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Trotz hat man mit zwei und in der Pubertät, dann sollte das vorbei sein.
Doch Ronja von Rönne erklärt ihn in ihrem neuen Buch zur lebenslangen Chance. Oje!
VON ELKE HEIDENREICH
Auf Seite 15 habe ich schon keine Lust mehr weiterzulesen. Bis dahin wurde gerade die Schöpfungsgeschichte runtergerissen: Gott hatte die Menschen aus reinem Trotz erschaffen und zu ihnen gesagt: „Haltet die Schnauze, am Sonntag hält man die Fresse und schaut Netflix, wir sprechen am Montag wieder.“
Ach, im Grunde hatte ich schon nach den ersten beiden Sätzen in diesem seltsamen Buch (Essay? Erzählung? Novelle? Pamphlet? Tagebuch?) keine Lust weiterzulesen. Sie lauten: „Martin war nicht tot. Im Gegenteil: Er war sauanstrengend.“ Ein Wort wie „sauanstrengend“ gefällt mir in einem literarischen Text nicht, ebenso Formulierungen wie „Das schien mir ein okayer Preis zu sein“ oder „Ich wurde mir immer egaler“ oder Adam und Eva „sind besonders kinky drauf.“ Literatur sollte ja irgendwie auch mit Sprache zu tun haben, oder? Ronja von Rönne rotzt sich durch dieses Buch, das eine Lektorin zweimal mit launigen Fußnoten garniert, ja, Kumpel, da wäre ein gründliches Lektorat angebrachter gewesen.
Zum Thema: Trotz. Das ist etwas, das man mit zwei, drei Jahren hat und dann vielleicht noch mal in der Pubertät, dann sollte das vorbei sein. Die Autorin plädiert aber für lebenslang und verwechselt konsequent Trotz mit Widerstand. Sie hat aus Wikipedia abgeschrieben, dass Trotz „eine Art Widerstand gegenüber der Realität ist und „also eine Form von Selbstbehauptung“ (Rönne), „Zustand des inneren, leicht auch äußeren Widerstandes gegen die soziale Umwelt im Sinne der Selbstbehauptung“ (Wikipedia). Jetzt wird mit kühner Hand dem Trotz alles untergeordnet, von der Erfindung der Dampfmaschine über Pippi Langstrumpf bis zur Gleichberechtigung: alles nur aus Trotz. Wenn Trotz toxisch wird, vermutet die Autorin, gründen die Betroffenen Selbsthilfegruppen und nennen die dann CSU. Ist das komisch? Eher nicht. So flapsig geht es weiter und wird immer ärgerlicher: Kopftuch, sagt Rönne, kann man aus Trotz tragen oder aus Trotz abwerfen – ganz so simpel ist das ja wohl nicht. Das hat mit Haltung zu tun, nicht mit Trotz.
Wer schreibt hier eigentlich was und warum? „Ich schreibe dieses Buch nicht aus einer pubertären Antihaltung heraus, sondern um den Trotz aus der Schmuddelecke zu befreien.“ Er ist, sagt sie, eine Chance. Für was genau? Ich mäandere durch den Text und habe die ganze Zeit das Gefühl, dass hier eine eigentlich intelligente Frau unfassbaren Unsinn schreibt. Und irgendwann kommts raus: Sie ist wegen einer Kolumne 2015 („Warum mich der Feminismus anekelt“) öffentlich in Ungnade gefallen und hat das nicht verwunden, mein Gott, war doch nur Trotz! Ein bisschen stänkern gegen den Feminismus und dann so viel Hass im Netz – das hat sie nicht verwunden, und nun soll dieser Text den Trotz zu etwas Gutem stilisieren, etwas, das uns alle weiterbrächte, würden wir uns nur trauen. Ach, liebe Ronja von Rönne.
Das ganze Dilemma schon auf Seite 33, oben: „In dieser Zeit wuchs eine Art Trotz in mir, die im Rückblick wahrscheinlich überlebenswichtig gewesen war“, unten: „Ich packte mich in einen Panzer aus ‚mir alles scheißegal‘ und fuhr in einem massiv unsympathischen und saulauten geliehenen Porsche nach Klagenfurt…“ Was denn nun? Trotz oder Panzer? Und Porsche oder, später, natürlich auch aus Trotz: Jaguar? Und dazugehören wollen (Klagenfurt) oder monatelang depressiv im Bett verkriechen? Ab jetzt wissen wir: Wir lesen ein Psychogramm und werden etwas gnädiger. Alles muss raus.
Der Text kriegt immer mehr Tagebuchcharakter, wird immer verzweifelter und leider auch dümmer: „Man braucht kein Talent, sondern youtube, um die meisten Dinge zu lernen.“ Ein bisschen Talent könnte aber nicht schaden, denn beim Schreiben muss man doch irgendeine Vorstellung davon haben, was man will: Einen Essay über eine Charaktereigenschaft schreiben? Einen Schmerz öffentlich bewältigen? Das eigene Ich feiern? Ein bisschen philosophieren? Rotzig und trotzig perlt es dahin und ich möchte, um im Rönne-Jargon zu bleiben, der lustigen Fußnotenlektorin eins in die Fresse hauen (war es auch ihre Idee, die Seitenzahlen auf den Kopf zu stellen? Nein, wie trotzig!), aber die Autorin möchte ich eigentlich eher in den Arm nehmen und sagen: So, das war die Materialsammlung, jetzt setz dich hin und schreib das Buch. Ansätze wären ja da: Lebe ich das richtige Leben? Gute Frage. Alle Menschen sind unglücklich, wer nicht unglücklich ist, ist kein Mensch, sondern Milliardär. Dumme Bemerkung. Dann wieder drei, vier berührende Sätze über Demut, und da hat sie mich wieder, diese trotzige Verletzte. Und dann ein hinreißender Satz wie dieser: „Ohne den Trotzkopf in uns könnten wir uns alle mit einer Scheibe Toast auf ein Grab setzen und warten.“ Ergibt überhaupt keinen Sinn, ist aber so schön formuliert. Die kann’s doch. „Realität, das ist das panische Suchen nach Kleingeld an der Discounterkasse.“
Wow. Hier ist eine Autorin grandios gescheitert, sie verwechselt Trotz mit Wut und schreibt irgendwas irgendwie, auch Luthers Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg waren übrigens kein Trotz, sondern revolutionäre Einsicht in die Notwendigkeit, etwas zu verändern. Egal. Zwei Dinge noch: Ronja von Rönne scheint eine sympathische und kluge Person zu sein, aber sie hat ein flüchtiges, völlig überflüssiges Buch nicht zu Ende gedacht und in den Sand gesetzt. Kein Mensch braucht flüchtige Gedanken über eine so kindische Eigenschaft wie Trotz. Im Buch steckt aber ein großartiger Romanansatz: die mit ergreifendem Ernst skizzierte Geschichte des todkranken Freundes Martin.
Letzte Anmerkung im vorletzten Kapitel: „Trotzig weiterleben.“ Bitte auch nach diesem Verriss, der gar keiner ist. Nur eine Trotzreaktion.
Kein Mensch braucht flüchtige
Gedanken über eine so
kindische Eigenschaft wie Trotz
„Realität, das ist das panische Suchen nach Kleingeld an der Discounterkasse.“ − Ronja von Rönne.
Foto: Carolin Saage/dtv
Ronja von Rönne: Trotz. DTV, München 2023.
104 Seiten, 15 Euro.
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