erinnerte, an die damals schon tausend Mitglieder zählende SS. Als es später in der SA zu Abspaltungen und Auflehnungen gegen die Parteizentrale kam, erwies sich die SS als "disziplinierende Parteipolizei". In einem Dankesbrief gebrauchte Hitler 1931 die Formulierung "SS-Mann, Deine Ehre heißt Treue", was in leicht abgewandelter Form auf der Gürtelschnalle der SS-Uniform auftauchte.
Beide Kampfbünde der NSDAP hatten bis 1933 zwei Aufgaben. Einmal sollten sie ebenso wie andere, auch republikanisch gesinnte paramilitärische Verbände der Weimarer Republik Wehrsport betreiben, um damit das im Versailler Vertrag ausgesprochene Verbot der Wehrpflicht auszuhöhlen. Sodann galt es, die "Eroberung der Straße" voranzutreiben. Nach dem 30. Januar 1933 gingen SA und SS in gewalttätigen Ausschreitungen gegen politische Gegner vor. In die Regie der SS fiel das Lagersystem, das mit dem KZ Dachau im April 1933 seinen Anfang nahm. Damit setzte die Profilierung der SS ein, die Ende Juni 1934 einen vorläufigen Höhepunkt mit der Liquidierung der SA-Führung erreichte. Unter Himmlers Führung sollte die SS danach die gesamte Polizeigewalt usurpieren und zugleich das Image einer Elite pflegen, in der sich der "nordische Herrenmensch" in besonderer Reinheit finden sollte.
Bastian Hein richtet den Blick nicht in erster Linie auf die SS-Sonderverbände, die die KZ befehligten und im Krieg die rassistische Vernichtungspolitik ausführten. Vielmehr stellt er dar, was die von der Forschung bisher wenig beachtete "Allgemeine SS" tat beziehungsweise was mit ihr getan wurde und wie sie in der Gesellschaft verwurzelt war. Sie umfasste Ende der 1930er Jahre rund 200 000 gewaltbereite Männer und machte 90 Prozent der SS-Mitglieder aus. Tagsüber gingen sie ihren Berufen nach und leisteten nur während ihrer Freizeit SS-Dienst, das heißt an zwei Abenden in der Woche und zwei Sonntagen im Monat. In dieser Zeit erhielten sie eine strenge körperliche und ideologische Ausbildung. Letztere diente der Verherrlichung der "nordischen Rasse" und der Ausgrenzung insbesondere der Juden, aber auch anderer Gruppen aus der "Volksgemeinschaft". In der Praxis griffen die Mobilisierung der Bevölkerung bei Volksabstimmungen und die Propagierung von Feindbildern sowie die Verfolgung der zu Feinden stilisierten Menschen direkt ineinander. Hein sieht zu Recht einen Zusammenhang zwischen der "radikal antisemitischen Indoktrination" mit ihrem "Ausbildungsziel Judenmord" und der "Ermöglichung des Holocaust" - zumal die Allgemeine SS als Rekrutierungsbecken für Sondereinheiten wie die Totenkopfverbände diente.
Entgegen dem von der SS-Führung verbreiteten Selbstbild handelte es sich um eine gesellschaftlich heterogene Organisation, in der sich "Arbeitslose, Hilfsarbeiter und kleinbürgerliche Handwerker ebenso wie Adelssöhne, hohe Beamte und Professoren" fanden. Anders formuliert: Die Allgemeine SS stellte die "Schnittstelle" dar zwischen dem "Neuadel" des Schwarzen Ordens und der deutschen Gesellschaft. Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum sich derart viele Männer dem jede Privatsphäre negierenden Absolutheitsanspruch der SS unterordneten, geht der Autor auf das tief greifende Krisenerlebnis der nach 1891 geborenen Frontgeneration und der nach 1901 geborenen Kriegsjugend ein. Letztere machte 1938 den Löwenanteil der Allgemeinen SS aus. Ihnen allen war mit der Kriegsniederlage 1918 und der Art, wie mit ihr umgegangen wurde, der Bezug zur Realität abhandengekommen, so dass sie sich in einer vielgestaltigen Sinnkrise wähnten, aus der eine Mitgliedschaft in der Männergesellschaft der SS herauszuführen versprach. Hein vermeidet aber jeglichen Determinismus und betont die persönliche "Verantwortung und Schuld" der SS-Männer. Die Hinwendung zur SS war eine "Wahloption" und "keineswegs alternativlos". Weit mehr Männer traten in Sportvereine ein und nicht in Parteiarmeen. Die Stärke dieser hervorragend lesbaren Studie besteht im genauen Hinsehen auf individuelle Biographien und aussagekräftige Episoden, in der Kombination von narrativen und analytischen Darstellungsformen.
GOTTFRIED NIEDHART
Bastian Hein: Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945. Oldenbourg Verlag, München 2012. 356 S., 39,80 [Euro].
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