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»Wir haben keine Politikverdrossenheit. Wir haben eine Politikerverdrossenheit.

Produktbeschreibung
»Wir haben keine Politikverdrossenheit. Wir haben eine Politikerverdrossenheit.
Autorenporträt
Wolfgang Bosbach, geboren 1952, ist seit 1972 CDU-Mitglied. Von 2000 bis 2009 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags. 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Angenehm zu lesen, aber vielleicht ein wenig langatmig findet Rezensent diese Analyse des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach. Wenn Bosbach mehr vertrauensbildende Maßnahmen einfordert, eine bessere Fehlerkultur und gegenseitigen Respekt, möchte Probst nicht widersprechen. Auch dass Bosbach die schamlosen Maskendeals von Parteikollegen während der Pandemie anprangert, rechnet ihm der Rezensent an. Interessant findet er, dass Bosbach als den größten Fehler von Angela Merkels Regierungszeit die Konzentration auf Krisen und Tagespolitik bewertet. Die hohe Floskeldichte könnten allerdings auch die vielen Bibelzitate nicht wettmachen, mahnt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2022

Jenseits vom Wohlgefühl
Wohin steuert die CDU nach der Wahlniederlage 2021? Gleich zwei bekannte CDU-Politiker haben dazu neue Analysen vorgelegt.
Doch Carsten Linnemann, Chef der Programmkommission der Partei, und Wolfgang Bosbach, Politikrentner, ziehen sehr unterschiedliche Schlüsse – ein Vergleich
VON ROBERT PROBST
Sie kennen mich.“ Lange her, September 2013, TV-Duell. Peer Steinbrück wurde deshalb nicht Kanzler. Und die CDU richtete sich danach so lange im Wohlfühlland Deutschland ein, bis sie 2021 plötzlich aus dem Kanzleramt gewählt wurde. Armin Laschet konnte nicht so leicht „Sie kennen mich“ sagen wie Angela Merkel damals. Außerdem hatte er an unpassender Stelle laut gelacht. Und jetzt regiert die Ampel. Also: Was ist los mit der Union?
Zwei Bücher sind dazu jüngst erschienen, eins von Carsten Linnemann, CDU-Vize und Leiter der Programmkommission. Und eins von Wolfgang Bosbach, langjähriger CDU-Innenpolitiker und nun Polit-Rentner. Also von einem, der noch was vorhat und einem, der schon vieles erlebt hat. Beide sind aus Nordrhein-Westfalen, beide sind nicht direkt dem Arbeitnehmerflügel der Partei zuzurechnen und beide können durchaus prägnant formulieren. Man könnte in den Büchern, so die Hoffnung, Antworten finden auf Fragen wie diese: Wie schauen eigentlich CDU-Politiker nach dem Abschied von 16 Jahren an der Regierung aus der Opposition heraus auf die deutsche Politik? Ist es nun an der Zeit, mit Angela Merkels Politik abzurechnen? Und, am wichtigsten, wofür steht die CDU inhaltlich?
Beide gehen über einen Umweg an die Sache heran, indem sie die weitverbreitete Politikerverdrossenheit in Deutschland als Ausgangspunkt wählen. „‚Die ticken doch nicht richtig! – Warum Politik neu denken muss“, heißt Linnemanns Buch. „Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können“, ist Bosbachs Buch betitelt. Einmal Ausrufezeichen, einmal Fragezeichen. Auf Bosbachs Buchcover ein Porträtbild, bei Linnemann nicht. Der eine schaut nur nach vorn, der andere mehr zurück. Und auch sonst fallen die beiden Analyse sehr unterschiedlich aus.
Linnemann, 45, von 2013 bis 2021 Bundesvorsitzender der Mittelstandsunion, der oftmals als kalt und neoliberal wahrgenommen wird (was er aber nach eigener Auskunft gar nicht ist), hat seine Meinung schon immer klar und deutlich artikuliert, auch wenn das vielleicht hie und da den Parteigranden nicht gepasst hat. Ein Ausdruck davon ist sein Buch von 2017 „‚Die machen eh, was sie wollen: Wut, Frust, Unbehagen – Politik muss besser werden“ (Herder). Als Vorsitzender der Programmkommission ist sein Ziel, wie er eben dem ZDF sagte, „wieder glasklar unsere fünf bis zehn Positionen festzulegen, die uns unterscheiden von den anderen Parteien, basierend auf unserem Werte-Fundament“.
Was folgt, ist im Grunde eine Kurzanalyse des deutschen „Staatsversagens“ und ein 15-Punkte-Programm, was alles schnell und zum Teil radikal geändert werden muss. Bei Linnemann geht es zackig zu. Die Republik wie die eigene Partei sieht er an einer entscheidenden Wegscheide. Neustart und Aufbruch statt Selbstmarginalisierung heißt die Devise.
Die Agenda gleich vornweg: „Deutschland muss jetzt die Weichen für eine große Staatsreform stellen, die vor nichts Halt macht.“ Es folgen Plädoyers für ein Bundesexperimentiergesetz, ein Präferenzwahlsystem, Begrenzung der Sozialleistungsquote, weniger Datenschutz, weniger Beauftragte der Bundesregierung für Randthemen. Alles recht technokratisch klingend und blutleer, aber meist gut erklärt.
Bosbach, 70, von 2009 bis 2015 Vorsitzender des Innenausschuss des Bundestags, der oftmals als geradlinig und als Hardliner bezeichnet wurde (was er womöglich nicht leugnen würde), hat seine Meinung immer klar und deutlich artikuliert – vor allem als „meistvertretener Politiker in TV-Talkshows“. Ein Ausdruck davon ist sein Buch von 2016: „Endspurt: Wie Politik tatsächlich ist – und wie sie sein sollte“ (Bastei-Lübbe). Als politischer Beobachter und Kommentator ist es sein Ziel, die Hoffnungen und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger intensiver mit der eigenen politischen Agenda zu verzahnen.
Was folgt, ist eine Rückschau auf die gute, alte Zeit, die auch nicht so gut war, wie es immer heißt; Erlebnisse und Anekdoten aus seiner aktiven Zeit; Nachdenken über Sinnsprüche und Umfragen; direkte Ansprache der Leser – kurz, das Buch mäandert durch Zeit und Themen, angenehm zu lesen, oft ein wenig langatmig. Es geht letztlich und ständig um vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Volk und Politik, die da wären: besser zuhören, bessere Fehlerkultur der Politik, bessere Streitkultur im gegenseitigen Respekt, Meinungswechsel gut begründen, sachbezogen argumentieren und weniger Konfrontation zwischen Koalition und Opposition.
Große Einigkeit zwischen beiden herrscht bei der Analyse des Wahldebakels. Merkels „Sie kennen mich“ (siehe oben), Merkels asymmetrische Demobilisierung, Merkels Politik der Alternativlosigkeit und Merkels Konzentration auf die jeweilig aktuellen (und in der Tat zahlreichen) Krisen und die Tagespolitik. Mit anderen Worten: „Wohlfühlstimmung statt Inhalte“ (Linnemann). Ebenso einig ist man sich hier: Gendern ist doof, Medien missverstehen vieles absichtlich und Clan-Kriminalität und Indianer darf man immer noch sagen.
Was daraus folgt? Gleich bei zwei Großthemen besteht Dissens! Linnemann plädiert eindringlich für ein allgemeines verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Schulabgänger – für bessere Krisenresilienz und gegen zunehmende Anonymität und Polarisierung der Gesellschaft. Bosbach führt gleich in Spiegelstrichen sieben Gründe gegen ein Pflichtjahr an, gegen die Freiwilligkeit eines solchen Dienstes hat er aber nichts. Bei der nötigen Verkleinerung des Bundestags mahnt Bosbach wiederum ein Reformkonzept der Union an („Widerstand allein ist keine zielführende Politik“), während Linnemann in seinem Buch genau ein solches zumindest vorschlägt.
Was sich natürlich ein nicht mehr aktiver Politiker eher erlauben kann als ein CDU-Vize, sind Hinweise auf grobe Verfehlungen in den eigenen Reihen. Bosbach findet etwa klare Worte über CDU-Politiker, die bei Maskendeals die Hand aufgehalten haben, oder über die NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, die während der Flutkatastrophe auf Mallorca feierte. Und er hat ein Kapitel mit einem klaren Bekenntnis zu Armin Laschet geschrieben. Dies alles gibt es bei Linnemann nicht, wie überhaupt auffällt, dass außer Merkel kaum reale Menschen vorkommen – nicht der Parteivorsitzende Friedrich Merz und noch weniger CSU-Chef Markus Söder. Wobei man wieder beim Thema Glaubwürdigkeit angekommen wäre ...
Quintessenz: Linnemann will den großen Umbau – und zwar nicht nach den jeweils aktuellen Krisen, sondern parallel dazu –, klarere Strukturen und Verantwortlichkeiten, kürzere Koalitionsverträge und nicht den Status quo verwalten „und Herausforderungen immer nur mit Milliardensummen zuschütten“. Die smarte Republik, wenn man so will. Bosbach bleibt da viel unkonkreter. Sein Wunsch: Die CDU sollte sich auf ihre christlich-konservativen Werte besinnen und sie hochhalten (Stichwort: §219a, Heimat, Leitkultur). Und die Menschen sollten ihr Land mit mehr „Sympathie und Wohlwollen“ sehen. Die alte Republik, wenn man so will.
Bleibt in Erinnerung: „Meine drei Vorbilder: mein Vater Antonius, Norbert Walter (einst Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Anm. d. Red.) und Ludwig Erhard“ (Linnemann). Beim Bürgergespräch immer Kuli und Papier dabeihaben, gut zuhören und nie auf die Uhr schauen (Bosbach).
Größte Schwäche: Hohe Floskeldichte (beide). Linnemann führt für das von ihm diagnostizierte Staatsversagen ausschließlich anonyme Quellen oder „Insider“ an. Bosbach zitiert unnötigerweise haufenweise alte Römer- oder Bibelweisheiten oder Filmsequenzen.
Lustigste Passage: Bosbach hat ein sehr ironisch-boshaftes Kapitel über seinen Nachfolger als Talkshow-König und ewigen Corona-Mahner Karl Lauterbach (SPD) geschrieben. Linnemann hat immerhin einen lustigen Satz: „,Freibier für alle ist keine seriöse Politik.“
Fazit: „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, schaffen wir es auch in Zukunft nicht.“ (Linnemann). „Wir schaffen das.“ (Bosbach)
Was die CDU umtreibt, kann man an beiden Büchern sehr gut ablesen. Dass aus der einhelligen Analyse der Wahlpleite 2021 aber die gleichen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden würden, ist zumindest bei diesen beiden Autoren nicht unbedingt abzusehen.
Der eine will die ganz große
Staatsreform, der andere denkt
mehr an konservative Werte
Der eine spricht Fehler offener
an als der andere. Was auffällt:
Friedrich Merz kommt kaum vor
Carsten Linnemann:
„Die ticken doch nicht richtig!“ Warum Politik
neu denken muss.
Herder, Freiburg 2022. 160 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
Wolfgang Bosbach:
Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können. Econ-Verlag, Berlin 2022. 224 Seiten, 21,99 Euro. E-BooK: 18,99 Euro.
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