Produktdetails
  • Verlag: Piper
  • ISBN-13: 9783492226301
  • Artikelnr.: 07284285
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.1996

Die Schokolade des Bischofs
Rosetta Loy serviert Bittersüßes in hoher Dosis

Spätestens nach zweihundertfünfzig Seiten regt sich der Argwohn, daß es mit der "Schokolade bei Hanselmann" eine ähnliche Bewandtnis haben könne wie mit Eckhard Henscheids "Mätresse des Bischofs", wo der Titel aus Kalkül ersonnen wurde, um den Appetit des Lesers zu reizen, und zum Inhalt nicht den entferntesten Bezug hat. Aber die Römerin Rosetta Loy ist eine seriöse, jedem Schabernack abholde Schriftstellerin des Jahrgangs 1931, und in ihrem neuen Roman, der monatelang die italienischen Bestsellerlisten anführte, geht es um so ernste Dinge wie Schuld, Gerechtigkeit, Tod und Liebe. Deshalb wird die Schokolade am Ende doch noch serviert, im Café Hanselmann zu St. Moritz, und als Sahnehäubchen gibt es eine Pointe, zart hingetupft, die alles Vorausgegangene mit einem Hauch zusätzlicher Tragik veredelt.

Wie man freilich vor manchen Konditoreischaufenstern vom Sehen schon satt wird, so kann der Blick auf die Detailwaren dieser Geschichte einen Widerwillen gegen hochdosierte Bittersüße erzeugen: Großbürgerliches Milieu in politisch finsteren Zeiten, Villa in den Schweizer Bergen und Zimmerflucht in Rom, ein verfolgter jüdischer Wissenschaftler, klavierspielend, zwischen zwei schönen Halbschwestern, Familiengeheimnisse und dazu noch ein Kapitalverbrechen.

Die Temperatur des Romans ist um einiges gemäßigter, als das Resümee vermuten läßt. Rosetta Loy erzählt von einer vornehmen römischen Familie, die ungeachtet ihrer politischen Abstinenz von den Auswirkungen des faschistischen Rassenwahns betroffen wird, weil sie durch komplizierte Freundschafts- und Liebesbeziehungen mit dem jungen jüdischen Biologen Arturo Cohen verbunden ist. In ihrem Engadiner Domizil findet Arturo nach Verhängung der Rassengesetze vorübergehend Unterschlupf; er begeht dort aus Angst vor Denunziation einen Mord und verschweigt die Tat bis zum Kriegsende. Daran zerbricht seine Ehe mit Margot, der jüngeren der beiden Halbschwestern, die nie erfahren hat, daß er auch der älteren, mit seinem Universitätskollegen Enrico verheirateten Isabella leidenschaftlich zugetan war. Isabellas Tochter Lorenza, die als Kind die subtilen Spannungen zwischen den Erwachsenen beobachtet, rekonstruiert in der Nachkriegszeit die Ereignisse und liefert der Autorin die Erzählperspektive.

Wer will, mag sich dadurch provoziert fühlen, daß ein Jude hier nicht als Opfer, sondern als Täter auftritt, der sich überdies weigert, seine Handlungsweise nachträglich zu bereuen, weil er im gut alttestamentarischen Sinne die Gerechtigkeit über das Erbarmen stellt. Jedenfalls ermöglicht es die italienische Geschichte, anders als die deutsche, solche Probleme unbefangen in gepflegter Unterhaltungsprosa abzuhandeln. Und wenn es über den Betreffenden heißt, "am Grund seiner Augen" sei "etwas Ungreifbares" gewesen, "ein dunkler Punkt, an dem es kein Zurück gab", dann darf das getrost als Stilblüte und ohne Verdacht auf unterschwelligen Antisemitismus belächelt werden.

Ansonsten erlaubt sich Rosetta Loy kaum kolportagehafte Peinlichkeiten, und ihre Versuche, einer unsentimentalen, um Distanz und Objektivität bemühten Erzählung kleine poetische Glanzlichter aufzustecken, führen gelegentlich sogar zum Erfolg. Dennoch fühlt man sich als Leser weniger gefesselt als in die Pflicht genommen, und wenn die Schokolade bei Hanselmann endlich auf dem Tisch steht, mit einer diskreten Klärung verwickelter Verwandtschaftsverhältnisse garniert, dann entschwindet dieses für die Beteiligten gewiß aufregende Familienschicksal ebenso rasch aus dem Gedächtnis, wie Schlagsahne sich in heißem Kakao auflöst. KRISTINA MAIDT-ZINKE

Rosetta Loy: "Schokolade bei Hanselmann". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Piper Verlag, München 1996. 288 S., geb., 39,80 DM.

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