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Ein kleines Dorf in Mittelengland. Die dreizehnjährige Rebecca Shaw, die hier mit ihren Eltern die Weihnachtsferien verbringt, kehrt von einer Moorwanderung nicht zurück. Die Polizei leitet umgehend eine großangelegte Suchaktion ein. Ein Hubschrauber wird eingesetzt, Beamte durchkämmen die Gegend, Taucher kontrollieren die umliegenden Speicherseen. Auch die Dorfbewohner beteiligen sich an der Suche. Die Presse erfährt vom Verschwinden des Mädchens und schickt Reporter vor Ort. Bald schon fürchten alle Beteiligten das Schlimmste, und die Leute im Dorf müssen einen Weg finden, im Schatte...
Ein kleines Dorf in Mittelengland. Die dreizehnjährige Rebecca Shaw, die hier mit ihren Eltern die Weihnachtsferien verbringt, kehrt von einer Moorwanderung nicht zurück. Die Polizei leitet umgehend eine großangelegte Suchaktion ein. Ein Hubschrauber wird eingesetzt, Beamte durchkämmen die Gegend, Taucher kontrollieren die umliegenden Speicherseen. Auch die Dorfbewohner beteiligen sich an der Suche. Die Presse erfährt vom Verschwinden des Mädchens und schickt Reporter vor Ort. Bald schon fürchten alle Beteiligten das Schlimmste, und die Leute im Dorf müssen einen Weg finden, im Schatten der Ereignisse ihren Alltag zu bewältigen ... Mit großer Virtuosität und untergründiger Spannung erzählt Jon McGregor, wie Menschen mit einer Tragödie umgehen, die sie aus nächster Nähe miterleben, und was von dieser Tragödie den Wandel der Zeit überdauert. Denn die Ungewissheit bleibt. Auch wenn die Jahre vergehen.
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Jon McGregor wurde 1976 auf den Bermudainseln geboren und wuchs in der Grafschaft Norfolk auf. Er hat bislang einen Erzählungsband und vier Romane veröffentlicht, für die er mehrfach ausgezeichnet worden ist, u.a. mit dem Somerset Maugham Award, dem Betty Trask Award und dem International Dublin Literary Award. Sein Roman "Speicher 13" war 2017 für den Booker Prize nominiert. Jon McGregor lebt in Nottingham.
Produktdetails
- Verlag: Verlagsbuchhandlung Liebeskind
- Seitenzahl: 352
- Erscheinungstermin: 22. Januar 2018
- Deutsch
- ISBN-13: 9783954380886
- Artikelnr.: 50244916
Die schlaflosen Nächte des Dorfzeitungsredakteurs
Ein Mädchen verschwindet und sucht die Hinterbliebenen in ihren Albträumen heim: Jon McGregors ländlicher Roman "Speicher 13"
Es ist der Stoff, aus dem Albträume von Eltern und Fernsehkrimis gemacht sind: Ein dreizehnjähriges Mädchen verschwindet während eines Spaziergangs und scheint vom Erdboden verschluckt - trotz aufwendiger Suchmaßnahmen rund um ein Dorf im Peak District in der mittelenglischen Grafschaft Derbyshire. Zu Beginn von Jon McGregors Roman "Speicher 13" werden alle Signale für das bekannte Genreschema gesetzt: Der Fall schürt Misstrauen; verdächtige Personen regen zur Ermittlung an; Gerüchte und falsche Spuren suggerieren Aufklärungszusammenhänge.
Ein Mädchen verschwindet und sucht die Hinterbliebenen in ihren Albträumen heim: Jon McGregors ländlicher Roman "Speicher 13"
Es ist der Stoff, aus dem Albträume von Eltern und Fernsehkrimis gemacht sind: Ein dreizehnjähriges Mädchen verschwindet während eines Spaziergangs und scheint vom Erdboden verschluckt - trotz aufwendiger Suchmaßnahmen rund um ein Dorf im Peak District in der mittelenglischen Grafschaft Derbyshire. Zu Beginn von Jon McGregors Roman "Speicher 13" werden alle Signale für das bekannte Genreschema gesetzt: Der Fall schürt Misstrauen; verdächtige Personen regen zur Ermittlung an; Gerüchte und falsche Spuren suggerieren Aufklärungszusammenhänge.
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Schon bald bremst der Roman aber diese Leseroutine aus. Statt Spannung und Ereignis-Dramaturgie folgen Wiederholung und Beschreibung: In dreizehn Kapiteln entfaltet sich gerade kein Whodunit, sondern die an alltäglichen Geschehnissen und Ritualen orientierte Chronik eines Gemeinwesens.
Jon McGregor provoziert mit dieser Erzählweise gezielt den Verdacht, hier opfere ein technisch sehr versierter Autor unser Lesevergnügen einem ausgeklügelten Konzept. Mit der Zurückweisung genretypischer Erwartungen und einem konsequent gedrosselten Rhythmus geht der Roman tatsächlich ein Risiko ein: Zum Vorschein kommt nicht etwa die verlässlich dunkle Seite des Landlebens, sondern eine soziale Textur, die sich aus unspektakulären Festen und Sorgen, aus alltäglichen Gewohnheiten und Praktiken zusammensetzt. Man feiert jedes Jahr das Brunnen- und das Neujahrsfest und verliert beim Cricket gegen das Nachbardorf; man diskutiert den Zustand des Gemeinschaftsgartens und der Nationalparkverwaltung. Sprachlich vermittelt sich dieses Gewebe einer nicht mehr fraglos geteilten Lebenswelt durch eine strenge Form: Jedes der dreizehn Kapitel beginnt mit einem minimal variierten Satz zur Neujahrsfeier, und in kurzen parataktischen Sätzen erzeugt McGregor einen erzählerischen Gleichklang, in dessen zurückgenommener Beschreibung die Menschen und die Tiere, die Pflanzen, der Fluss und die Berge wie in einem ethnographischen Feld zusammenzurücken scheinen.
Die auf regelmäßige Wiederholung von ausgewählten Details setzende Erzählstimme erzeugt tatsächlich eine zunächst irritierende Monotonie - das verschwundene Mädchen hat die Gemeinschaft verstört, aber man vermag sich an das Bekannte zu halten, weil ihr Fall nicht aufgeklärt wird und sich im Verlauf der Jahre in pflichtschuldigen Erinnerungen und anonymen Traumfetzen verliert. Je weiter man aber die mögliche Kriminalhandlung hinter sich lässt, desto plastischer wird das Geflecht des Dorflebens, weil McGregor zwischen die im Jahreszeitentakt besuchten Goldhähnchen in der Hecke und die Dachse und Füchse im Wäldchen behutsam Veränderungen plaziert: Der Metzger geht pleite; ein Paar bekommt Zwillinge und hält die neue Belastung fast nicht aus; das Oberhaupt einer Schafzüchterfamilie muss nach einem Schlaganfall gepflegt werden; ein an die Globalisierung verlorener Sohn will zu seiner Jugendliebe zurückkehren. Mit diesen leisen Erschütterungen im Gemeinwesen wie im Erzählfluss erzeugt McGregor interessante Komplikationen: Er verleiht einzelnen Leben unaufdringlich Tiefe, hält Elemente einer Spannungsdramaturgie im Spiel und vermeidet die Idyllisierung des ländlichen Schauplatzes.
Weil die Mittel der Wiederholung und parataktischen Angleichung so konsequent eingesetzt werden, schürt der Roman unsere Empfänglichkeit für minimale Abweichungen und fein kalibrierte Variationen - "Speicher 13" kann auch als eine Anleitung zum langsamen und genauen Lesen betrachtet werden. Hatten McGregors frühere Romane diesen Effekt noch durch prononcierte modernistische Mittel erzeugt, so bleibt sich der in Deutschland noch viel zu unbekannte englische Autor in einer Hinsicht treu: Bereits in seinem Debüt "Nach dem Regen" haben ihn nicht nur Individuen und ihre psychologisierbaren Schicksale, sondern Kollektive und ihr sozialer Zusammenhang interessiert. In "Als Letztes die Hunde", seinem gewagtesten Roman, bestand die erzählte Gruppe aus einem Chor und Trauerzug von Drogenabhängigen, die einen verstorbenen Gefährten durch die Institutionen einer Stadt geleiten.
Wie schon mit der Kollektiverzählung in "This Isn't the Sort of Thing That Happens to Someone Like You" begibt sich McGregor mit "Speicher 13" aufs Land. Er folgt damit einer in der englischen Literatur beliebten Tradition: Immer wieder haben Autorinnen und Autoren wie Oliver Goldsmith und Jane Austen, George Eliot und George Crabbe einen ländlichen Ausschnitt ausgewählt, um mit Hilfe dieser Fokussierung auch von Modernisierungsprozessen zu erzählen. Zudem stehen für "Speicher 13" Agatha Christies "Miss Marple"-Romane im Hintergrund: Gerade diese verlassen sich ja auf jene kriminalistische Entlarvung und Wiederherstellung idyllischer Schauplätze, von der sich McGregors Roman absetzt. Als besonders wichtige Inspiration kann Adam Thorpes Roman "Ulverton" (1992) gelten, eine sprachmächtige tour de force, mit der die Geschichte eines Dorfes in verschiedenen Stilfarben und Gattungsvarianten erzählt wird. Es ist vermutlich kein Zufall, dass eine der Nebenfiguren in McGregors Roman den Namen Graham Thorpe trägt.
Im Gegensatz zur Konjunktur nostalgischer Dorferzählungen bietet "Speicher 13" keine Beschwörung achtsamen Einweckens in Zeiten boomender Landlust. McGregors Dorf ist auf wenig pittoreske Weise mit der Stadt und der Welt verbunden, und nicht allein die an der Bushaltestelle trinkenden Jugendlichen träumen vom Weggehen und kommen doch zurück. Wie schon Sherwood Anderson in "Winesburg, Ohio" (1919) stellt McGregor die Frage nach gesellschaftlichem Zusammenhalt auch mit der Figur eines Journalisten, der über das fiktive Gemeinwesen berichtet: In "Speicher 13" ist es der Zwillingsvater, der in schlaflosen Nächten die Dorfzeitung redigiert. In deren Kleinanzeigen und Festberichten ist das Ganze des Ortes aber schon längst nicht mehr aufgehoben. Nach einer alternativen Form fragt bereits der Titel des Buches: Das "reservoir" des englischen Originals bezieht sich nicht nur auf die dreizehn Wasserspeicher in der Umgebung, sondern im Verlauf der dreizehn Kapitel auch auf die Möglichkeit, einen sozialen Mikrokosmos als Erinnerungs- und Traditionszusammenhang zu erfassen.
Als abgeschlossener ,Erzählspeicher' lässt sich McGregors Roman auch deswegen nicht betrachten, weil der Autor seine publizierten Werke regelmäßig performativ weiterschreibt: In einer BBC-Radioproduktion hat er den kollektiven Resonanzboden der Dorferzählung um weitere Vorgeschichten verstärkt, und eine Lesung von "Speicher 13" hat er mit eigens zusammengestellter Musik kombiniert. Musik wie zum Beispiel Weihnachtslieder spielen bereits im Romantext eine leitmotivische Rolle. Als Zitat aus "Stille Nacht" werfen sie ganz am Ende dieses sehr lesenswerten und kunstvollen Romans noch einmal die Frage auf, mit welchen Mitteln sich eigentlich von sozialem Zusammenhang in säkularisierten Zeiten erzählen lässt: "Alles schläft, einsam wacht".
JULIKA GRIEM
Jon McGregor:
"Speicher 13". Roman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger.
Liebeskind Verlag, München 2018. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jon McGregor provoziert mit dieser Erzählweise gezielt den Verdacht, hier opfere ein technisch sehr versierter Autor unser Lesevergnügen einem ausgeklügelten Konzept. Mit der Zurückweisung genretypischer Erwartungen und einem konsequent gedrosselten Rhythmus geht der Roman tatsächlich ein Risiko ein: Zum Vorschein kommt nicht etwa die verlässlich dunkle Seite des Landlebens, sondern eine soziale Textur, die sich aus unspektakulären Festen und Sorgen, aus alltäglichen Gewohnheiten und Praktiken zusammensetzt. Man feiert jedes Jahr das Brunnen- und das Neujahrsfest und verliert beim Cricket gegen das Nachbardorf; man diskutiert den Zustand des Gemeinschaftsgartens und der Nationalparkverwaltung. Sprachlich vermittelt sich dieses Gewebe einer nicht mehr fraglos geteilten Lebenswelt durch eine strenge Form: Jedes der dreizehn Kapitel beginnt mit einem minimal variierten Satz zur Neujahrsfeier, und in kurzen parataktischen Sätzen erzeugt McGregor einen erzählerischen Gleichklang, in dessen zurückgenommener Beschreibung die Menschen und die Tiere, die Pflanzen, der Fluss und die Berge wie in einem ethnographischen Feld zusammenzurücken scheinen.
Die auf regelmäßige Wiederholung von ausgewählten Details setzende Erzählstimme erzeugt tatsächlich eine zunächst irritierende Monotonie - das verschwundene Mädchen hat die Gemeinschaft verstört, aber man vermag sich an das Bekannte zu halten, weil ihr Fall nicht aufgeklärt wird und sich im Verlauf der Jahre in pflichtschuldigen Erinnerungen und anonymen Traumfetzen verliert. Je weiter man aber die mögliche Kriminalhandlung hinter sich lässt, desto plastischer wird das Geflecht des Dorflebens, weil McGregor zwischen die im Jahreszeitentakt besuchten Goldhähnchen in der Hecke und die Dachse und Füchse im Wäldchen behutsam Veränderungen plaziert: Der Metzger geht pleite; ein Paar bekommt Zwillinge und hält die neue Belastung fast nicht aus; das Oberhaupt einer Schafzüchterfamilie muss nach einem Schlaganfall gepflegt werden; ein an die Globalisierung verlorener Sohn will zu seiner Jugendliebe zurückkehren. Mit diesen leisen Erschütterungen im Gemeinwesen wie im Erzählfluss erzeugt McGregor interessante Komplikationen: Er verleiht einzelnen Leben unaufdringlich Tiefe, hält Elemente einer Spannungsdramaturgie im Spiel und vermeidet die Idyllisierung des ländlichen Schauplatzes.
Weil die Mittel der Wiederholung und parataktischen Angleichung so konsequent eingesetzt werden, schürt der Roman unsere Empfänglichkeit für minimale Abweichungen und fein kalibrierte Variationen - "Speicher 13" kann auch als eine Anleitung zum langsamen und genauen Lesen betrachtet werden. Hatten McGregors frühere Romane diesen Effekt noch durch prononcierte modernistische Mittel erzeugt, so bleibt sich der in Deutschland noch viel zu unbekannte englische Autor in einer Hinsicht treu: Bereits in seinem Debüt "Nach dem Regen" haben ihn nicht nur Individuen und ihre psychologisierbaren Schicksale, sondern Kollektive und ihr sozialer Zusammenhang interessiert. In "Als Letztes die Hunde", seinem gewagtesten Roman, bestand die erzählte Gruppe aus einem Chor und Trauerzug von Drogenabhängigen, die einen verstorbenen Gefährten durch die Institutionen einer Stadt geleiten.
Wie schon mit der Kollektiverzählung in "This Isn't the Sort of Thing That Happens to Someone Like You" begibt sich McGregor mit "Speicher 13" aufs Land. Er folgt damit einer in der englischen Literatur beliebten Tradition: Immer wieder haben Autorinnen und Autoren wie Oliver Goldsmith und Jane Austen, George Eliot und George Crabbe einen ländlichen Ausschnitt ausgewählt, um mit Hilfe dieser Fokussierung auch von Modernisierungsprozessen zu erzählen. Zudem stehen für "Speicher 13" Agatha Christies "Miss Marple"-Romane im Hintergrund: Gerade diese verlassen sich ja auf jene kriminalistische Entlarvung und Wiederherstellung idyllischer Schauplätze, von der sich McGregors Roman absetzt. Als besonders wichtige Inspiration kann Adam Thorpes Roman "Ulverton" (1992) gelten, eine sprachmächtige tour de force, mit der die Geschichte eines Dorfes in verschiedenen Stilfarben und Gattungsvarianten erzählt wird. Es ist vermutlich kein Zufall, dass eine der Nebenfiguren in McGregors Roman den Namen Graham Thorpe trägt.
Im Gegensatz zur Konjunktur nostalgischer Dorferzählungen bietet "Speicher 13" keine Beschwörung achtsamen Einweckens in Zeiten boomender Landlust. McGregors Dorf ist auf wenig pittoreske Weise mit der Stadt und der Welt verbunden, und nicht allein die an der Bushaltestelle trinkenden Jugendlichen träumen vom Weggehen und kommen doch zurück. Wie schon Sherwood Anderson in "Winesburg, Ohio" (1919) stellt McGregor die Frage nach gesellschaftlichem Zusammenhalt auch mit der Figur eines Journalisten, der über das fiktive Gemeinwesen berichtet: In "Speicher 13" ist es der Zwillingsvater, der in schlaflosen Nächten die Dorfzeitung redigiert. In deren Kleinanzeigen und Festberichten ist das Ganze des Ortes aber schon längst nicht mehr aufgehoben. Nach einer alternativen Form fragt bereits der Titel des Buches: Das "reservoir" des englischen Originals bezieht sich nicht nur auf die dreizehn Wasserspeicher in der Umgebung, sondern im Verlauf der dreizehn Kapitel auch auf die Möglichkeit, einen sozialen Mikrokosmos als Erinnerungs- und Traditionszusammenhang zu erfassen.
Als abgeschlossener ,Erzählspeicher' lässt sich McGregors Roman auch deswegen nicht betrachten, weil der Autor seine publizierten Werke regelmäßig performativ weiterschreibt: In einer BBC-Radioproduktion hat er den kollektiven Resonanzboden der Dorferzählung um weitere Vorgeschichten verstärkt, und eine Lesung von "Speicher 13" hat er mit eigens zusammengestellter Musik kombiniert. Musik wie zum Beispiel Weihnachtslieder spielen bereits im Romantext eine leitmotivische Rolle. Als Zitat aus "Stille Nacht" werfen sie ganz am Ende dieses sehr lesenswerten und kunstvollen Romans noch einmal die Frage auf, mit welchen Mitteln sich eigentlich von sozialem Zusammenhang in säkularisierten Zeiten erzählen lässt: "Alles schläft, einsam wacht".
JULIKA GRIEM
Jon McGregor:
"Speicher 13". Roman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger.
Liebeskind Verlag, München 2018. 352 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensent Elmar Krekeler wundert es schon nicht mehr, dass ein Krimiautor wie Jon McGregor bei uns nicht die Ehre erhält, die ihm gebührt. Wenn sich der Autor mit diesem Roman einmal mehr gängigen Verlaufsformen, Dramaturgien und Erzählstrategien des Genres widersetzt und dem Leser statt Aufklärung sehr britische Alltagsgeschichte und den Einfall des Bösen bietet, ist Krekeler umso mehr fasziniert. So trocken und doch genau bis in die kleinsten Porträts und Begebenheiten ist sonst keiner, versichert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Gebundenes Buch
Trau, schau, wem?
Der Klappentext von Jon McGregors Roman «Speicher 13» lockt den Leser in ein narratives Labyrinth, aus dem es lange keinen Ausweg zu geben scheint, in dem man sich anfangs fühlt wie «im falschen Kino». Unwillkürlich denkt man dabei «Trau, …
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Trau, schau, wem?
Der Klappentext von Jon McGregors Roman «Speicher 13» lockt den Leser in ein narratives Labyrinth, aus dem es lange keinen Ausweg zu geben scheint, in dem man sich anfangs fühlt wie «im falschen Kino». Unwillkürlich denkt man dabei «Trau, schau, wem?», denn den üblichen genretypischen Signalen zum Trotz ist dieses neue Buch des britischen Autors eben kein Krimi, sondern ein veritabler Gesellschaftsroman, der den sozialen Mikrokosmos einer kleinen, ländlich geprägten Gemeinde zum Gegenstand hat. Der in Deutschland bisher weitgehend unbekannte, kreative Schriftsteller benutzt dafür eine ausgeklügelte Erzähltechnik, die ganz ohne bedeutungsschwere Symbole und gängige Klischees auskommt und so gekonnt Atmosphäre erzeugt, dass man sich erstaunlicherweise bald schon als Mitbewohner des namenlosen englischen Dorfes fühlt.
Was vordergründig als Plot dient, ist schnell erzählt. Ein dreizehnjähriges Mädchen wird während des Urlaubs nach einer Wanderung mit ihren Eltern als vermisst gemeldet. Sie bleibt trotz intensiver Suche unauffindbar, und es kursieren bald allerlei Gerüchte unter den Dorfbewohnern. Fast schon sadistisch den Krimifans gegenüber streut der auktoriale Erzähler immer wieder mal einige knappe Sätze über die Suche nach der Vermissten mit ein in seine Geschichte, die aus dem Leben der Dorfbewohner berichtet. Denn genau das, nicht die Tragödie selbst, ist sein eigentliches Thema, der Alltag einfacher Menschen also im Ablauf der immer größer werdenden zeitlichen Distanz von dem albtraumhaften Ereignis.
Den dreizehn Kapiteln des Romans entsprechen dreizehn Jahre Erzählzeit. Gleich im ersten Kapitel findet sich schon der Satz «Um Mitternacht wurde das Neue Jahr in der Stadt hinter den Bergen mit einem Feuerwerk begrüßt», der dann jeweils variiert auch in sämtlichen folgenden Kapiteln als erster Satz fungiert, und zyklisch wiederholt sich hier auch vieles andere, Jahr um Jahr. Bevölkert wird diese Erzählung von mehreren dutzend Figuren, die wie beiläufig in den Erzählfluss eingeführt werden und vom Leser erst nach und nach, mit den sich allmählich ansammelnden Details zur Person, stimmig in das soziale Geflecht eingeordnet werden können. Ein Spickzettel ist unabdingbar, will man den Durchblick behalten über die verschachtelten Beziehungen der vielen Figuren. Wobei anzumerken ist, dass dieses üppige Figurenensemble keine signifikanten Unterschiede Einzelner in der Bedeutung für das Erzählte aufweist, es gibt nur dutzende Nebenfiguren, - oder Hauptfiguren, ganz nach Gusto! Das Kollektiv als solches also steht im Fokus des Autors, und es wird kein Aspekt des Lebens ausgespart dabei. Alle Generationen sind vertreten, Geburt, Liebe, Alter, Krankheit, Tod sind die ständigen Begleiter. Breiten Raum nimmt die Natur ein, immer wiederkehrend wird von Flora und Fauna berichtet, letztere wird von Füchsen, Dachsen, Rehen, Bussarden, Reihern und anderem Getier bevölkert. Ergänzt durch die allgegenwärtigen Schafe natürlich, man lebt von Schafzucht in diesem mittelenglischen Landstrich. Manche Details, manche Bräuche des dörflichen Lebens sind schwer zu verstehen ohne vertiefte regionale Kenntnisse.
Diese Chronik von der Monotonie des heutigen Dorflebens jenseits der ländlichen Idylle wird in einem auffallend distanzierten Ton erzählt. In strenger Form zudem, geradezu simpel im Satzbau, damit dem Leben ähnelnd, über das da mit zumeist kurzen Hauptsätzen trocken und wortkarg berichtet wird. Typische Merkmale dieser sehr zurückgenommenen Erzählweise sind darüber hinaus die ständigen, teilweise wörtlichen Wiederholungen von bereits Erzähltem, außerdem die schnellen erzählerischen Wechsel, die im gleichen Absatz oft mehrere Szenen ohne jedweden Kontext abrupt aneinanderreihen. Er wolle zeigen, hat der Autor erklärt, «wie sich Menschen ändern». Dafür aber sind äußerst aufmerksame Leser erforderlich, die sich von der sprachlichen Monotonie und den vielen bloßen Andeutungen McGregors nicht entmutigen lassen.
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Ein Dorf in Mittelengland. Mitten in Hügeln und Mooren. 13 Reservoire in der Umgebung dienen als Wasserspeicher. In umgebauten Scheunen werden Ferienwohnungen angeboten. Es ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Eine Familie verbringt dort ihren Urlaub. Mutter, Vater, Kind. Von einer …
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Ein Dorf in Mittelengland. Mitten in Hügeln und Mooren. 13 Reservoire in der Umgebung dienen als Wasserspeicher. In umgebauten Scheunen werden Ferienwohnungen angeboten. Es ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Eine Familie verbringt dort ihren Urlaub. Mutter, Vater, Kind. Von einer Wanderung kommen nur die Eltern zurück, das Mädchen ist verschwunden. Rebecca Shaw, 13 Jahre alt. Eine großangelegte Suchaktion wird eingeleitet. Das gesamte Dorf ist auf den Beinen. Ein Hubschrauber fliegt die Gegend ab. Erfolglos, keine Spur von dem vermissten Mädchen.
Soweit die Ausgangslage in Jon McGregors „Speicher 13“. Nun könnte man meinen, dass der englische Autor in seinem 2017 für den Booker Prize nominierten Roman daraus einen Thriller komponiert hat. Weit gefehlt, doch spannend ist die Geschichte, die er zu erzählen hat, allemal, denn er verlagert den Fokus. Weg von dem verschwundenen Kind, hin zu den Bewohnern des Dorfes. Wie geht die Dorfgemeinschaft mit diesem Ereignis um, können sie ihr Leben einfach so weiterleben, als ob nichts geschehen wäre? 13 Jahre in 13 Kapiteln, immer beginnend mit dem Silvester-Feuerwerk, und danach dem Jahreslauf folgend. Kurzer Exkurs: In der Numerologie steht die Zahl 13 für den Wandel, für Veränderung, für Abschied und Neuanfang, für Loslassen und Festhalten.
Es ist ein stetiger Kreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Flora und Fauna. Knospen, Blüten, Verwelken, Vergehen. Vögel bauen Nester, ziehen ihre Jungen groß und fliegen wieder davon. Die Dörfler leben ihren Alltag, Banalitäten. Paare finden und verlieren sich. Kinder werden geboren. Existenzen gehen zu Bruch. Alles ist im stetigen Fluss. Als im Moor ein Kleidungsstück gefunden wird, kommen Erinnerungen an das verschwundene Mädchen wieder an die Oberfläche, aber sie tauchen schon nach kurzer Zeit wieder ab. Andeutungen, die der Autor macht, aber nicht weiterführt. Und so vergeht Jahr um Jahr.
McGregor nutzt eine ungewöhnliche Erzählweise. In kurzen, scheinbar willkürlich aneinandergereihten Sätzen beschreibt er das dörfliche Leben in Bruchstücken. Wörtliche Rede wird nicht kenntlich gemacht. Für den Leser ist dies anfangs verwirrend, ist das Personentableau zu Beginn doch recht unübersichtlich. Mit jeder Seite kommen weitere Informationen hinzu, und so gewinnen die Personen allmählich an Kontur, sodass man mit Interesse ihr Werden verfolgt.
Ein ungewöhnlicher, herausragender Roman, der aber zu Beginn Durchhaltevermögen erfordert. Lassen Sie sich darauf ein – Sie werden es nicht bereuen!
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