aus seinem Leben aus, um sich im Mietwagen von Paris aus auf die Reise in seine Vergangenheit zu machen. Es ist der tragikomische Versuch, sein Leben zu retten.
Die Erzählerin erwägt, die Stilfibel zu konsultieren.
Zuerst findet Charles Balanda das Grab von Anouk, der Mutter des Freundes, die er als Kind vergötterte und die einst als Krankenschwester auf der Intensivstation ihren Patienten verbot zu sterben. Dann macht er ihren Sohn Alexis ausfindig, einen hochbegabten Trompeter, der seinem Talent nicht gewachsen war und sich vor der Hölle aus Drogen und Depression in die französische Provinz geflüchtet hat. Und schließlich findet Charles einen Menschen, den er gar nicht suchte, der ihm aber zur "Tröstenden" wird, wie der Roman im Original heißt. Diese Erlöserin, Kate, ist eine verrückte Engländerin Ende dreißig, die mit fünf Kindern, zehn Katzen sowie Hunden, Vögeln und einem spuckenden Lama auf einem verwitterten Landgut wohnt. Sie wird Charles zur zweiten Anouk. Dieses Mal, so viel ist klar, wird er sie nicht gehenlassen. Kate ist ein seltsamer Mensch, chaotisch, verletzlich, mit einem tragischen Schicksal. Ihre schmuddelige Landhausküche verwandelt Anna Gavalda in die Dunkelkammer unverarbeiteter Emotionen. Beim Haareschneiden und Geschirrspülen öffnen zwei Trostsuchende einander ihre verwundeten Herzen. Und wieder frotzelt, noch ehe der Kitsch überhandnimmt, die Erzählerin dazwischen: "Was jetzt folgt, nennt sich Glück, und Glück ist eher peinlich. Lässt sich nicht erzählen. Sagt man. Sagen sie. Glück ist platt, abgeschmackt, boring, und immer auch anstrengend. Glück langweilt den Leser. Ist ein Liebestöter." Statt im Text zu bleiben, wird erwogen, eine Stilfibel zu konsultieren, doch vergeblich, denn dort werde nur geraten, Wörter wegzulassen. Die Autorin sträubt sich, lehnt die Verantwortung ab, zwischen dem "Überflüssigen" und dem "Wesentlichen" zu unterscheiden. "Demnach dürfen wir uns noch ein paar Szenen gönnen. Die Akademie ist zu gütig."
Anna Gavalda lässt es sich nicht nehmen, in dieser märchenhaften Szenerie dem Literaturbetrieb eins auszuwischen. Gelegentlich kommt ihr Buch - das mit dem Dank an Henri Bertaud du Chazaud, dem Autor eines Synonymwörterbuchs endet - allzu plauderig daher. Es verschwätzt sich mit dem Leser oder in der häufig direkten Rede der Charaktere, wobei Stilebenen und Perspektiven wild vermischt werden. Was klingt, als sei es dem Leben abgeschrieben, ist freilich Kunstsprache. Erst nach und nach enthüllt der Wust an Erlebnissen auf Taxifahrten und Familienfeiern, Friedhöfen und Gutshäusern eine innere Logik. Ihren Reiz bezieht die Geschichte aus der Spannung, die sich ergibt aus der Tragik der Geschehnisse und dem zärtlichen Spott der Erzählerin.
Anna Gavalda: "Alles Glück kommt nie". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, München 2008. 607 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Männer im Konjunktiv, Frauen in der Gurkenmaske: Anna Gavalda lässt alle auflaufen - und trotzdem geht's gut.
Von Sandra Kegel
Anna Gavalda schreibt Märchen für moderne Menschen. Dabei klingt die Geschichte der französischen Schriftstellerin selbst, als stamme sie aus einem ihrer Romane: Eine junge Frau vom Lande, alleinerziehende Mutter, schreibt nachts, wenn die Kinder schlafen, ein paar beschwingt-wehmütige Kurzgeschichten. Kein Verlag will sie haben; schließlich bringt ein kleines Pariser Haus das Debüt der unbekannten Lehrerin unter dem Titel "Je voudrais que quelqu'un m'attende quelque part" heraus. Zehn Jahre und drei Millionen verkaufte Bücher später liegt Anna Gavalda fünftes Werk vor: Und wieder ist "La Consolante" - unglücklich ins Deutsche übersetzt mit: "Alles Glück kommt nie" - in Frankreich auf die Bestsellerlisten gerutscht.
Das macht die Sache mit der Autorin nicht eben einfacher: Denn der Erfolg eines Buches ist noch kein Qualitätsgarant, sollte aber auch kein Anlass zu Misstrauen sein. Anna Gavalda widerfährt beides: Entweder wird sie von der Kritik über die Maßen hofiert und gleich mit Maupassant, Colette und Sagan verglichen, oder man tut ihr Werk als "typische Frauenliteratur" ab, als eine von Mademoiselle Miracle gestrickte Konfektionsware. So oder so wird man Anna Gavalda nicht gerecht. Denn auch wenn ihr literarisches Thema leicht zu durchschauen ist - sehnsüchtige Menschen aus der Großstadt brechen aus ihrer Verlorenheit aus, wagen Neues, finden ihr Glück und dabei vielleicht sich selbst -, ihre Erzählkunst ist keinesfalls seicht. Die Achtunddreißigjährige verfügt über Geist, Witz und trockene Ironie. Lieblichkeit findet sich in diesen Texte kaum je. Sie werden vielmehr getragen von einer geradezu unfranzösischen Leichtigkeit des Schreibens. Der oft akademischen französischen Literatur hat sie Temperament und Fabulierlust beigemischt. Auf diesen mehr als sechshundert Seiten ihres neuen Romans geht Gavalda bisweilen verschwenderisch mit Worten um. Dann wieder tuscht sie die Worte nur so hin, zwei oder drei, und beendet den Absatz. Und sie greift immer wieder ins Geschehen ein, indem sie den Leser direkt anspricht, sich mit ihm amüsieren will über die Irrungen des Literaturbetriebs oder die Wirrungen der handelnden Figuren. Zum Verrat am Personal kommt es gleichwohl nie.
Im Zentrum des Romans steht Charles Balanda, ein Mann in den besten Jahren. Der Architekt hat in seinem Beruf vieles erreicht. Er jettet um die Welt, von Land zu Land, von Baustelle zu Baustelle, und hat darüber die Bindung zu seiner Lebensgefährtin Laurence und deren Tochter Mathilde verloren. Ein bisschen hat dieser Charles sein Leben aber auch satt in der schicken Pariser Altbauwohnung mit einer Frau, die ihre Gesichtsmasken mehr liebt als seine Küsse. Bei einem Familienfest gerät Charles' konventionell gezimmerte Welt aus den Fugen, als er vom Tod Anouks erfährt, der Mutter eines Freundes aus Kindertagen. Ihm werden die Teller schwer, er muss sich setzen und findet auch bei Laurence keinen Trost. Doch ehe sich das dramatische Tremolo Bahn bricht, mischt sich die Erzählerin ein: "Ende des Tragödienstadels", ruft sie aus: "Wäre Charles Balanda, eins achtzig groß, achtundsiebzig Kilo schwer, barfuß, weiße Hose, offener Gürtel, die Arme vor der Brust verschränkt, die Nase in dem alten Kissen versenkt, irgendwann eingeschlafen, die Geschichte wäre zu Ende. Er wäre unser Held. Würde in ein paar Monaten siebenundvierzig, er hätte viel zu wenig gelebt . . . Uns fehlen die Worte, ihm wie mir." Das freilich ist gelogen, denn schon geht es flott weiter im Text. Der Roman setzt aufs Neue an und lehrt Charles das Fürchten: Er scheitert kläglich bei dem Versuch, die Erinnerung an den Engel aus seiner Kindheit zu vergessen. Irgendwann streckt er die Waffen und steigt nicht nur aus dem Flugzeug, sondern gleich aus seinem Leben aus, um sich im Mietwagen von Paris aus auf die Reise in seine Vergangenheit zu machen. Es ist der tragikomische Versuch, sein Leben zu retten.
Die Erzählerin erwägt, die Stilfibel zu konsultieren.
Zuerst findet Charles Balanda das Grab von Anouk, der Mutter des Freundes, die er als Kind vergötterte und die einst als Krankenschwester auf der Intensivstation ihren Patienten verbot zu sterben. Dann macht er ihren Sohn Alexis ausfindig, einen hochbegabten Trompeter, der seinem Talent nicht gewachsen war und sich vor der Hölle aus Drogen und Depression in die französische Provinz geflüchtet hat. Und schließlich findet Charles einen Menschen, den er gar nicht suchte, der ihm aber zur "Tröstenden" wird, wie der Roman im Original heißt. Diese Erlöserin, Kate, ist eine verrückte Engländerin Ende dreißig, die mit fünf Kindern, zehn Katzen sowie Hunden, Vögeln und einem spuckenden Lama auf einem verwitterten Landgut wohnt. Sie wird Charles zur zweiten Anouk. Dieses Mal, so viel ist klar, wird er sie nicht gehenlassen. Kate ist ein seltsamer Mensch, chaotisch, verletzlich, mit einem tragischen Schicksal. Ihre schmuddelige Landhausküche verwandelt Anna Gavalda in die Dunkelkammer unverarbeiteter Emotionen. Beim Haareschneiden und Geschirrspülen öffnen zwei Trostsuchende einander ihre verwundeten Herzen. Und wieder frotzelt, noch ehe der Kitsch überhandnimmt, die Erzählerin dazwischen: "Was jetzt folgt, nennt sich Glück, und Glück ist eher peinlich. Lässt sich nicht erzählen. Sagt man. Sagen sie. Glück ist platt, abgeschmackt, boring, und immer auch anstrengend. Glück langweilt den Leser. Ist ein Liebestöter." Statt im Text zu bleiben, wird erwogen, eine Stilfibel zu konsultieren, doch vergeblich, denn dort werde nur geraten, Wörter wegzulassen. Die Autorin sträubt sich, lehnt die Verantwortung ab, zwischen dem "Überflüssigen" und dem "Wesentlichen" zu unterscheiden. "Demnach dürfen wir uns noch ein paar Szenen gönnen. Die Akademie ist zu gütig."
Anna Gavalda lässt es sich nicht nehmen, in dieser märchenhaften Szenerie dem Literaturbetrieb eins auszuwischen. Gelegentlich kommt ihr Buch - das mit dem Dank an Henri Bertaud du Chazaud, dem Autor eines Synonymwörterbuchs endet - allzu plauderig daher. Es verschwätzt sich mit dem Leser oder in der häufig direkten Rede der Charaktere, wobei Stilebenen und Perspektiven wild vermischt werden. Was klingt, als sei es dem Leben abgeschrieben, ist freilich Kunstsprache. Erst nach und nach enthüllt der Wust an Erlebnissen auf Taxifahrten und Familienfeiern, Friedhöfen und Gutshäusern eine innere Logik. Ihren Reiz bezieht die Geschichte aus der Spannung, die sich ergibt aus der Tragik der Geschehnisse und dem zärtlichen Spott der Erzählerin.
Anna Gavalda: "Alles Glück kommt nie". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, München 2008. 607 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main