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November 1989: Die Grenze wird feierlich abmontiert. Anhand einer Vielzahl von Figuren, Schicksalen und Geschichten beschreibt Schubumkehr den Verlauf dieses Jahres, in dem schließlich »kein Stein mehr auf dem anderen bleiben« sollte. Im Zentrum des Geschehens steht Roman, ein Mann mittleren Alters, der nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Österreich zurückkommt. Statt vertrauter Zusammenhänge erwarten ihn private Grotesken und Tragödien, statt versteinerter Verhältnisse erlebt er, wie diese zu tanzen beginnen.

Produktbeschreibung
November 1989: Die Grenze wird feierlich abmontiert. Anhand einer Vielzahl von Figuren, Schicksalen und Geschichten beschreibt Schubumkehr den Verlauf dieses Jahres, in dem schließlich »kein Stein mehr auf dem anderen bleiben« sollte. Im Zentrum des Geschehens steht Roman, ein Mann mittleren Alters, der nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Österreich zurückkommt. Statt vertrauter Zusammenhänge erwarten ihn private Grotesken und Tragödien, statt versteinerter Verhältnisse erlebt er, wie diese zu tanzen beginnen.
Autorenporträt
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den »Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb«. Menasse lehrte anschließend sechs Jahre – zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie – an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über: Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Dumme Eule auf dem Turm
Klug: Robert Menasse denkt sich ein Ende ohne Ende / Von Thomas Steinfeld

Die Geschichte klingt, als habe jemand dem modischen Spiel mit verschwundenen Büchern und phantastischen Bibliotheken eine besonders geistreiche Pointe verleihen wollen: Wie es denn wäre, wenn das vermißte Werk, das Buch der gelösten Geheimnisse, tatsächlich auftauchte? Wenn der zweite Band der aristotelischen Poetik nicht verbrannt wäre, wenn der Katalog zur Bibliothek von Babel plötzlich auf dem Tisch läge? Doch die Pointe, das können wir nun verraten, ginge nicht auf. Das Publikum, erst recht aber die Philosophen würden eine Antwort auf ihre vielen Fragen für einen mäßigen Witz halten.

Leo Singer, der ebenso komische wie traurige Held von Robert Menasses erfolgreichem Roman "Selige Zeiten, brüchige Welt" aus dem Jahr 1991, hatte sein Leben einem Plan gewidmet: Die letzte, die umfassende Erklärung der Welt wollte er liefern. Um dieses Buches willen wird er zum Mörder seiner Freundin. Doch vergeblich: Die Offenbarung wird nicht geschrieben, und die Kritik begeisterte sich für eine Parabel, die sie für eine Selbstentlarvung des intellektuellen Größenwahns hielt.

Vier Jahre später erscheinen, fast gleichzeitig, zwei neue Werke Robert Menasses. Das eine heißt "Schubumkehr", was irgendwie nach Flugzeug klingt: ein Roman, eine tragische Geschichte aus der österreichischen Provinz, wohin einer zurückkehrt, in sich zusammenfällt und alles in weißem Rauschen endet. Ein umgekehrter Entwicklungsroman. Das andere, die "Phänomenologie der Entgeisterung", ist ein kleiner Traktat mit einem großen Anspruch: die Geschichtsphilosophie Hegels weiterzuführen bis auf den heutigen Tag. "Am Ende steht die absolute Freiheit - vom absoluten Wissen. Nichts ist mehr wahr, dafür ist alles wirklich." Auch ein umgekehrter Entwicklungsroman.

Der Traktat ist der toten Freundin des literarischen Helden Leo Singer gewidmet. Die "Phänomenologie der Entgeisterung" ist das Werk, das zu schreiben er nicht vermochte, und die Welt hat es für einen Scherz gehalten: Ein "unmögliches Buch" verkündete Peter Bürger in der "Zeit". Denn "wenn es wahr wäre, hätte es nicht geschrieben werden können". Eine solche Theorie muß heute peinlich wirken, denn sie erinnert an die Zeiten, in denen man sich mit der "Arbeit am Begriff" großtat. Und das im Kneipengespräch.

Ganz bestimmt nicht wahr ist die Geschichte von der "Schubumkehr". Ein Österreicher, der in São Paulo lebt, kommt für eine Zeitlang nach Hause. Nach Wien will er, zu seiner Mutter. Diese aber hat neu geheiratet, einen wesentlich jüngeren Mann und ist mit ihm auf ein Dorf an der tschechischen Grenze gezogen, um dort ökologische Landwirtschaft zu betreiben. Der Intellektuelle lernt nun die ländlichen Verhältnisse kennen. Er durchstreift eine Landschaft der Dummheit, des bornierten Überschwangs und der alltäglichen Gemeinheit mit seiner Videokamera. Das Dorf ist arm, die einzige Industrie, eine Glasfabrik, ruiniert. Dann versucht der Bürgermeister, den Ort mit "sanftem Tourismus" zu retten, was vielleicht auch irgendwie gelingt, und die Grenze öffnet sich, und die Geschichte ist wieder da. Doch das spielt keine Rolle. Die einen sind gestorben, die anderen haben die Gebäude ihres Wahns fallen sehen und wurden unter den Trümmern begraben. Der Held stiehlt sich schließlich aus der Geschichte. Er verschwindet, und es bleibt nur ein leeres Videoband zurück. So ist das. Nichts ist mehr wahr, aber alles ist wirklich.

Ein unmögliches Buch? Als wenn es darauf ankäme. Der Roman ist ein treuliches Bild für das Verschwinden allen Wissens. Am Anfang war die Philosophie, die sich für die Welt halten wollte. Sie mußte aber erleben, daß daraus nichts wurde. "Der Riß", meint Robert Menasse, sei entstanden "im Übergang von der theoretischen Kritik zur praktischen Umwälzung, welche beiden lediglich im Anspruch verbunden, sich aber in Wahrheit wie eine Schere öffnen." Danach schreitet der Verfall des Wissens auf abschüssiger Bahn voran. Wer redet hier eigentlich? Das ist ein erzähltechnisches Dilemma. In der "Phänomenologie der Entgeisterung" stellt sich der Autor, gleich ob er Leo Singer oder Robert Menasse heißt, auf den Standpunkt Hegels. Er blickt dann gleichsam der eigenen Zukunft hinterher.

Zu einer Erzählung taugt dies wenig. Die Spannung in "Selige Zeiten, brüchige Welt" beruhte darauf, daß die Geschichte ein Kriminalfall war, der auf seine Lösung wartete: Der Mord an der Muse ist schließlich der Mord an dem Werk, das der Held nicht schrieb. In der Fabel von der Entgeisterung geht das nicht. Der Erzähler müßte dem Sog des Schwachsinns selbst erliegen. Aus solchen Schwierigkeiten kommt selbst dieser Autor nicht heraus. Denn er kann ja auf seinen Roman nicht schreiben: Lektüre nur nach erfolgreicher Absolvierung von Hegels "Phänomenologie des Geistes" samt deren spielerischer Fortsetzung durch Robert Menasse.

Hegels Philosophie der Kunst enthält eine kleine These, die viele kennen, auch wenn sie sich mit diesem Werk nicht beschäftigt haben: den sogenannten Satz vom Ende der Kunst. Die Reflexion, so heißt es da, habe die Welt des schönen Scheins hinter sich gelassen. Die Kunst habe ihre historische Schuldigkeit getan. Das heißt zwar nicht, daß es nun keine Kunst mehr geben soll. Nur ist sie unerheblich geworden.

Nun ist aber die Kunst kräftig weitergegangen. Es ließe sich heute sogar behaupten, daß sie das Geschäft der Philosophie übernommen hat. Robert Menasse gibt dafür eine Erklärung: Die Philosophie sei bloß Philosophie geblieben und die Welt deshalb immer dümmer geworden. "Die Eule der Minerva ist in der Dämmerung, am Ende der Geschichte geflogen, und in der Sonne des nächsten Tages ist nur noch der Turm-Hahn zu sehen, der bald in diese, bald in jene Himmelsrichtung guckt." Ein Bekenntnis zum Fortschritt der Dummheit, aber auch eine Chance für die Kunst. So wenigstens könnte man meinen. Denn Robert Menasse ist in erster Linie Schriftsteller und nicht Philosoph.

Das ist die "Schubumkehr": ein Monolog des fortlaufenden Schwachsinns.

Er beginnt dort, wo Hegels "Phänomenologie des Geistes" endet, und endet dort, wo sie beginnt: bei der sinnlichen Gewißheit. Doch diese Schleife wird erst sichtbar, wenn man die "Phänomenologie der Entgeisterung" in die andere Hand nimmt. Erst dann vermag man seinem Helden auf dem Weg in die entfaltete Dummheit hinterherzublicken, weil dies auch der Weg der Entgeisterung ist. Diese Schrift ist zwar keine Offenbarung des Weltgeistes, sondern ein Fragment, in dem sich Eigenes und Entleihungen von Hegel mischen. Für unvorbereitete Leser ist der Traktat nicht verständlich. Ganz abgesehen davon, daß er unbehaglich ist. Denn allein durch die Sprache - die Erzähltechniken Hegels - fordert die Schrift die Anstrengung, einen Gedanken tatsächlich zu verstehen. Und Robert Menasse inszeniert diese Zumutung.

In der Welt des schönen Scheins gilt die "Anstrengung des Begriffs" nicht mehr viel. Das neunzehnte Jahrhundert kannte Autoren, die einen ästhetischen Zweck mit einem theoretischen zu verbinden wußten. Erst im zwanzigsten eroberte das Schamanentum die Literatur. Es muß nicht verstanden werden. Die einfache Billigung genügt. Auch Martin Walser ist als Denker ein anderer Autor denn als Dichter. Robert Menasse hingegen versucht, auf ein theoretisches Problem eine künstlerische Antwort zu geben. Das heißt aber auch: Wenn die absolute Dummheit das Gesetz der Geschichte erfüllt, bedarf es zwar eines klugen Autors, um diese Geschichte zu schreiben. Die Geschichte selber jedoch kann diese Klugheit nicht demonstrieren. "Kein Gedanke verschwendet, aber auch zu keinem Gedanken fähig", verläuft sich der Held in der Gleichgültigkeit des Daseins. Es ist also nur konsequent, wenn der Ruin des Verstands weder unterhaltsam noch vernüglich ist. Das wird den Autor betrüben. Aber er hat es so gewollt.

Vor zwanzig Jahren hatte Eckhard Henscheid einen ähnlichen Gedanken. Daraus entstand die "Trilogie des laufenden Schwachsinns", drei unerreicht wahre Bücher über das Leben in den siebziger Jahren. Auch darin mußte die Wirklichkeit für sich selber sprechen. In der Wiederholung wurde das Geplapper sinnfällig. Der Erfolg Eckhard Henscheids aber war auch ein Erfolg seiner Ironie: Wie er, der feine Kopf, sich beim Schreiben gleichsam über die Schulter sah und daher immer etwas klüger war als das, was er zu Papier brachte. Robert Menasse verweigert diese Ironie. Das ist sein Ernst und sein Problem.

Muß man die "Schubumkehr" nun lesen? Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Ob es ein richtiges Buch ist, könnte interessieren. Oder ob man Robert Menasses Anliegen teilen könnte. Wir finden: Die "Phänomenologie der Entgeisterung" ist ein erfreulich richtiges Buch, und seine Motive haben wir in der "Schubumkehr" mit einigem Vergnügen wiederentdeckt.

Robert Menasse: "Schubumkehr". Roman. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1995, 200 S., geb., 38,- DM.

Robert Menasse: "Phänomenologie der Entgeisterung". Geschichte des verschwindenden Wissens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 88 S., br., 10,80 DM.

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