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Kann der Tod überwunden, der Mensch unsterblich werden? Erkenntnisse der natur- und lebenswissenschaftlichen Forschung seit der Moderne haben ein neues Bewusstsein für Sterblichkeit und Vergänglichkeit geschaffen sowie Ideen über die Verlängerung des Lebens und physische Unsterblichkeit auf den Prüfstand gestellt. Wegweisende Befunde und Entwürfe slawischer Autoren reihen sich nicht nur in zeitgenössische und aktuelle Diskussionen ein, sondern haben auch eigene Visionen und Technologien mit kulturspezifischer Signatur hervorgebracht. In den Entwicklungen experimenteller Disziplinen, etwa der…mehr

Produktbeschreibung
Kann der Tod überwunden, der Mensch unsterblich werden? Erkenntnisse der natur- und lebenswissenschaftlichen Forschung seit der Moderne haben ein neues Bewusstsein für Sterblichkeit und Vergänglichkeit geschaffen sowie Ideen über die Verlängerung des Lebens und physische Unsterblichkeit auf den Prüfstand gestellt. Wegweisende Befunde und Entwürfe slawischer Autoren reihen sich nicht nur in zeitgenössische und aktuelle Diskussionen ein, sondern haben auch eigene Visionen und Technologien mit kulturspezifischer Signatur hervorgebracht. In den Entwicklungen experimenteller Disziplinen, etwa der medizinischen Kybernetik, Robotik und Quantenphysik, erkannten sie Möglichkeiten zur Entgrenzung des Lebens. Heute sind diese Positionen und Suchbewegungen in der Immortologie programmatisch verankert. Von Porfiri Bachmetjew bis Dimitri Itzkow, von Maxim Gorki bis Borislav Pekic haben eine beeindruckende Reihe slawischsprachiger Forscher, Visionäre und Schriftsteller ihre einzigartige, ebensospekulative wie fruchtbare Perspektive auf das menschliche Leben und die Unsterblichkeit formuliert.
Autorenporträt
Tatjana Petzer ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin. 2012 war sie Mitherausgeberin eines Bandes zu Isidora Sekulic¿, für deren internationale Entdeckung sie sich einsetzt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ulrich Schmid liest die von Tatjana Petzer herausgegebene Anthologie mit Interesse. Wie sich Wissenschaftler, Unternehmer, Philosophen und Literaten aus Russland, Jugoslawien, Polen und Tschechien die Unsterblichkeit vorstell(t)en, vermitteln die Texte von Nikolaj Fjodorow, Wladimir Negowski, Alexander Jaroslawski, Dmitri Izkow oder Maxim Gorki für Schmidt auf eindrückliche Weise. Soll man die Toten konservieren, einfrieren, die Informationen aus ihren Hirnen übertragen, oder ist die Unsterblichkeit doch vor allem eines: sterbenslangweilig? Solche und ähnliche Fragen stellen sich die Autoren der Sammlung und mit ihnen der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2022

Die Körper können da nicht mithalten
Ein Band zeigt, wie slawische Autoren im vorigen Jahrhundert von der Aufhebung des Todes handelten

Ist es technisch möglich, Unsterblichkeit zu erlangen? Falls ja: Lohnt es sich überhaupt, ewig zu leben? Falls nein: Was gewinnen wir mit dem Tod? Das sind Fragen, die zahlreiche slawische Denker, Wissenschaftler und Autoren im zwanzigsten Jahrhundert umgetrieben haben. Die in Halle lehrende Slawistin Tatjana Petzer hat eine lesenswerte Anthologie mit Texten zur Unsterblichkeit aus Russland, Jugoslawien, Polen und Tschechien zusammengestellt. Als geistiger Vater des Unsterblichkeitsprojekts darf der russische Philosoph Nikolaj Fjodorow (1829 - 1903) gelten, der in seiner "Philosophie der gemeinsamen Werks" die Menschheit zum vereinten Kampf gegen den Tod und zur biotechnologischen Auferweckung der Verstorbenen aufrief. Fjodorow verstand sein Denken explizit als Weiterführung des christlichen Auferstehungsgedankens. Allerdings nimmt die Heilsgeschichte bei Fjodorow nicht einfach ihren eigengesetzlichen Lauf. Der Mensch muss vielmehr die ihm von Gott aufgegebene Auferweckung der Vorfahren ins "gemeinsame Werk" setzen - Fjodorow wählt hier bewusst die Übersetzung des griechischen Wortes für Gottesdienst "Liturgie".

Die Vorstellung, dass der Tod bereits in der nahen Zukunft wie eine Krankheit geheilt werden könne, beseelte auch die Bolschewiki nach der Oktoberrevolution. Der berühmteste konservierte Leichnam gehörte dem Revolutionsführer Lenin. Sein Gehirn wurde in einem eigenen Institut seziert. Später wurden auch die Gehirne führender Künstler, Wissenschaftler und Politiker untersucht. Allerdings konnten die Wissenschaftler keine physiologischen Merkmale des heranzuzüchtenden neuen Sowjetmenschen identifizieren. Vielversprechender waren die Versuche von Porfiri Bachmetjew (1860 -1913), Organismen durch Kühlung in einen Zustand der Anabiose zu versetzen und später wieder zum Leben zu erwecken. Bachmetjews Erkenntnisse wurden von Wladimir Negowski (1909 - 2003) weiterentwickelt. Er setzte Hypothermie bei klinischen Operationen ein.

Auch in der Literatur wurde die Idee des eingefrorenen Lebens verarbeitet. Boris Pilnjak (1894 - 1936) gestaltete in einer Erzählung den Selbstversuch eines Biochemikers, der sich tiefkühlen lässt. Alexander Jaroslawski (1896 - 1930) wollte in einem Poem sogar die Zeit einfrieren, um die Welt nach den Bedürfnissen der Revolution umzugestalten. Mittlerweile hat die Idee der Kryonisierung eine ökonomische Dimension gewonnen. Seit 2006 kann man in Russland seinen Körper oder in einer kostengünstigeren Variante sein Gehirn nach dem Tod einfrieren lassen, um in einer technologisch und medizinisch fortschrittlicheren Zukunft sein Leben zurückzugewinnen.

Der Neurophysiologe Wladimir Bechterew (1857 - 1927) war überzeugt, dass die Unsterblichkeit des Menschen bereits in einem gesellschaftlichen Sinne existiere. Er argumentierte, dass jede Persönlichkeit in einem beständigen Austausch mit allen anderen stehe. In dieser sozialen Energiezirkulation könne die schöpferische Potenz jedes Einzelnen nicht verloren gehen, sondern sei als individueller Beitrag in der allgemein menschlichen Kultur aufgehoben. In solchen Konzepten kündigt sich der Gedanke des sogenannten Mind-Uploads an. Der alternde Körper erscheint aus dieser Perspektive als nicht erhaltenswert. Gerettet werden muss hingegen das einzelne Bewusstsein. Der Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem (1921 - 2006) dachte 1957 über die Möglichkeit nach, den Informationsgehalt eines menschlichen Gehirns auf eine elektrische Prothese zu übertragen und so die Untersterblichkeit zwar nicht der Person, aber der Persönlichkeit zu garantieren. Der Schriftsteller Gennadi Gor (1907 - 1981) ersann 1963 einen Supercomputer, dessen Künstliche Intelligenz mit dem menschlichen Bewusstsein gekoppelt wird. Auf diese Weise könne der Mensch eine postorganische Identität annehmen, die ihm Reisen durch Zeit und Raum ermögliche. Der Unternehmer Dmitri Izkow (geb. 1980) denkt dieses Projekt in seiner "strategischen Sozialinitiative 2045" konsequent zu Ende. In schrittweisem Prozess will er das menschliche Hirn zunächst in einen Roboter verpflanzen und im Endstadium ganz auf materielle Repräsentation verzichten. Das Bewusstsein existiert dann nur noch in einem Avatar, der sich als Hologramm absolut frei bewegen kann.

Allerdings setzten sich nicht alle Wissenschaftler das Erreichen der Unsterblichkeit zum Ziel. Der Nobelpreisträger Ilja Metschnikow (1845 - 1916) begnügte sich mit der Vision eines langen, beschwerdefreien Lebens, das etwa 120 Jahre dauern könne. Er propagierte gesunde Ernährung und die Stärkung der Immunabwehr. Auf diese Weise wollte er das Ideal der "Orthobiose", der richtigen Lebensführung, erreichen. Nach einem glücklichen Alter erwartete Metschnikow eine Lebenssättigung, die sich in einen Todesinstinkt verwandle.

Maxim Gorki (1868 - 1936) griff Metschnikows Theorie auf und kündigte an, dass die Energie des Erdinneren zukünftig auf die lebendigen Organismen umgelenkt werde. In diesem allgemeinen Energieüberfluss könne man nicht nur das menschliche Leben verlängern, sondern auch den Weltfrieden erreichen. Die politischen Implikationen des Nachdenkens über Lebensverlängerung und Unsterblichkeit waren im atheistischen Sowjetstaat wichtig. Mit der Abschaffung des Jenseits musste sich das Diesseits zu einem Paradies auf Erden verwandeln, in dem der Mensch möglichst lang verweilen kann. Die persönliche Unsterblichkeit war allerdings kein Ziel der offiziellen kommunistischen Parteiideologie. Das Schicksal des einzelnen Menschen sollte sich nach einem erfüllten sozialistischen Leben im kollektiven Glück der Menschheit erfüllen.

Noch 1983 bezog sich der Philosoph Nikolaj Frolow (1929 - 1999) auf Metschnikow und zog der "langweiligen Unsterblichkeit" ein "aktives schöpferisches Alter" vor. Frolow stellte die kritische Frage, wozu denn der Mensch überhaupt unsterblich sein sollte, und verwies in seiner Antwort auf den drohenden Stillstand der gesellschaftlichen Entwicklung. Auf der persönlichen Ebene bezeichnete er die geschlechtliche Liebe als Kompensation für den Tod. Unsterblichkeit ist hier kein absoluter Wert, sondern Prüfstein des gelingenden Lebens, das auch ein Ende haben darf. ULRICH SCHMID

Tatjana Petzer (Hrsg.): "Unsterblichkeit". Slawische Variationen.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 496 S., geb., 38.- Euro.

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