Regina Scheer
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Machandel (MP3-Download)
Ungekürzte Lesung. 927 Min.
Sprecher: Sauer, Viola
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Regina Scheer spannt in ihrem beeindruckenden Roman den Bogen von den 30er Jahren über den Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer und in die Gegenwart. Sie erzählt von den Anfängen der DDR, als die von Faschismus und Stalinismus geschwächten linken Kräfte hier das bessere Deutschland schaffen wollten, von Erstarrung und Enttäuschung, von dem hoffnungsvollen Aufbruch Ende der 80er Jahre und von zerplatzten Lebensträumen.
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Regina Scheer, 1950 in Berlin geboren, studierte Theater- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Von 1972 bis 1976 arbeitete sie bei der Wochenzeitschrift 'Forum'. Danach war sie freie Autorin und Mitarbeiterin der Literaturzeitschrift 'Temperamente'. Nach 1990 wirkte sie an Ausstellungen, Filmen und Anthologien mit und veröffentlichte mehrere Bücher zur deutsch-jüdischen Geschichte, u.a. 'Im Schatten der Sterne' (2004). Ihre ersten beiden Romane, 'Machandel' (2014) und 'Gott wohnt im Wedding' (2019), waren große Publikumserfolge. Ihr neuestes Buch, 'Bittere Brunnen', wurde 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Audio Verlag München
- Erscheinungstermin: 20. April 2021
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783748402039
- Artikelnr.: 61348968
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Schade, schade, meint Elmar Krekeler, dass die Autorin ihren Dorfroman aus zu vielen gleichlautenden Stimmen zusammensetzt. Dass Dorfgeschichte mehr ist als ein Haufen Einzelschicksale, dass sich in einem typischen mecklenburgischen Flecken Lebenslinien treffen und zu etwas Größerem, Allgemeingültigen zusammenschließen können, vermag ihm Regina Scheer nämlich durchaus plausibel zu machen, indem sie hinhört, auf Geschichten, Schicksale und generationsübergreifende Zusammenhänge. Das leicht Mechanische an dem Wechselgesang der Stimmen im Buch, der Zwangsarbeiterin, des Kommunisten, des Opportunisten usw. kann Krekeler verzeihen, das Überbordende weniger.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Gerechte unter den Schriftstellerinnen
Die große Rekonstruktion: Regina Scheers Roman "Machandel" erzählt vom Krieg bis zur Wende und darüber hinaus. Sie fasst die deutsche Zeitgeschichte in ein faszinierendes Kaleidoskop.
Anspielungsreicher kann es nicht beginnen: Eine Frau läuft über herbstlich karge Felder zu einer Dorfkirche. Dort ist eine Engelsfigur restauriert worden. "Die Wurmlöcher hat der Restaurator versiegelt, nun sieht der Engel aus, wie er vor zweihundert Jahren ausgesehen haben mag, dick und rotbäckig, vergnügt auf den ersten Blick, aber dann sieht man die aufgerissenen Augen, den wie zum Schrei geöffneten kleinen Mund und fragt sich: Was hat der Engel gesehen? Was ist ihm geschehen?" Natürlich
Die große Rekonstruktion: Regina Scheers Roman "Machandel" erzählt vom Krieg bis zur Wende und darüber hinaus. Sie fasst die deutsche Zeitgeschichte in ein faszinierendes Kaleidoskop.
Anspielungsreicher kann es nicht beginnen: Eine Frau läuft über herbstlich karge Felder zu einer Dorfkirche. Dort ist eine Engelsfigur restauriert worden. "Die Wurmlöcher hat der Restaurator versiegelt, nun sieht der Engel aus, wie er vor zweihundert Jahren ausgesehen haben mag, dick und rotbäckig, vergnügt auf den ersten Blick, aber dann sieht man die aufgerissenen Augen, den wie zum Schrei geöffneten kleinen Mund und fragt sich: Was hat der Engel gesehen? Was ist ihm geschehen?" Natürlich
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ist diese Beschreibung im ersten Absatz von Regina Scheers Roman "Machandel" ein Verweis auf Walter Benjamins berühmten "Engel der Geschichte".
Der Engel in Regina Scheers Geschichte war versehrt, nun hat man ihn oberflächlich geheilt, aber die Schäden im Inneren sind noch alle da. Genau so ergeht es auch den Protagonisten dieses Romans. Er hat fünf Stimmen, die über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten berichten: vom Zweiten Weltkrieg bis in unsere unmittelbare Gegenwart. Fast alles, was erzählt wird, hat sich in Machandel abgespielt, einem kleinen mecklenburgischen Dorf. "Man muss nicht in einer großen Stadt leben", sagt eine Erzählerin im Roman. "Alles, was geschehen kann, ist auch in Machandel geschehen." An diesem fiktiven Ort exemplifiziert Regina Scheer die deutsche Nachkriegsgeschichte.
Sie ist aber nicht zu haben ohne den Krieg, und so ist das, was damals in Machandel geschah, auch zentrales Thema. Die spätere Teilung in DDR und BRD riss die Menschen auseinander; ein anderer wichtiger Strang von "Machandel" gilt darum der Frage, was mit einem jungen Fotografen passiert ist, der 1985 in den Westen gegangen ist. Seine Schwester Clara ist die Hauptfigur in Regina Scheers Roman, sie tritt in dreizehn der insgesamt fünfundzwanzig Kapitel als Erzählerin auf.
Trotzdem ist es nicht ihr Buch allein, denn nach jeder Erinnerung von Clara setzt eine andere Stimme ein: die von ihrem Vater Hans, der als verbitterter SED-Funktionär nach der Wende auf seinen Tod wartet; die von Herbert, dem besten Freund des ausgereisten Bruders; die von Emma, einer im Krieg aus Hamburg nach Machandel evakuierten Frau, die dort heimisch geworden ist; und die von Natalja, die aus dem Grab oder aus den Träumen kommt, denn die russische Zwangsarbeiterin ist 1994 in Machandel gestorben, wo sie nach dem Kriegsende geblieben war, weil sie Repressalien in ihrer Heimat befürchtete.
Erst dieses Stimmenkonzert ergibt die ganze Melodie von "Machandel", einem Roman, der bisweilen so poetisch ist, wie sein Titel klingt - Machandel ist das niederdeutsche Wort für Wacholder -, der aber immer wieder auch zeitbedingte Schilderungen eines Schreckens bietet, der neben dem Wohnort die einzige Konstante im Leben der Protagonisten darstellt. Natürlich ist er im NS-Deutschland tödlicher als in der DDR, doch die Verstörung von Menschen, die unverschuldet ins Mahlwerk der Geschichte geraten, bleibt gleich. Die Hilflosigkeit aller Beteiligten ist das vorherrschende Gefühl. Es ist aber auch das, was sie nicht ruhen lässt. Alle nehmen sie den Kampf an, nicht militant, sondern mit dem einzigen Mittel, das sie noch haben: Treue zu sich selbst.
Das macht "Machandel" zu einem bemerkenswerten Solitär im Reigen jener Bücher, die man gern unter "Wenderomane" subsumiert. Regina Scheer zeigt, dass sich die Menschen nicht verändern. Das mag man positiv oder negativ verstehen; auf jeden Fall lässt sie ihren Erzählern Gerechtigkeit insoweit widerfahren, dass sie keinen denunziert. "Machandel" ist eh viel mehr als ein Wenderoman im üblichen Verständnis, denn sein Zeitrahmen ist ja ungleich weiter gesteckt. Er stammt zudem, was es erstaunlicherweise bei diesem Thema bislang nur selten gab, von einer Frau, und das merkt man vor allem daran, dass hier nicht große Metaphysik betrieben, sondern mit empathischem Blick beschreiben wird, was vor 1989 auszuhalten war - und bedingt durch die Nachwehen immer noch auszuhalten ist.
"Machandel" ist der Debütroman von Regina Scheer, die bereits vierundsechzig Jahre alt ist, doch es ist nicht ihr erstes Buch. Seit 1972 schreibt die in Ost-Berlin geborene Autorin; zunächst war sie in der DDR Journalistin, dann Kulturwissenschaftlerin mit einem besonderen Schwerpunkt auf deutsch-jüdischer Geschichte. In die Figuren von "Machandel", besonders im Falle des Vaters von Clara, sind gleich mehrere Dutzend Zeitzeugengespräche eingegangen, die Regina Scheer in den neunziger Jahren im Rahmen eines zeithistorischen Projekts mit kommunistischen Veteranen geführt hat.
Und stets neu wirft der am fiktiven Ort mit fiktiven Figuren spielende Roman solche Anker in die Wirklichkeit aus - etwa beim Erzählen von 1944 in Berlin durch Bombenangriffe zerstörte Ausgrabungsfunde aus dem syrischen Tell Halaf, die in der Tat erst in jüngster Zeit durch akribische Arbeit aus den Bruchstücken wieder rekonstruiert werden konnten. Regina Scheer lässt ihre Clara an diesen Bemühungen teilhaben, und im Versuch, aus den Trümmern etwas zusammenzusetzen, spiegelt sich das Erzählprogramm des Romans. Es ist aber auch präsent in Claras wissenschaftlicher Beschäftigung mit alten Volksliedern, die nicht selten von einem zerstückelten Knaben singen, dessen Schwester die Knochen einsammelt und in einen Machandelbaum hängt, aus dem der Tote dann als Vogel aufersteht - frei wie nie zuvor.
Man sieht, wie sich hier Motivstränge autobiographischer, poetischer, literatur- und zeitgeschichtlicher Art durchdringen, um das Erzählkunstwerk "Machandel" zu ermöglichen. Es gibt dabei zahlreiche kaum merkliche Scharnierszenen, die die fünf verschiedenen Perspektiven miteinander verbinden, so etwa eine Todesnacht unmittelbar nach dem Krieg: "Was ist das für eine Nacht, dachte ich", berichtet Emma, "und als ich mit dem gefüllten Wassereimer aus dem Schloss kam, stand da Niko Morshonikidse und sagte: ,Krieg kaputt, Frau, Mann leben.' Es waren die einzigen deutschen Worte, die ich je von ihm hörte, mehr kannte er nicht, aber wir hatten ja unsere eigene Sprache. Er trug mir den Eimer zum Katen, über das Kopfsteinpflaster, aus dem die Wegranken im fahlen Morgenlicht plötzlich bedrohlich emporgewachsen schienen, die Kinder schliefen nicht, sie liefen mir entgegen, es war die Nacht, in der Heinz im Kvetsee ertrunken war." Dass diese Nacht fünfzig Seiten später noch einmal erzählt wird, erkennt man nur daran, dass darin erwähnt wird, wie Emma mit dem Wassereimer aus der Tür des Schlosses tritt. "Machandel" ist ein Puzzle, dessen Komplexität gar nicht überschätzt werden kann. Der Roman liest sich trotzdem oder gerade deswegen großartig.
Er tut es auch, weil er erfahrungsgesättigt ist - beispielsweise mit den Auseinandersetzungen des Staats und der Berliner Gethsemane-Gemeinde, an der Regina Scheer selbst als Beteiligte auf Seite der Protestierenden teilgenommen hat - und trotzdem kein Schlüsselroman sein will. Es sind Personen eigenen Rechts, die die Autorin beschreibt, bisweilen zwar Stellvertreter für einen Typus, doch immer konsequent aus ihren eigenen Erfahrungen heraus zu dem geworden, was sie sind. Und obwohl nur als Kombination individueller Schicksale erzählt, ist "Machandel" in der Summe auch Charakterstudie politischer Systeme. Der Roman bietet etwa eine beklemmende Episode, in der ein Mädchen auf Betreiben eines Opportunisten, dem es sich nicht länger hingeben will, als geistesschwach denunziert wird, womit es der NS-Psychiatrie ausgeliefert ist, in der es sterben wird. Der Opportunist aber führt sein Leben als willfähriger Informant während der DDR fort, und er fällt auch im wiedervereinigten Deutschland wieder auf die Füße.
Er ist die einzige Hauptfigur in "Machandel", die von Regina Scheer keine eigene Erzählstimme bekommt. Auch er ist sich treu geblieben, aber nur auf Kosten anderer. Solche Menschen gab es und gibt es, aber auch sie sich rechtfertigen zu lassen, das ist dieser Gerechten unter den Schriftstellerinnen nicht eingefallen.
ANDREAS PLATTHAUS
Regina Scheer: "Machandel". Roman.
Knaus Verlag, München 2014. 479 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Engel in Regina Scheers Geschichte war versehrt, nun hat man ihn oberflächlich geheilt, aber die Schäden im Inneren sind noch alle da. Genau so ergeht es auch den Protagonisten dieses Romans. Er hat fünf Stimmen, die über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten berichten: vom Zweiten Weltkrieg bis in unsere unmittelbare Gegenwart. Fast alles, was erzählt wird, hat sich in Machandel abgespielt, einem kleinen mecklenburgischen Dorf. "Man muss nicht in einer großen Stadt leben", sagt eine Erzählerin im Roman. "Alles, was geschehen kann, ist auch in Machandel geschehen." An diesem fiktiven Ort exemplifiziert Regina Scheer die deutsche Nachkriegsgeschichte.
Sie ist aber nicht zu haben ohne den Krieg, und so ist das, was damals in Machandel geschah, auch zentrales Thema. Die spätere Teilung in DDR und BRD riss die Menschen auseinander; ein anderer wichtiger Strang von "Machandel" gilt darum der Frage, was mit einem jungen Fotografen passiert ist, der 1985 in den Westen gegangen ist. Seine Schwester Clara ist die Hauptfigur in Regina Scheers Roman, sie tritt in dreizehn der insgesamt fünfundzwanzig Kapitel als Erzählerin auf.
Trotzdem ist es nicht ihr Buch allein, denn nach jeder Erinnerung von Clara setzt eine andere Stimme ein: die von ihrem Vater Hans, der als verbitterter SED-Funktionär nach der Wende auf seinen Tod wartet; die von Herbert, dem besten Freund des ausgereisten Bruders; die von Emma, einer im Krieg aus Hamburg nach Machandel evakuierten Frau, die dort heimisch geworden ist; und die von Natalja, die aus dem Grab oder aus den Träumen kommt, denn die russische Zwangsarbeiterin ist 1994 in Machandel gestorben, wo sie nach dem Kriegsende geblieben war, weil sie Repressalien in ihrer Heimat befürchtete.
Erst dieses Stimmenkonzert ergibt die ganze Melodie von "Machandel", einem Roman, der bisweilen so poetisch ist, wie sein Titel klingt - Machandel ist das niederdeutsche Wort für Wacholder -, der aber immer wieder auch zeitbedingte Schilderungen eines Schreckens bietet, der neben dem Wohnort die einzige Konstante im Leben der Protagonisten darstellt. Natürlich ist er im NS-Deutschland tödlicher als in der DDR, doch die Verstörung von Menschen, die unverschuldet ins Mahlwerk der Geschichte geraten, bleibt gleich. Die Hilflosigkeit aller Beteiligten ist das vorherrschende Gefühl. Es ist aber auch das, was sie nicht ruhen lässt. Alle nehmen sie den Kampf an, nicht militant, sondern mit dem einzigen Mittel, das sie noch haben: Treue zu sich selbst.
Das macht "Machandel" zu einem bemerkenswerten Solitär im Reigen jener Bücher, die man gern unter "Wenderomane" subsumiert. Regina Scheer zeigt, dass sich die Menschen nicht verändern. Das mag man positiv oder negativ verstehen; auf jeden Fall lässt sie ihren Erzählern Gerechtigkeit insoweit widerfahren, dass sie keinen denunziert. "Machandel" ist eh viel mehr als ein Wenderoman im üblichen Verständnis, denn sein Zeitrahmen ist ja ungleich weiter gesteckt. Er stammt zudem, was es erstaunlicherweise bei diesem Thema bislang nur selten gab, von einer Frau, und das merkt man vor allem daran, dass hier nicht große Metaphysik betrieben, sondern mit empathischem Blick beschreiben wird, was vor 1989 auszuhalten war - und bedingt durch die Nachwehen immer noch auszuhalten ist.
"Machandel" ist der Debütroman von Regina Scheer, die bereits vierundsechzig Jahre alt ist, doch es ist nicht ihr erstes Buch. Seit 1972 schreibt die in Ost-Berlin geborene Autorin; zunächst war sie in der DDR Journalistin, dann Kulturwissenschaftlerin mit einem besonderen Schwerpunkt auf deutsch-jüdischer Geschichte. In die Figuren von "Machandel", besonders im Falle des Vaters von Clara, sind gleich mehrere Dutzend Zeitzeugengespräche eingegangen, die Regina Scheer in den neunziger Jahren im Rahmen eines zeithistorischen Projekts mit kommunistischen Veteranen geführt hat.
Und stets neu wirft der am fiktiven Ort mit fiktiven Figuren spielende Roman solche Anker in die Wirklichkeit aus - etwa beim Erzählen von 1944 in Berlin durch Bombenangriffe zerstörte Ausgrabungsfunde aus dem syrischen Tell Halaf, die in der Tat erst in jüngster Zeit durch akribische Arbeit aus den Bruchstücken wieder rekonstruiert werden konnten. Regina Scheer lässt ihre Clara an diesen Bemühungen teilhaben, und im Versuch, aus den Trümmern etwas zusammenzusetzen, spiegelt sich das Erzählprogramm des Romans. Es ist aber auch präsent in Claras wissenschaftlicher Beschäftigung mit alten Volksliedern, die nicht selten von einem zerstückelten Knaben singen, dessen Schwester die Knochen einsammelt und in einen Machandelbaum hängt, aus dem der Tote dann als Vogel aufersteht - frei wie nie zuvor.
Man sieht, wie sich hier Motivstränge autobiographischer, poetischer, literatur- und zeitgeschichtlicher Art durchdringen, um das Erzählkunstwerk "Machandel" zu ermöglichen. Es gibt dabei zahlreiche kaum merkliche Scharnierszenen, die die fünf verschiedenen Perspektiven miteinander verbinden, so etwa eine Todesnacht unmittelbar nach dem Krieg: "Was ist das für eine Nacht, dachte ich", berichtet Emma, "und als ich mit dem gefüllten Wassereimer aus dem Schloss kam, stand da Niko Morshonikidse und sagte: ,Krieg kaputt, Frau, Mann leben.' Es waren die einzigen deutschen Worte, die ich je von ihm hörte, mehr kannte er nicht, aber wir hatten ja unsere eigene Sprache. Er trug mir den Eimer zum Katen, über das Kopfsteinpflaster, aus dem die Wegranken im fahlen Morgenlicht plötzlich bedrohlich emporgewachsen schienen, die Kinder schliefen nicht, sie liefen mir entgegen, es war die Nacht, in der Heinz im Kvetsee ertrunken war." Dass diese Nacht fünfzig Seiten später noch einmal erzählt wird, erkennt man nur daran, dass darin erwähnt wird, wie Emma mit dem Wassereimer aus der Tür des Schlosses tritt. "Machandel" ist ein Puzzle, dessen Komplexität gar nicht überschätzt werden kann. Der Roman liest sich trotzdem oder gerade deswegen großartig.
Er tut es auch, weil er erfahrungsgesättigt ist - beispielsweise mit den Auseinandersetzungen des Staats und der Berliner Gethsemane-Gemeinde, an der Regina Scheer selbst als Beteiligte auf Seite der Protestierenden teilgenommen hat - und trotzdem kein Schlüsselroman sein will. Es sind Personen eigenen Rechts, die die Autorin beschreibt, bisweilen zwar Stellvertreter für einen Typus, doch immer konsequent aus ihren eigenen Erfahrungen heraus zu dem geworden, was sie sind. Und obwohl nur als Kombination individueller Schicksale erzählt, ist "Machandel" in der Summe auch Charakterstudie politischer Systeme. Der Roman bietet etwa eine beklemmende Episode, in der ein Mädchen auf Betreiben eines Opportunisten, dem es sich nicht länger hingeben will, als geistesschwach denunziert wird, womit es der NS-Psychiatrie ausgeliefert ist, in der es sterben wird. Der Opportunist aber führt sein Leben als willfähriger Informant während der DDR fort, und er fällt auch im wiedervereinigten Deutschland wieder auf die Füße.
Er ist die einzige Hauptfigur in "Machandel", die von Regina Scheer keine eigene Erzählstimme bekommt. Auch er ist sich treu geblieben, aber nur auf Kosten anderer. Solche Menschen gab es und gibt es, aber auch sie sich rechtfertigen zu lassen, das ist dieser Gerechten unter den Schriftstellerinnen nicht eingefallen.
ANDREAS PLATTHAUS
Regina Scheer: "Machandel". Roman.
Knaus Verlag, München 2014. 479 S., geb., 22,99 [Euro].
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«Die große Rekonstruktion: Regina Scheers Roman 'Machandel' erzählt vom Krieg bis zur Wende und darüber hinaus. Sie fasst die deutsche Zeitgeschichte in ein faszinierendes Kaleidoskop.» Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus
Broschiertes Buch
Was für ein großartiger Roman. Ich habe ihn gern gelesen. Ab und an musste ich ihn beiseite legen und darüber nachdenken. Die vielen verschiedenen Erzählperspektiven, die verschiedenen Zeiten und die verschiedenen Staatsformen machen dieses Buch interessant und bringen dem Leser …
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Was für ein großartiger Roman. Ich habe ihn gern gelesen. Ab und an musste ich ihn beiseite legen und darüber nachdenken. Die vielen verschiedenen Erzählperspektiven, die verschiedenen Zeiten und die verschiedenen Staatsformen machen dieses Buch interessant und bringen dem Leser die deutsche Geschichte so nah. Wer keine Lust auf Sachbücher hat, sollte dieses Buch lesen.
Regina Scheer hat Figuren geschaffen, die beeindrucken, aufwühlen und aufregen. Man ist mittendrin und fühlt und denkt und erlebt mit. Vieles erkannte ich wieder, einiges war mir neu und manches konnte ich nicht so richtig nachvollziehen, weil ich es anders erlebt habe, aber genau das machte das Buch für mich spannend.
Es gibt am Ende des Buches ein Personenregister. Dieses sollte man (aus meiner Sicht) vorab schon einmal lesen, dann kann man die Figuren besser auseinanderhalten. Die Sprünge sind etwas gewöhnungsbedürftig, aber mit der Zeit gehören sie einfach zur Geschichte.
Ein sehr gutes Buch, welches zum Nachdenken anregt und Geschichte greifbar macht.
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Broschiertes Buch
DDR-Epos von zerplatzten Lebensträumen
Der erste und bisher einzige Roman der in Ostberlin geborenen und literarisch vielseitig tätigen Schriftstellerin Regina Scheer erschien 2014 unter dem Titel «Machandel». Er bezeichnet ein fiktives Dorf in Mecklenburg, das in weiten …
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DDR-Epos von zerplatzten Lebensträumen
Der erste und bisher einzige Roman der in Ostberlin geborenen und literarisch vielseitig tätigen Schriftstellerin Regina Scheer erschien 2014 unter dem Titel «Machandel». Er bezeichnet ein fiktives Dorf in Mecklenburg, das in weiten Teilen der Schauplatz des Geschehens ist, aber im Niederdeutschen auch ein Bezeichnung für den Wacholder. Die Autorin schildert in ihrer von den 1930iger Jahren über den Zweiten Weltkrieg, DDR und Wiedervereinigung bis in die Neuzeit reichenden Geschichte die Auswirkungen der verschiedenen politischen Epochen auf die Figuren ihres umfangreichen Romans. Im Anhang «Die wichtigsten Personen» stellt sie nicht weniger als dreizehn davon ausführlich vor, und auch die 25 Kapitel dieses Wenderomans sind mit dem Namen einer der fünf Protagonisten überschrieben, aus deren Perspektive jeweils abwechselnd erzählt wird. Beides erweist sich als außerordentlich nützlich für die Orientierung beim Lesen.
Es beginnt damit, dass die 24jährige Clara, wichtigste Protagonistin des Romans und unschwer als Alter Ego der Autorin erkennbar, im Sommer 1984 von Ostberlin aus mit ihrem Mann und Jan, ihrem vierzehn Jahre älteren Bruder, nach Machandel reist. Jan wurde im Schloss von Machandel geboren und verbrachte seine Kindheit dort bei der Großmutter. Es ist ihre erste Reise in das Dorf, wo ihre Eltern sich einst kennen gelernt haben und ihr Bruder dann ein Jahr später auch geboren wurde. Sie entdeckt bei diesem Besuch eine herunter gekommene Kate, die sie als Sommerhaus herrichten will. Clara arbeitet dann dort unter primitivsten Bedingungen an ihrer Dissertation über das Märchen vom Machandelbaum, das es in den verschiedensten Dialekten aus unterschiedlichen Kulturen gibt. Allmählich lernt sie auch andere Dorfbewohner kennen und erfährt von deren Schicksalen. So von Natalja, einer Ostarbeiterin aus Weißrussland, die sich nach dem Krieg nicht hat repatriieren hat lassen und in Machandel geblieben ist. Hans Langner, Claras Vater, war während der Nazizeit im Roten Frontkämpferbund engagiert, überlebte das KZ und kann später in hohe Ämter der DDR. Clara und vor allem ihr Bruder stehen dem Regime kritisch gegenüber, Jan wird als Dissident zu Gefängnis verurteilt und verlässt nach der Haft 1985 die DDR. Er hatte einen Ausreiseantrag gestellt, der wohl wegen seines prominenten Vaters dann auch positiv beschieden wurde. Aber auch Clara und ihr Mann engagieren sich in einer regimekritischen Friedensinitiative, und gute Freunde von ihnen werden als Mitglieder einer Oppositionsgruppe sogar inhaftiert und müssen die DDR 1988 verlassen, - jedes politische Engagement war gefährlich im Arbeiter- und Bauernstaat.
In diesem äußerst komplexen, detailverliebt erzählten DDR-Epos von den zerplatzten Lebensträumen werden die Schicksale der vielen Figuren eng miteinander verwoben. Durch die unterschiedlichen Perspektiven ist es allerdings schwer, die komplizierten Zusammenhänge immer richtig zu verstehen und zuzuordnen. So erwähnt Claras Vater denn auch mehrfach, dass er seiner Tochter «nicht alles» erzählt habe, ein deutlicher Hinweis der Autorin also auf die Leerstellen, die sie für Claras Verständnis der Geschehnisse ganz bewusst gelassen hat. Dieses überbordende Epos als Konglomerat aus fünf Erzählstimmen leidet ein wenig unter deren Gleichklang, es fehlen Spannung erzeugende, alternative Standpunkte und kontroverse Diskussionen. Die Romanfiguren lassen scheinbar klaglos alles über sich ergehen, zeigen sich ohnmächtig einem Generationen übergreifenden, schicksalhaften Geschehen gegenüber.
Nüchtern, präzise und detailreich wird in diesem Roman von einer mystischen Gegenwelt zum ‹real existierenden Sozialismus› erzählt, raffiniert gespiegelt am uralten Mythos «Von dem Machandelboom», der bekanntlich eine bessere Zukunft verheißt. Die ist hier allerdings auch nach dem Mauerfall nicht gegeben und droht ja trotz all der negativen Erfahrungen wieder in einen faschistischen Albtraum abzugleiten. Die Figuren erzeugen keine Emotionen und bleiben unnahbar, ihre Geschichten sind allzu ausufernd erzählt und werden schnell quälend langweilig!
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