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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Irrgarten
Patrick Bahners’ unübersichtliche Analyse der AfD
Wer erinnert sich noch an Thomas Kemmerich? Drei Jahre ist es her, da stand dieser Name für eine politische Ungeheuerlichkeit. Ein Tabubruch erregte von Erfurt her die deutsche Öffentlichkeit. Da ließ sich der FDP-Provinzpolitiker Kemmerich im Thüringer Landtag mit den Stimmen der CDU und der dort besonders unappetitlichen AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Es brauchte einigen Druck aus der Bundeshauptstadt Berlin, bis der Mann das Amt wieder aufgab. Seither spielt er keine Rolle mehr, und es ist auch niemand mehr auf die Idee gekommen, Ähnliches noch mal zu versuchen.
Der Autor und FAZ-Feuilletonist Patrick Bahners aber erinnert sich nicht nur an Thomas Kemmerich. Er widmet dem Mann und seiner Geschichte gut 80 Seiten in seinem Buch „Die Wiederkehr“ über die AfD, das alles sein will: eine Warnung vor einem weiteren Aufstieg dieser unseligen Partei, eine Analyse ihrer Inhalte und Methoden und eine Erklärung für ihre Entstehung – in dieser Selbstüberforderung verliert sich das Buch dann in einem Gewirr aus Thesen, Assoziationen und Anekdoten. Es ist ein für den Leser anstrengendes, exemplarisches Scheitern an einer zweifelsohne diffusen Materie. Wie viele vor ihm folgt Bahners dem verständlichen Impuls, dass man vor einem weiteren Erstarken der AfD gar nicht genug warnen kann.
„Gebannt ist die Wiederholungsgefahr nicht“, schreibt er dazu und erzählt langatmig, dass jene Zusammenarbeit von CDU und FDP in Thüringen kein Unfall gewesen ist. Er stellt fest, dass in jenen Februartagen 2020 in Erfurt „zusammenwuchs, was zusammengehörte“, auch wenn es schnell wieder getrennt wurde. Richtig daran ist, dass die Distanz zur AfD etwa in Teilen der ostdeutschen CDU geringer ist als die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Partei nahelegen würden. Das ist oft berichtet worden. Eine politisch ernstzunehmende Analyse würde die Frage stellen, was passieren müsste, damit tatsächlich politische Kooperationen entstehen auf Regierungsebene – ist man nahe dran, oder weit entfernt? Seit einiger Zeit wird beobachtet, dass die AfD im Westen schwächelt und in Ostdeutschland stark abschneidet. Bahners reicht das zu der Feststellung, dass es „früher oder später wohl die erste AfD-geführte Landesregierung im Osten geben würde“, wenn die Partei noch stärker für den Gegensatz von Ost und West stünde.
Wie? Warum? Egal. Raunen gehört beim Betrachten der AfD zum Handwerk, und Bahners entwickelt im Raunen eine Meisterschaft. Dafür arbeitet er sich Seite um Seite an Aussagen der AfD und ihrem Programm ab. Er gefällt sich in Scherzen und lustig gemeinten Anmerkungen („Auf den 190 Seiten des Meckermann-Katalogs ist für jeden etwas dabei“). Beim Blick auf die Kulturpolitik fällt ihm als Gegensatz auf, dass die AfD stolz von der einzigartigen Kultur- und Orchesterlandschaft spricht, andererseits aber Subventionen ablehnt, ohne die es die Hochkultur nicht geben würde – als hätte das Programm eine Erfolgsrelevanz.
Bücher dürfen eine Zumutung sein, wenn die Leser dafür belohnt werden. Einige der besten Bücher sind eine Zumutung. Hier aber verliert sich einer im selbst geschaffenen Irrgarten. Die Reihenfolge wirkt zufällig, der Stil erratisch, bei einer ausgiebigen Analyse des AfD-Slogans „Mut zur Wahrheit“ kommen in einem Absatz Hegel und Helene Fischer vor.
Mühsam arbeitet man sich bis zu den Thesen zum neuen Nationalismus vor, der in die politischen Institutionen drängt und sich zugleich gegen sie profiliert. Irritierend ist mit welch leichter Hand das Buch neben üblichen Verdächtigen wie Thilo Sarrazin eine Reihe von Politikern oder Autoren en passant einführt, als wären sie – ja, was eigentlich: Wegbereiter, Teil des Problems? Der Grüne Boris Palmer taucht ausführlich auf, und dann ist da die Passage über Martin Walsers Rede in der Frankfurter Paulskirche über die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden, in der der Schriftsteller sagte, in ihm wehre sich etwas gegen diese „Dauerrepräsentation unserer Schande“. So berechtigt die Kritik an Walsers Rede war und ist, so irritierend liest sich der Satz, dass Walser „damit das Stichwort für Björn Höcke lieferte“, also dessen düstere Dresdner Rede von 2017.
Mehr als 500 Seiten hat das Buch, und dennoch fehlt ein Wille zur Genauigkeit. Bahners betrachtet alles so, als wäre es ein und dasselbe. Dabei unterscheiden sich die rechten Eigenbrötler und Egomanen, Euro-Kritiker und Extremisten dieser Partei, auch wenn sie einander für den Erfolg brauchten. Gewiss, es hat von Beginn an nationalistische Töne auch unter den Gründern der gern so genannten Professoren-Partei um Bernd Lucke gegeben. Dennoch war die AfD im Gründungsjahr 2013 eine andere Partei als heute. Nicht um Fairness geht es bei diesem Hinweis, sondern um die Frage, was ihr monströses Geschöpf heute ausmacht – und warum es politisch an Grenzen stößt, die Rechtspopulisten anderswo nicht kennen. Als zentrale Figur der Partei hat Bahners Alexander Gauland ausgemacht, den heutigen Ehrenvorsitzenden, der den Habitus eines englischen Gentlemans regelmäßig mit widerwärtigen Verstößen gegen den politischen Anstand verbindet. Tatsächlich ist diese Kombination ein Sinnbild für das Erfolgsmodell der Partei, die sich gediegen gibt und aus dieser Fassade heraus Tabus bricht. Aber Gauland ist längst in den Hintergrund gerückt, in der Partei überholt. Und es liegt an seiner Strategie, dass die AfD sich in einer Radikalisierungsspirale verfangen hat – was ihr Erfolgsmodell unterminiert.
Drollig ist, dass Bahners im Grunde nichts darüber sagt, wo die Partei heute steht. Nein, sie ist nicht ungefährlich. Sie vergiftet das politische Klima dort, wo sie stark vertreten ist. Aber eine Sammlung nach dem Prinzip Alles-was-mir-zur-AfD-einfällt hilft wenig weiter. Gleich zu Beginn des Buches beklagt Bahners, die Krise der Demokratie sei „Gegenstand einer ominös anschwellenden Traktatliteratur“ geworden. Das kann man nach der Lektüre bejahen.
JENS SCHNEIDER
Patrick Bahners: Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus. Sachbuch. Klett Cotta, Stuttgart 2023.544 Seiten, 28 Euro.
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