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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Kinderroman mischt Bedrohlichkeit mit Komik
Almuth hängt gern kopfüber an der Reckstange. Dann sieht die Welt ganz anders aus und das ist gut, denn Almuths Leben steht Kopf, seit ihr kleiner Bruder schwer erkrankt ist und die Familie aus Berlin aufs Land gezogen ist. Hier hängt Almuth mit den Hühnern des betagten Nachbarn ab und geht ihrer Leidenschaft nach: zu retten, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. In „Almuth und der Hühnersommer“ geht es um viel, es hätte eines der Wir-haben-da-ein-Problem-Bücher werden können, die es in der Literatur für Kinder und Jugendliche zuhauf gibt. Doch weil Mareike Krügel das Komische und das Bedrohliche, und auch „U“ und „E“ souverän miteinander verbindet, kommt dabei eine sehr vergnügliche Sommerlektüre heraus.
Ihr Talent fürs Schräge, ihr Gespür für Kinderlogik und Kinderempfinden hat die Autorin bereits in „Zelten mit Meerschwein“, bewiesen. Während Anton, der Held aus ihrem Debüt, keine Ahnung hatte, wie man Dinge wieder in Ordnung bringt, macht Almuth, die neue Heldin, sich genau das zur Aufgabe. Wenn sie groß ist, will sie furchtlose Feuerwehrfrau werden. Das hat einen Grund. Er kristallisiert sich erst nach und nach heraus, auch das ist ein literarischer Kunstgriff. Der Inhalt macht bei Mareike Krügel immer die Form – Geduld und Vertrauen werden zum Grundton für ein Thema mit Variationen: dass das Leben lebensgefährlich sein kann.
Zunächst fängt alles harmlos an, mit einer der typisch krügelschen Situationen, die das Zeug zur Metapher haben: Almuth hängt kopfüber, weil sie sich einen Knie-Sonnenbrand züchten will. Dann rettet sie ein Huhn vor dem zudringlichen Hahn, geigt dem alten Mann von nebenan die Meinung und erfüllt so ihre erste Mission: „Ich weiß“, sagt Almuth, „dass es nicht in Ordnung ist, jemanden gegen seinen Willen dazu zu zwingen, Küken zu bekommen.“ Weil er sie an den Großvater aus „Heidi“ erinnert, nennt Almuth den alten Nachbarn „Öhi“. Dem Hahn empfiehlt sie, nach Bremen auszuwandern, bevor er wegen schlechten Benehmens im Suppentopf landet. „Etwas Besseres als den Tod findet er überall“, weiß sie aus den „Bremer Stadtmusikanten“.
Auch Geschichten helfen beim Leben. Es ist das, was Almuth um- und antreibt. „Der Tod und ich, wir konnten uns nicht leiden“, Gefahren lauern überall – Almuth hält mit Missionen dagegen. Bei der Zweiten will sie das gesamte Federvieh vor Feinden schützen und nistet sich darum beim Öhi ein. Dabei nimmt der dann sie unter seine Fittiche.
Fortan übernehmen Almuths Missionen, was einst bei den Federvieh-Experten „Max und Moritz“ die Funktion der Streiche war: Sie sorgen für Struktur. Ihr eigentlicher Grund aber ist ein anderer: In Almuths Familie dreht sich alles um Jonathan und seine Krankheit. Die Eltern hetzten von Arzt zu Arzt, sie beobachten ihr Sorgenkind mit Argusaugen, dessen Kindheit geht verlustig – wäre da nicht die große Schwester, die ihrem geschwächten Bruder abends Geschichten erzählt. Irgendwann, so die Botschaft, wird er wieder am Leben teilhaben. Auch das wird zur Mission.
Der beste Schutz gegen Wehmut heißt eben Almuth. Das bekommt auch ihr Schulkamerad Said zu spüren, der unter seiner Helikoptermutter leidet. Jetzt sind es schon zwei, die sich mit derartigen Ausflüchten auskennen, Joy wird die Dritte im Freundschaftsbund werden. Sie muss in jeder freien Minute auf ihre Geschwister-Rasselbande aufpassen. Zwischen zu viel (Für-)Sorge und zu wenig, zwischen Überbehütung, Überwachung und Übersehen tut sich ein weiteres Thema auf, und mit ihm weitere Missionen. Bis zur finalen Rettungsaktion, bei der es um den Öhi gehen wird und sogar der kleine Jonathan dringend mithelfen muss – weil er, wenn auch wider Willen, durch seine Krankheit zum Klinikexperten geworden ist.
Selbstermächtigung führt zum Ziel. Die Illustrationen von Melanie Garanin garantieren noch mehr Aberwitz. Spätestens seit dem Bilderbuch „Der Habicht und der Hahn“ ist sie bekannt für ihre grandiosen Porträts von Hennen, Hähnen, Habichten, alten Herren und Kindern. Für „Völlig meschugge?!“ (Carlsen) ist sie gerade zusammen mit Andreas Steinhöfel mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet worden. Im „Hühnersommer“ nutzt Garanin das Setting, das dem von „Petterson und Findus“ ähnelt, für schräge Idyllen in cartoonhaftem Strich. Federleicht vervollkommnen ihre Bilder den Gestus der Geschichte. Die beweist schließlich, was der Öhi längst weiß: „Märchen“, hat er am Anfang gesagt, „sind ausgesprochen kluge Geschichten. Wer Märchen kennt, weiß jedenfalls, auf welcher Seite man stehen sollte“, nämlich auf der Seite der Kinder und kluger Geschichten. Diese hier über Almuth und ihren großen Mut gehört unbedingt dazu.
CHRISTINE KNÖDLER
Almuths Geschichten helfen
ihrem Bruder, der krank ist,
am Leben teilzunehmen
Mareike Krügel:
Almuth und der
Hühnersommer.
Mit Illustrationen von Melanie Garanin.
Beltz & Gelberg,
Weinheim 2023.
192 Seiten, 13 Euro.
Ab 8 Jahren.
Gutes tun und davon erzählen: Almuth rettet alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, zum Beispiel Hühner. Foto: Garanin/Beltz
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