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Andra Schwarz' zweiter Gedichtband TULPA entfaltet in dicht komponierten Zyklen eine unheimliche Bildwelt, düster und verstörend, immer dem Alb nah und dem Mond, der das Alter Ego des lyrischen Ichs umkreist. Ob als imaginärer Elefant, Zwilling, Misch- oder Unwesen spielt es mit wechselnden Figuren, Bezügen und Perspektiven. Die Gedichte folgen einer dunklen Stimme, die sich wie ein Parasit in die Verse frisst, auf- und wieder untertaucht, Fallen stellt und so ein undurchsichtiges Schattenspiel entwirft. - "Das Trugbild bewegt sich im Schatten der Gefühle, wacht im toten Winkel, blitzt mit dem…mehr

Produktbeschreibung
Andra Schwarz' zweiter Gedichtband TULPA entfaltet in dicht komponierten Zyklen eine unheimliche Bildwelt, düster und verstörend, immer dem Alb nah und dem Mond, der das Alter Ego des lyrischen Ichs umkreist. Ob als imaginärer Elefant, Zwilling, Misch- oder Unwesen spielt es mit wechselnden Figuren, Bezügen und Perspektiven. Die Gedichte folgen einer dunklen Stimme, die sich wie ein Parasit in die Verse frisst, auf- und wieder untertaucht, Fallen stellt und so ein undurchsichtiges Schattenspiel entwirft. - "Das Trugbild bewegt sich im Schatten der Gefühle, wacht im toten Winkel, blitzt mit dem Glasauge, vergeht als Schauer im Rücken, kehrt wieder in falschen Federn, bis es das Ich heimlich verschlingt."
Autorenporträt
Andra Schwarz wurde 1982 in der Oberlausitz geboren und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für ihre Gedichte erhielt sie 2015 den Lyrikpreis beim 23. open mike und 2017 den Leonce-und-Lena-Preis. Sie debütierte mit dem Band "Am morgen sind wir aus glas" (poetenladen Verlag 2017). Die Übersetzung ins Englische "In the morning we are glass" von Caroline Wilcox Reul erschien 2021 bei Zephyr Press in den USA. TULPA ist ihr zweiter Gedichtband.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2023

Willkommen in der Blackbox
Andra Schwarz schreibt mit "Tulpa" einen Gedichtband aus dem Geist der Finsternis

Diese Gedichte von Andra Schwarz führen in dunkle Gefilde, in Phasen und Räume der Depression und Angst. "Wenn es dunkel wird" lautet der Titel des abschließenden Zyklus, als wäre es zuvor in diesem Band einmal hell gewesen. Hoffnungsschimmer sendet einzig die Schönheit der Verse und Worte aus.

Bleiben wir für einen Moment beim finalen Zyklus: In eindrücklicher Weise schildern die sieben Neunzeiler, wie sich die Untiefen einer Depression nicht nur auf den Erkrankten auswirken, sondern auch aufs Leben des Gegenübers übergreifen, als würden sie Welle für Welle in dessen Existenz eindringen. Zuerst heißt es noch aus der vermeintlich sicheren Distanz des Beobachters: "Ich sehe ihn im bett: sein gemüt wenn er trauert / augen schwarz wie das meer verloren am grund". Um im zweiten Gedicht schon selbst Auge in Auge mit der Gefahr zu stehen: "sein auge eine falle in die ich tappe / arglistig trinkt meinen brunnen leer will auch / meine perlen". Bevor sie zuletzt sich selbst und den anderen, es ist eine arge List, aus dem Schutzraum des eigenen Schlafzimmers in eine bedrohliche Offenheit entgleiten lässt: "ohne schutz in tiefere wälder / da wo es dunkel wird ich nicht mehr bin".

Zwei Vektoren der Betroffenheit entwirft dieser Band. Zum einen, wie die Präsenz des anderen zur Bedrohung wird. Zum anderen - und dafür steht der titelgebende Begriff "Tulpa" -, wie die eigenen Vorstellungen eine solche Plastizität erhalten, dass sie sich zu leibhaftigen Wesen auswachsen. Hier gilt, was bereits für die Lyrik der klassischen Moderne verbindlich war: Auch die geglückten Verse entfalten ihre Kraft aus dem Verfall. Optimismus? Jugendfrische? Aufgebraucht, bevor sie auch nur begannen. Das Lyrische ist der Trauer und Depression, dem Aushalten der Verwundbarkeit, verhaftet. Ob einem das gefällt oder nicht, Andra Schwarz buchstabiert auf diese Weise die Signatur einer aktuell überaus virulenten Gefühlswelt aus.

Denn auch das gehört zu den Grundfiguren dieses Bandes: Die Lyrik versteht sich als eine gemachte. Die aus dem Material der Worte eindringliche Emotionsfiguren zu gestalten versteht. Andra Schwarz schreckt in ihrem zweiten Gedichtband noch nicht einmal davor zurück, den eigenen Namen mit in diese Inszenierung der Dunkelheit einzubringen. Gleich zu Beginn heißt es wehmütig: "und ich, ach so schwarz".

"Blackbox" heißen Prosagedichte im englischsprachigen Raum. Dort haben sie eine große Tradition. Im Deutschen sind sie immer noch selten. Schwarz versteht nun die offene Form der lyrischen Prosa mit den dunklen Gefühlen und Vorstellungen kurzzuschließen. Sie entwirft eine Welt der "Schlupfwinkel", "toten Winkel", "Schamwinkel", "Dunkelkammern" und "Hirngespinste", die keinen unberührt lassen, der sich auf diese Poesie der Nacht einlassen wird. Und wo der Ausweg ins Offene gelingt, wartet eine neuerliche Bedrohung. So führt sie den sprichwörtlichen Elefanten im Raum, über den keiner ein Wort verlieren will, obwohl ihn niemand übersehen kann, in sprachliche Gestalt über: Mit dem Zyklus "Der Elefant im Raum" setzt Andra Schwarz ein, um direkt auf ein Minenfeld zu führen: "Er kommt mir nach, steht auf einem Minenfeld im Gras / und ich haarscharf daneben, zähle Halme zwischen Zehen."

Acht Zyklen umfasst der Band. Wobei der kulturelle Resonanzraum dieser Gedichte durch Mottos von Sylvia Plath über Ingeborg Bachmanns "Malina" bis hin zu David Lynchs "Twin Peaks" pointiert gesetzt wird. Heißt es bei Lynch noch, dass die Eulen nie sind, was sie zu sein scheinen, so tun sie bei Schwarz exakt, was sie zu tun haben: tief in das Dickicht der Dunkelheit hineinführen, dort wo das Paranormale in die vermeintliche Realität überzugehen scheint. Kein Wunder also, dass Lynchs angsteinflößender Dämon des Bösen aus dieser Serie, Bob, gleich mehrere Auftritte bei Andra Schwarz erhält. "Finde bob im schrank oder im bett sein geheimversteck", heißt es, bevor sich plötzlich "bob im kaleidoskop" ausmachen lässt, um kurz darauf zu konstatieren: "Er erscheint wann er will: mal als weiser mann, dann als heimlicher tyrann, bald als unschuldiges kind".

Bob ist nur eines der Wesen, die den Gefühls- und Affekthaushalt bestimmen. Tierischen Gestalten schreibt Schwarz dieselbe Macht zu: "ich werde vom fremden summen regiert / eifrige honigbienen greifen dich an / ein schwärmen an sieben tagen". Oder das Begehren "kehrt zurück in gestalt einer hündin, / hüterin der angst". Ein Panoptikum des Grauens mit großer Phantasie und wissenshistorischem Raffinement vervielfältigt. Auswege scheint es nicht zu geben. Und so bleibt einer der Verse, die immer wiederkehren, die Frage danach, was man in diesem Moment denn benötigen könnte: "brauch Infrarot-Tiefenwärme", heißt es an einer Stelle. An einer anderen: "brauche eine zahl, die sich multipliziert", um dann herbeizusehnen, was doch zum Bildfeld der Bedrohung gehört - "brauche krafttiere".

In ihren stärksten Momenten generiert Schwarz Bildwelten, deren Struktur sich in ihren kunstvoll erzeugten Widersprüchen kaum ausbalancieren lassen: wenn sie im Gegenüber zuerst "ein ertrinkendes Tier / das in ihm kauert", ausmacht, bevor dieses im nächsten Augenblick "seltsame fische goldene fischeier ins dunkel" spucken lässt. Steckt also ein Fisch im Fischeier-Spuckenden? Wie aber sollte ausgerechnet ein Fisch ertrinken können? Solche Inszenierung des Widersprüchlichen gilt es, im steten Wandel der Dunkelheiten auszuhalten, in diesem bemerkenswerten Gedichtband. CHRISTIAN METZ

Andra Schwarz: "Tulpa". Gedichte.

Poetenladen Verlag, Leipzig 2023.

80 S., geb., 19,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Gleich zwei neue Lyrikveröffentlichungen der aus dem Sorbischen stammenden Dichterin Andra Schwarz darf Rezensent Helmut Böttiger auf sich wirken lassen: Sowohl "Tulpa" mit acht Gedichtzyklen als auch das kleine Bändchen "Meteor" entführen ihn in eine Welt der Düsternis, in eine bedrückende, als dezidiert osteuropäisch markierte Erfahrung von Abgründigkeit und Mystik. Die zum Teil von Ingeborg Bachmann, Sylvia Plath und David Lynch inspirierten Gedichte lassen Böttiger eine Bedrohung erkennen, der sich diese Dichterin, so der bewundernde Rezensent, ins Auge blickt.

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