Neil MacGregor
Gebundenes Buch
Shakespeares ruhelose Welt
Vom Autor von "Geschichten der Welt in 100 Objekten"
Übersetzung: Binder, Klaus
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Während Shakespeare unvergängliche Werke wie Romeo und Julia, Hamlet, Othello oder König Lear schrieb, ging die Welt durch ein Zeitalter tiefgreifender Veränderungen. Seit der Entdeckung Amerikas hatten sich die Horizonte Europas dramatisch erweitert. Ein ganzes Weltbild geriet ins Wanken. Neil MacGregor führt uns anhand von zwanzig Objekten mitten hinein in diese Zeit - und hinein in die Stücke Shakespeares.Ob er uns das Schwert eines Edelmanns oder die Wollmütze eines Handwerksburschen, einen Glaskelch aus Venedig oder Münzen aus Marrakesch vorstellt - immer weiß er eines der Themen...
Während Shakespeare unvergängliche Werke wie Romeo und Julia, Hamlet, Othello oder König Lear schrieb, ging die Welt durch ein Zeitalter tiefgreifender Veränderungen. Seit der Entdeckung Amerikas hatten sich die Horizonte Europas dramatisch erweitert. Ein ganzes Weltbild geriet ins Wanken. Neil MacGregor führt uns anhand von zwanzig Objekten mitten hinein in diese Zeit - und hinein in die Stücke Shakespeares.
Ob er uns das Schwert eines Edelmanns oder die Wollmütze eines Handwerksburschen, einen Glaskelch aus Venedig oder Münzen aus Marrakesch vorstellt - immer weiß er eines der Themen zu illuminieren, die Shakespeares Zeitalter prägten: die Globalisierung, die Glaubenskämpfe, die Pest, der Islam, die Magie - und uns zugleich vertraut zu machen mit einem der aufregendsten Dichter der Weltliteratur. Das Resultat ist ein hinreißend lebendiges, glänzend geschriebenes und in vielem überraschendes Portrait der gefährlich aufgewühlten Welt von William Shakespeare.
Ob er uns das Schwert eines Edelmanns oder die Wollmütze eines Handwerksburschen, einen Glaskelch aus Venedig oder Münzen aus Marrakesch vorstellt - immer weiß er eines der Themen zu illuminieren, die Shakespeares Zeitalter prägten: die Globalisierung, die Glaubenskämpfe, die Pest, der Islam, die Magie - und uns zugleich vertraut zu machen mit einem der aufregendsten Dichter der Weltliteratur. Das Resultat ist ein hinreißend lebendiges, glänzend geschriebenes und in vielem überraschendes Portrait der gefährlich aufgewühlten Welt von William Shakespeare.
Neil MacGregor ist seit 2002 Direktor des Britischen Museums. Zuvor war er von 1987 bis 2002 Direktor der National Gallery in London. 2008 war er "Brite des Jahres" in England. 2010 erhielt er den erstmals verliehenen Internationalen Folkwang-Preis.
Produktdetails
- Verlag: Beck
- Originaltitel: Shakespeare's Restless World
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 347
- Erscheinungstermin: 23. August 2013
- Deutsch
- Abmessung: 244mm x 166mm x 33mm
- Gewicht: 1004g
- ISBN-13: 9783406652875
- ISBN-10: 3406652875
- Artikelnr.: 37311223
Herstellerkennzeichnung
C.H. Beck
Wilhelmstrasse 9
80801 München
produktsicherheit@beck.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Angetan zeigt sich Stefana Sabin von Neil MacGregors Beschreibung der Zeit Shakespeares anhand von zwanzig Objekten. Dem Autor, Direktor Londoner British Museum, gelingt es zu ihrer Freude, diese Objekte - unter anderem einen schwarzen Spiegel, eine eiserne Gabel von 1587, die Pest-Proklamation von 1603 und so weiter - in Beziehung zu Shakespeares Stücken zu setzen, die die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse widerspiegeln. Das Ganze findet Sabin kurzweilig erzählt und zu einem Gesamtbild der Epoche geformt. Ihr Fazit: eine gekonnte Rekonstruktion von "Shakespeares ruheloser Welt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Rund um die Erde zieh' ich einen Gürtel
Neil MacGregor, Autor der "Geschichte der Welt in 100 Objekten" hat mit "Shakespeares ruheloser Welt" abermals eine faszinierende Lektüre vorgelegt.
Von Hubert Spiegel
Kannte Shakespeare Tabus? Wohl kaum. In seinen Stücken gibt es nichts, was es nicht gibt. Königsmorde und Kannibalismus. Schwarze und weiße Magie. Inzest und Blutschande. Männer, die Männer lieben. Männer, die Frauen lieben, die sie für Männer halten. Eine Frau, die sich nach einem Esel verzehrt. Zerstückelte Leiber. Gequälte Seelen. Da fehlt nichts. Oder doch?
Und was ist mit Irland? Der Mann, der diese Frage stellt, hat vor zwei Jahren mit seiner "Geschichte der Welt in 100 Objekten" einen
Neil MacGregor, Autor der "Geschichte der Welt in 100 Objekten" hat mit "Shakespeares ruheloser Welt" abermals eine faszinierende Lektüre vorgelegt.
Von Hubert Spiegel
Kannte Shakespeare Tabus? Wohl kaum. In seinen Stücken gibt es nichts, was es nicht gibt. Königsmorde und Kannibalismus. Schwarze und weiße Magie. Inzest und Blutschande. Männer, die Männer lieben. Männer, die Frauen lieben, die sie für Männer halten. Eine Frau, die sich nach einem Esel verzehrt. Zerstückelte Leiber. Gequälte Seelen. Da fehlt nichts. Oder doch?
Und was ist mit Irland? Der Mann, der diese Frage stellt, hat vor zwei Jahren mit seiner "Geschichte der Welt in 100 Objekten" einen
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aufsehenerregenden Bestseller geschrieben: Ein Buch, dass den Versuch unternimmt, die gesamte Menschheitsgeschichte anhand von hundert verschiedenen Objekten abzuhandeln. Hundert Objekte aus einem Zeitraum von zwei Millionen Jahren, allesamt aus den gigantischen Beständen des von ihm geleiteten British Museum stammend, das war die Grundlage für Neil MacGregors Buch. Was seinen überwältigenden Erfolg erst möglich machte, war die Kunst des Autors, seine leblosen Gegenstände zum Sprechen zu bringen.
Dem Buch war die gleichnamige Rundfunkserie in der BBC vorangegangen. Sie elektrisierte und beschäftigte ganz England. Im vorigen Jahr ließ der Museumsdirektor eine neue Serie folgen, die sein Erfolgsmodell auf Shakespeare und die elisabethanische Welt übertrug. Jetzt liegt "Shakespeares ruhelose Welt" auch auf Deutsch vor: eine faszinierende Lektüre, die uns lehrt, den Klassiker mit den Augen seiner Zeitgenossen zu sehen, und ein wunderschön ausgestattetes Buch, das man immer wieder gern in die Hand nehmen wird.
MacGregor stellt uns darin nicht nur die Menschen vor, die damals, im Übergang vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert, Shakespeares Stücke sahen, sondern er zeigt uns die Welt, in der sie lebten. Es war eine Welt im Umbruch. Was diese Welt erschütterte, das ließ auch die Bretter des Globe Theatre erzittern. Shakespeare, wie MacGregor ihn uns zeigt, war ein Dramatiker, dessen Horizont den gesamten Erdball umfasste.
Soeben hatte Francis Drake mit seinem Schiff, der "Golden Hind", als erster Engländer die Welt umsegelt. Wenig später schickt Shakespeare in der "Komödie der Irrungen" einen weiteren Entdeckungsreisenden auf Expeditionsfahrt, den unverschämten Diener Dromio, der den Körper eines armen Dienstmädchens umrunden möchte: "Sie ist kugelförmig wie ein Globus; ich wollte Länder auf ihr entdecken." In den "Lustigen Weibern von Windsor" vergleicht Falstaff zwei hübsche Frauen mit Ost- und Westindien. Er will sie brandschatzen und "nach beiden Handel treiben". Ist das frauenfeindlich? Aus heutiger Sicht schon. Damals war ein anderer Subtext wichtiger. Shakespeare verweist unverhohlen auf den Umstand, dass derartige Entdeckungsreisen immer aus materiellen Gründen und auf gewaltsamem Wege erfolgten. Mit dem Anteil, den Elisabeth I. aus den Erlösen von Drakes Reise erhielt, konnte die Königin ihre jährlichen Einkünfte verdoppeln. Der Gewinn des Konsortiums, das die Reise finanziert hatte, soll bei 4700 Prozent gelegen haben.
Gut zehn Jahre nach Drakes Erdumrundung wurden in London die ersten englischen Globen angefertigt. Sieben Jahre später nennt Shakespeare sein eigenes Theater "Globe". Drakes Reise hatte 1018 Tage gedauert. Im "Sommernachtstraum" zeigt Shakespeare, was sein Theater unter Beschleunigung versteht, wenn er Puck sagen lässt: "Rund um die Erde zieh' ich einen Gürtel / in viermal zehn Minuten". Oberon ergänzt: "Schneller als die Monde kreisen, / können wir die Erd' umkreisen."
Mit der Gedenkmünze für Drakes Reise, die geprägt wurde, als Shakespeares Theaterlaufbahn ihren Anfang nahm, also zu Beginn der achtziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts, lässt MacGregor sein Buch beginnen. Englands Horizont hatte sich erweitert. Der Aufstieg zur Seemacht stand bevor. Noch war England seinen Konkurrenten, Spaniern, Portugiesen, Niederländern und der damaligen Handelsgroßmacht Venedig unterlegen. Von außen bedroht - 1588 wird die Spanische Armada vor Englands Küsten auftauchen - und im Inneren von Glaubenskämpfen geschwächt und zerrissen.
Shakespeares Generation war die erste in England, deren Angehörige zum größeren Teil noch nie in ihrem Leben eine lateinische Messe gehört hatten. Zu den Amtspflichten von John Shakespeare, dem Vater des Dramatikers, der es vom Handschuhmacher zum Ratsmitglied und Bürgermeister brachte, gehörte auch das Ausmerzen katholischer Symbole und Objekte in Stratford. So ließ er die farbigen Glasfenster in der katholischen Kapelle des Gildenhauses durch Klarglas ersetzen, eine Szene der Zerstörung, wie MacGregor schreibt, "die sein damals siebenjähriger Sohn durchaus miterlebt haben könnte".
MacGregor handelt dieses Kapitel anhand des sogenannten "Stratford-Kelches" ab. Das ist ein Kommunionskelch für das protestantische Abendmahl. Dann wendet er sich einer Gabel zu, also einem Luxusgegenstand, wie ihn nur ein junger Adliger im Rose Theatre verloren haben kann, wo er bei Ausgrabungen gefunden wurde. Denn das Theater, das wenige Jahre zuvor noch eine höfische, allein dem Adel vorbehaltene Einrichtung gewesen war, wurde nun zu einem öffentlichen Ort, an dem sich Angehörige aller Stände begegneten, wenngleich die einen in ihren Logen saßen und die anderen vor der Bühne standen, nachdem sie den Eintrittspreis von einem Penny entrichtet hatten.
Während sein Publikum sich fragt, was nach dem Tod seiner kinderlosen Königin Elisabeth I. geschehen würde, lässt Shakespeare die Rosenkriege des fünfzehnten Jahrhunderts wiederauferstehen, um darin die Konflikte und Ängste seiner Zeit zu spiegeln. Dazu gehört aber durchaus auch die Furcht vor sozialen Unruhen, wie sie etwa von jenen Londoner Lehrjungen ausgehen konnten, die häufig in Shakespeare Publikum anzutreffen waren und dort ihre Mützen schwenkten. Eine von ihnen, mehr als vierhundert Jahre alt, hat MacGregor in sein Buch aufgenommen.
Es ist bewundernswert, wie leicht, verständlich und spannend MacGregor sein Wissen präsentiert. Er lässt Experten zu Wort kommen, referiert den Forschungsstand, stellt den zwanzig ausgewählten Objekten viele Dutzend weitere Gegenstände und Illustrationen zur Seite. Ein Spiegel aus dem Besitz von Dr. Dee, Englands einzigem zauberkundigen Gelehrten der Renaissance, illuminiert die Zauberkünste von Lady Macbeth wie von Prospero. Dabei ist der Spiegel an sich bereits ein Objekt, wie es sich magischer kaum denken lässt: eine schwarze Scheibe aus Obsidian, so groß wie ein Dessertteller, aber fast neunhundert Gramm schwer, ein Machtsymbol des aztekischen Königshauses, mit Steinwerkzeugen angefertigt kurz vor der Ankunft der Spanier. Die glänzende Oberfläche des Spiegels wurden, durch langes Reiben mit einer Schleifpaste besonderer Art erzeugt. Die aztekischen Handwerker benutzten die Exkremente eines Tieres, das immer schon mit schwarzer Magie in Verbindung gebracht wurde: der Fledermaus.
Im letzten Kapitel seines faszinierenden Buches verlässt MacGregor die elisabethanische Ära und begibt sich in die jüngste Vergangenheit, ins zwanzigste Jahrhundert, genauer gesagt: an den 16. Dezember 1977. An jenem Tag gelangte die sogenannte "Robben Island Bible" zu dem Gefangenen Nelson Mandela. Es handelte sich dabei um eine Gesamtausgabe von Shakespeares Stücken, die der Häftling Sonny Venkatrathnam mit bunten Postkarten beklebt hatte, die Hindu-Gottheiten zeigten. In dieser Verkleidung, so hoffte er, könne er das Buch ungehindert unter seinen Mithäftlingen zirkulieren lassen. Jeder sollte eine Zeile oder Passage anstreichen, die ihm besonders wichtig war. Als das Buch bei Nelson Mandela anlangte, unterstrich Südafrikas späterer Präsident eine Stelle aus dem "Julius Cäsar": "Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt, / Die Tapfern kosten einmal nur den Tod. / Von allen Wundern, die ich je gehört, / Scheint mir das Größte, daß sich Menschen fürchten, / Da sie doch sehn, der Tod, das Schicksal aller, / Kommt, wann er kommen soll."
Noch bevor MacGregor auf Mandela zu sprechen kommt, erinnert er an jenes junge Paar, das in größter Eile 1942 im Warschauer Getto geheiratet hat: Marcel und Teofila Reich-Ranicki. MacGregor bezieht sich auf die Rede, die der kürzlich verstorbene Literaturkritiker im vorigen Jahr im Deutschen Bundestag gehalten hat. Darin zitierte Reich-Ranicki auch jenen Shakespeare-Satz aus "Richard III.", der ihm durch den Kopf schoss, als er seiner Tosia, mit der er fast siebzig Jahre lang verheiratet bleiben sollte, das Jawort gab: "Ward je in dieser Laun' ein Weib gefreit?"
Und was hat es nun mit dem Tabu Irland auf sich? Shakespeare war ein Informations-Junkie, begierig auf die neuesten Nachrichten. Ereignisse aus allen Winkeln der damals bekannten Erde haben Eingang in seine Stücke gefunden. Nur ein Winkel war davon ausgenommen: Irland. Denn dort widersetzten sich furchtlose und blutrünstige Aufständische Englands Oberherrschaft. Dieser Stachel schnitt allzu tief ins englische Fleisch.
Nur so viel soll an dieser Stelle verraten werden: Nach dem Tod von Königin Elisabeth nahm ihr Nachfolger, König Jakob I., Einblick in die in Whitehall aufbewahrten Regierungsdokumente. Als er sah, dass der Krieg gegen Irland mehr als zwei Millionen Pfund verschlungen hatte - das war mehr, als der Kampf gegen die Armada und die Unterstützung der niederländischen Rebellen zusammen die Krone gekostet hatten -, soll er ausgerufen haben: "Wir hatten größeren Aufwand mit Irland als mit der ganzen andren Welt." Darüber wollte selbst ein Shakespeare kein Wort verlieren.
Neil MacGregor: "Shakespeares ruhelose Welt".
Aus dem Englischen von Klaus Binder. Verlag C. H. Beck, München 2013. 347 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dem Buch war die gleichnamige Rundfunkserie in der BBC vorangegangen. Sie elektrisierte und beschäftigte ganz England. Im vorigen Jahr ließ der Museumsdirektor eine neue Serie folgen, die sein Erfolgsmodell auf Shakespeare und die elisabethanische Welt übertrug. Jetzt liegt "Shakespeares ruhelose Welt" auch auf Deutsch vor: eine faszinierende Lektüre, die uns lehrt, den Klassiker mit den Augen seiner Zeitgenossen zu sehen, und ein wunderschön ausgestattetes Buch, das man immer wieder gern in die Hand nehmen wird.
MacGregor stellt uns darin nicht nur die Menschen vor, die damals, im Übergang vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert, Shakespeares Stücke sahen, sondern er zeigt uns die Welt, in der sie lebten. Es war eine Welt im Umbruch. Was diese Welt erschütterte, das ließ auch die Bretter des Globe Theatre erzittern. Shakespeare, wie MacGregor ihn uns zeigt, war ein Dramatiker, dessen Horizont den gesamten Erdball umfasste.
Soeben hatte Francis Drake mit seinem Schiff, der "Golden Hind", als erster Engländer die Welt umsegelt. Wenig später schickt Shakespeare in der "Komödie der Irrungen" einen weiteren Entdeckungsreisenden auf Expeditionsfahrt, den unverschämten Diener Dromio, der den Körper eines armen Dienstmädchens umrunden möchte: "Sie ist kugelförmig wie ein Globus; ich wollte Länder auf ihr entdecken." In den "Lustigen Weibern von Windsor" vergleicht Falstaff zwei hübsche Frauen mit Ost- und Westindien. Er will sie brandschatzen und "nach beiden Handel treiben". Ist das frauenfeindlich? Aus heutiger Sicht schon. Damals war ein anderer Subtext wichtiger. Shakespeare verweist unverhohlen auf den Umstand, dass derartige Entdeckungsreisen immer aus materiellen Gründen und auf gewaltsamem Wege erfolgten. Mit dem Anteil, den Elisabeth I. aus den Erlösen von Drakes Reise erhielt, konnte die Königin ihre jährlichen Einkünfte verdoppeln. Der Gewinn des Konsortiums, das die Reise finanziert hatte, soll bei 4700 Prozent gelegen haben.
Gut zehn Jahre nach Drakes Erdumrundung wurden in London die ersten englischen Globen angefertigt. Sieben Jahre später nennt Shakespeare sein eigenes Theater "Globe". Drakes Reise hatte 1018 Tage gedauert. Im "Sommernachtstraum" zeigt Shakespeare, was sein Theater unter Beschleunigung versteht, wenn er Puck sagen lässt: "Rund um die Erde zieh' ich einen Gürtel / in viermal zehn Minuten". Oberon ergänzt: "Schneller als die Monde kreisen, / können wir die Erd' umkreisen."
Mit der Gedenkmünze für Drakes Reise, die geprägt wurde, als Shakespeares Theaterlaufbahn ihren Anfang nahm, also zu Beginn der achtziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts, lässt MacGregor sein Buch beginnen. Englands Horizont hatte sich erweitert. Der Aufstieg zur Seemacht stand bevor. Noch war England seinen Konkurrenten, Spaniern, Portugiesen, Niederländern und der damaligen Handelsgroßmacht Venedig unterlegen. Von außen bedroht - 1588 wird die Spanische Armada vor Englands Küsten auftauchen - und im Inneren von Glaubenskämpfen geschwächt und zerrissen.
Shakespeares Generation war die erste in England, deren Angehörige zum größeren Teil noch nie in ihrem Leben eine lateinische Messe gehört hatten. Zu den Amtspflichten von John Shakespeare, dem Vater des Dramatikers, der es vom Handschuhmacher zum Ratsmitglied und Bürgermeister brachte, gehörte auch das Ausmerzen katholischer Symbole und Objekte in Stratford. So ließ er die farbigen Glasfenster in der katholischen Kapelle des Gildenhauses durch Klarglas ersetzen, eine Szene der Zerstörung, wie MacGregor schreibt, "die sein damals siebenjähriger Sohn durchaus miterlebt haben könnte".
MacGregor handelt dieses Kapitel anhand des sogenannten "Stratford-Kelches" ab. Das ist ein Kommunionskelch für das protestantische Abendmahl. Dann wendet er sich einer Gabel zu, also einem Luxusgegenstand, wie ihn nur ein junger Adliger im Rose Theatre verloren haben kann, wo er bei Ausgrabungen gefunden wurde. Denn das Theater, das wenige Jahre zuvor noch eine höfische, allein dem Adel vorbehaltene Einrichtung gewesen war, wurde nun zu einem öffentlichen Ort, an dem sich Angehörige aller Stände begegneten, wenngleich die einen in ihren Logen saßen und die anderen vor der Bühne standen, nachdem sie den Eintrittspreis von einem Penny entrichtet hatten.
Während sein Publikum sich fragt, was nach dem Tod seiner kinderlosen Königin Elisabeth I. geschehen würde, lässt Shakespeare die Rosenkriege des fünfzehnten Jahrhunderts wiederauferstehen, um darin die Konflikte und Ängste seiner Zeit zu spiegeln. Dazu gehört aber durchaus auch die Furcht vor sozialen Unruhen, wie sie etwa von jenen Londoner Lehrjungen ausgehen konnten, die häufig in Shakespeare Publikum anzutreffen waren und dort ihre Mützen schwenkten. Eine von ihnen, mehr als vierhundert Jahre alt, hat MacGregor in sein Buch aufgenommen.
Es ist bewundernswert, wie leicht, verständlich und spannend MacGregor sein Wissen präsentiert. Er lässt Experten zu Wort kommen, referiert den Forschungsstand, stellt den zwanzig ausgewählten Objekten viele Dutzend weitere Gegenstände und Illustrationen zur Seite. Ein Spiegel aus dem Besitz von Dr. Dee, Englands einzigem zauberkundigen Gelehrten der Renaissance, illuminiert die Zauberkünste von Lady Macbeth wie von Prospero. Dabei ist der Spiegel an sich bereits ein Objekt, wie es sich magischer kaum denken lässt: eine schwarze Scheibe aus Obsidian, so groß wie ein Dessertteller, aber fast neunhundert Gramm schwer, ein Machtsymbol des aztekischen Königshauses, mit Steinwerkzeugen angefertigt kurz vor der Ankunft der Spanier. Die glänzende Oberfläche des Spiegels wurden, durch langes Reiben mit einer Schleifpaste besonderer Art erzeugt. Die aztekischen Handwerker benutzten die Exkremente eines Tieres, das immer schon mit schwarzer Magie in Verbindung gebracht wurde: der Fledermaus.
Im letzten Kapitel seines faszinierenden Buches verlässt MacGregor die elisabethanische Ära und begibt sich in die jüngste Vergangenheit, ins zwanzigste Jahrhundert, genauer gesagt: an den 16. Dezember 1977. An jenem Tag gelangte die sogenannte "Robben Island Bible" zu dem Gefangenen Nelson Mandela. Es handelte sich dabei um eine Gesamtausgabe von Shakespeares Stücken, die der Häftling Sonny Venkatrathnam mit bunten Postkarten beklebt hatte, die Hindu-Gottheiten zeigten. In dieser Verkleidung, so hoffte er, könne er das Buch ungehindert unter seinen Mithäftlingen zirkulieren lassen. Jeder sollte eine Zeile oder Passage anstreichen, die ihm besonders wichtig war. Als das Buch bei Nelson Mandela anlangte, unterstrich Südafrikas späterer Präsident eine Stelle aus dem "Julius Cäsar": "Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt, / Die Tapfern kosten einmal nur den Tod. / Von allen Wundern, die ich je gehört, / Scheint mir das Größte, daß sich Menschen fürchten, / Da sie doch sehn, der Tod, das Schicksal aller, / Kommt, wann er kommen soll."
Noch bevor MacGregor auf Mandela zu sprechen kommt, erinnert er an jenes junge Paar, das in größter Eile 1942 im Warschauer Getto geheiratet hat: Marcel und Teofila Reich-Ranicki. MacGregor bezieht sich auf die Rede, die der kürzlich verstorbene Literaturkritiker im vorigen Jahr im Deutschen Bundestag gehalten hat. Darin zitierte Reich-Ranicki auch jenen Shakespeare-Satz aus "Richard III.", der ihm durch den Kopf schoss, als er seiner Tosia, mit der er fast siebzig Jahre lang verheiratet bleiben sollte, das Jawort gab: "Ward je in dieser Laun' ein Weib gefreit?"
Und was hat es nun mit dem Tabu Irland auf sich? Shakespeare war ein Informations-Junkie, begierig auf die neuesten Nachrichten. Ereignisse aus allen Winkeln der damals bekannten Erde haben Eingang in seine Stücke gefunden. Nur ein Winkel war davon ausgenommen: Irland. Denn dort widersetzten sich furchtlose und blutrünstige Aufständische Englands Oberherrschaft. Dieser Stachel schnitt allzu tief ins englische Fleisch.
Nur so viel soll an dieser Stelle verraten werden: Nach dem Tod von Königin Elisabeth nahm ihr Nachfolger, König Jakob I., Einblick in die in Whitehall aufbewahrten Regierungsdokumente. Als er sah, dass der Krieg gegen Irland mehr als zwei Millionen Pfund verschlungen hatte - das war mehr, als der Kampf gegen die Armada und die Unterstützung der niederländischen Rebellen zusammen die Krone gekostet hatten -, soll er ausgerufen haben: "Wir hatten größeren Aufwand mit Irland als mit der ganzen andren Welt." Darüber wollte selbst ein Shakespeare kein Wort verlieren.
Neil MacGregor: "Shakespeares ruhelose Welt".
Aus dem Englischen von Klaus Binder. Verlag C. H. Beck, München 2013. 347 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
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Ab 1987 ist Neal MacGregor Direktor der National Gallery in London, einer der bedeutendsten Gemäldegalerien der Welt mit einer herausragenden Sammlung. Im Jahr 2002 übernimmt er den Direktorenposten im Britischen Museum.
Durch die Veröffentlichung seines Buches "Eine …
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Ab 1987 ist Neal MacGregor Direktor der National Gallery in London, einer der bedeutendsten Gemäldegalerien der Welt mit einer herausragenden Sammlung. Im Jahr 2002 übernimmt er den Direktorenposten im Britischen Museum.
Durch die Veröffentlichung seines Buches "Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten" bringt er erstmals sehr erfolgreich Exponate dieses Museums einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein. Mit dem nachfolgenden Band "Shakespeares ruhelose Welt" greift er nun einen Zeitraum der englischen Geschichte heraus, der durch die Verknüpfung mit diesem bedeutenden Dramatiker, der im kommenden April seinen 450. Geburtstag feiern wird, zusätzlich im Fokus des Interesses steht. Dennoch gibt es hier ein großes "Aber", denn wer glaubt, Neues über Shakespeare bzw. den aktuellen Stand der Forschung zu erfahren, wird enttäuscht sein.
Stattdessen erfährt der Leser anhand der vorgestellten Gegenstände viele interessante Einzelheiten über das Leben im Elisabethanischen Zeitalter, seien es nun kulturelle, politische oder gesellschaftliche Aspekte, die uns MacGregor nahe bringt. Es ist der Höhepunkt der Renaissance sowie der englischen Literatur, und hier schließt sich der Kreis wieder, denn kaum ein anderer Dichter als Master William wirkt hier als Repräsentant und Chronist dieser Zeit, der die unterschiedlichsten Facetten des gesellschaftlichen Lebens in seinen Stücken verarbeitet.
Zwanzig verschiedene Gegenstände sind es, auf die der Autor sein Augenmerk richtet, und mit deren Hilfe er diese spannungsreiche und unruhige Epoche vor den Augen seiner Leser auferstehen lässt. Zusätzlich gibt es die passenden Fotografien zu den Objekten, die das Geschriebene zusätzlich veranschaulichen. MacGregor stellt zusätzlich, dem Titel geschuldete Bezüge zu Shakespeares Stücken her, in denen er zusätzliche Informationen zum zeitlichen Kontext gibt.
Eine wahre Fundgrube für jeden historisch interessierten Leser und ein wunderschönes Buch, in dem man immer wieder blättern kann. Und durch die verschiedenen Bereiche, die angesprochen werden, fordert es fast schon dazu auf, sich intensiver mit den angesprochenen Themen und den Werken des Dramatikers zu beschäftigen.
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Im kommenden April begeht die literarische Welt den 450. Geburtstag des großen englischen Dramatikers William Shakespeare. Das vorliegende Hörbuch wird daher noch ein paar mehr Liebhaber finden. Der Autor Neil MacGregor (Direktor des Britischen Museums) nimmt in seinem neuen Bestseller …
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Im kommenden April begeht die literarische Welt den 450. Geburtstag des großen englischen Dramatikers William Shakespeare. Das vorliegende Hörbuch wird daher noch ein paar mehr Liebhaber finden. Der Autor Neil MacGregor (Direktor des Britischen Museums) nimmt in seinem neuen Bestseller „Shakespeares ruhelose Welt“ den Leser mit auf eine Reise in die Welt und Zeit Shakespeares - also in die Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert.
Das Buch ist keine Shakespeare-Biografie und keine Interpretation seiner Werke, vielmehr lernen wir die Kultur, Gesellschaft und Politik des Elisabetharischen Zeitalters kennen - und dies anhand von Alltagsgegenständen, Münzen oder Druckwerken der damaligen Zeit. So verrät eine Gedenkmedaille zu Sir Francis Drakes Weltumsegelung viel über die Seefahrt und die Entdeckung von fernen, unbekannten Welten.
Eine unscheinbare Eisengabel, die man bei Ausgrabungen gefunden hat, stellt uns gewissermaßen die Besucher des Rose-Theaters vor. Daneben sind ein Kelchglas aus Venedig, eine Uhr mit Glockenspiel, eine Wollmütze eines Handwerksburschen oder ein Hausiererkoffer die Objekte, die den Einstieg in weitere kultur- und gesellschaftliche Betrachtung bilden, z.B. über Glaubenskämpfe, Pestepidemien oder die Rosenkriege.
Natürlich findet MacGregor für seine Darstellungen immer wieder Berührungspunkte in Shakespeares Leben und Werken. Schließlich fanden die Ereignisse aus allen Winkeln der damals bekannten Erde Eingang in seine Stücke. Es ist gewissermaßen eine gekonnte Verwebung von William Shakespeare mit seiner Zeit. Dabei vermittelt MacGregor sein Wissen, das den neuesten Forschungsstand widerspiegelt, spannend und sehr verständlich.
Im Hörverlag ist nun eine gekürzte Lesung (6 CDs, Gesamtspieldauer 6 h 17 min) des Bestsellers erschienen. Mit den unterschiedlichen Stimmen der Sprecher/innen (Thomas Loibl, Christian Baumann, Eva Goseiejewicz, Laura Maire, Heiko Ruprecht, Friedrich Schloffer, Helmut Stange und Stefan Wilkening) gelingt es, die leblosen Gegenstände zum Sprechen zu bringen. Außerdem sind zahlreiche Dramenauszüge zu hören.
Auch das Digipack ist sehr ansprechend, wobei in dem 28seitigen Booklet auch einige der angesprochenen Gegenstände abgebildet sind. Ein wirklich bemerkenswertes Hörbuch. Das Shakespeare-Jubiläum kann also kommen.
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