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Der Flughafen Tegel, 1974 in Berlin (West) eröffnet, war nicht nur günstig und pünktlich fertig, er ist ein bis heute beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Für den Entwurf des Terminals wählten die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels die Figur eines großen Sechsecks mit 120 Metern Kantenlänge. Durch eine ausgeklügelte Erschließung entstand ein "Flughafen der kurzen Wege", bei dem im besten Fall zwischen Auto- und Flugzeugtür nur 28 Meter liegen.
Im Jahr 2020 scheint die Stilllegung des TXL tatsächlich Wirklichkeit zu werden. Der Fotograf Peter Ortner hält seinen ganz
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Produktbeschreibung
Der Flughafen Tegel, 1974 in Berlin (West) eröffnet, war nicht nur günstig und pünktlich fertig, er ist ein bis heute beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Für den Entwurf des Terminals wählten die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels die Figur eines großen Sechsecks mit 120 Metern Kantenlänge. Durch eine ausgeklügelte Erschließung entstand ein "Flughafen der kurzen Wege", bei dem im besten Fall zwischen Auto- und Flugzeugtür nur 28 Meter liegen.

Im Jahr 2020 scheint die Stilllegung des TXL tatsächlich Wirklichkeit zu werden. Der Fotograf Peter Ortner hält seinen ganz persönlichen Blick auf den Flughafenkomplex fest und fängt dessen eigentlich schon vergangenen Glanz ein: jene Details, die allen Reisenden, allen Wartenden so vertraut sind.

Mit einem Kommentar von Florian Heilmeyer
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.06.2020

Unter den Wolken
Berlins Flughafen Tegel bleibt nun doch weiter geöffnet. Und man kann sich daran
erinnern, dass die Architekturstudenten um Meinhard von Gerkan 1965
ein architektonisches Meisterstück der kurzen Wege und menschlichen Abläufe entwarfen
VON PETER RICHTER
Eben noch sollte der Flughafen Berlin-Tegel nächste Woche schon vom Netz gehen, weil wegen Corona kaum noch Verkehr herrschte. Aber jetzt, da durch die Aufhebung der Reisesperren wieder mit mehr Flügen gerechnet wird, soll er auf einmal doch noch eine Weile weiterleben dürfen. Wie lange genau, das kann man nach all den angekündigten und wieder abgeblasenen Beerdigungen hier nun einmal nicht mit Sicherheit sagen. Das Einzige, worüber mittlerweile Gewissheit herrscht, sind die Lazarus-Qualitäten dieses Flughafens, der nach jeder Totsagung noch einmal mehr zu tun bekommen hat.
Das Abschiednehmen, das sich für die Berliner jetzt also ein weiteres Mal verlängert, dauert nun bereits so lange, dass sich die ersten von ihnen schon an gar nichts anderes mehr erinnern können. Aber selbst wer zu jung ist, um je vom damaligen Flughafen Tempelhof abgeflogen zu sein, kennt im Prinzip noch das Gefühl, im Zweifel noch einmal nach Hause fahren zu können, wenn man am Gate merkt, Wesentliches vergessen zu haben, und trotzdem rechtzeitig zurück zu sein. Denn auch Tegel liegt ziemlich zentral. Vor allem aber waren vor Ort die Wege spektakulär kurz. Vergangenheitsform hier deshalb, weil das nur für das originale Terminal galt.
Zuletzt wurde der Betrieb aber auf eine angebaute Wellblechbaracke konzentriert, die all die Werkzeuge der Zeitvernichtung aufwies, die heute an Flughäfen üblich sind: Staus im Zickzackparcours zentraler Sicherheitsschleusen und lange, lichtlose Gänge. Der sechseckige Donut, mit dem Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels 1965 noch als Architekturstudenten den Wettbewerb für West-Berlins zweiten Flughafen gewonnen hatten, ist praktisch jetzt schon stillgelegt.
Das, was TXL ausmacht oder ausgemacht hat, ist deshalb bereits eigentlich nur noch in dem wunderbaren Buch zu erleben, das der Fotograf Peter Ortner dieser Tage bei Jovis herausgebracht hat: „The Essence of Berlin-Tegel“. Denn das Schöne an seinen Bildern ist dies: Es ist nicht die distanzierte Art von Architekturfotografie, die bei allen Verdiensten immer auch die Tendenz hat, die Bauten ihrem Lebensalltag zur entreißen und auf die Ebene des Modells zurückzubeordern. Ortners Fotos nehmen die Perspektive des Reisenden ein: Die kreiselnde Anfahrt im Taxi bis exakt vor den richtigen Abfertigungsschalter, die Tiefgarage nur eine Treppe unter dem Gate, das Pop-Art-hafte Leitsystem, das der Hamburger Maler Werner Nöfer entwickelt hatte. Die Spiegelung des großen Sechsechs in lauter kleinen, schließlich die Aufsplitterung in Dreiecke, dann, ganz musikalisch, das kontrastierende Motiv der runden Ecken … Die sogenannten Flugzeugfenster waren ohnehin ein Insignium der West-Berliner Spätmoderne, man findet sie auch an den Hochhäusern von Schering und der Rentenversicherung, aber nirgends war ihr sanftliniger Optimismus stimmiger als hier.
„Die Essenz von Berlin-Tegel“ meint aber nicht nur dieses legendäre, sechseckige Terminal A, das von Ortner in seiner praktischen Pracht genauso geschildert wird wie in seinem politisch gewollten Verfall der letzten Jahre, als es unter grotesker Überauslastung und Unterfinanzierung zu ächzen begann. Die Essenz, die der Titel anpreist, ist vielmehr die tiefe Humanität von Tegel.
Wie bitte? Ja: Menschlichkeit.
Das mag etwas pathetisch klingen, zumal in den Ohren derjenigen Berliner, die Flugverkehr generell ablehnen oder wegen der Geräuschbelastung für die Schließung von Tegel sind, und das sind nicht wenige. In der Tat trommelt heute einzig die lokale FDP noch dafür, dass eine Metropole auch zwei Flughäfen vertragen könne, was es für die Freunde von TXL in dieser Stadt ideologisch nicht einfacher macht.
Aber Ortners Bilder und der kleine Essay des Architekturpublizisten Florian Heilmeyer liefern Argumente für Linkstegelianer. Der Mensch als steuerzahlender Bauherr steht tatsächlich im Mittelpunkt der Architektur von Tegel. Alles war hier darauf ausgerichtet, ihm den Aufenthalt so angenehm, aber auch so kurz wie möglich zu machen. Nicht nur hier hat inzwischen eine exakte Umkehrung der Paradigmen stattgefunden. Auch der Gedanke, wonach es in der Großstadt leise sein sollte, auf dem Land hingegen laut und geschäftig sein darf, ist noch nicht sehr alt. Schließlich: Auch in Tegel konnten Reisende letzte Einkäufe erledigen. Aber sie wurden noch nicht dazu verdonnert, wie in den Duty-Free-Labyrinthen, die heute hinter den demütigenden Fußgeruchszonen der Sicherheitsschleusen üblich geworden sind.
Auch der neue Flughafen Berlin-Brandenburg wird nach allem, was man weiß, so eine Foucault’sche Hölle aus dem Geist von Überwachung und Kommerz. Es ist tragisch, dass man das Büro von Gerkan, Marg und Partner in Berlin jetzt eher mit der endlosen Entstehungsagonie dieses ruinösen Großprojekts verbindet. Es war aber auch schon tragisch genug, dass ihr Neubau eines Berliner Hauptbahnhofs das alte Tegeler Erfolgsrezept der kurzen Wege so ostentativ ins Gegenteil verkehrte – zu einem Fast-Food-Irrgarten mit schwer erreichbaren Gleisanschlüssen. Aus Geschäftsinteresse des Betreibers werden Fernreisende seitdem nicht mehr in dem vergleichsweise tegelartig unkomplizierten Bahnhof Zoo aus dem Zug gelassen. Denn Architektur ist immer nur das eine, politisch der Allgemeinheit aufgezwungene Interessen bestimmter Wirtschaftstreibender sind das andere. Und am Ende ist auch der Verfall eines Flughafens in erster Linie eine Entscheidung, die man so oder auch anders treffen kann. Wenn Berlin-Tegel nun also erst in ein paar Monaten ganz geschlossen wird, sind Ortners Fotos ein Plädoyer, seine Essenz zumindest als Idee zu verteidigen: gegen den Geist von Gängelei und Nötigung, der unter dem Namen „Nudging“ in Architektur und Design gefährlich gängig geworden ist.
Wenn Tegel denn jemals wirklich ganz geschlossen wird.
Peter Ortner: The Essence of Berlin-Tegel. Deutsch und Englisch. Jovis Verlag, 22 Euro.
Der neue Flughafen BER wird eine
Foucault’sche Hölle aus dem Geist
von Überwachung und Kommerz
Peter Ortners Fotos von Tegel sind ein Plädoyer gegen den Geist von Gängelei und Nötigung, der unter dem Namen „Nudging“ in Architektur und Design gängig geworden ist. FotoS: Peter Ortner
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