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»Das Buch schildert die letzten achtzehn Stunden des sterbenden Vergil, beginnend mit seiner Ankunft im Hafen von Brundisium bis zu seinem Tod am darauffolgenden Nachmittag im Palast des Augustus. Obwohl in der dritten Person dargestellt, ist es ein innerer Monolog des Dichters. Es ist daher vor allem eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben, mit der moralischen Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieses Lebens, mit der Berechtigung und Nichtberechtigung der dichterischen Arbeit, der dieses Leben geweiht war.« Hermann Broch

Produktbeschreibung
»Das Buch schildert die letzten achtzehn Stunden des sterbenden Vergil, beginnend mit seiner Ankunft im Hafen von Brundisium bis zu seinem Tod am darauffolgenden Nachmittag im Palast des Augustus. Obwohl in der dritten Person dargestellt, ist es ein innerer Monolog des Dichters. Es ist daher vor allem eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben, mit der moralischen Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieses Lebens, mit der Berechtigung und Nichtberechtigung der dichterischen Arbeit, der dieses Leben geweiht war.« Hermann Broch
Autorenporträt
Hermann Broch wuchs in Wien auf, leitete zwanzig Jahre lang die Textilfabrik seiner Familie, begann 1927 mit dem Leben als freier Schriftsteller, musste als Jude nach dem 'Anschluss' von 1938 aus Österreich fliehen. Er emigrierte im gleichen Jahr in die USA, wo er anfänglich in New York lebte. 1942 wurde Princeton, New Jersey, sein fester Wohnsitz. 1949 siedelte er über nach New Haven, Connecticut, wo er Kontakte zur Fakultät der Yale University hatte; im dortigen German Department wurde er Lektor ehrenhalber. 1951 erlag er einem Herzschlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2009

Traue nicht der Heiterkeit, das Wahre ist ernst

Hermann Brochs monumentaler Roman "Der Tod des Vergil" erschien 1945 - und war sofort vergessen. Für einen der wichtigsten deutschen Dichter der Gegenwart aber ist dieses Werk ein heimlicher Schatz.

Von Durs Grünbein

Das Feuer des Zweiten Weltkriegs loderte vielerorts noch in Europa, die Waffenruhe war nahe, Deutschland lag am Boden, Wien war von der Roten Armee, Rom von amerikanischen Streitkräften besetzt, und in seinem Berliner Bunker wütete der Diktator seinen letzten Lebenstagen entgegen, da erschien im März 1945 im New Yorker Verlagshaus Pantheon Books der Roman eines österreichischen Exilanten. Der Autor gehörte zu jenen Verschollenen, Ausgebürgerten, als rassisch Verfolgte oft nur knapp mit dem Leben Davongekommenen, die die Geschichte in Form des nationalsozialistischen Siegeszuges von der Leserschaft ihrer Heimatländer abgeschnitten hatte.

So grenzte es an ein Wunder, dass ein Roman von gut achthundert Seiten, der sich mit den letzten achtzehn Stunden im Leben des römischen Dichters Vergil befasste, die Druckereien gleichzeitig in deutscher und in englischer Sprache verlassen konnte. Es war der große Wurf des fast sechzigjährigen Hermann Broch, Resultat einer mehr als zehnjährigen Arbeit, ein Buch, geradezu manisch-pathetisch, ausdrucksverstiegen, eine letzte Zumutung von Seiten der literarischen Moderne, ein Monument der Unlesbarkeit.

Es fiel schwer zu entscheiden, ob es sich hierbei um ein Meisterwerk oder um einen grandiosen Fehlschlag handelte: "ein Buch für Niemanden", wie der Philosoph Günther Anders in einer der ersten Besprechungen festhielt. Nur besonders exzentrische Leser konnten sich mit dem Werk anfreunden, und dabei scheint es bis heute geblieben zu sein. Selten hat ein formell so herausfordernd angelegtes Opus einen so geringen Widerhall gefunden. Es gab ein paar höfliche Rezensionen, auch journalistische Freundschaftsdienste wie jenen Hannah Arendts, die das Avantgardistische hervorhob, im Ganzen aber fiel es unter ein Verdikt des Schweigens. Nun könnte man vorbringen, schuld daran sei die unglückliche Stunde seines Erscheinens gewesen, das Kriegsende in Europa und damit der Zusammenbruch aller Vertriebswege, die Ignoranz des amerikanischen Marktes gegenüber ausländischer, zumal experimenteller Literatur. Das aber wäre nur die halbe Wahrheit.

Der um dieselbe Zeit erschienene "Doktor Faustus" des geschätzten Kollegen und langjährigen Gesprächspartners Thomas Mann erreichte durchaus ein größeres Publikum und wurde zu einem Werk von maximaler geistiger Ausstrahlung, eine Art Testament deutscher Kultur. Im Gegensatz dazu ist "Der Tod des Vergil" nie auch nur irgendwo angekommen, weder beim Leser noch in den maßgeblichen Intellektuellenkreisen, noch in der jungen Schriftstellergeneration. Anscheinend blieb Broch, der ein Pendlerleben zwischen New York und Princeton führte, auch weitgehend ein Ostküstenphänomen. Von den Vertretern der stärker linksorientierten kalifornischen Exilgemeinde erwähnt ihn keiner. Der Verfasser der "Geschäfte des Herrn Julius Caesar" jedenfalls hat nirgends von ihm Notiz genommen. In Bertolt Brechts Arbeitsjournal, das selten ein literarisches Ereignis von solcher Größenordnung auslässt, wird er mit keiner Silbe erwähnt.

Der Autor war sich der Schwerverkäuflichkeit seines Buches im Voraus schmerzlich bewusst. Nur Subskription konnte die deutsche Ausgabe überhaupt ermöglichen. Broch verschickte Hunderte Briefe an potentielle Leser in alle Teile der Vereinigten Staaten. Die Adressaten waren zumeist Emigranten wie er, Psychoanalytiker, Rechtsanwälte, Professoren verschiedener Universitäten, Privatgelehrte, viele Berühmtheiten darunter. Broch, einer der fleißigsten Briefeschreiber des zwanzigsten Jahrhunderts, stand mit vielen von ihnen auch privat in Korrespondenz. Zu den Erstlesern gehörten nachweislich Albert Einstein und Thomas Mann, und es hat seinen eigenen Reiz, sich den Entdecker der Relativitätstheorie als Fan der Brochschen Seelenwanderungen vorzustellen.

Das alles aber nützte diesen wenig. Von Anfang an war da die Aura der Einsamkeit und Undurchdringlichkeit, die den "Tod des Vergil" noch heute (und heute mehr denn je) umhüllt und seinen dauernden Misserfolg sichert. Was sollte das auch für ein Buch sein? Schon der Titel verwies auf den Historienschinken. Die Zeiten von Weltbestsellern wie Bulwer Lyttons "Die letzten Tage von Pompeji" oder Sienkiewicz' "Quo vadis" aber waren vorbei. Die Auferstehung des Genres war erst dem Hollywoodkino der fünfziger Jahre vorbehalten. Doch auch der später so populäre Sandalenfilm hätte wohl kaum Verwendung gehabt für das Kammerspiel vom todkranken Dichter Vergil, schon der unspielbaren Dialoge wegen.

Ja, es war diese schwerzüngig traumgebundene, majestätisch mäandernde Sprache mit ihrer Dramaturgie der Verzögerungen und Ritardandos, über viele Seiten hin absatzlos, die das Ganze als eine einzige Prosa-Monstrosität erscheinen ließ. Der Roman war aus vier wuchtigen Kapitelblöcken gefügt, ein jeder unter das Zeichen der Elemente gestellt - Wasser, Feuer, Erde, Äther -, und über weite Strecken war er als innerer Monolog angelegt. Wohl traten da Figuren auf - ein Sklave, ein Hofarzt, verschiedene Volkstypen der Vorstädte, zwei alte Freunde und endlich der Kaiser selbst, Caesar Octavianus; aber sie verschwanden, bei allem romanüblichen Außenfutter an Ortsbeschreibung, Landschaftsmalerei, dialogischer Dramaturgie, sogleich in einem halluzinatorischen Gesamtgewebe, in dem die Welt als Vorstellung und die Welt als Wille und Handlung untrennbar verschlungen waren.

Der Knabe Lysanias, eine erotisch-pädagogische Phantasiegestalt, die vor langer Zeit verstorbene Gattin Plotia: in den Fieberträumen des Todkranken waren sie so real, so irreal wie alle anderen auch. Das beinah einzige Handlungsmotiv war der Kampf um die Erhaltung des Manuskripts der Aeneis, ein im Wesentlichen mit rhetorischen Mitteln geführter Ringkampf. War der Dichter anfangs fest gewillt, die kostbaren Verse zu vernichten, lässt er sich, körperlich zunehmend geschwächt, auf ein langwieriges Argumentieren ein.

Das wichtigste Requisit ist dabei der Koffer mit den Schriftrollen, der öfter die Plätze tauscht und schließlich auch den Besitzer, und, so betrachtet, aus dem Roman eine überdimensionierte Novelle machte. Abgehandelt aber wurde hier, ins antike Gestern versetzt, die Problematik des Autors selbst, die Frage nach dem Wozu jeder Kunst. In der Vita des Heimatvertriebenen Publius Vergilius Maro, Sohn eines enteigneten Gutsbesitzers aus Oberitalien, erkannte Hermann Broch, der wandernde Jude, sein eigenes Schicksal wieder. In dem Gipfeltreffen von Poet und Potentat formulierte er einen Wunschtraum, der im zwanzigsten Jahrhundert nicht wenige Künstler verlockte. Ein unfassbarer Idealismus war hier am Werk, etwas verzweifelt Europäisches. Zum letzten Male drehte sich alles um den Traum von geistiger Aristokratie und großer Künstlermission, dessen Tage außerhalb dieses Buches längst gezählt waren.

Man muss sich die historische Ausgangslage vergegenwärtigen, um zu verstehen, wie es überhaupt zu diesem Solitär bildungsbürgerlicher Romankunst noch einmal hat kommen können. Ihre Anfangsgründe reichen bis in die frühen dreißiger Jahre zurück. Als entscheidende Anregung gilt das Buch eines alten Bekannten aus den Tagen, als Broch in der Innsbrucker Zeitschrift "Der Brenner" erste essayistische Beiträge veröffentlichte. Man geht davon aus, dass es, neben den Zweitausendjahrfeiern zu Ehren des römischen Dichters, Theodor Haeckers aus diesem Anlass erschienene Studie mit dem programmatischen Titel "Vergil, Vater des Abendlandes" war, die den Stein ins Rollen brachte. Die Grundidee, die Broch fortan beseelte, war etwa die: Vergil ist der vollkommene vaterländische Dichter, der Grundtypus des konservativen Revolutionärs, wie er an entscheidenden Wendepunkten der Geschichte mehrmals noch wiederkehrt, in Dichterpropheten wie Rousseau oder Tolstoi.

Ein solcher sprachmächtiger Wertebewahrer taucht immer dann auf, wenn eine Zivilisation in der Krise versinkt, eine Gesellschaft zu weiten Teilen amorph und gewalttätig wird, von Massenströmungen aufgelöst, zerrüttet von inneren bürgerkriegshaften Konflikten. "Vergil, Vorläufer des Christentums, Rousseau, Vorläufer der Französischen Revolution, Tolstoj, Vorläufer des Bolschewismus: Dichter und Propheten sie alle drei" - auf diese griffige Formel bringt es Broch in seiner groß angelegten Studie zum Massenwahn, das eine Phänomenologie des Dämmerzustands entwickelt. Vergils Werk ist, so betrachtet, die Summe aller positiven Werte der griechisch-römischen Antike, nicht nur Verfassungsgrundriss, sondern auch die poetische Garantieurkunde einer neuen Friedensordnung in den Grenzen des guten Imperiums. Aus der Vergilschen Lobpreisung des Augusteischen Friedens konnte, wer weitersah, schon die Zukunft einer Welt der Vereinten Nationen unter dem Schutzschirm der Pax Americana herauslesen.

Das sind nicht die einzigen historischen Parallelen. Mehrmals ist von den drei Hauptkatastrophen die Rede, die nach dem Untergang der Republik eine drohende Leere im Herzen der römischen Gesellschaft hinterlassen hatten: der Erkenntnisverlust, der Gottesverlust und das Grauen der Todesverwüstungen. Mit jeder einzelnen hat der Zeitdiagnostiker Broch einen späteren Epochenumbruch im Blick gehabt. Spielt der Erkenntnisverlust auf das Scheitern der europäischen Aufklärung an, so der Gottesverlust auf Nietzsches Bankrotterklärung des Christentums. Und mit den Todesverwüstungen waren nicht nur die jahrelangen Schlächtereien nach dem Mord an Julius Caesar gemeint, sondern auch Greuel und Massaker deutscher Wehrmachtstruppen wie auch die vollendete Sinnlosigkeit der Judenvernichtung.

Aktualisiert wird auch die Figur des Augustus. Er erscheint als der Volkstribun, der es sich dank seiner Popularität leisten kann, einem zänkischen Senat sein Veto entgegenzuhalten, ganz wie ein moderner westlicher Premier, der in Notstandszeiten dem Parlament gegenüber das höhere Interesse der nationalen Selbsterhaltung vertritt. Der Überwinder des römischen Bürgerkriegs ist, wie es in weitreichender Assonanz heißt, nebenher auch jener, der "die dunklen Gewalten des Ostens besiegte". Man weiß von der Besorgnis Brochs vor einer Vormachtstellung des bewaffneten Marxismus seiner Tage. Und so verflechten sich im Roman über den größten aller Römer Brochs politische Leitmotive jener Jahre. Der gute Hirte Roosevelt ist darin ebenso eingezeichnet wie des Dichters Kritik an den totalitären Strömungen seiner Zeit, seine Berufung auf ein Weltbürgerrecht aller Menschen, seine Hoffnung auf eine Versöhnung von Poesie und Politik.

Broch war zur Zeit der Niederschrift unermüdlich im Einsatz für seine diversen politischen Idealprojekte, die, allesamt universalistisch in ihrer Tendenz, das meiste überstiegen, was im kurzsichtigen Interesse von Parteien und Regierungen lag. Broch war vieles zugleich: Patient und Analytiker, Romantheoretiker und experimentierender Autor, eine Ein-Mann-Hilfsorganisation sowie sein eigenes Sozialforschungsinstitut. Er war, zur Besorgnis seines Verlegers, von so vielen Projekten gleichzeitig beansprucht, dass darüber das Prosaschreiben oftmals zu kurz kam, ein Grund, weshalb die Arbeit am Vergil-Roman sich über so viele Jahre hinzog. Konzipiert zunächst nur als Kurzgeschichte für Rundfunkzwecke, wird der Stoff erstmals 1937 erwähnt. Als der Autor ein Jahr darauf beim "Anschluss" Österreichs verhaftet wird, liegt unter dem Titel "Erzählung zum Tode" bereits die dritte Fassung vor. Symbolische sieben Jahre wird es dauern, unter fortwährenden Erweiterungen und Transformationen, bis der Roman in seiner endgültigen monumentalen Form vorliegt.

Nun ist es immer leicht, einem Schriftsteller nachträglich vorzuwerfen, er habe sich in seinen verschiedenen Nebenarbeiten verzettelt. So fragmentarisch und politisch ergebnislos aber das meiste davon blieb, so sehr gehörte es doch zum geistigen Konzept dieses Romans. Es war nicht nur Schöpferstolz, Broch hatte durchaus berechtigte Gründe anzunehmen, sein Buch könnte sich nach dem Krieg als nützlich erweisen für die Wiederbekehrung zur Humanität in Deutschland. Dass ein so tief gesunkenes Volk ganz andere Sorgen und Sehnsüchte hatte, gehört zu dem tragischen Missverständnis, für das "Der Tod des Vergil" ein so beredtes Zeugnis geworden ist.

Sowenig das Buch wirklich gelesen und ernsthaft diskutiert wurde, umso rascher ist es zur Legende geworden. Man hat den Eindruck, es verschwand in den Wolken, wie jene Gipfelriesen, die man immer nur aus weiter Ferne und von Nebel verhangen zu sehen bekommt. Bekannt ist das salomonische Urteil, mit dem Thomas Mann sich als Gutachter aus der Affäre zog. Er sprach von einem der "ungewöhn-lichsten und gründlichsten Experimente, das je mit dem flexiblen Medium des Romans unternommen wurde", und man meint etwas von Verstiegenheit und Formmissbrauch herauszuhören. Schnell war die Rede von einem letzten Exemplar des modernen bürgerlichen Romans; es wurde in eine Reihe gestellt mit den Werken von Proust und Joyce. Broch selbst hat sich postwendend lustig gemacht über solche irreführenden Vergleiche der Wohlmeinenden. Der Romantheoretiker in ihm verwies auf das bewusst traditionelle Vokabular, im Gegensatz zu den technischen Neuerungen eines Joyce. Gewisse Ähnlichkeiten seien wohl vorhanden, doch seien diese, wie er zu seinen Ungunsten eingestand, nicht viel größer als die zwischen Dackel und Krokodil.

Bemerkenswert ist dagegen eine stilistische Besonderheit, die von den meisten Beobachtern verdrängt wird. Kein anderer Roman der Moderne hat sich der lyrischen Dichtung, in seiner eigenen Kompositionsweise und als Idee, so sehr angenähert wie dieser. Dreht sich in diesem Riesenwerk strenggenommen nicht alles nur um das eine: die Frage nach der Funktion von Dichtung und ihrer geschichtlichen Dimension? Es geht bei den eingearbeiteten Verszitaten aus Georgica, Aeneis und den Eklogen des Vergil nicht mehr nur um das Kolorit wie in der konventionellen biographischen Erzählung, es geht um die Erzählform selbst. Der elegische Vers wird zum Vorbild einer neuen Romanprosa; der Bewusstseinsstrom des Helden nähert sich lyrischer Form. Daher die Anklänge an Rilke, unüberhörbar, an Hölderlin. Nicht zufällig sind im Umkreis des Romans mehrere Gedichte entstanden, so auch eines, "Vergils Landschaft", das mit den Zeilen anhebt: "Denn das Wahre ist ernst; traue der Heiterkeit nicht". Der letzte Ausbruchsversuch des modernen bürgerlichen Romans sollte in die Gefilde der Hymnik führen, so war es gedacht.

Broch selbst sah in seiner Komposition ein absolutes Novum der Gattung Roman. Er meinte, eine Art lyrisches Großgedicht in Form überlanger Satzperioden geschaffen zu haben - nicht von ungefähr streute er gern den Hinweis auf Rilkes "Duineser Elegien". Die vielfachen Überarbeitungen sind auch metrische Anpassungen, man könnte sagen, verstechnische Korrekturen innerhalb der einzelnen Konstruktionsblöcke, so lange, bis der gewünschte ontologisch-hymnische Stil hergestellt war. Als Erzähler beging Broch damit eine Todsünde. Im bewussten Bruch mit der nüchternen Romanprosa vertraute er die Darstellung des Widersprüchlichen im Menschen lieber dem Lyrischen an. "Denn immer noch hat das lyrische Gedicht jene Sphäre der Seele aufgedeckt, in der deren Kontradiktionen sich integrieren."

Über viele Jahre gehörte "Der Tod des Vergil" zu meinen heimlichen literarischen Schätzen. Ich war achtzehn, als das Buch mir in einer ostdeutschen Lizenzauflage des Verlages Volk und Welt in die Hände fiel, mit seinem verlockenden grünen Schutzumschlag ein kostbarer Besitz. Es gehört zu den Risiken eines Schriftstellerlebens, dass einer sich früh in die falschen Bücher verliebt. Doch schließlich wählen nicht nur wir, in den Ausnahmefällen sind es die Bücher, die uns aus der Menge der Leser erwählen. Nie werde ich die Woge überströmender Begeisterung beim Lesen der Eröffnungsszene vergessen. Sie bestand aus einem einzigen, in Wellenrhythmen sich aufbauenden Satz, der die Einfahrt der kaiserlichen Flotte des Augustus in den Hafen von Brundisium beschrieb. Mit nichts als Sprache war hier eine Wirkung erzielt, die etwas Musikalisches und gleichzeitig Kinematographisches hatte. Von "meinen Schlangensätzen" sprach Broch selbst einmal geringschätzig in seinem Briefwechsel mit dem Freud-Schüler Paul Federn. Es waren diese Schlangensätze, mit denen mir damals die Entdeckung der Langsamkeit des Erzählens widerfuhr.

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