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Lennard Salm ist fünfzig und als Künstler weltweit durchaus erfolgreich. Als seine älteste Schwester stirbt, kehrt er zurück nach Hamburg und in die Familie, der er immer entkommen wollte. So schnell wie möglich will er wieder zurück in sein eigenes Leben. Aber was ist das, das eigene Leben? Salms jüngere Schwester Bille verliert ihren Job, sein Vater nähert sich immer schneller der Hilflosigkeit. Einen funkelnden Winter lang entdeckt Salm, dass niemand jemals alleine ist. Er lernt seine Eltern und Geschwister neu kennen. Rolf Lappert erzählt vom Wunder der kleinen Dinge und von dem, ...
Lennard Salm ist fünfzig und als Künstler weltweit durchaus erfolgreich. Als seine älteste Schwester stirbt, kehrt er zurück nach Hamburg und in die Familie, der er immer entkommen wollte. So schnell wie möglich will er wieder zurück in sein eigenes Leben. Aber was ist das, das eigene Leben? Salms jüngere Schwester Bille verliert ihren Job, sein Vater nähert sich immer schneller der Hilflosigkeit. Einen funkelnden Winter lang entdeckt Salm, dass niemand jemals alleine ist. Er lernt seine Eltern und Geschwister neu kennen. Rolf Lappert erzählt vom Wunder der kleinen Dinge und von dem, was heute Familie bedeutet. Jedes Detail leuchtet in diesem zarten, großen Familienroman.
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Rolf Lappert wurde 1958 in Zürich geboren und lebt in der Schweiz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker, war später Mitbegründer eines Jazz-Clubs und arbeitete zwischen 1996 und 2004 als Drehbuchautor. Bei Hanser erschienen 2008 der mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnete Roman Nach Hause schwimmen, 2010 der Roman Auf den Inseln des letzten Lichts, 2012 der Jugendroman Pampa Blues, 2015 der Roman über den Winter sowie 2020 sein neuer Roman Leben ist ein unregelmäßiges Verb.
Produktdetails
- Verlag: Hanser
- Artikelnr. des Verlages: 505/24905
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 382
- Erscheinungstermin: 19. August 2015
- Deutsch
- Abmessung: 220mm x 150mm x 32mm
- Gewicht: 590g
- ISBN-13: 9783446249059
- ISBN-10: 3446249052
- Artikelnr.: 42715544
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
© BÜCHERmagazin, Margarete von Schwarzkopf (mvs)
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Nach Meinung von Rezensent Lars Weisbrod ist Rolf Lappert gescheitert mit seiner Kritik am Prinzip Selbstverwirklichung. Dem Rezensenten scheint allzu deutlich, worauf der Autor hinauswill mit seinem Buch über einen 50-jährigen Konzeptkünstler, der zurückkehrt zu seinem pflegebedürftigen Vater und damit zu familiärer Verantwortung und Abhängigkeit. Besonders stört sich Weisbrod daran, dass Lappert ständig eine mittlere Beschreibungsebene einnehme. Dadurch fehle ihm "sowohl der Sinn für Genauigkeit als auch der für das große Ganze", der Effekt sei zunehmende Ermüdung beim Leser. Zwar würdigt der Kritiker auch das wegen seiner "soziohistorischen Vogelperspektive" für ihn schönste Kapitel des Romans - doch letztlich nur, um zu bemängeln, dass man dem Protagonisten seine innere Leere an keiner Stelle so wirklich glauben könne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Von Männern für Männer
Rolf Lapperts Roman "Über den Winter"
Wer Rolf Lapperts drei nach seiner längeren Schaffenspause veröffentlichte Romane betrachtet, findet darin Variationen eines Motivs: der einsame Wolf, der doch ohne seine Familie nicht auskommt. So ergeht es Wilbur in "Nach Hause schwimmen" (2008), der bei seinen Großeltern in Irland erstmals eine Heimat findet. So irrlichtert auch der Protagonist Tobey "Auf den Inseln des letzten Lichts" (2010), um seine Schwester wiederzufinden. Seine Vollendung findet dieses Motiv nun in Lapperts aktuellem Roman "Über den Winter", der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht. Auch "Nach Hause schwimmen" schaffte es bis dorthin, wurde aber nicht
Rolf Lapperts Roman "Über den Winter"
Wer Rolf Lapperts drei nach seiner längeren Schaffenspause veröffentlichte Romane betrachtet, findet darin Variationen eines Motivs: der einsame Wolf, der doch ohne seine Familie nicht auskommt. So ergeht es Wilbur in "Nach Hause schwimmen" (2008), der bei seinen Großeltern in Irland erstmals eine Heimat findet. So irrlichtert auch der Protagonist Tobey "Auf den Inseln des letzten Lichts" (2010), um seine Schwester wiederzufinden. Seine Vollendung findet dieses Motiv nun in Lapperts aktuellem Roman "Über den Winter", der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht. Auch "Nach Hause schwimmen" schaffte es bis dorthin, wurde aber nicht
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ausgezeichnet.
"Über den Winter" ist nicht das stärkste Buch des 1958 geborenen Schweizers. Es ist übervoll mit stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit. Da fallen gleich zu Beginn Sätze wie aus einem drittklassigen Western: "Seine Uhr hatte er vor Wochen beim Kartenspiel verloren." Im Bahnhofsviertel droht dauernd eine Schlägerei, und wenn schon kein anderer zuschlägt, schlägt man sich doch lieber selbst mit den Fäusten ins Gesicht, weil man gerade wehleidig zu werden droht und bereits ein Schluchzen hörbar geworden ist. Rolf Lappert, so viel ist schon nach wenigen Seiten klar, schreibt Bücher der Kategorie "Von Männern für Männer". Oder für Frauen, die sich an ausgelutschten Darstellungen von Virilität noch erfreuen können.
Der einsame Wolf ist diesmal Lennard Salm, ein Künstler, der sich in Gesellschaftskritik übt: Erwähnt wird eine seiner Aktionen in einer Berliner Galerie, "wo er mit Hilfe eines Pferdes von einem nahezu zugefrorenen See Eisbrocken herbeischleppte, diese über dem Feuer eines lärmenden und stinkenden Ölbrenners zu Wasser schmelzen ließ und mit dem Dampf eine Turbine antrieb, deren Strom einen Kühlschrank dazu brachte, Eis zu produzieren". Sein Kunstbegriff trennt ihn von seiner Verwandtschaft, zumindest bildet er sich das ein. Also mäandert Salm allein durchs Leben. Zu Beginn des Romans ist er neunundvierzig Jahre alt und lebt im Ferienhaus seines Mäzens Wieland, mit dem ihm eine etwas einseitige Freundschaft verbindet. Das Haus liegt in einer Urlauberkolonie an der Mittelmeerküste, deren Villen Namen tragen wie "Dream of Dresden" und "Mannheim Mansion". Am Strand werden die Habseligkeiten ertrunkener Flüchtlinge angespült, die Salm sammelt und in ein Kunstwerk verwandeln will - unter Skrupeln zwar, aber dennoch.
Als ihn die Nachricht vom Tod seiner älteren Schwester erreicht, reist Salm zu seiner Familie nach Hamburg. Dort trifft er auf seine jüngeren Geschwister Paul und Bille, die sich als Streber und Hippiebraut umschreiben lassen, auf seinen gebrechlichen Vater und seine inzwischen in Malibu lebende, unnahbare Mutter. Diese Konstellation birgt jede Menge Sprengstoff - doch die Geschichte spielt in Norddeutschland: Da erträgt man einander zunächst stoisch, erst später gelingt immerhin eine gewisse Annäherung.
Nebenfiguren zu charakterisieren mit ein paar starken Strichen, an der Grenze zur Karikatur: Das beherrscht Rolf Lappert perfekt. So heißt es über kulturbeflissene Bekannte der Familie: "Nach Jahrzehnten der Gegenwehr erschöpft und verbittert geworden, begegneten sie dem Verfall der Kultur mit Dünkel, durch den sie sich aus der geistlosen Masse herausgehoben zu fühlen schienen wie Adelige in einer Sänfte." Salms Schwester wird zwar viel zu spät, aber irgendwann dann doch treffend beschrieben mit "ihren Vergangenheitsbewältigungen, ihren Simon-and-Garfunkel-Kassetten, ihren kandierten Ingwerstücken und mitternächtlichen Joints". Andererseits gibt es viele lieblos träge Sätze, die selbst ihr Stakkato nicht in Schwung bringt. Die Geschichte droht gelegentlich zu ersterben und wird von Lappert zweimal mit der Brechstange wiederbelebt: Erst schießt in dem Theater, in dem Bille arbeitet, ein Schauspieler beim Vorsprechen um sich. Später steht mitten in Hamburg plötzlich ein herrenloses Pferd im Hinterhof. So seltsam willkürlich tauchen die Dinge auf, dass auch ein Besuch von Marsianern bei der Testamentseröffnung in die Nähe des Vorstellbaren rückt.
Obwohl Salm schließlich zu seinem Vater zieht und wieder eine enge Bindung zu seiner Schwester aufbaut, ist "Über den Winter" alles andere als eine sentimentale Liebeserklärung an die Familie. Manche Risse lassen sich nicht kitten, andere wachsen so überraschend schnell wieder zu, dass es wirkt, als hätte es nie eine Differenz gegeben. Da lässt Lappert sich erzählerisch viel entgehen, denn das Verhältnis der Figuren zueinander entwickelt sich kaum. Zwischen einigen Glanzpunkten herrscht Ödnis. Fast zu harmonisch gleitet Salm wieder ins Familienleben hinein und fährt sich dort in aller Gemütlichkeit fest. Am Ende ändert er sein Leben, was völlig irrelevant wirkt: Der einsame Wolf streift künftig eben durch andere Gefilde.
JULIA BÄHR
Rolf Lappert: "Über den Winter". Roman.
Hanser Verlag, München 2015. 384 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Über den Winter" ist nicht das stärkste Buch des 1958 geborenen Schweizers. Es ist übervoll mit stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit. Da fallen gleich zu Beginn Sätze wie aus einem drittklassigen Western: "Seine Uhr hatte er vor Wochen beim Kartenspiel verloren." Im Bahnhofsviertel droht dauernd eine Schlägerei, und wenn schon kein anderer zuschlägt, schlägt man sich doch lieber selbst mit den Fäusten ins Gesicht, weil man gerade wehleidig zu werden droht und bereits ein Schluchzen hörbar geworden ist. Rolf Lappert, so viel ist schon nach wenigen Seiten klar, schreibt Bücher der Kategorie "Von Männern für Männer". Oder für Frauen, die sich an ausgelutschten Darstellungen von Virilität noch erfreuen können.
Der einsame Wolf ist diesmal Lennard Salm, ein Künstler, der sich in Gesellschaftskritik übt: Erwähnt wird eine seiner Aktionen in einer Berliner Galerie, "wo er mit Hilfe eines Pferdes von einem nahezu zugefrorenen See Eisbrocken herbeischleppte, diese über dem Feuer eines lärmenden und stinkenden Ölbrenners zu Wasser schmelzen ließ und mit dem Dampf eine Turbine antrieb, deren Strom einen Kühlschrank dazu brachte, Eis zu produzieren". Sein Kunstbegriff trennt ihn von seiner Verwandtschaft, zumindest bildet er sich das ein. Also mäandert Salm allein durchs Leben. Zu Beginn des Romans ist er neunundvierzig Jahre alt und lebt im Ferienhaus seines Mäzens Wieland, mit dem ihm eine etwas einseitige Freundschaft verbindet. Das Haus liegt in einer Urlauberkolonie an der Mittelmeerküste, deren Villen Namen tragen wie "Dream of Dresden" und "Mannheim Mansion". Am Strand werden die Habseligkeiten ertrunkener Flüchtlinge angespült, die Salm sammelt und in ein Kunstwerk verwandeln will - unter Skrupeln zwar, aber dennoch.
Als ihn die Nachricht vom Tod seiner älteren Schwester erreicht, reist Salm zu seiner Familie nach Hamburg. Dort trifft er auf seine jüngeren Geschwister Paul und Bille, die sich als Streber und Hippiebraut umschreiben lassen, auf seinen gebrechlichen Vater und seine inzwischen in Malibu lebende, unnahbare Mutter. Diese Konstellation birgt jede Menge Sprengstoff - doch die Geschichte spielt in Norddeutschland: Da erträgt man einander zunächst stoisch, erst später gelingt immerhin eine gewisse Annäherung.
Nebenfiguren zu charakterisieren mit ein paar starken Strichen, an der Grenze zur Karikatur: Das beherrscht Rolf Lappert perfekt. So heißt es über kulturbeflissene Bekannte der Familie: "Nach Jahrzehnten der Gegenwehr erschöpft und verbittert geworden, begegneten sie dem Verfall der Kultur mit Dünkel, durch den sie sich aus der geistlosen Masse herausgehoben zu fühlen schienen wie Adelige in einer Sänfte." Salms Schwester wird zwar viel zu spät, aber irgendwann dann doch treffend beschrieben mit "ihren Vergangenheitsbewältigungen, ihren Simon-and-Garfunkel-Kassetten, ihren kandierten Ingwerstücken und mitternächtlichen Joints". Andererseits gibt es viele lieblos träge Sätze, die selbst ihr Stakkato nicht in Schwung bringt. Die Geschichte droht gelegentlich zu ersterben und wird von Lappert zweimal mit der Brechstange wiederbelebt: Erst schießt in dem Theater, in dem Bille arbeitet, ein Schauspieler beim Vorsprechen um sich. Später steht mitten in Hamburg plötzlich ein herrenloses Pferd im Hinterhof. So seltsam willkürlich tauchen die Dinge auf, dass auch ein Besuch von Marsianern bei der Testamentseröffnung in die Nähe des Vorstellbaren rückt.
Obwohl Salm schließlich zu seinem Vater zieht und wieder eine enge Bindung zu seiner Schwester aufbaut, ist "Über den Winter" alles andere als eine sentimentale Liebeserklärung an die Familie. Manche Risse lassen sich nicht kitten, andere wachsen so überraschend schnell wieder zu, dass es wirkt, als hätte es nie eine Differenz gegeben. Da lässt Lappert sich erzählerisch viel entgehen, denn das Verhältnis der Figuren zueinander entwickelt sich kaum. Zwischen einigen Glanzpunkten herrscht Ödnis. Fast zu harmonisch gleitet Salm wieder ins Familienleben hinein und fährt sich dort in aller Gemütlichkeit fest. Am Ende ändert er sein Leben, was völlig irrelevant wirkt: Der einsame Wolf streift künftig eben durch andere Gefilde.
JULIA BÄHR
Rolf Lappert: "Über den Winter". Roman.
Hanser Verlag, München 2015. 384 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein schönes Buch, das von seiner melancholischen Grundstimmung und den vielen liebevoll gezeichneten Charakteren lebt." Jens Laloire, Weser Kurier, 25.10.15 "Rolf Lappert ist wieder ein äußerst atmosphärischer Roman mit überzeugenden Figuren gelungen." Mareike Ilsemann, WDR 5, 16.09.15 "Faszinierend, was er mit uns macht. Dass er uns an einen Ort versetzt, wo wir eigentlich nich hin wollen. ... Von Poesie durchdrungen, die mich sehr überzeugt." Christine Lötscher, SRF Literaturclub, 15.09.15 "Künstlerroman? Familienroman? Das Buch von Rolf Lappert ist beides. Es erzählt, wie sich ein Mann wandelt, zurückkehrt in die Familie und dort ein Zuhause findet - beeindruckend." Melanie Thun, NDR Kulturjournal, 07.09.15 "Rolf Lappert gelingt das fesselnde Porträt eines Mannes, der mit knapp 50 schließlich doch noch erwachsen wird." Heide Soltau, NDR Kultur, 01.09.15 "Ein sprachmächtiger Familienroman, der in seinem grandiosen Rückblenden und feinsinnigen, psychologisch austarierten Porträts an die Werke der grossen deutschen Erzähler des 19. Jahrhunderts erinnert. ... Ein wunderbar anrührender Roman." Sandra Leis, NZZ am Sonntag, 30.08.15 "Mit einer bildstarken Sprache zeichnet Rolf Lappert ein Bild der Gegenwart.. ... Rolf Lappert ist ein Seismograph der Gegenwart. Sein Familien- und Gesellschaftsroman zeichnet subtil die Vereinzelung in der Massengesellschaft nach." Guido Kalberer, Der Tages-Anzeiger, 25.08.15
Lennard Salm, ein nicht erfolgloser Konzeptkünstler (oder etwas in der Art), erhält die Nachricht, dass seine ältere Schwester gestorben ist. Er kehrt nach Hamburg zurück, wo sein pflegebedürftiger Vater und seine jüngere Schwester lebt. Sein Leben gerät aus dem …
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Lennard Salm, ein nicht erfolgloser Konzeptkünstler (oder etwas in der Art), erhält die Nachricht, dass seine ältere Schwester gestorben ist. Er kehrt nach Hamburg zurück, wo sein pflegebedürftiger Vater und seine jüngere Schwester lebt. Sein Leben gerät aus dem scheinbaren Gleichgewicht, in dem es sich die letzten Jahre befand und er ist sich nur bei einem sicher: dass er seinem Vater nahe sein möchte. All das, was sein Leben bisher bestimmte, die Kunst, Reisen, Ausstellungen, interessiert ihn nicht mehr. Doch was statt dessen sein soll, weiß er nicht.
Es ist kein ereignisreiches Buch. Man begleitet Salm während seiner Wintertage in Hamburg und erhält Einblick in seine Gedanken- und Gefühlswelt, wobei letztere eher wenig ausgeprägt ist. Ich empfand ihn als einen Menschen auf der Suche nach dem, was er wirklich will. Seine Vergangenheit war bis dahin mehr durch Zufälligkeiten geprägt, die ihn dahin und dorthin brachten, ohne dass wirkliche Entscheidungen zu treffen waren. Wie bei seinem verloren gegangenen Koffer, der durch die Welt reist und ihn erst am Ende des Buches wieder erreicht. Und auch jetzt ist es keine aktive Suche. Vielmehr ein Sichtreibenlassen ohne sich tatsächlich offen zu etwas bekennen zu müssen.
Vieles in diesem Roman hängt mehr miteinander zusammen als man auf den ersten Blick ahnt, zumindest habe ich es so wahrgenommen (siehe auch den verlorenen Koffer). Im Prolog befindet sich Lennard an einer nicht näher bezeichneten Küste im Süden Europas (?). Und im ersten Kapitel ist es auf den ersten drei Seiten völlig unklar, wo er sich befindet: Noch immer in dem unbekannten Land? Nun aber im Hotel? Erst in der Mitte auf Seite 50 wird deutlich, dass es sich um Hamburg handelt. Alles scheint austauschbar, nichts von Bestand - ganz so wie Lennards Leben.
Es ist eine langsame Entwicklung, die der Protagonist hier durchläuft und damit umso glaubwürdiger. Sein Erschrecken, dass auch Menschen in seiner unmittelbaren Nähe teils existentielle Probleme haben. Oder die unerwartete Freundlichkeit und das aufrichtige Interesse an seiner Person, die ihn zu deutlich überhöhten Trinkgeldern greifen lässt. Erlebnisse, die sein bisheriges Leben in Frage stellen, ohne dass er diese laut äussert.
Die Lektüre regte mich zum Nachdenken an: zum Einen über das Buch selbst, zum Andern über mich. Nicht das Schlechteste, was man über ein Buch sagen kann :-)
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Vom Gewinn beim Scheitern
Hochaktuell erscheint uns Rolf Lapperts neuer Roman «Über den Winter» gleich im Prolog, der mit dem letzten Kapitel eine lose Klammer bildet um die Handlung, eines verschwundenen Koffers wegen, aber das nur nebenbei. Das Thema Bootsflüchtlinge …
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Vom Gewinn beim Scheitern
Hochaktuell erscheint uns Rolf Lapperts neuer Roman «Über den Winter» gleich im Prolog, der mit dem letzten Kapitel eine lose Klammer bildet um die Handlung, eines verschwundenen Koffers wegen, aber das nur nebenbei. Das Thema Bootsflüchtlinge nämlich leitet den Plot ein, bleibt jedoch auf die Einleitung begrenzt. Meine anfängliche Vermutung, dass die Wahl dieses Romans unter die Finalisten des Deutschen Buchpreises 2015 dieser Thematik wegen erfolgt sein könnte, erwies sich somit als falsch. Auch in diesem Roman etabliert der Schweizer Schriftsteller einen typischen Antihelden, und man fragt sich unwillkürlich und auch ein wenig skeptisch, wo diese melancholische Prosa hinführen soll.
Lennard Salm, mäßig erfolgreicher, knapp fünfzigjähriger Objektkünstler mit illegalem Atelier in einem Abrisshaus in New York, sammelt am Strand des Mittelmeers Treibgut von gekenterten und ertrunkenen Bootsflüchtlingen für eine geplante neue Installation. Der plötzliche Tod seiner Schwester Helene jedoch zwingt ihn, nach Hamburg zu reisen, wo seine Familie wohnt, von der er sich seit Jahren entfremdet hat. Er scheut das Wiedersehen mit seinen Angehörigen, würde am liebsten zur Beerdigung nicht erscheinen. Der ewig zaudernde, völlig irrational handelnde Protagonist verkörpert den Prototyp des gescheiterten Künstlers, seine Kreativität ist auf den Nullpunkt gesunken, was dazu führt, dass er seinem Manager und Mäzen schließlich das Ende seiner künstlerischen Tätigkeit verkündet. Wovon er denn leben wolle, fragt der belustigt, Lennard verweist auf seine Ersparnisse, mit denen er bescheiden zwei bis drei Jahre leben könne. Auf die Frage: Und dann? weiß er keine Antwort.
In einer Art Gegenentwicklung zu seinem Niedergang als Künstler erwickelt der introvertierte, lethargische Antiheld allmählich empathische Züge, nähert sich sehr langsam seinen Angehörigen, die wie er in prekären Verhältnissen leben. Der Vater verarmt und fast erblindet, als Pflegefall von einer Polin betreut, die unkonventionelle Schwester Billie, die in seinem Beisein ihren Job als Regieassistentin verliert, von einer selbstbetriebenen Suppenküche faselt. Er lernt die anderen Mieter im Haus des Vaters kennen, kommt einer Mitbewohnerin und ihrem chaotischen Sohn näher, kümmert sich mit ihm zusammen schließlich um ein ausgemergeltes, herrenloses Pferd. Trotz aller deprimierenden Umstände, in denen Lapperts diverse Figuren leben, strahlt seine im Grunde traurige Geschichte allmählich doch Zuversicht aus, entsteht zaghaft menschliche Nähe, wächst das Verständnis füreinander.
Der Klappentext spricht von einem Familienroman, mir waren viele der anderen Figuren, die der Autor so überaus subtil beschreibt, ebenso wichtig. Berührend menschlich zum Beispiel fand ich eine Szene mit einem türkischen Schneider, bei dem Lennard gleich zu Beginn seinen schwarzen Anzug für die Beerdigung kauft, aber auch seine Begegnungen mit Hotelportiers, Taxifahrern, dem Bauern, bei dem er Heu und Stroh für das Pferd kauft oder dem durchgeknallten Schauspieler, der beim Vorsprechen für eine Rolle ausrastet und um sich schießt. All dies wird in einer leicht lesbaren, klaren Sprache einsträngig erzählt, wobei sich der Autor viel Zeit lässt, seine Szenen wunderbar anschaulich zu beschreiben. Die immer wieder thematisierte klirrende Kälte dieses Winters überstrahlt metaphorisch das gesamte Geschehen. Und auch wenn der traurige Held überzeichnet erscheint in seiner Weltfremdheit und seine Metamorphose vom Künstler zum Familienmenschen etwas unglaubwürdig, so ist die Wirkung auf den Leser im Verlaufe seiner Lektüre gleichwohl angenehm berührend in ihrer allmählich erfreulicheren emotionalen Entwicklung. Das alles ist gekonnt erdacht und in Szene gesetzt, ein nachdenklich machender Roman vom Scheitern also, von den nicht geglückten Lebensläufen, lesenswert mithin, wenn man auf die subtilen Zwischentöne zu achten gewillt ist - und die erforderliche Geduld mitbringt.
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