Eva Menasse
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Tiere für Fortgeschrittene
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Raupen, die sich ihr eigenes Grab schaufeln, Haie, die künstlich beatmet werden, Enten, die noch im Schlaf nach Fressfeinden Ausschau halten, Schafe, die ihre Wolle von selbst abwerfen. Jede von Eva Menasses Erzählungen geht von einer kuriosen Tiermeldung aus und widmet sich doch ganz der Gattung Mensch.Ein alter Despot, der sich gegen jede Veränderung wehrt, kann nicht verhindern, dass die Demenz seiner Frau auch die eigene Vergangenheit löscht. Einer engagierten Mutter, die ein muslimisches Kind gegen Anfeindungen in Schutz nimmt, verschwimmen schließlich selbst die Grenzen zwischen Gut...
Raupen, die sich ihr eigenes Grab schaufeln, Haie, die künstlich beatmet werden, Enten, die noch im Schlaf nach Fressfeinden Ausschau halten, Schafe, die ihre Wolle von selbst abwerfen. Jede von Eva Menasses Erzählungen geht von einer kuriosen Tiermeldung aus und widmet sich doch ganz der Gattung Mensch.
Ein alter Despot, der sich gegen jede Veränderung wehrt, kann nicht verhindern, dass die Demenz seiner Frau auch die eigene Vergangenheit löscht. Einer engagierten Mutter, die ein muslimisches Kind gegen Anfeindungen in Schutz nimmt, verschwimmen schließlich selbst die Grenzen zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch.
Die vielfach ausgezeichnete Autorin studiert ihre Objekte mit einem liebevollen und unerbittlichen Forscherinnenblick und erzählt in einer wunderbaren Mischung aus pointiertem Witz, Geheimnis und melancholischem Ernst.
Ein alter Despot, der sich gegen jede Veränderung wehrt, kann nicht verhindern, dass die Demenz seiner Frau auch die eigene Vergangenheit löscht. Einer engagierten Mutter, die ein muslimisches Kind gegen Anfeindungen in Schutz nimmt, verschwimmen schließlich selbst die Grenzen zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch.
Die vielfach ausgezeichnete Autorin studiert ihre Objekte mit einem liebevollen und unerbittlichen Forscherinnenblick und erzählt in einer wunderbaren Mischung aus pointiertem Witz, Geheimnis und melancholischem Ernst.
Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin und debütierte im Jahr 2005 mit dem Familienroman 'Vienna'. Es folgten Romane und Erzählungen, die vielfach ausgezeichnet und übersetzt wurden. Zu den Preisen zählen u.a.: Heinrich-Böll-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis, Jonathan-Swift-Preis, Österreichischer Buchpreis, Mainzer Stadtschreiber-Preis und das Villa-Massimo-Stipendium in Rom. Eva Menasse betätigt sich zunehmend auch als Essayistin und erhielt dafür 2019 den Ludwig-Börne-Preis. Seit 2022 ist sie Sprecherin des PEN Berlin. Sie lebt in Berlin.

© Ekko von Schwichow
Produktdetails
- btb 71662
- Verlag: btb
- Artikelnr. des Verlages: 69404915
- Seitenzahl: 320
- Erscheinungstermin: 8. Oktober 2018
- Deutsch
- Abmessung: 185mm x 119mm x 27mm
- Gewicht: 296g
- ISBN-13: 9783442716623
- ISBN-10: 3442716624
- Artikelnr.: 52389811
Herstellerkennzeichnung
btb Taschenbuch
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
»Keine Theorie, echtes Leben. Mal anrührend, mal mit bösem Witz, immer in hinreißender Sprache erzählt. Großartig.« taz, zeozwei Magazin
Aufstand in der Villa Massimo
Fürsorge? Dominanz? In ihren neuen Erzählungen "Tiere für Fortgeschrittene" lotet Eva Menasse familiäre Untiefen aus.
Ist das nun Fluch oder Segen? "In letzter Zeit kann man sich auf überhaupt nichts mehr einigen", beklagt sich die Gastgeberin, als im Freundeskreis die alten Gewissheiten bröckeln: Sollen Berichte über Verbrechen auch die Nationalität der Täter enthalten, oder ist das, wie einer meint, rassistisch und bedient Vorurteile? Lenkt die Diskussion um kriminelle libanesische Clans von den deutschen "Wirtschaftskriminellen und Steuerhinterziehern" ab? Ist die Kontroverse ein Zeichen, wie ein Gast meint, dass es "unter uns auch immer rechter" wird? Oder kann man, wie Nora, froh
Fürsorge? Dominanz? In ihren neuen Erzählungen "Tiere für Fortgeschrittene" lotet Eva Menasse familiäre Untiefen aus.
Ist das nun Fluch oder Segen? "In letzter Zeit kann man sich auf überhaupt nichts mehr einigen", beklagt sich die Gastgeberin, als im Freundeskreis die alten Gewissheiten bröckeln: Sollen Berichte über Verbrechen auch die Nationalität der Täter enthalten, oder ist das, wie einer meint, rassistisch und bedient Vorurteile? Lenkt die Diskussion um kriminelle libanesische Clans von den deutschen "Wirtschaftskriminellen und Steuerhinterziehern" ab? Ist die Kontroverse ein Zeichen, wie ein Gast meint, dass es "unter uns auch immer rechter" wird? Oder kann man, wie Nora, froh
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sein, dass es in den Gesprächen "ausnahmsweise um etwas geht"?
Für sie ist das keine abstrakte Diskussion, denn ihre Tochter Clara ist gerade eingeschult worden, gleich am allerersten Tag hat der kleine Frederic ihr gesagt, dass er sie heiraten will, es kommt in der Klasse zu Streit und Destruktion, und Frederic wird unter den Eltern als Unruhestifter ausgemacht. Sein Vater kommt aus dem Libanon und ist offenbar reich, zudem trägt er den Namen eines Clans, dem kriminelle Geschäfte nachgesagt werden, und spätestens nach einem weiteren Gespräch mit Freunden ist sich Claras Mutter keineswegs mehr sicher, wie sie sich zu den Ereignissen verhalten soll. Zu denken gibt ihr, was der Biologe Gustav über das organisierte Verbrechen sagt und wie schwer es wegen der vielen beteiligten Clanmitglieder und ihren unterschiedlichen Aufgaben im Dienst eines gemeinsamen kriminellen Ziels zu bekämpfen sei - "ihr schien, er denke von den Termiten her."
Die Frage, ob das ein sinnvoller Ansatz ist und wohin er letztlich führt, gibt Eva Menasses gerade erschienenem Erzählungsband die äußere Struktur. Er heißt "Tiere für Fortgeschrittene", seine Kapitel tragen Überschriften wie "Raupen", "Schafe", "Schlangen" oder, wie Noras Geschichte, "Haie", und jedem dieser acht Texte ist eine kleine Wissenschaftsmeldung vorangestellt, die von Tieren handelt. Sie erzählen von Enten, die noch im Schlaf ein Auge wachsam offen halten können, von einem Mann, der ein überfahrenes Opossum per Mund-zu-Mund-Beatmung retten will, oder von Schmetterlingen, die sich an Krokodilstränen laben.
In welchem Zusammenhang sie mit den dann folgenden literarischen Texten jeweils stehen, wechselt von Mal zu Mal, ein enggeführtes und allegorisch eindeutiges Bestiarium nach mittelalterlichem Vorbild strebt Menasse glücklicherweise nicht an. Statt dessen leitet das Tränentrinken eine Erzählung ein, in der eine Patchworkfamilie in den Urlaub fährt und unter den Bösartigkeiten der zu Hause gebliebenen Ex-Frau des Mannes leidet, die sich also buchstäblich am Kummer der Familie nährt.
Andere Erzählungen nehmen das Motiv der vorangestellten Nachricht sehr viel direkter auf: Dem totgefahrenen Opossum folgt in der in Deutschland spielenden Geschichte ein Reh, das zum Verkehrsopfer wird, aber auch zum deutlich markierten Symbol für das Verhalten des Protagonisten Charlie Reincke: So wie er zwischen zwei Frauen lebt, so wollte auch das Reh Wildwechsel betreiben, der auf der Straße zwischen den beiden Revieren sein Ende fand. Noch direkter ist die Verbindung zwischen Nachricht und Text in "Igel", denn die Todesfalle, die weggeworfene Eisbecher für Igel werden können, spielt auch in der Erzählung eine Rolle. Nicht immer leuchten diese Verknüpfungen ein, und schwerer wiegt, dass die Erzählungen sie nicht einmal benötigen. Das gilt etwa für "Raupen", ein Kabinettstück aus jener Hölle, die Familie eben auch bedeuten kann, wenn die Machtverhältnisse allzu ungleich verteilt und zudem über die Jahrzehnte statisch sind, allem Größer- und Älterwerden zum Trotz. Dabei gelingt es Menasse, aus der Perspektive eines alten Mannes und Pflegers seiner demenzkranken Frau so zu erzählen, dass die wahnhaften mit den scharfsichtigen Zügen eine enge, mitunter schwer auseinanderzuhaltende Verbindung eingehen und sein Verhalten je nach Beleuchtung als Fürsorge, Kontrolle und Despotie erscheint.
Wer da erzählt, wechselt von Geschichte zu Geschichte, ein Ich-Erzähler ist darunter, der aus einer Künstlerkolonie in Rom berichtet - Eva Menasse war vor knapp zwei Jahren Stipendiatin der Villa Massimo - und wie aus der Lethargie und Irritation der dort Eingeladenen schließlich eine Revolte mit kümmerlichem Ergebnis wird. Die zugehörige Meldung erzählt von Schafen, die explizit ohne Wolle gezüchtet werden, und auch von den Bewohnern des Künstlerhauses scheint man kein konkretes Ergebnis des Aufenthalts zu erwarten.
Dass der Ich-Erzähler in "Schafe" das passende rhetorische Mittel ist, erschließt sich sofort, während man in anderen Geschichten rätselt: Warum liegt so viel ausgestellte Distanz in der Stimme des "Igel"-Erzählers, warum die fast altfränkischen Elemente der Sprache, warum die Pointenseligkeit mancher Passagen, die dem sonst oft souveränen Ton entgegenstehen, zumal sie dann die Figuren in eine Nähe zum Klischee bringen, die ihnen nicht angemessen ist. Da ist etwa die sinnsuchende Gattin eines reichen Mannes, die einen Restaurator alter Häuser kennenlernt: "Er war jemand, der etwas mit seinen Händen schuf. Sie konnte bloß Zigaretten drehen", heißt es. Wenig später fährt sie riskant Auto, wobei sie "ihren Schutzengel bis an die Grenze der Taktlosigkeit herausforderte" und dergleichen mehr.
Auf der Habenseite des Bandes aber stehen die Miniaturen familiärer Verstrickungen, der Abhängigkeiten zwischen den Generationen und innerhalb der Paare, des schwankenden Bodens, den man betritt, wenn man sich an einen anderen bindet, von dem man nicht weiß, wie lange und wie ernsthaft er diese Bereitschaft erwidern wird.
Immer wieder lässt Menasse hinter den Beteuerungen der Beteiligten eine andere Perspektive aufleuchten, am unheimlichsten dort, wo es um Abwesende geht, Gestorbene, Verlassene, Geflohene. Ihre Stimmen sind anfangs stumm, später werden sie vernehmlich, in einem Halbsatz der Anwesenden, in einem flüchtigen Gedanken oder aber, wie in "Schlangen", in einem jähen Ausbruch eines betrogenen Ehemanns, der im schroffen Kontrast zu der Opferrolle steht, die er zuvor eingenommen hatte und der doch wieder nur eine weitere Variante des Geschehens darstellt.
Immerhin ringt er sich dazu durch. Die zweifelnde Mutter in "Haie" dagegen macht den Mund erst auf, als es zu spät ist, als der vermeintliche Unruhestifter Frederic bereits die Schule gewechselt hat und all die liberalen Eltern aufatmen. Ob ihre Tochter Clara tatsächlich, wie Frederic einmal sagte, das Mädchen sei, das ihn am schlimmsten quäle, wird nun nicht mehr herauszufinden sein. Indem die Autorin ihre Geschichte auf diesen Befund hinsteuert, zeigt sie den Preis der Termiten-Metapher auf. Für beide Seiten.
TILMAN SPRECKELSEN
Eva Menasse:
"Tiere für Fortgeschrittene". Erzählungen.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017. 320 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für sie ist das keine abstrakte Diskussion, denn ihre Tochter Clara ist gerade eingeschult worden, gleich am allerersten Tag hat der kleine Frederic ihr gesagt, dass er sie heiraten will, es kommt in der Klasse zu Streit und Destruktion, und Frederic wird unter den Eltern als Unruhestifter ausgemacht. Sein Vater kommt aus dem Libanon und ist offenbar reich, zudem trägt er den Namen eines Clans, dem kriminelle Geschäfte nachgesagt werden, und spätestens nach einem weiteren Gespräch mit Freunden ist sich Claras Mutter keineswegs mehr sicher, wie sie sich zu den Ereignissen verhalten soll. Zu denken gibt ihr, was der Biologe Gustav über das organisierte Verbrechen sagt und wie schwer es wegen der vielen beteiligten Clanmitglieder und ihren unterschiedlichen Aufgaben im Dienst eines gemeinsamen kriminellen Ziels zu bekämpfen sei - "ihr schien, er denke von den Termiten her."
Die Frage, ob das ein sinnvoller Ansatz ist und wohin er letztlich führt, gibt Eva Menasses gerade erschienenem Erzählungsband die äußere Struktur. Er heißt "Tiere für Fortgeschrittene", seine Kapitel tragen Überschriften wie "Raupen", "Schafe", "Schlangen" oder, wie Noras Geschichte, "Haie", und jedem dieser acht Texte ist eine kleine Wissenschaftsmeldung vorangestellt, die von Tieren handelt. Sie erzählen von Enten, die noch im Schlaf ein Auge wachsam offen halten können, von einem Mann, der ein überfahrenes Opossum per Mund-zu-Mund-Beatmung retten will, oder von Schmetterlingen, die sich an Krokodilstränen laben.
In welchem Zusammenhang sie mit den dann folgenden literarischen Texten jeweils stehen, wechselt von Mal zu Mal, ein enggeführtes und allegorisch eindeutiges Bestiarium nach mittelalterlichem Vorbild strebt Menasse glücklicherweise nicht an. Statt dessen leitet das Tränentrinken eine Erzählung ein, in der eine Patchworkfamilie in den Urlaub fährt und unter den Bösartigkeiten der zu Hause gebliebenen Ex-Frau des Mannes leidet, die sich also buchstäblich am Kummer der Familie nährt.
Andere Erzählungen nehmen das Motiv der vorangestellten Nachricht sehr viel direkter auf: Dem totgefahrenen Opossum folgt in der in Deutschland spielenden Geschichte ein Reh, das zum Verkehrsopfer wird, aber auch zum deutlich markierten Symbol für das Verhalten des Protagonisten Charlie Reincke: So wie er zwischen zwei Frauen lebt, so wollte auch das Reh Wildwechsel betreiben, der auf der Straße zwischen den beiden Revieren sein Ende fand. Noch direkter ist die Verbindung zwischen Nachricht und Text in "Igel", denn die Todesfalle, die weggeworfene Eisbecher für Igel werden können, spielt auch in der Erzählung eine Rolle. Nicht immer leuchten diese Verknüpfungen ein, und schwerer wiegt, dass die Erzählungen sie nicht einmal benötigen. Das gilt etwa für "Raupen", ein Kabinettstück aus jener Hölle, die Familie eben auch bedeuten kann, wenn die Machtverhältnisse allzu ungleich verteilt und zudem über die Jahrzehnte statisch sind, allem Größer- und Älterwerden zum Trotz. Dabei gelingt es Menasse, aus der Perspektive eines alten Mannes und Pflegers seiner demenzkranken Frau so zu erzählen, dass die wahnhaften mit den scharfsichtigen Zügen eine enge, mitunter schwer auseinanderzuhaltende Verbindung eingehen und sein Verhalten je nach Beleuchtung als Fürsorge, Kontrolle und Despotie erscheint.
Wer da erzählt, wechselt von Geschichte zu Geschichte, ein Ich-Erzähler ist darunter, der aus einer Künstlerkolonie in Rom berichtet - Eva Menasse war vor knapp zwei Jahren Stipendiatin der Villa Massimo - und wie aus der Lethargie und Irritation der dort Eingeladenen schließlich eine Revolte mit kümmerlichem Ergebnis wird. Die zugehörige Meldung erzählt von Schafen, die explizit ohne Wolle gezüchtet werden, und auch von den Bewohnern des Künstlerhauses scheint man kein konkretes Ergebnis des Aufenthalts zu erwarten.
Dass der Ich-Erzähler in "Schafe" das passende rhetorische Mittel ist, erschließt sich sofort, während man in anderen Geschichten rätselt: Warum liegt so viel ausgestellte Distanz in der Stimme des "Igel"-Erzählers, warum die fast altfränkischen Elemente der Sprache, warum die Pointenseligkeit mancher Passagen, die dem sonst oft souveränen Ton entgegenstehen, zumal sie dann die Figuren in eine Nähe zum Klischee bringen, die ihnen nicht angemessen ist. Da ist etwa die sinnsuchende Gattin eines reichen Mannes, die einen Restaurator alter Häuser kennenlernt: "Er war jemand, der etwas mit seinen Händen schuf. Sie konnte bloß Zigaretten drehen", heißt es. Wenig später fährt sie riskant Auto, wobei sie "ihren Schutzengel bis an die Grenze der Taktlosigkeit herausforderte" und dergleichen mehr.
Auf der Habenseite des Bandes aber stehen die Miniaturen familiärer Verstrickungen, der Abhängigkeiten zwischen den Generationen und innerhalb der Paare, des schwankenden Bodens, den man betritt, wenn man sich an einen anderen bindet, von dem man nicht weiß, wie lange und wie ernsthaft er diese Bereitschaft erwidern wird.
Immer wieder lässt Menasse hinter den Beteuerungen der Beteiligten eine andere Perspektive aufleuchten, am unheimlichsten dort, wo es um Abwesende geht, Gestorbene, Verlassene, Geflohene. Ihre Stimmen sind anfangs stumm, später werden sie vernehmlich, in einem Halbsatz der Anwesenden, in einem flüchtigen Gedanken oder aber, wie in "Schlangen", in einem jähen Ausbruch eines betrogenen Ehemanns, der im schroffen Kontrast zu der Opferrolle steht, die er zuvor eingenommen hatte und der doch wieder nur eine weitere Variante des Geschehens darstellt.
Immerhin ringt er sich dazu durch. Die zweifelnde Mutter in "Haie" dagegen macht den Mund erst auf, als es zu spät ist, als der vermeintliche Unruhestifter Frederic bereits die Schule gewechselt hat und all die liberalen Eltern aufatmen. Ob ihre Tochter Clara tatsächlich, wie Frederic einmal sagte, das Mädchen sei, das ihn am schlimmsten quäle, wird nun nicht mehr herauszufinden sein. Indem die Autorin ihre Geschichte auf diesen Befund hinsteuert, zeigt sie den Preis der Termiten-Metapher auf. Für beide Seiten.
TILMAN SPRECKELSEN
Eva Menasse:
"Tiere für Fortgeschrittene". Erzählungen.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017. 320 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Die Tiermetaphern, die Eva Menasse ihren hier versammelten acht Erzählungen vorangestellt hat, ächzen schon ein wenig, meint Katharina Granzin. Abgesehen von solchen Manierismen überzeugt die Autorin aber mit ihrem "naturwissenschaftlichen" Blick auf die Spezies Mensch, fährt die Rezensentin fort, die hier in einen "Kosmos von Monaden" eintaucht und erlebt, wie zerbrechlich menschliche Beziehungen sein können. Wie Menasse ihre einzelnen Erzählungen durch das Grundgefühl der Traurigkeit miteinander verwebt, hat Granzin gut gefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Gebundenes Buch
8 längere Beziehungskurzgeschichten zu kurzen Tiermeldungen, die es tatsächlich mal in die Medien geschafft haben.
Die Tiermeldungen sind alle interessant, doch deswegen wird sich keiner das Buch kaufen.
Die Kurzgeschichten haben mir unterschiedlich gefallen:
Die erste war mir zu …
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8 längere Beziehungskurzgeschichten zu kurzen Tiermeldungen, die es tatsächlich mal in die Medien geschafft haben.
Die Tiermeldungen sind alle interessant, doch deswegen wird sich keiner das Buch kaufen.
Die Kurzgeschichten haben mir unterschiedlich gefallen:
Die erste war mir zu familienlastig, die zweite habe ich gar nicht verstanden, die dritte ganz nett, die vierte wurde mir erst klar, als ich in der Kritik las, dass die Autorin ihr Jahr in der Villa Massimo in Rom beschreibt. Ich habe daraufhin es nochmal gelesen und einiges als Kunstkritik verstanden. Aber ich habe ernste Bedenken, ob man so schreiben darf, dass die Geschichte ohne Hintergrundwissen nicht zu verstehen ist?
Danach gefiel mir das Buch besser. Mir gelang es Bezüge zu den Tiergeschichten herzustellen, etwa bei Opposum, wo in der Tiergeschichte ein Betrunkener ein Opposum wiederbelebt und in der Beziehungsgeschichte ein Ehemann auf einem Pass eine Seitensprung plant, aber dann im Tal ein Reh anfährt und bei ihm bleibt.
Haie handelt von Tieren, die in Gefangenschaft an Sauerstoffmangel sterben, was übertragen wird auf die linksliberale Nora, die ihre Tochter Clara in die Schule ihres Viertels schickt und mitbekommt wie ein Mitschüler u. a. Von ihrer Tochter gemobbt wird. Erinnert vom Milieu her etwas an Dörte Hansens „Altes Land.“
Schlangen brauchen Sicherheit, wenn sie auf Bäume krabbeln, wie der alte Mann Jakob, der seine Ehe aufs Spiel setzte und Kontakt zum jungen Nachbarsehepaar aufnimmt, das den Kontakt zu ihm sucht. Sie erhalten von ihm den einzigen Tisch, den er ohne seine Frau gekauft hat, dem aber ein Bein und damit Sicherheit fehlt.
Enten sind auch im Schlaf wachsam, am Rand mehr als in der Mitte des Schwarms. Wachsam wie die Mutter von Sammy, die ihrem Mann Ben vorwirft nicht so wachsam zu sein, obwohl dieser im Gegensatz zur Familiengeschichte zum ersten im Haushalt mithelfenden Vatergeneration gehört und nicht ein „unbegleiteter Flüchtling“ (wie wir heute sagen) wie sein Vater, da der Großvater Jude war und die Großmutter aus Liebe bei ihm blieb.
Entweder wird dieses Buch gegen Ende besser oder ich habe mich an den Stil der Autorin gewöhnt. 4 Sterne.
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