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Eine Niere bekommt man in Indien für 300 Euro, ein afrikanisches Adoptivkind »kostet« mit allen notwendigen Papieren 20000 Euro, eine Frau ist in Albanien unter Umständen schon für 800 Euro zu haben. Hieß es nicht immer: Der Mensch ist keine Ware? Tatsächlich werden Menschenleben nicht nur in fernen Ländern ökonomisch bewertet, ihre Monetarisierung hat auch Deutschland längst erreicht: In Krankenhäusern, Behörden und Personalabteilungen denkt man nach über Fragen wie: »Lohnt« sich eine Ampel, wenn man den Wert eines Lebens mit 1,2 Millionen ansetzt? »Lohnt« es sich, ins »Humankapital« der…mehr

Produktbeschreibung
Eine Niere bekommt man in Indien für 300 Euro, ein afrikanisches Adoptivkind »kostet« mit allen notwendigen Papieren 20000 Euro, eine Frau ist in Albanien unter Umständen schon für 800 Euro zu haben. Hieß es nicht immer: Der Mensch ist keine Ware? Tatsächlich werden Menschenleben nicht nur in fernen Ländern ökonomisch bewertet, ihre Monetarisierung hat auch Deutschland längst erreicht: In Krankenhäusern, Behörden und Personalabteilungen denkt man nach über Fragen wie: »Lohnt« sich eine Ampel, wenn man den Wert eines Lebens mit 1,2 Millionen ansetzt? »Lohnt« es sich, ins »Humankapital« der Mitarbeiter zu investieren? »Lohnt« es sich, 75jährigen noch neue Hüften einzusetzen? Doch darf man solche Fragen überhaupt stellen? Ist es legitim, die Würde des Menschen ökonomisch zu relativieren?
»Was bin ich wert?«: Mit dieser Frage hat sich Jörn Klare auf eine sehr persönliche Recherchereise ins Reich der Menschenwert-Berechner gemacht. Sie führt ihn auf Ämter und ins Gefängnis, zu Politikern und Philosophen, zu Ärzten und Gesundheitsökonomen, aber auch zu seiner kleinen Tochter. Ganz am Ende steht eine konkrete Zahl, auf Euro und Cent genau. Und die Erkenntnis: Die Würde des Menschen ist antastbar - zumindest wenn es sich »lohnt«.
Autorenporträt
Klare, Jörn
Jörn Klare, geboren 1965, schreibt Features, Reportagen (u.a. für Deutschlandfunk , Die Zeit), Sachbücher und Theaterstücke. Klare hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten. Viel diskutiert wurden seine Sachbücher Was bin ich wert? Eine Preis-ermittlung (Suhrkamp, 2010) sowie Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand. Vom Wert des Lebens mit Demenz (Suhrkamp, 2012). 2016 erschien Nach Hause gehen: Eine Heimat suche (Ullstein Verlag), eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Heimat, für das er 2017 den Evangelischen Buchpreis erhielt. Im selben Jahr wurde sein Monolog Melken zu den Berliner Autoren theatertagen eingeladen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2010

Preisfragen

Der Journalist Jörn Klare hat sich auf die Suche nach einer Zahl gemacht. Nach genau einer Zahl, und "möglichst hoch" sollte sie sein. Klare sucht in seinem neuen Buch nach dem monetären Wert eines Menschen. Dass seine Gesprächspartner, von denen er dann einen solchen Preis hören will, sich darauf nur recht zögerlich einlassen, beruhigt dabei ein wenig. Klare weiß genau, auf welches Terrain er sich begibt. Er hat lange genug zum Thema Menschen- und Organhandel recherchiert. Das ist jedoch nicht das Milieu, in dem er dieses Mal unterwegs ist. Er stößt bei seiner Suche eher auf abstrakte Wertberechnungen wie den "Nachrichtenwert", das "Humankapital" oder den "Wert eines statistischen Lebens". Letzterer dient zum Beispiel der Bundesanstalt für Straßenwesen dazu, den volkswirtschaftlichen Schaden durch ein Todesopfer im Straßenverkehr darzustellen. Die Behörde veranschlagt ihn mit 1,2 Millionen Euro. Der "humankapitalistische" Ansatz wiederum ist für Unternehmen interessant, die überlegen, ob es sich lohnt, in die Fortbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren. Das Buch zeigt vor allem eines: Da, wo versucht wird, ein menschliches Leben in Geldwert auszudrücken, handelt es sich vor allem um ein behelfsmäßiges Konstrukt, mit dem Behörden, Versicherungen und andere Institutionen arbeiten, um ihrem Auftrag nachzukommen. Denn an ethischen Grundsätzen kommt am Ende keiner vorbei, wie der vom Autor befragte Philosoph Volker Gerhardt festhält. Auch wenn Klare schließlich auf seine Zahl kommt: 1 129 381,21 Euro, der Durchschnittswert der vor Augen geführten Methoden zur Preisermittlung. (Jörn Klare: "Was bin ich wert?" Eine Preisermittlung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 268 S., br., 14,90 [Euro].)

ward

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2010

„Alles, was ich
habe“
Der Journalist Jörn Klare will
wissen, was er wert ist
Er wird mit 1022,43 Euro, mit 112 411 oder gar mit zwei Millionen berechnet. Lebendig. Tot ist er 180 000 Euro wert. Das sind Ergebnisse von Jörn Klares Selbstversuch-Recherche mit der Frage „Was bin ich wert?“, die der Journalist in einem gleichnamigen Buch zusammengetragen hat. Die Antwort seiner Liebsten: „alles, was ich habe!“, war ihm nicht genug. Er wollte es wissen: Was ist sein Preis in dieser Welt, in der immer mehr in Geld gemessen wird?
Klare zieht von Lebensversicherungen über Samenbanken bis zu Volkswirten, Politikern, Philosophen und auch zur Leichenverwertung. Nebenbei Gespräche mit der Familie und einem Pfarrer. In den kurzen Kapiteln sind Spielereien dabei wie die, den Wert der chemischen Substanzen seines Körpers ausrechnen zu lassen. Es sind Skurrilitäten gesammelt wie die Schmerzensgeldsumme von 102 Euro für den Schock, den eine Frau nach dem Friseurbesuch beim Blick in den Spiegel erlitten hat. Und es kommt die bedrückende Zahl von aktuell 200 Millionen versklavten Menschen vor – so viele wie nie zuvor in der Geschichte.
Aber vor allem gibt es Einblicke in sehr ernste Rechengeschäfte, die uns alle betreffen, ohne dass wir viel davon wüssten. Natürlich in der Wirtschaft: Unternehmen können den Humankapitalwert ihrer Mitarbeiterschaft mit einer hochkomplexen Formel berechnen, in die Marktgehalt, Wissenserosion und Motivation einfließen. Damit werden Investitionen oder Entlassungen geplant. Doch genauso in der Politik: Im Straßenbau etwa entscheidet man auch anhand des „Kostensatzes für getötete Unfallopfer“ (1,2 Millionen Euro), ob nun eine Ampel gebaut wird oder nicht, je nachdem, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen Baukosten und Lebensrettung ausfällt.
Im Umweltbundesamt rechnet man mit 50 000 Euro pro Lebensjahr und argumentiert für Umweltschutzmaßnahmen mit den Verlustzahlen, die durch eine Verkürzung der Lebenszeit wegen Umweltverschmutzung entstehen würden. Im Gesundheitswesen braucht man Kriterien für die Frage, wem man in Zeiten der Rationierung noch eine teure Operation bezahlt. In England wird schon die „Quality Adjusted Life Year“-Methode (QALY) verwendet. Sie verrechnet erwartbare, qualitativ bewertete Lebensjahre von Patienten gegeneinander: der mit der besten Erwartung erhält die Operation.
Natürlich kommt Klare bald und immer wieder auf die Problematik, die seine Ausgangsfrage so provokativ naiv erscheinen lässt: Wie soll das gehen, den Wert einer Person rein monetär zu berechnen? Dazu kommt: Darf man das – moralisch? Und: Muss man es in bestimmten Bereichen einfach tun? Klare sammelt: Keinen Wert kann man absolut berechnen, es geht nur in Bezug auf jemanden beziehungsweise etwas. Die vielfältigen Methoden in den verschiedenen Anwendungsbereichen dazu sind ebenso ausgeklügelt wie aber auch wacklig oder beliebig in den Prämissen. Irgendwo muss man immer von subjektiven Einschätzungen beginnen, sei es Motivation, Wohlbefinden oder Risikobereitschaft.
Zum Zweiten: Die einen sagen ja, wir dürfen diesen Wert berechnen, denn die ökonomische Bewertung habe mit der moralischen gar nichts zu tun. Oder ja, denn Ökonomie sei angewandte Ethik – Utilitarismus pur. Die anderen sagen nein, denn die Würde des Menschen, im Sinne von Immanuel Kant, verbiete grundsätzlich jede Verrechnung von Personen. Solche moralischen Bedenkenträger müssen bei der dritten Frage, der nach der Notwendigkeit von Berechnungen für praktische politische Entscheidungen, wiederum „nein“ sagen: Wir müssen nicht rechnen – so etwa die Philosophin Weyma Lübbe – es geht auch ohne. Das Leben sei kein Wert sagt sie, sondern ein Rechtsgut. Es ginge nicht darum, Werte gegeneinander auszuspielen, sondern Rechtsansprüchen zu entsprechen.
Klare fegt von Station zu Station in einer Mischung aus männlichem Egotrip kurz vor der Midlifecrisis, journalistischem Aufdeckungsdrang und gut kantischem Bemühen um Entkommen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Sein persönlicher Zugang zum Thema macht die Recherche nach Zahlen zu einer flott erzählten Geschichte; in situativ eingebetteten Dialogen hakt er unermüdlich nach und beleuchtet so das Thema in enorm vielen Facetten. Doch zugleich führt dieser Zugang bei den brisanten Fällen zu einer inhaltlichen Schieflage, die zwar benannt, doch nie ganz aufgehoben wird: Klare fragt nach seinem persönlichen Wert. Aber die vorgestellten Berechnungsmethoden zielen in aller Regel auf einen statistischen Wert, der eben nie eine tatsächliche Person meint. Und: Klare sucht nach seinem konkreten Preis, doch zugleich kritisiert er immer wieder die Praxis, Menschen überhaupt monetär zu bewerten. So arbeitet er gewissermaßen auch gegen sein Projekt.
Es endet mit einer Zahl, aber da ist längst klar, dass sie nicht das eigentliche Ergebnis ist. Gewonnen ist vor allem „gesteigertes Problembewußtsein“. Und das ist schon viel, bei diesem so drängenden wie verzwickten Thema. Ein Buch, das informiert, unterhält und zum Nachdenken anregt.
EVA WEBER-GUSKAR
JÖRN KLARE: Was bin ich wert? Eine Preisermittlung. Suhrkamp, Berlin 2010. 266 Seiten, 14,90 Euro.
Geht es nicht auch ohne Rechnen?
Schließlich ist das Leben kein
Wert, sondern ein Rechtsgut
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Thema ist verzwickt. Und wenn der Autor am Ende seine Zahl hinschreibt und sagt, seht her, das also bin ich wert, weiß Eva Weber-Guskar schon, dass es darum gar nicht geht in diesem Buch. Als Aufhänger funktioniert die Frage nach dem persönlichen Wert der einzelnen konkreten Person. Schnell aber taucht bei Jörn Klare die Frage auf, ob das geht, Menschen monetär zu werten, und natürlich hat er es bei seinen Recherchen im Gesundheits-, im Verkehrswesen, bei Lebensversicherern, Banken, Philosophen und Politikern stets mit einem statistischen, nicht mit einem persönlichen Wert zu tun, eine "inhaltliche Schieflage" also. Das alles sieht die Rezensentin. Das flotte Erzähltempo, die vielen beleuchteten Facetten des Themas und die Tatsache, dass der Band ein Problembewusstsein befördert, machen ihn für die Rezensentin lesenswert.

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