Ignaz Lozo, Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion, Böhlau 2014, ISBN 978-3-412-22230-7
Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer evoziert der politische Kurs von Wladimir Putin Fragen nach der weltgeschichtlichen Bedeutung des Zusammenbruchs des sowjetischen Imperiums
auf: War er doch nicht, wie allgemein geglaubt wurde, mit einem Sieg des Westens gleichzusetzen?…mehrIgnaz Lozo, Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion, Böhlau 2014, ISBN 978-3-412-22230-7
Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer evoziert der politische Kurs von Wladimir Putin Fragen nach der weltgeschichtlichen Bedeutung des Zusammenbruchs des sowjetischen Imperiums auf: War er doch nicht, wie allgemein geglaubt wurde, mit einem Sieg des Westens gleichzusetzen? Befindet sich die Russische Föderation wieder auf dem Weg zu einer Diktatur? Haben wir es wieder mit einer imperialistischen Großmachtpolitik Russlands zu tun? Gibt es eine Rückkehr zu den Verhältnissen des Kalten Krieges?
Beim Nachdenken über diese Fragen, auch angesichts des Bürgerkriegs in der Ukraine wird deutlich, dass wir im Grunde kaum wissen, was 1990/91 in der Sowjetunion geschehen ist. Die Freiheitskämpfe in den „Bruderstaaten“ der Sowjetunion sind gut bekannt und in ihrem Verlauf nachvollziehbar. Wie aber die Sowjetunion selbst zusammengebrochen ist, darüber wissen wir wenig und entsprechend schwierig ist die Einschätzung der Staaten und Regime, die aus ihr hervorgegangen sind.
Hier bietet das Buch des Journalisten und Historikers Ignaz Lozo Abhilfe. Es schildert die Ursachen, den Verlauf und die Ergebnisse „August-Putsches“ gegen Gorbatschow im Sommer 1991 zum ersten Mal auf breiter Quellengrundlage und bietet damit einen Schlüssel zum Verständnis dieses Wendepunktes in der Geschichte des russischen Imperiums. Es basiert auf einer einzigartigen Quellengrundlage, die in dieser Kombination bislang noch nicht zugänglich war und bald auch nicht mehr zugänglich sein wird.
Ein erstes wichtiges Ergebnis der Untersuchung besteht im Nachweis des Machtverfalls Gorbatschows bereits vor dem Putsch: Nachdem die Reformer Anfang 1990 das Parteimonopol zu Fall gebracht hatten, nationale Bewegungen allenthalben für ihre Unabhängigkeit kämpften und einander widersprechende wirtschaftliche Reformen zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage führten, sank die Popularität Gorbatschows gewaltig. Gleichzeitig erwuchs ihm mit Boris Jelzin, der sich an die Spitze der Demokratiebewegung gestellt hatte und im Mai 1990 zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der russischen Sowjetrepublik gewählt wurde, ein machtpolitischer Konkurrent, der das taktische Bündnis mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Kauf nahm, um den eigenen Sieg wie die Durchsetzung der Demokratie in der Russischen Föderation zu sichern. Im November 1990 klagte Gorbatschow in einer Sitzung des Politbüros: „Ja, ich habe nichts mehr, auf das ich mich stützen könnte! Den Apparat gibt es nicht mehr. Die Regierung steht allein für sich. Strukturen auf der Präsidentenebene gibt es nicht. Die Einzigen, an denen ich mich festhalte, seid ihr.“
Gorbatschows persönliche Tragik bestand darin, dass die Einzigen, auf die er sich noch stützen konnte, genau diejenigen waren, die ihn schließlich stürzen wollten. Im Einzelnen weist Lozo nach, dass eine Verhängung des Ausnahmezustandes von Gorbatschow selbst ins Gespräch gebracht worden ist, allerdings nur als Notfallmittel zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage oder bei Unruhen in der Bevölkerung, nicht als Instrument zur Wiederherstellung der alten Ordnung. Indem er die Möglichkeit einer Verhängung des Ausnahmezustands lange Zeit nicht ausschloss, trug er eine gewisse Mitverantwortung für den Putsch.