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© BÜCHERmagazin, Margarete von Schwarzkopf (mvs)
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Planungsfehler in Lebensläufen
Richard Russos mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter Roman „Diese gottverdammten Träume“
ist ein Familienepos aus der amerikanischen Provinz. Endlich liegt es auf Deutsch vor
Der alte Whiting aus Empire Falls im nordöstlichen US-Bundesstaat Maine pflegte seine Frau mit der Schaufel durchs Haus zu jagen. Es gelang dem Textilfabrikanten dann aber doch nie, sie zu erschlagen. Auch Homus, der Sohn der beiden, hat es geschafft, genau die Frau zu finden, die ihm das Leben zur Hölle macht. Der Enkel C. B. schließlich hält das alles nicht mehr aus, er geht nach Mexiko, um dort Gedichte zu schreiben und Geld auszugeben.
Dann aber kehrt C. B. zurück, um sein Erbe anzutreten, er wird wie der Großvater Geschäftsmann. Und jagt gleich mal einer armen Familie ihr Land am Fluss Knox ab, der durch das Kaff Empire Falls fließt. C. B. macht das, weil ihn dieses Land schon immer störte. Darum sprengt er diesen „Planungsfehler Gottes“ in die Luft – und lernt Francine Robideaux kennen, die Tochter der armen Leute.
Richard Russos großer Gesellschaftsroman „Diese gottverdammten Träume“ ist im amerikanischen Original bereits 2001 erschienen. Ein Jahr später gewann er – immerhin gegen Jonathan Franzens „The Corrections“ – den Pulitzerpreis. Der US-Kabelsender HBO hat den Roman bereits 2005 in Starbesetzung verfilmt. Erstaunlich, dass er erst jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist.
Jahrzehnte nach dem eingangs geschilderten Prolog hat sich C. B. umgebracht und Francine den unrentablen Familienbetrieb verkauft. Geblieben vom einstigen Imperium ist ihr nur der „Empire Grill“, das einzige Diner am Platz und zentraler Schauplatz des Romans.
Ihn leitet seit Ewigkeiten Miles Roby, der mal studieren wollte, von Francine aber dazu gebracht wurde, in der Provinzstadt zu bleiben. Lange weiß Miles nicht, warum sich die inzwischen alte Frau so für ihn eingesetzt hat. Spät entdeckt er, dass seine Mutter mal eine Affäre mit C. B. Whiting hatte. Bei ihrem eigenen Mann, dem Paul Newman in der Verfilmung Lässigkeit und Witz verleiht, ist die Mutter nur wegen Miles geblieben.
Zielstrebig führt Russo seine Leser durch die giftigen Intrigen dieser dahinsiechenden Industriestadt – eine Welt, die er gut kennt. 1949 als Sohn italienischer Einwanderer geboren, wuchs Russo in Gloversville auf, einer Industrieruine knapp zweihundert Kilometer nordwestlich von New York. Schon seit seinem Erstling „Mohawk“ aus dem Jahr 1986 beschäftigt sich Russo mit solchen Kammerspielen in maroden Kleinstädten. In ihnen scheint immer, wie bei Miles im Diner, die Zeit stehen geblieben zu sein. Die große Frage lautet, ob es jemals nur einem, der bleibt, gelingen wird, sein Leben zu ändern.
Janine etwa, Miles Ex-Frau (im Film von Helen Hunt gespielt), begehrt kurz auf. Sie lässt sich auf eine Affäre mit dem alternden Leiter des Fitnessstudios von Empire Falls ein – bis klar wird, dass dieser sich nur deshalb auf Janine eingelassen hat, weil sein Haus mit Hypotheken belastet ist. Dennoch genießt er es, Miles, diese Seele von einem Mann (im Film gespielt von Ed Harris), zu demütigen, indem er sich täglich im Grill blicken lässt. Er ist ja selber ein Gedemütigter.
Einmal im Jahr fährt Miles mit seiner Teenager-Tochter Tick nach Martha’s Vineyard, zu alten Freunden vom College, die dort ein Ferienhaus haben. Es geht ihnen „gut“, aber auch sie sind, wenn man das pathetische Wort liebt, gescheitert. Sie wollten einst Theaterautoren, Schriftsteller werden. Heute verfassen sie Soap-Operas fürs Fernsehen. Russo lässt offen, ob es nun würdiger ist, gute Burger zu braten wie Miles oder durchschnittlich schlechtes Fernsehen zu machen.
„Empire Falls“, wie das Buch im Original so einfach wie doppeldeutig heißt, ist lange ein fein ironisch gearbeitetes, gut lesbar übersetztes, klassisch-realistisches Epos. Bis Russo seine Geschichte in eine entsetzliche Gegenwart führt. In Ticks High School wird wie in vielen Schulen jene Hackordnung festgelegt, die oft noch für die erwachsenen Kleinstädter gilt. Am Schlimmsten sind die dran, die nicht einmal in diesem Wettkampf um Anerkennung vorkommen. Und manchmal drehen diese Ausgestoßenen einfach durch.
John Voss heißt der stumpfe Junge, der in der Schule gehänselt wird und vor lauter Schüchternheit nie den Kopf hebt. Eines Tages verlässt er sie für immer, um in Miles’ Grill zu arbeiten. Das geht eine Zeit lang gut, bis Johns Großmutter, bei der er gewohnt hat, ermordet im Müll gefunden wird. John wird verdächtigt, türmt zunächst, kehrt dann aber – wie alle seit eh und je – einige Zeit später wieder nach Empire Falls zurück. Und diesmal ist er bewaffnet. Der Gewaltausbruch eines von seinen Eltern misshandelten, von seinen Mitschülern tyrannisierten Jungen wirkt hier wie die Explosion eines Elends, das der Roman zuvor über Hunderte Seiten vorbereitet hat. Richard Russo orientiert sich dabei an den schrecklichen Geschehnissen des realen Columbine-Attentats aus dem Jahr 1999. Die Gesellschaft, so die Botschaft des Romans, wird sich wohl besser um die kümmern müssen, die sie nur vom Wegsehen kennt.
Miles holt Tick, die überlebt hat, fort vom grausigen Tatort und bringt sie an einen sicheren Ort, nach Martha’s Vineyard. Sie verleben dort einen einsamen Winter. Dann möchte Tick ihre Mutter sehen. Auch diese beiden kehren also wieder zurück nach Empire Falls. Janine hat sich endlich von ihrem Fitness-Trainer getrennt und hat wieder zugenommen. Doch das Wiedersehen gerät zu einem gespenstischen Happy End.
HANS-PETER KUNISCH
Richard Russo: Diese gottverdammten Träume. Roman. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont Buchverlag. Köln 2016. 752 Seiten. 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Zielsicher führt der Autor
seine Leser durch den giftigen
Sumpf der Intrigen
Diner als Biotop: Paul Newman (links) und Ed Harris in der Verfilmung von „Empire Falls“ aus dem Jahr 2005.
Foto: HBO
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