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Jesmyn Ward
Gebundenes Buch
Vor dem Sturm
Roman. Ausgezeichnet mit dem National Book Award 2011
Übersetzung: Becker, Ulrike
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Ein Hurrikan braut sich über dem Mississippi-Delta zusammen, aber Esch und ihre drei Brüder, die mit dem Vater in einer zusammengezimmerten Hütte am Rande des Waldes inmitten von Hühnern und alten Autowracks leben, haben noch andere Sorgen. Mit kleinen Diebstählen und viel Liebe versucht Skeetah, die neugeborenen Welpen seiner Pitbull-Hündin China durchzubringen. Randall will Basketballprofi werden, aber zugleich müssen er und Esch sich um Junior, den Jüngsten, kümmern, dem wie allen die Mutter fehlt, die bei seiner Geburt gestorben ist. Da merkt die Fünfzehnjährige, dass sie schwan...
Ein Hurrikan braut sich über dem Mississippi-Delta zusammen, aber Esch und ihre drei Brüder, die mit dem Vater in einer zusammengezimmerten Hütte am Rande des Waldes inmitten von Hühnern und alten Autowracks leben, haben noch andere Sorgen. Mit kleinen Diebstählen und viel Liebe versucht Skeetah, die neugeborenen Welpen seiner Pitbull-Hündin China durchzubringen. Randall will Basketballprofi werden, aber zugleich müssen er und Esch sich um Junior, den Jüngsten, kümmern, dem wie allen die Mutter fehlt, die bei seiner Geburt gestorben ist. Da merkt die Fünfzehnjährige, dass sie schwanger ist - von Randalls bestem Freund, der mit einer anderen zusammenlebt. Wem kann man sich anvertrauen, wenn kaum einer für sich selbst sorgen kann?Und doch stehen die Geschwister, wortlos und mit kleinen Gesten, unverbrüchlich füreinander ein. Versuchen, ohne Geld Vorräte anzulegen, mit Treibholz das Haus sturmfest zu machen. Als die zwölf Tage, die den Rahmen für den Roman bilden, zu einem dramatischen Abschluss kommen, sammelt die Familie ihre Kräfte, um einem neuen Tag ins Gesicht zu sehen. Vor dem Sturm ist ein bewegender, großherziger Roman über Familienbande in einer Welt, in der es nur wenig Liebe gibt, über Hilfe und Gemeinschaft unter widrigsten Umständen. Lebensnah und voller Poesie, wirft die unvergessliche Geschichte einer bedrohten Familie angesichts eines Jahrhundertorkans ein Schlaglicht auf die Wirklichkeit eines anderen, bitterarmen Amerika.
Jesmyn Ward, geb. 1977, wuchs in DeLisle, Mississippi, auf. Nach einem Literaturstudium in Michigan war sie Stipendiatin in Stanford und Writer in Residence an der University of Mississippi. Sie lehrt derzeit Englische Literatur an der Tulane University in New Orleans. Jesmyn Ward ist die erste Frau, die zweimal mit dem wichtigsten amerikanischen Literaturpreis, dem National Book Award, ausgezeichnet wurde: für "Vor dem Sturm" (Kunstmann, 2013) und für "Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt" (Kunstmann, 2018). 2017 wurde ihr auch der MacArthur Genius Grant verliehen.
Produktdetails
- Verlag: Verlag Antje Kunstmann
- Originaltitel: Salvage the Bones
- Artikelnr. des Verlages: 97861
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 320
- Erscheinungstermin: 9. September 2013
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 143mm x 31mm
- Gewicht: 516g
- ISBN-13: 9783888978616
- ISBN-10: 3888978610
- Artikelnr.: 38472974
Herstellerkennzeichnung
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Katrina ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen
Ein entfesselter Hurrikan: Jesmyn Ward kehrt in ihrem Roman "Vor dem Sturm" in das Dorf ihrer Kindheit zurück - und setzt dem Elend die ganze Macht der Sprache entgegen. Damit ist ihr ein großer Wurf gelungen, literarisch wie politisch.
Jesmyn Ward stammt aus einer Gegend, die sie spät zu lieben gelernt hat, und nach allem, was man über diese Gegend weiß, vor allem natürlich, wenn man selbst nie dort war, ist das wenig überraschend. Ward ist in De Lisle aufgewachsen, einem kleinen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Ihre Mutter arbeitete als Haushälterin bei denen, die mehr Geld hatten als ihre Familie, der Vater betrieb eine Kung-Fu-Schule. Jesmyn Ward selbst
Ein entfesselter Hurrikan: Jesmyn Ward kehrt in ihrem Roman "Vor dem Sturm" in das Dorf ihrer Kindheit zurück - und setzt dem Elend die ganze Macht der Sprache entgegen. Damit ist ihr ein großer Wurf gelungen, literarisch wie politisch.
Jesmyn Ward stammt aus einer Gegend, die sie spät zu lieben gelernt hat, und nach allem, was man über diese Gegend weiß, vor allem natürlich, wenn man selbst nie dort war, ist das wenig überraschend. Ward ist in De Lisle aufgewachsen, einem kleinen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Ihre Mutter arbeitete als Haushälterin bei denen, die mehr Geld hatten als ihre Familie, der Vater betrieb eine Kung-Fu-Schule. Jesmyn Ward selbst
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konnte, weil einer der Arbeitgeber ihrer Mutter es zahlte, auf eine private Schule gehen, wo sie die einzige Schwarze unter lauter weißen Schülern war, sie wurde deswegen von einigen Klassenkameraden gehänselt und verlor, als sie die Schule gerade beendet hatte, ihren Bruder, der von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde. Jahrelang, das hat Jesmyn Ward amerikanischen Zeitungen erzählt, hat sie den Ort gehasst. Weil er so klein war, so eng und so rassistisch. Erst jetzt, nachdem sie längst woanders lebt, ist sie in der Lage, in De Lisle Dinge zu sehen, die liebenswert sind.
Dabei hat sicher geholfen, dass die Jesmyn Ward, die De Lisle heute besucht, eine andere ist als damals. Ward, deren dritter Roman noch in diesem Monat in den Vereinigten Staaten erscheint und deren zweites Buch "Vor dem Sturm" dieser Tage in deutscher Übersetzung herauskommt, ist jetzt nicht mehr die kleine "Mimi", der man vor versammelter Klasse unbehelligt Negerwitze erzählen darf. Sie ist eine preisgekrönte junge Schriftstellerin, denn für "Vor dem Sturm" erhielt sie 2011 den amerikanischen National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen des Landes. Ironie der Geschichte: Ihr Roman spielt in einem winzigen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Und zwar in den zehn Tagen, bevor ein Hurrikan namens Katrina auf diese Küste trifft und den gesamten Landstrich verwüstet.
Es geht um die Sorgen und Nöte der vierzehn Jahre alten Ich-Erzählerin Esch und ihrer Familie: um das wackelige Haus auf der mit Sperrmüll übersäten Lichtung im Wald, die sie bewohnen; um den alkoholkranken Vater, der versucht, seine vier Kinder, also Esch und ihre drei Brüder, über Wasser zu halten; um die von allen schmerzlich vermisste Mutter, die die Geburt des letzten Kindes nicht überlebt hat. Es geht um Hundekämpfe, die das Geld bringen sollen, das einer der Brüder für den Collegebesuch benötigt; um Esch, die schwanger ist, aber von dem Vater des Kindes, einem Nachbarsjungen, verleugnet wird; es geht um Dosenerbsen, trockene Nudeln und gegrillte Eichhörnchen - mithin um den schier unglaublichen Alltag einer schwarzen Familie am unteren sozialen Rand Amerikas.
Nie ist in diesem Roman explizit von Rassismus die Rede. Es gibt keinen Weißen, der die Schwarzen offen diskriminiert, mehr noch: Es tritt gar kein Weißer auf. Doch gerade darin, in dieser völligen Isolation und der Art, wie die Lebenswelten der Schwarzen beschrieben werden, in der vollendeten Armselig- und Perspektivlosigkeit, die in den Überlegungen Eschs über den Abbruch über ihre ungewollten Schwangerschaft gipfeln, liegt eine deutliche und absolut politisch zu verstehende Botschaft. "Die Mädchen sagen, wenn man schwanger ist und eine ganze Monatspackung Antibabypillen schluckt, dann kriegt man seine Tage. Sie sagen, wenn man Bleichmittel trinkt, wird man krank, und das, was das Baby geworden wäre, kommt raus. Sie sagen, wenn man sich selbst richtig doll in den Bauch boxt, sich auf die Metallkante eines Autos wirft und tief genug getroffen wird, um Blutergüsse hervorzurufen, dann hat man vielleicht eine Fehlgeburt ... Das sind meine Möglichkeiten, und letztlich bleibt keine übrig."
Beinahe unnötig zu sagen, dass die Jugendlichen, mit ihren persönlichen Tragödien vollauf beschäftigt, den nahenden Sturm lange unterschätzen. Erst spät, viel zu spät im Grunde, verrammeln sie die Fenster des Hauses mit Holzlatten, die so wenig zusammenpassen, dass handbreite Spalte offenbleiben und den Wind hindurchlassen. An eine Evakuierung, wie sie die Regierung angeordnet hat, ist ohnehin nicht zu denken. Wohin sollte man gehen? Und von welchem Geld? Den Sturm und die Flut überleben sie so nur knapp. Dafür können sie auf die Solidarität ihrer Nachbarn bauen, die ihnen Unterschlupf gewähren - anders als in der Wirklichkeit. Denn Ward hat Katrina in Mississippi selbst erlebt und einige ihrer Erfahrungen in den Roman einfließen lassen. Andere hat sie allerdings ausgespart. Die Geschichte etwa, wie sie nach der Flucht aus dem überfluteten Haus mit ihrer Familie im Auto durch die Gegend fuhr, um Schutz zu suchen, und wie sie alle dann vor dem Haus einer weißen Familie hielten, welche die Wards abwies und das Ende des Hurrikans auf dem offenen Feld abwarten ließ. Von dieser unfasslichen Episode hat sie nur in Interviews erzählt.
Der Roman schont seine Leser gleichwohl nur an diesem einen Punkt. Ansonsten wühlt er sich durch das Elend seiner Südstaaten-Protagonisten, und auch, wenn er vor allem stilistisch mit den Werken des großen Schriftstellers dieser Gegend, mit William Faulkner, nicht viel gemein hat, möchte man Jesmyn Ward recht geben. Faulkner habe sie beeindruckt und eingeschüchtert, sagte sie einmal. Aber sie habe eben auch den Eindruck gewonnen, dass den Schwarzen in seinen Büchern nur selten dieselbe Bandbreite an Emotionen zustünde wie den Weißen. Und genau hier schlägt Ward einen anderen, eigenen Weg ein. Ihre Figuren, Esch und ihre Brüder Randall, Skeetah und selbst der kleine Junior, kämpfen täglich im Kleinen um Anerkennung, Liebe, Geld, eine Zukunft und vor allem um ihre Würde. Sie üben sich nicht nur in Solidarität, weil die das einzige Gut ist, das nichts kostet, sondern weil sie als Familie keine andere Wahl verspüren. Und sie bringen Opfer füreinander, selbst wenn das an anderer Stelle Verluste bedeutet und keinem am Ende mehr bleibt als die nassen Kleider auf der Haut.
In diesem Zusammenhang ist auch Eschs zuweilen frühreif wirkende Bewunderung für den griechische Racheengel Medea, den sie immer dann anruft, wenn der Druck zu groß wird und eine übergeordnete Instanz dem Leiden Sinn geben soll, eine Volte von pädagogischem Nutzen. Denn warum sollte diese zerrissene Frau nicht auch einer jugendlichen schwarzen Amerikanerin zur geistigen Gefährtin werden? Warum sollte nicht auch sie versuchen, den Zumutungen ihres Lebens mit Referenzen aus der abendländischen Mythenwelt zu trotzen? "Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt."
Was sonst noch Rettung verspricht? Natürlich die Sprache. Jesmyn Ward liebt Metaphern, ihr Stil ist lyrisch und vermag es, dem Desaster eine Hoffnung entgegenzusetzen, die tröstet und rührt. In einer Welt, in der ein Pitbull "prachtvoll wie eine Magnolienblüte" ist, Wald und Wind sich ausbreiten "wie ein Brautschleier" und Teenager am Wiesenrand herumkrabbeln "wie die Ameisen unter den Dielen, die im Gänsemarsch zu dem Zucker laufen, der offen im Schrank steht" - in dieser Welt kann nicht alles schlecht sein. Auch nicht das Ende.
LENA BOPP
Jesmyn Ward: "Vor dem Sturm". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann Verlag, München 2013. 318 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dabei hat sicher geholfen, dass die Jesmyn Ward, die De Lisle heute besucht, eine andere ist als damals. Ward, deren dritter Roman noch in diesem Monat in den Vereinigten Staaten erscheint und deren zweites Buch "Vor dem Sturm" dieser Tage in deutscher Übersetzung herauskommt, ist jetzt nicht mehr die kleine "Mimi", der man vor versammelter Klasse unbehelligt Negerwitze erzählen darf. Sie ist eine preisgekrönte junge Schriftstellerin, denn für "Vor dem Sturm" erhielt sie 2011 den amerikanischen National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen des Landes. Ironie der Geschichte: Ihr Roman spielt in einem winzigen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Und zwar in den zehn Tagen, bevor ein Hurrikan namens Katrina auf diese Küste trifft und den gesamten Landstrich verwüstet.
Es geht um die Sorgen und Nöte der vierzehn Jahre alten Ich-Erzählerin Esch und ihrer Familie: um das wackelige Haus auf der mit Sperrmüll übersäten Lichtung im Wald, die sie bewohnen; um den alkoholkranken Vater, der versucht, seine vier Kinder, also Esch und ihre drei Brüder, über Wasser zu halten; um die von allen schmerzlich vermisste Mutter, die die Geburt des letzten Kindes nicht überlebt hat. Es geht um Hundekämpfe, die das Geld bringen sollen, das einer der Brüder für den Collegebesuch benötigt; um Esch, die schwanger ist, aber von dem Vater des Kindes, einem Nachbarsjungen, verleugnet wird; es geht um Dosenerbsen, trockene Nudeln und gegrillte Eichhörnchen - mithin um den schier unglaublichen Alltag einer schwarzen Familie am unteren sozialen Rand Amerikas.
Nie ist in diesem Roman explizit von Rassismus die Rede. Es gibt keinen Weißen, der die Schwarzen offen diskriminiert, mehr noch: Es tritt gar kein Weißer auf. Doch gerade darin, in dieser völligen Isolation und der Art, wie die Lebenswelten der Schwarzen beschrieben werden, in der vollendeten Armselig- und Perspektivlosigkeit, die in den Überlegungen Eschs über den Abbruch über ihre ungewollten Schwangerschaft gipfeln, liegt eine deutliche und absolut politisch zu verstehende Botschaft. "Die Mädchen sagen, wenn man schwanger ist und eine ganze Monatspackung Antibabypillen schluckt, dann kriegt man seine Tage. Sie sagen, wenn man Bleichmittel trinkt, wird man krank, und das, was das Baby geworden wäre, kommt raus. Sie sagen, wenn man sich selbst richtig doll in den Bauch boxt, sich auf die Metallkante eines Autos wirft und tief genug getroffen wird, um Blutergüsse hervorzurufen, dann hat man vielleicht eine Fehlgeburt ... Das sind meine Möglichkeiten, und letztlich bleibt keine übrig."
Beinahe unnötig zu sagen, dass die Jugendlichen, mit ihren persönlichen Tragödien vollauf beschäftigt, den nahenden Sturm lange unterschätzen. Erst spät, viel zu spät im Grunde, verrammeln sie die Fenster des Hauses mit Holzlatten, die so wenig zusammenpassen, dass handbreite Spalte offenbleiben und den Wind hindurchlassen. An eine Evakuierung, wie sie die Regierung angeordnet hat, ist ohnehin nicht zu denken. Wohin sollte man gehen? Und von welchem Geld? Den Sturm und die Flut überleben sie so nur knapp. Dafür können sie auf die Solidarität ihrer Nachbarn bauen, die ihnen Unterschlupf gewähren - anders als in der Wirklichkeit. Denn Ward hat Katrina in Mississippi selbst erlebt und einige ihrer Erfahrungen in den Roman einfließen lassen. Andere hat sie allerdings ausgespart. Die Geschichte etwa, wie sie nach der Flucht aus dem überfluteten Haus mit ihrer Familie im Auto durch die Gegend fuhr, um Schutz zu suchen, und wie sie alle dann vor dem Haus einer weißen Familie hielten, welche die Wards abwies und das Ende des Hurrikans auf dem offenen Feld abwarten ließ. Von dieser unfasslichen Episode hat sie nur in Interviews erzählt.
Der Roman schont seine Leser gleichwohl nur an diesem einen Punkt. Ansonsten wühlt er sich durch das Elend seiner Südstaaten-Protagonisten, und auch, wenn er vor allem stilistisch mit den Werken des großen Schriftstellers dieser Gegend, mit William Faulkner, nicht viel gemein hat, möchte man Jesmyn Ward recht geben. Faulkner habe sie beeindruckt und eingeschüchtert, sagte sie einmal. Aber sie habe eben auch den Eindruck gewonnen, dass den Schwarzen in seinen Büchern nur selten dieselbe Bandbreite an Emotionen zustünde wie den Weißen. Und genau hier schlägt Ward einen anderen, eigenen Weg ein. Ihre Figuren, Esch und ihre Brüder Randall, Skeetah und selbst der kleine Junior, kämpfen täglich im Kleinen um Anerkennung, Liebe, Geld, eine Zukunft und vor allem um ihre Würde. Sie üben sich nicht nur in Solidarität, weil die das einzige Gut ist, das nichts kostet, sondern weil sie als Familie keine andere Wahl verspüren. Und sie bringen Opfer füreinander, selbst wenn das an anderer Stelle Verluste bedeutet und keinem am Ende mehr bleibt als die nassen Kleider auf der Haut.
In diesem Zusammenhang ist auch Eschs zuweilen frühreif wirkende Bewunderung für den griechische Racheengel Medea, den sie immer dann anruft, wenn der Druck zu groß wird und eine übergeordnete Instanz dem Leiden Sinn geben soll, eine Volte von pädagogischem Nutzen. Denn warum sollte diese zerrissene Frau nicht auch einer jugendlichen schwarzen Amerikanerin zur geistigen Gefährtin werden? Warum sollte nicht auch sie versuchen, den Zumutungen ihres Lebens mit Referenzen aus der abendländischen Mythenwelt zu trotzen? "Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt."
Was sonst noch Rettung verspricht? Natürlich die Sprache. Jesmyn Ward liebt Metaphern, ihr Stil ist lyrisch und vermag es, dem Desaster eine Hoffnung entgegenzusetzen, die tröstet und rührt. In einer Welt, in der ein Pitbull "prachtvoll wie eine Magnolienblüte" ist, Wald und Wind sich ausbreiten "wie ein Brautschleier" und Teenager am Wiesenrand herumkrabbeln "wie die Ameisen unter den Dielen, die im Gänsemarsch zu dem Zucker laufen, der offen im Schrank steht" - in dieser Welt kann nicht alles schlecht sein. Auch nicht das Ende.
LENA BOPP
Jesmyn Ward: "Vor dem Sturm". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann Verlag, München 2013. 318 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Pervertierte Hundeliebe ist nur ein Aspekt des Südstaaten-Melodrams von Jesmyn Ward. Martin Zähringer empfindet ihn allerdings durchaus als zentral in diesem Buch, neben anderen Perversionen und asozialen Tendenzen. Auch neben Naturbeschreibungen und mythischen Bezügen, mit denen die Autorin ihre Story - halb Liebes-, halb Familiengeschichte - garniert. Dass der Orkan Katrina dem Ganzen die Krone aufsetzt, geht für Zähringer in Ordnung. Auch die Teenie-Perspektive. Schließlich gelingt es Ward, ganz unteeniehaft zu erzählen. Einen politischen Standpunkt angesichts des geschilderten Sozialdramas bleibt die Autorin dem Rezensenten allerdings schuldig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die fünfzehnjährige Esch lebt mit ihren drei Brüdern und ihrem Vater am Rande des Mississippis in einer kleinen Hütte mitten im Wald, umgeben von Sperrmüll und Schrott.
Ein schwerer Hurrikan steht bevor und der Vater versucht mit allen Mitteln, das Haus mit alten Brettern …
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Die fünfzehnjährige Esch lebt mit ihren drei Brüdern und ihrem Vater am Rande des Mississippis in einer kleinen Hütte mitten im Wald, umgeben von Sperrmüll und Schrott.
Ein schwerer Hurrikan steht bevor und der Vater versucht mit allen Mitteln, das Haus mit alten Brettern Sturmsicher zu machen. Esch und ihre Brüder glauben jedoch nicht daran, dass der Hurrikan wirklich so schlimm wird wie der Vater meint. Sie plagen ganz andere Sorgen. Esch ist schwanger und der Vater des Babys ignoriert sie. Skeetah ist nur noch auf seine Hündin China, die soeben Mutter geworden ist, fixiert. Randall will unbedingt Basketball-Profi werden und ist nur noch am trainieren. Und Junior fühlt sich einsam und versucht bei seinen Geschwistern etwas Geborgenheit zu finden. Aber obwohl jeder seine eigenen Sorgen hat, helfen sie sich gegenseitig und stehen füreinander ein. Doch dann kommt der Hurrikan. Viel zu spät versuchen die Geschwister das Haus und ihr eigenes Leben zu retten. Haben sie noch eine Chance?
Eine literarisch wertvolle Geschichte aus der Sicht einer jungendlichen Schwarzen. Sämtliche Protagonisten sind Schwarze und trotzdem spiegelt die Story nicht einen einzigen Hauch von Rassismus wider. Vielmehr geht es um den Zusammenhalt der Familie und der gegenseitigen Bereitschaft füreinander einzustehen, innerhalb der Familie sowie unter den Freunden und Nachbarn.
Des weiteren bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Leben der sozial schlechter gestellten Schwarzen im Mississippi-Delta wirklich aussieht.
Die Autorin hat es geschafft, mit ihrem poetischen Schreibstil und vielen Metaphern dem Leser das Gefühl zu geben, dass es selbst in größter Armut immer noch einen Ansatz der Hoffnung und Zuversicht auf ein glückliches Leben gibt.
Fazit:
Ein literarisch wertvolles Buch, das man gelesen haben sollte.
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Worum geht´s?
In den USA steht der Hurrikan Kathrina bevor und so versucht sich eine Familie dafür zu wappnen und auch die dortlebenden Tiere durchzubringen. Doch dies gestaltet sich schwerer als gedacht, denn es kommt immer wieder zu Rückschlägen. Dann erfährt die …
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Worum geht´s?
In den USA steht der Hurrikan Kathrina bevor und so versucht sich eine Familie dafür zu wappnen und auch die dortlebenden Tiere durchzubringen. Doch dies gestaltet sich schwerer als gedacht, denn es kommt immer wieder zu Rückschlägen. Dann erfährt die 15-jährige Esch auch noch, dass sie von Manny, den sie liebt, aber welcher eine Beziehung zu einer anderen führt, schwanger ist und beschließt mit all ihren Schwangerschaftssymptomen ein Geheimnis daraus zu machen. Doch dann kommt der Sturm und....werden sie es schaffen und was wird aus Esch und dem Baby in ihr?
Auszug aus dem Buch Seite 130
"Im Bad beuge ich mich vor und knete meinen Bauch, knete die Melone zu Brei, aber sie springt immer wieder zurück: reif. Darauf aus, ihre Saat auszubringen. Ich könnte etwas finden, das hart und groß genug ist, um mich darauf zu werfen: den Kühler von Daddys Kipplaster, Daddys Traktor, eine der alten Waschmaschinen im Hof. Bleichmittel haben wir in der Waschküche."
Leider hatte ich mir von dem Buch deutlich mehr versprochen, als es tatsächlich war. Der Einstieg in das Buch begann mit der Geburt der Welpen, was mich schon nicht sonderlich interessierte, aber dennoch weiterlesen ließ. Es wurde erst interessant, als man erfuhr, dass Esch immer mit Manny und anderne Typen schlief und dann bemerkte, wie sie von Manny schwanger wurde und das zu dieser ungünstigen Zeit, zur Vorbereitung auf den Sturm, wo doch Lebensmittel und andere Dinge sowieso schon begrenzt waren. Die Autorin schaffte es dann auf einigen Seiten die Spannung aufzubauen, so, dass man einfach weiter lesen wollte. Man merkte, wie arm doch die Familie dort war. Das konnte Frau Ward hier sehr gut vermitteln. Doch dann schweifte die Spannung leider wieder ab und es wurde wieder vermehrt über die Hunde erzählt und nebenbei natürlich noch über Esch´s Zustände und ihre Brüder. Doch Hauptthematik schienen hier wirklich die Hunde zu sein. Schade!
Als es dann zum Ende hin mit dem Sturm losging, setzte Frau Ward wieder mehr auf Spannung und es hieß Leben oder Tod.
Was mir allerdings sehr gut gefiel, war der besondere Schreibstil. Situationen wurden nicht direkt mit nur einem Wort benannt, sondern es wurde vielmehr drum herum geredet und diese beschrieben.
Das Cover des Buches gefällt mir recht gut. Es zeigt vermutlich Esch und ist sehr schlicht gehalten.
Die Charktere waren alle sehr unterschiedlich. Ich konnte gleich in der Geschichte erkennen, dass es sich wie oben schon erwähnt, um eine arme Familie handelte, um einen Alkoholiker als Vater und auch seine Söhne schienen alle nicht mehr ganz bei Verstand gewesen zu sein und waren mir leider einfach unsympathisch. Allein auch mit Esch konnte ich nicht warm werden. Wenn sie doch weiß, dass man sich weder Kondome noch Antibabypille leisten kann, wieso schläft sie dauernd mit Manny? Und das auch noch als 15-jährige. Natürlich merkte man Esch auch ihre Verzweiflungen an, sowie vor der Schwangerschaft als auch dabei. Es war erschreckend zu lesen, welche Abtreibungsmethoden ihr durch den Kopf gingen und wie sie es schaffte ihr Geheimnis zu bewahren. Dennoch einfach unverantworlich!
Manny war ein Charakter, den ich einfach nur hasste. Er hatte Esch nur als seine Affäre, da er bereits in einer Beziehung lebte und behandelte Esch dementsprechend abwertend. Auch sonst war seine Art gegenüber ihr und den anderen Menschen dort einfach nur völlig daneben und überheblich!
Fazit:
Ein literarisch schwächeres Buch! Ich hätte mir eine abwechslungsreichere und interessantere Story vor dem Sturm gewünscht und Charaktere mit einfach mehr Verstand im Kopf. Da mich das Buch dennoch bis zum Ende halten konnte und nicht nur negative Momente aufkommen ließ, vergebe ich noch ganze 3 Palmen!
- Cover. 3/5
- Story: 2/5
- Schreibstil: 4/5
- Emotionen: 3/5
- Charaktere: 2/5
Gesamt: 3/5 Palmen
© Sharons Bücherparadies http://sharonsbuecher.blogspot.de
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Wer erinnert sich nicht mehr an Katrina, diesen Jahrhundert-Hurrikan, der gerade im Mississippi-Delta verheerende Schäden anrichtete und fast zweitausend Menschen das Leben kostete. Jesmyn Ward hat diese Naturkatastrophe er- und überlebt und in ihrem zweiten Roman "Vor dem …
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Wer erinnert sich nicht mehr an Katrina, diesen Jahrhundert-Hurrikan, der gerade im Mississippi-Delta verheerende Schäden anrichtete und fast zweitausend Menschen das Leben kostete. Jesmyn Ward hat diese Naturkatastrophe er- und überlebt und in ihrem zweiten Roman "Vor dem Sturm", für den sie mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, zu verarbeiten versucht.
Der zeitliche Rahmen erstreckt sich über knapp zwei Wochen, wobei der Schwerpunkt auf den Tagen vor Katrina liegt. Die Geschichte wird aus Sicht der fünfzehnjährigen Esch erzählt, die mit ihrem Vater und ihren drei Brüdern in einer heruntergekommenen Hütte am Waldesrand lebt. Die Mutter ist gestorben, der Vater ein Säufer, und die Kinder sind für sich selbst verantwortlich und müssen schauen, wie und dass sie einigermaßen durchs Leben kommen. So auch in den Tagen vor Katrina, in denen sie sich auf den Sturm vorbereiten...
Jesmyn Ward zeigt uns einen Ausschnitt aus dem täglichen Leben schwarzen Familie in den Südstaaten, bei deren Mitglieder der amerikanische Traum nie zur Diskussion steht und wahrscheinlich auch nie Wirklichkeit werden wird, da der Kampf ums Überleben alle anderen Bestrebungen überlagert. Es gibt keinen Erwachsenen, der sich um die Kinder kümmert und so wachsen diese ohne Perspektive auf, wobei sie dieses Leben aber auch nicht infrage stellen. Teenagerschwangerschaft? Ja, ist eben passiert. Machtkämpfe innerhalb der Gang? Klar, gehört dazu.
Aber der drohende Sturm verändert die Sicht auf die Dinge. Staatliche Hilfe ist nicht zu erwarten, denn die Nationalgarde kümmert sich zuerst um die Wohngebiete der Weißen, also ist Esch gefordert und sie ist diejenige, die Verantwortung übernimmt und dafür sorgt, dass alle Vorbereitungen getroffen werden, damit das Überleben ihrer ihre Familie gesichert ist. Langsam, aber nicht minder bedrohlich treibt die Geschichte auf den Höhepunkt zu, und wenn der Hurrikan vorbei ist, wird nichts mehr so sein wird, wie es vorher war.
Die Autorin erzählt nüchtern und emotionslos, aber gerade deshalb umso beeindruckender. Sie drückt nicht auf die Tränendrüse oder äußert offen Kritik an den politischen Zuständen im Süden der Vereinigten Staaten. Aber sie erreicht ihre Leser dennoch auf der emotionalen Ebene, denn nach der Lektüre muss man das Gelesene zuerst einmal sacken lassen.
Ein beeindruckendes Buch über das andere Amerika, über Schwarz und Weiß, über familiären Zusammenhalt, über Liebe und Verantwortung - Jesmyn Ward ist eine würdige Chronistin der Ereignisse des Spätsommers 2005!
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