Navid Kermani
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Sozusagen Paris
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Ein Schriftsteller hat einen Roman veröffentlicht über die große Liebe seiner Jugend. Nach einer Lesung steht sie mit einem Mal vor ihm. Er ist jetzt Autor, sie seine Romanfigur - und aus dem jungen Mädchen von damals ist eine anziehende, aber verheiratete Frau geworden. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein, und die Situation wird etwas komisch: Man hockt beisammen, trinkt ein Glas Wein, redet über französische Liebesromane, fragt sich, was man von der Liebe erwartet, wenn man älter geworden ist, Juttas Mann sitzt im Nebenzimmer - wie soll das alles enden? Navid Kermani schreibt einen L...
Ein Schriftsteller hat einen Roman veröffentlicht über die große Liebe seiner Jugend. Nach einer Lesung steht sie mit einem Mal vor ihm. Er ist jetzt Autor, sie seine Romanfigur - und aus dem jungen Mädchen von damals ist eine anziehende, aber verheiratete Frau geworden. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein, und die Situation wird etwas komisch: Man hockt beisammen, trinkt ein Glas Wein, redet über französische Liebesromane, fragt sich, was man von der Liebe erwartet, wenn man älter geworden ist, Juttas Mann sitzt im Nebenzimmer - wie soll das alles enden?
Navid Kermani schreibt einen Liebesroman ganz eigener Art, tiefgründig, überraschend, witzig.
Navid Kermani schreibt einen Liebesroman ganz eigener Art, tiefgründig, überraschend, witzig.
Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Er ist habilitierter Orientalist und lebt als Schriftsteller in Köln. Für sein literarisches und essayistisches Werk erhielt er u. a. den Kleist-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Hölderlin-Preis sowie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Für seinen Roman 'Das Alphabet bis S' wurde er mit dem Thomas-Mann-Preis 2024 ausgezeichnet.

©Julian Baummann/www.julianbaumann.com
Produktdetails
- rororo Taschenbücher 27322
- Verlag: Rowohlt TB.
- Artikelnr. des Verlages: 20626
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 285
- Erscheinungstermin: 27. März 2018
- Deutsch
- Abmessung: 190mm x 113mm x 25mm
- Gewicht: 232g
- ISBN-13: 9783499273223
- ISBN-10: 3499273225
- Artikelnr.: 48125612
Herstellerkennzeichnung
Rowohlt Taschenbuch
Kirchenallee 19
20099 Hamburg
produktsicherheit@rowohlt.de
Als Liebesgeschichte umwerfend, weil sich die Realitäten wie im Traum ineinanderschieben. ... Kermani bringt alles zum Schweben - so wie die Liebe in ihren besten Momenten. Brigitte WIR
Ein Buch wie eine Mehrzweckhalle
Liebe in groben Zügen: Warum Navid Kermanis Roman "Sozusagen Paris" vollkommen misslungen ist.
Wie man eine gute Geschichte über einen Schriftsteller erzählt, der nach einer Lesung einer früheren Geliebten begegnet, das hat John Updike in dem Meisterstückchen "Sein OEuvre" gezeigt. Wie man es nicht macht, zeigt Navid Kermani in seinem neuen Roman "Sozusagen Paris".
Bei Updike geht es natürlich viel um Sex. Bei Kermani geht es angeblich um Liebe - aber man hat immer eher das Gefühl, einer Soziologievorlesung über die moderne Partnerschaft beizuwohnen als einen Liebesroman zu lesen. Wenn man Updikes Geschichte in ein Wort fassen sollte, wäre es: Schlafwagensex. Bei Kermanis
Liebe in groben Zügen: Warum Navid Kermanis Roman "Sozusagen Paris" vollkommen misslungen ist.
Wie man eine gute Geschichte über einen Schriftsteller erzählt, der nach einer Lesung einer früheren Geliebten begegnet, das hat John Updike in dem Meisterstückchen "Sein OEuvre" gezeigt. Wie man es nicht macht, zeigt Navid Kermani in seinem neuen Roman "Sozusagen Paris".
Bei Updike geht es natürlich viel um Sex. Bei Kermani geht es angeblich um Liebe - aber man hat immer eher das Gefühl, einer Soziologievorlesung über die moderne Partnerschaft beizuwohnen als einen Liebesroman zu lesen. Wenn man Updikes Geschichte in ein Wort fassen sollte, wäre es: Schlafwagensex. Bei Kermanis
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Roman wäre es: Mehrzweckhalle.
In einer solchen nämlich findet die besagte Lesung des in Ich-Form erzählenden Schriftstellers statt, und ungefähr so erotisch wie das Wort Mehrzweckhalle sind die fast dreihundert folgenden Seiten Umstandskrämerei. Der erotische Höhepunkt besteht bei diesem Roman in einem einseitigen Wikipedia-Zitat zum Stichwort "Tantra".
Aber auch strukturell passt der Begriff Mehrzweckhalle zum Buch, denn Kermani will einfach zu viel: nämlich einen literaturgeschichtlichen Essay über die Bildnisthematik beim Sichverlieben schreiben, angereichert um ellenlange Zitate und Interpretationen von Proust, Balzac, Maupassant und anderen, die bestimmt ein Drittel des Texts ausmachen. Er will eine Metafiktion schreiben mit einem Dichter-Erzähler, der dauernd den Leser anspricht, beim Schreiben schon die Reaktion seines Lektors antizipiert oder von dieser berichtet. Er will zusätzliche Intertextualität erreichen, indem er den Roman als Fortsetzung seines Romans "Große Liebe" (2014) anlegt oder besser gesagt als Nachklapp dazu. Denn das Buch, aus dem der Ich-Erzähler hier vorliest, muss "Große Liebe" sein, Kermanis Roman über die erste Begegnung mit jener Frau, die nun bei der Lesung auftaucht und nach der sich der Erzähler des vorliegenden Buches, wie er sagt, dreißig Jahre lang gesehnt hat. Kermani spielt vielfach mit Andeutungen, die ihn selbst mit diesem Erzähler gleichsetzen, zieht die Sache aber auch wieder in Zweifel.
Am Anfang denkt man noch ganz kurz, das könnte ja spannend werden: Diese Stimmung nach der Lesung, in der der Erzähler schon vollkommen fixiert ist auf die wiedergesehene Frau, seine Schulhofliebe, sich aber erst noch mit zahlreichen anderen Leuten abgeben muss, klingt witzig und verheißungsvoll: Er polstert sich "die Wirklichkeit mit weichem Plüsch aus, während der Kulturdezernent die Fahrtkosten in das Abrechnungsformular einträgt", und malt sich bereits eine Nacht im Hotelzimmer oder ihrer Wohnung aus, nach der er in ihrem Arm aufwacht.
Doch es kommt anders. Er und die Frau, die er Jutta nennt, landen zwar in ihrer Wohnung, doch der Ehemann ist zu Hause, und es gibt Streit über Chipstüten und Kindererziehung. Des Gatten Rückzug ermöglicht es dem Erzähler immerhin zu bleiben, doch aus dem plüschigen Traum wird ein platonisches Sofagespräch, das die ganze Nacht dauert und in dem - wie er leider selbst früh verrät! - "nichts Spektakuläres" passieren wird.
Nun muss es ja in Romanen nicht zwingend zu Techtelmechteln kommen, die Ereignislosigkeit ist bei manchen literarisches Programm, und auch aus dieser Situation hätte man bestimmt noch eine interessante Geschichte machen können - aber der Erzähler schafft es einfach zu keiner Zeit, auch nur einen Anflug von Anmut oder reizvoller Interaktion zwischen zwei Menschen zu vermitteln. Stattdessen gibt er in einer Art Gesprächsprotokoll Juttas Ehegeschichte wieder und erzählt seine eigene noch dazu, beides aber wie auf dem Katasteramt. Somit "kehre ich zum Biographischen zurück, das für den Leser wenigstens kursorisch abgehandelt werden muss", sagt er einmal - das ist eigentlich eher das, was man von einem Klappentext erwartet.
Die weibliche Hauptfigur, die eine Entwicklung von einer überzeugten Hippie-Linken zur Realo-Politikerin durchgemacht hat, von der idealistischen Helferin in Südamerika zur Bürgermeisterin eines deutschen Städtchens, und die es nun mit Mülltrennung zu tun hat, wird bei dieser Art der Beschreibung für den Leser nicht im mindesten attraktiv. Was hängenbleibt, sind eher mühsam in die Fiktion gezwängte Meinungsäußerungen über die Sexualisierung der Gesellschaft.
Kurios ist, dass der Erzähler an dieser Jutta ständig ihre Sprache kritisiert, ihren "Politikerton" - selbst dann aber auch keinen anderen findet: Es bleibt rätselhaft, was ein Satz wie "Im Übrigen spricht sie ihr Geschlechtsleben auf Bundesebene ebenfalls ganz offen an" eigentlich bedeuten soll, warum ein derart unliterarischer Satz in einem Roman stehen kann und ob man angesichts dessen lachen oder weinen soll.
Die meisten Berührungen in diesem Roman bleiben hypothetisch und münden in Hirnzergliederung oder literaturgeschichtliche Exkurse. Leider traut der Erzähler sich selbst offenbar nicht genug zu - denn wenn er mal eine gute Beobachtung macht, folgt doch am Ende unweigerlich die Frage, was Proust dazu gesagt hätte.
Die Liebesarmut des Textes wird durch die besagten Exkurse, die manchmal auch ins Politische ausgreifen, nicht wettgemacht. Man stelle sich "Tristram Shandy" ohne Humor vor oder einen Roman von Thomas Mann ohne Ironie. "Poeta doctus" ist noch arg untertrieben für diesen professoralen Märchenopi von einem Erzähler, der im Gespräch mit seiner Angebeteten einmal feststellt: "Leider verfängt der Bildungsprotz bei ihr nicht." Beim Leser leider auch nicht.
Wenn die Nacht der Erzählung sich ihrem Ende zuneigt, ist man zu müde, um sich auch noch anzuhören, was der Bildungsprotz über Neil Young denkt. Man weiß einiges mehr über französische Romane, aber bleibt doch angesichts des folgenden Satzes einigermaßen leidenschaftslos: "Nicht zu fassen: Malaria, Depression, Krebs, alles in zwanzig Jahren, und wie schnell man die Krankheiten auch wieder vergisst." Glücklich immerhin, wer so reden kann.
Es mag fast ein bisschen banal sein, hilft aber nichts: Dieser Roman ist wirklich nur "sozusagen Paris", er verharrt in der Bewunderung großer literarischer Vorbilder, anstatt seinen eigenen Ton zu finden. Dieses Buch ist eine lange Tantra-Übung ohne jegliche Erfüllung, bei der einfach nur sehr, sehr viel geatmet wird.
JAN WIELE.
Navid Kermani: "Sozusagen Paris". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In einer solchen nämlich findet die besagte Lesung des in Ich-Form erzählenden Schriftstellers statt, und ungefähr so erotisch wie das Wort Mehrzweckhalle sind die fast dreihundert folgenden Seiten Umstandskrämerei. Der erotische Höhepunkt besteht bei diesem Roman in einem einseitigen Wikipedia-Zitat zum Stichwort "Tantra".
Aber auch strukturell passt der Begriff Mehrzweckhalle zum Buch, denn Kermani will einfach zu viel: nämlich einen literaturgeschichtlichen Essay über die Bildnisthematik beim Sichverlieben schreiben, angereichert um ellenlange Zitate und Interpretationen von Proust, Balzac, Maupassant und anderen, die bestimmt ein Drittel des Texts ausmachen. Er will eine Metafiktion schreiben mit einem Dichter-Erzähler, der dauernd den Leser anspricht, beim Schreiben schon die Reaktion seines Lektors antizipiert oder von dieser berichtet. Er will zusätzliche Intertextualität erreichen, indem er den Roman als Fortsetzung seines Romans "Große Liebe" (2014) anlegt oder besser gesagt als Nachklapp dazu. Denn das Buch, aus dem der Ich-Erzähler hier vorliest, muss "Große Liebe" sein, Kermanis Roman über die erste Begegnung mit jener Frau, die nun bei der Lesung auftaucht und nach der sich der Erzähler des vorliegenden Buches, wie er sagt, dreißig Jahre lang gesehnt hat. Kermani spielt vielfach mit Andeutungen, die ihn selbst mit diesem Erzähler gleichsetzen, zieht die Sache aber auch wieder in Zweifel.
Am Anfang denkt man noch ganz kurz, das könnte ja spannend werden: Diese Stimmung nach der Lesung, in der der Erzähler schon vollkommen fixiert ist auf die wiedergesehene Frau, seine Schulhofliebe, sich aber erst noch mit zahlreichen anderen Leuten abgeben muss, klingt witzig und verheißungsvoll: Er polstert sich "die Wirklichkeit mit weichem Plüsch aus, während der Kulturdezernent die Fahrtkosten in das Abrechnungsformular einträgt", und malt sich bereits eine Nacht im Hotelzimmer oder ihrer Wohnung aus, nach der er in ihrem Arm aufwacht.
Doch es kommt anders. Er und die Frau, die er Jutta nennt, landen zwar in ihrer Wohnung, doch der Ehemann ist zu Hause, und es gibt Streit über Chipstüten und Kindererziehung. Des Gatten Rückzug ermöglicht es dem Erzähler immerhin zu bleiben, doch aus dem plüschigen Traum wird ein platonisches Sofagespräch, das die ganze Nacht dauert und in dem - wie er leider selbst früh verrät! - "nichts Spektakuläres" passieren wird.
Nun muss es ja in Romanen nicht zwingend zu Techtelmechteln kommen, die Ereignislosigkeit ist bei manchen literarisches Programm, und auch aus dieser Situation hätte man bestimmt noch eine interessante Geschichte machen können - aber der Erzähler schafft es einfach zu keiner Zeit, auch nur einen Anflug von Anmut oder reizvoller Interaktion zwischen zwei Menschen zu vermitteln. Stattdessen gibt er in einer Art Gesprächsprotokoll Juttas Ehegeschichte wieder und erzählt seine eigene noch dazu, beides aber wie auf dem Katasteramt. Somit "kehre ich zum Biographischen zurück, das für den Leser wenigstens kursorisch abgehandelt werden muss", sagt er einmal - das ist eigentlich eher das, was man von einem Klappentext erwartet.
Die weibliche Hauptfigur, die eine Entwicklung von einer überzeugten Hippie-Linken zur Realo-Politikerin durchgemacht hat, von der idealistischen Helferin in Südamerika zur Bürgermeisterin eines deutschen Städtchens, und die es nun mit Mülltrennung zu tun hat, wird bei dieser Art der Beschreibung für den Leser nicht im mindesten attraktiv. Was hängenbleibt, sind eher mühsam in die Fiktion gezwängte Meinungsäußerungen über die Sexualisierung der Gesellschaft.
Kurios ist, dass der Erzähler an dieser Jutta ständig ihre Sprache kritisiert, ihren "Politikerton" - selbst dann aber auch keinen anderen findet: Es bleibt rätselhaft, was ein Satz wie "Im Übrigen spricht sie ihr Geschlechtsleben auf Bundesebene ebenfalls ganz offen an" eigentlich bedeuten soll, warum ein derart unliterarischer Satz in einem Roman stehen kann und ob man angesichts dessen lachen oder weinen soll.
Die meisten Berührungen in diesem Roman bleiben hypothetisch und münden in Hirnzergliederung oder literaturgeschichtliche Exkurse. Leider traut der Erzähler sich selbst offenbar nicht genug zu - denn wenn er mal eine gute Beobachtung macht, folgt doch am Ende unweigerlich die Frage, was Proust dazu gesagt hätte.
Die Liebesarmut des Textes wird durch die besagten Exkurse, die manchmal auch ins Politische ausgreifen, nicht wettgemacht. Man stelle sich "Tristram Shandy" ohne Humor vor oder einen Roman von Thomas Mann ohne Ironie. "Poeta doctus" ist noch arg untertrieben für diesen professoralen Märchenopi von einem Erzähler, der im Gespräch mit seiner Angebeteten einmal feststellt: "Leider verfängt der Bildungsprotz bei ihr nicht." Beim Leser leider auch nicht.
Wenn die Nacht der Erzählung sich ihrem Ende zuneigt, ist man zu müde, um sich auch noch anzuhören, was der Bildungsprotz über Neil Young denkt. Man weiß einiges mehr über französische Romane, aber bleibt doch angesichts des folgenden Satzes einigermaßen leidenschaftslos: "Nicht zu fassen: Malaria, Depression, Krebs, alles in zwanzig Jahren, und wie schnell man die Krankheiten auch wieder vergisst." Glücklich immerhin, wer so reden kann.
Es mag fast ein bisschen banal sein, hilft aber nichts: Dieser Roman ist wirklich nur "sozusagen Paris", er verharrt in der Bewunderung großer literarischer Vorbilder, anstatt seinen eigenen Ton zu finden. Dieses Buch ist eine lange Tantra-Übung ohne jegliche Erfüllung, bei der einfach nur sehr, sehr viel geatmet wird.
JAN WIELE.
Navid Kermani: "Sozusagen Paris". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Navid Kermani kehrt zum Personal seines Romans "Große Liebe" zurück - und aufs Neue schillert aus dem Text das Spiel mit der eigenen Autobiografie, erklärt Rezensentin Meike Fessmann. Wieder begegnet man Jutta, der ersten Liebe des Ich-Erzählers. Die hat sich in ihrer Ehe eingerichtet, eine Wiederbegegnung mit dem Erzähler lässt diesen auf eine erotische Episode hoffen - doch statt dessen kommt es zu einem langen Gespräch, in dem der Erzähler, selbst ein Schriftsteller, bald Material für die eigene Arbeit wittert. Kermani schildert dabei einer De-Illusionierung, je mehr der Ich-Erzähler Einblick gewinnt ins Eheleben der einst Geliebten, schreibt die Rezensentin. In ihren Augen scheitert "Sozusagen Paris" jedoch am "doppelten Präsens" der Erzählung: Parallel zur Geschichte laufen Kommentare mit, sogar der Lektor des Textes mache sich bemerkbar, durchsetzt sei der Roman zudem mit literaturhistorischen Exkursen, was den Roman spürbar hemme. Auch der Ich-Erzähler selbst habe als geschiedener "Protokollant einer fremden Ehe", seine liebe Not, seine Schilderungen auf Trab zu halten. Die Rezensentin rät daher zu Arno Geigers "Alles über Sally", der als der geglücktere Roman zum Thema anzusehen sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein Buch wie eine Mehrzweckhalle
Liebe in groben Zügen: Warum Navid Kermanis Roman "Sozusagen Paris" vollkommen misslungen ist.
Wie man eine gute Geschichte über einen Schriftsteller erzählt, der nach einer Lesung einer früheren Geliebten begegnet, das hat John Updike in dem Meisterstückchen "Sein OEuvre" gezeigt. Wie man es nicht macht, zeigt Navid Kermani in seinem neuen Roman "Sozusagen Paris".
Bei Updike geht es natürlich viel um Sex. Bei Kermani geht es angeblich um Liebe - aber man hat immer eher das Gefühl, einer Soziologievorlesung über die moderne Partnerschaft beizuwohnen als einen Liebesroman zu lesen. Wenn man Updikes Geschichte in ein Wort fassen sollte, wäre es: Schlafwagensex. Bei Kermanis
Liebe in groben Zügen: Warum Navid Kermanis Roman "Sozusagen Paris" vollkommen misslungen ist.
Wie man eine gute Geschichte über einen Schriftsteller erzählt, der nach einer Lesung einer früheren Geliebten begegnet, das hat John Updike in dem Meisterstückchen "Sein OEuvre" gezeigt. Wie man es nicht macht, zeigt Navid Kermani in seinem neuen Roman "Sozusagen Paris".
Bei Updike geht es natürlich viel um Sex. Bei Kermani geht es angeblich um Liebe - aber man hat immer eher das Gefühl, einer Soziologievorlesung über die moderne Partnerschaft beizuwohnen als einen Liebesroman zu lesen. Wenn man Updikes Geschichte in ein Wort fassen sollte, wäre es: Schlafwagensex. Bei Kermanis
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Roman wäre es: Mehrzweckhalle.
In einer solchen nämlich findet die besagte Lesung des in Ich-Form erzählenden Schriftstellers statt, und ungefähr so erotisch wie das Wort Mehrzweckhalle sind die fast dreihundert folgenden Seiten Umstandskrämerei. Der erotische Höhepunkt besteht bei diesem Roman in einem einseitigen Wikipedia-Zitat zum Stichwort "Tantra".
Aber auch strukturell passt der Begriff Mehrzweckhalle zum Buch, denn Kermani will einfach zu viel: nämlich einen literaturgeschichtlichen Essay über die Bildnisthematik beim Sichverlieben schreiben, angereichert um ellenlange Zitate und Interpretationen von Proust, Balzac, Maupassant und anderen, die bestimmt ein Drittel des Texts ausmachen. Er will eine Metafiktion schreiben mit einem Dichter-Erzähler, der dauernd den Leser anspricht, beim Schreiben schon die Reaktion seines Lektors antizipiert oder von dieser berichtet. Er will zusätzliche Intertextualität erreichen, indem er den Roman als Fortsetzung seines Romans "Große Liebe" (2014) anlegt oder besser gesagt als Nachklapp dazu. Denn das Buch, aus dem der Ich-Erzähler hier vorliest, muss "Große Liebe" sein, Kermanis Roman über die erste Begegnung mit jener Frau, die nun bei der Lesung auftaucht und nach der sich der Erzähler des vorliegenden Buches, wie er sagt, dreißig Jahre lang gesehnt hat. Kermani spielt vielfach mit Andeutungen, die ihn selbst mit diesem Erzähler gleichsetzen, zieht die Sache aber auch wieder in Zweifel.
Am Anfang denkt man noch ganz kurz, das könnte ja spannend werden: Diese Stimmung nach der Lesung, in der der Erzähler schon vollkommen fixiert ist auf die wiedergesehene Frau, seine Schulhofliebe, sich aber erst noch mit zahlreichen anderen Leuten abgeben muss, klingt witzig und verheißungsvoll: Er polstert sich "die Wirklichkeit mit weichem Plüsch aus, während der Kulturdezernent die Fahrtkosten in das Abrechnungsformular einträgt", und malt sich bereits eine Nacht im Hotelzimmer oder ihrer Wohnung aus, nach der er in ihrem Arm aufwacht.
Doch es kommt anders. Er und die Frau, die er Jutta nennt, landen zwar in ihrer Wohnung, doch der Ehemann ist zu Hause, und es gibt Streit über Chipstüten und Kindererziehung. Des Gatten Rückzug ermöglicht es dem Erzähler immerhin zu bleiben, doch aus dem plüschigen Traum wird ein platonisches Sofagespräch, das die ganze Nacht dauert und in dem - wie er leider selbst früh verrät! - "nichts Spektakuläres" passieren wird.
Nun muss es ja in Romanen nicht zwingend zu Techtelmechteln kommen, die Ereignislosigkeit ist bei manchen literarisches Programm, und auch aus dieser Situation hätte man bestimmt noch eine interessante Geschichte machen können - aber der Erzähler schafft es einfach zu keiner Zeit, auch nur einen Anflug von Anmut oder reizvoller Interaktion zwischen zwei Menschen zu vermitteln. Stattdessen gibt er in einer Art Gesprächsprotokoll Juttas Ehegeschichte wieder und erzählt seine eigene noch dazu, beides aber wie auf dem Katasteramt. Somit "kehre ich zum Biographischen zurück, das für den Leser wenigstens kursorisch abgehandelt werden muss", sagt er einmal - das ist eigentlich eher das, was man von einem Klappentext erwartet.
Die weibliche Hauptfigur, die eine Entwicklung von einer überzeugten Hippie-Linken zur Realo-Politikerin durchgemacht hat, von der idealistischen Helferin in Südamerika zur Bürgermeisterin eines deutschen Städtchens, und die es nun mit Mülltrennung zu tun hat, wird bei dieser Art der Beschreibung für den Leser nicht im mindesten attraktiv. Was hängenbleibt, sind eher mühsam in die Fiktion gezwängte Meinungsäußerungen über die Sexualisierung der Gesellschaft.
Kurios ist, dass der Erzähler an dieser Jutta ständig ihre Sprache kritisiert, ihren "Politikerton" - selbst dann aber auch keinen anderen findet: Es bleibt rätselhaft, was ein Satz wie "Im Übrigen spricht sie ihr Geschlechtsleben auf Bundesebene ebenfalls ganz offen an" eigentlich bedeuten soll, warum ein derart unliterarischer Satz in einem Roman stehen kann und ob man angesichts dessen lachen oder weinen soll.
Die meisten Berührungen in diesem Roman bleiben hypothetisch und münden in Hirnzergliederung oder literaturgeschichtliche Exkurse. Leider traut der Erzähler sich selbst offenbar nicht genug zu - denn wenn er mal eine gute Beobachtung macht, folgt doch am Ende unweigerlich die Frage, was Proust dazu gesagt hätte.
Die Liebesarmut des Textes wird durch die besagten Exkurse, die manchmal auch ins Politische ausgreifen, nicht wettgemacht. Man stelle sich "Tristram Shandy" ohne Humor vor oder einen Roman von Thomas Mann ohne Ironie. "Poeta doctus" ist noch arg untertrieben für diesen professoralen Märchenopi von einem Erzähler, der im Gespräch mit seiner Angebeteten einmal feststellt: "Leider verfängt der Bildungsprotz bei ihr nicht." Beim Leser leider auch nicht.
Wenn die Nacht der Erzählung sich ihrem Ende zuneigt, ist man zu müde, um sich auch noch anzuhören, was der Bildungsprotz über Neil Young denkt. Man weiß einiges mehr über französische Romane, aber bleibt doch angesichts des folgenden Satzes einigermaßen leidenschaftslos: "Nicht zu fassen: Malaria, Depression, Krebs, alles in zwanzig Jahren, und wie schnell man die Krankheiten auch wieder vergisst." Glücklich immerhin, wer so reden kann.
Es mag fast ein bisschen banal sein, hilft aber nichts: Dieser Roman ist wirklich nur "sozusagen Paris", er verharrt in der Bewunderung großer literarischer Vorbilder, anstatt seinen eigenen Ton zu finden. Dieses Buch ist eine lange Tantra-Übung ohne jegliche Erfüllung, bei der einfach nur sehr, sehr viel geatmet wird.
JAN WIELE.
Navid Kermani: "Sozusagen Paris". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In einer solchen nämlich findet die besagte Lesung des in Ich-Form erzählenden Schriftstellers statt, und ungefähr so erotisch wie das Wort Mehrzweckhalle sind die fast dreihundert folgenden Seiten Umstandskrämerei. Der erotische Höhepunkt besteht bei diesem Roman in einem einseitigen Wikipedia-Zitat zum Stichwort "Tantra".
Aber auch strukturell passt der Begriff Mehrzweckhalle zum Buch, denn Kermani will einfach zu viel: nämlich einen literaturgeschichtlichen Essay über die Bildnisthematik beim Sichverlieben schreiben, angereichert um ellenlange Zitate und Interpretationen von Proust, Balzac, Maupassant und anderen, die bestimmt ein Drittel des Texts ausmachen. Er will eine Metafiktion schreiben mit einem Dichter-Erzähler, der dauernd den Leser anspricht, beim Schreiben schon die Reaktion seines Lektors antizipiert oder von dieser berichtet. Er will zusätzliche Intertextualität erreichen, indem er den Roman als Fortsetzung seines Romans "Große Liebe" (2014) anlegt oder besser gesagt als Nachklapp dazu. Denn das Buch, aus dem der Ich-Erzähler hier vorliest, muss "Große Liebe" sein, Kermanis Roman über die erste Begegnung mit jener Frau, die nun bei der Lesung auftaucht und nach der sich der Erzähler des vorliegenden Buches, wie er sagt, dreißig Jahre lang gesehnt hat. Kermani spielt vielfach mit Andeutungen, die ihn selbst mit diesem Erzähler gleichsetzen, zieht die Sache aber auch wieder in Zweifel.
Am Anfang denkt man noch ganz kurz, das könnte ja spannend werden: Diese Stimmung nach der Lesung, in der der Erzähler schon vollkommen fixiert ist auf die wiedergesehene Frau, seine Schulhofliebe, sich aber erst noch mit zahlreichen anderen Leuten abgeben muss, klingt witzig und verheißungsvoll: Er polstert sich "die Wirklichkeit mit weichem Plüsch aus, während der Kulturdezernent die Fahrtkosten in das Abrechnungsformular einträgt", und malt sich bereits eine Nacht im Hotelzimmer oder ihrer Wohnung aus, nach der er in ihrem Arm aufwacht.
Doch es kommt anders. Er und die Frau, die er Jutta nennt, landen zwar in ihrer Wohnung, doch der Ehemann ist zu Hause, und es gibt Streit über Chipstüten und Kindererziehung. Des Gatten Rückzug ermöglicht es dem Erzähler immerhin zu bleiben, doch aus dem plüschigen Traum wird ein platonisches Sofagespräch, das die ganze Nacht dauert und in dem - wie er leider selbst früh verrät! - "nichts Spektakuläres" passieren wird.
Nun muss es ja in Romanen nicht zwingend zu Techtelmechteln kommen, die Ereignislosigkeit ist bei manchen literarisches Programm, und auch aus dieser Situation hätte man bestimmt noch eine interessante Geschichte machen können - aber der Erzähler schafft es einfach zu keiner Zeit, auch nur einen Anflug von Anmut oder reizvoller Interaktion zwischen zwei Menschen zu vermitteln. Stattdessen gibt er in einer Art Gesprächsprotokoll Juttas Ehegeschichte wieder und erzählt seine eigene noch dazu, beides aber wie auf dem Katasteramt. Somit "kehre ich zum Biographischen zurück, das für den Leser wenigstens kursorisch abgehandelt werden muss", sagt er einmal - das ist eigentlich eher das, was man von einem Klappentext erwartet.
Die weibliche Hauptfigur, die eine Entwicklung von einer überzeugten Hippie-Linken zur Realo-Politikerin durchgemacht hat, von der idealistischen Helferin in Südamerika zur Bürgermeisterin eines deutschen Städtchens, und die es nun mit Mülltrennung zu tun hat, wird bei dieser Art der Beschreibung für den Leser nicht im mindesten attraktiv. Was hängenbleibt, sind eher mühsam in die Fiktion gezwängte Meinungsäußerungen über die Sexualisierung der Gesellschaft.
Kurios ist, dass der Erzähler an dieser Jutta ständig ihre Sprache kritisiert, ihren "Politikerton" - selbst dann aber auch keinen anderen findet: Es bleibt rätselhaft, was ein Satz wie "Im Übrigen spricht sie ihr Geschlechtsleben auf Bundesebene ebenfalls ganz offen an" eigentlich bedeuten soll, warum ein derart unliterarischer Satz in einem Roman stehen kann und ob man angesichts dessen lachen oder weinen soll.
Die meisten Berührungen in diesem Roman bleiben hypothetisch und münden in Hirnzergliederung oder literaturgeschichtliche Exkurse. Leider traut der Erzähler sich selbst offenbar nicht genug zu - denn wenn er mal eine gute Beobachtung macht, folgt doch am Ende unweigerlich die Frage, was Proust dazu gesagt hätte.
Die Liebesarmut des Textes wird durch die besagten Exkurse, die manchmal auch ins Politische ausgreifen, nicht wettgemacht. Man stelle sich "Tristram Shandy" ohne Humor vor oder einen Roman von Thomas Mann ohne Ironie. "Poeta doctus" ist noch arg untertrieben für diesen professoralen Märchenopi von einem Erzähler, der im Gespräch mit seiner Angebeteten einmal feststellt: "Leider verfängt der Bildungsprotz bei ihr nicht." Beim Leser leider auch nicht.
Wenn die Nacht der Erzählung sich ihrem Ende zuneigt, ist man zu müde, um sich auch noch anzuhören, was der Bildungsprotz über Neil Young denkt. Man weiß einiges mehr über französische Romane, aber bleibt doch angesichts des folgenden Satzes einigermaßen leidenschaftslos: "Nicht zu fassen: Malaria, Depression, Krebs, alles in zwanzig Jahren, und wie schnell man die Krankheiten auch wieder vergisst." Glücklich immerhin, wer so reden kann.
Es mag fast ein bisschen banal sein, hilft aber nichts: Dieser Roman ist wirklich nur "sozusagen Paris", er verharrt in der Bewunderung großer literarischer Vorbilder, anstatt seinen eigenen Ton zu finden. Dieses Buch ist eine lange Tantra-Übung ohne jegliche Erfüllung, bei der einfach nur sehr, sehr viel geatmet wird.
JAN WIELE.
Navid Kermani: "Sozusagen Paris". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 S., geb., 22,- [Euro].
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Gebundenes Buch
Es gibt kein richtiges Leben im falschen
Der neue Roman «Sozusagen Paris» von Navid Kermani kreist auf originelle Weise um das uralte Thema der Liebe zwischen Mann und Frau. Sein nicht gerade konventioneller Plot, trickreich ersonnen von dem als Intellektueller hoch angesehen Autor, …
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Es gibt kein richtiges Leben im falschen
Der neue Roman «Sozusagen Paris» von Navid Kermani kreist auf originelle Weise um das uralte Thema der Liebe zwischen Mann und Frau. Sein nicht gerade konventioneller Plot, trickreich ersonnen von dem als Intellektueller hoch angesehen Autor, erzeugt gleich zu Beginn einen heftigen Sog, man will wissen, wohin das steuert.
«Aber nicht für Jutta» lautet der erste Satz, der von einer attraktiven Frau um die vierzig gesprochen wird, die nach einer Dichterlesung in einer Kleinstadt dem signierenden Schriftsteller ihr Buch hinhält. Und die, nicht gerade alltäglich, sich selbst in dem Buch als Hauptfigur erkannt hat, obwohl der Name natürlich verändert wurde. Als «Schulhofschönheit» hatte sie einst mit dem Ich-Erzähler ein kurzes, aber heftiges Techtelmechtel. Und seither fungiert sie als ewige Sehnsuchtsfigur für den Autor, der damals fünfzehn Jahre alt war, - in den vielen Jahren dazwischen haben sie nie mehr etwas voneinander gehört. Was man als neu aufflammende Liebesgeschichte vorausahnt, die der Ich-Erzähler sich tatsächlich auch erhofft, das entwickelt sich im Gegenteil zunehmend zu einem soziologischen Exkurs über die Ehe in allen ihren vielen Aspekten. Ersteres zu thematisieren wäre profan gewesen, da erwartbar, die eheliche Liebe hingegen ist ein weites Feld, um Fontane zu zitieren, - und ein ergiebiges!
Der Ich-Erzähler ist geschieden, hat einen Sohn, mit dem er sich nicht versteht, viel mehr erfährt man nicht von ihm. Autobiografische Bezüge sind allerdings unverkennbar, das Buch in der Lesung dürfte Kermanis Roman «Große Liebe» gewesen sein. Er spielt gekonnt mit Identitäten, spricht von seinem «geplanten» Roman über die Begegnung mit Jutta, ein Fortsetzungsroman mithin. Der Leser wird häufig mit einbezogen in dessen Entstehungsprozess, sogar der Lektor des neuen Buches ist beteiligt, stellt kritische Fragen. Die Protagonistin ist Ärztin, mit einem praktischen Arzt verheiratet, der in Südamerika gearbeitet hat, wo sie sich einst kennen lernten. Sie haben drei Kinder zusammen und wohnen in einer schönen Altbauvilla in einer Kleinstadt, deren Bürgermeisterin die politisch ambitionierte Jutta ist, die sich so ganz nebenbei auch noch als Tantra-Lehrerin betätigt. Ihr Mann ist strikt ökologisch orientiert, treibt exzessiv Sport, hat sich zum Veganer entwickelt. Beide haben sich mit den Jahren weit auseinander gelebt, ihre Liebe ist erkaltet, obwohl der Sex nach wie vor für beide zufrieden stellend ist. Kermani bedient hier nahezu alle gängigen Klischees, sprach im ZEIT-Interview allerdings von bundesdeutscher Normalität, über die er da schreibe. Für Jutta in ihrem «Scheißkaff», wie sie ihr Provinznest selbst manchmal nennt, steht ihr Freund von einst als freier Schriftsteller für Gedankenreichtum, Weltläufigkeit, «sozusagen Paris», jener Chiffre für erotische Abenteuer in der französischen Literatur.
Jutta und ihr Ex landen nach dem Essen und einem anschließenden Rundgang durch die Kleinstadt spät in ihrer stattlichen Villa. Die Kinder schlafen schon, der Ehemann ist noch mit seinen Abrechnungen als niedergelassener Arzt beschäftigt, er lässt sich nicht sehen, es gab Streit. Was folgt ist ein stundenlanges Gespräch der Beiden über vergangene Zeiten, das sich schon bald nur noch um Juttas Eheprobleme dreht, ihre enttäuschten Hoffnungen, den drögen Alltagstrott. Der Ich-Erzähler zitiert dabei immer wieder aus der einschlägigen Literatur, Proust vor allem, aber auch Stendhal, Balzac und viele andere, sogar ein Song von Neil Young ist dabei. Diese ausufernde Intertextualität verhilft zu den verschiedensten Perspektiven und bestätigt Adorno, es gibt kein richtiges Leben im falschen. All diese Reflexionen werden abrupt beendet durch eine Kloszene am Ende, womit der Ich-Erzähler seinem Lektor zuwiderhandelt, denn das Klo gehöre nun mal nicht in die Literatur. Die so fulminant gestartete Geschichte versickert regelrecht in langweiligem Geschwafel über die Ehe, schade!
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