London 1814: Als ihr Vater mitten in der Nacht ein paar Sachen zusammenpackt, ihr noch schnell ein Geschenk in die Hand drückt und sie dann alleine in ihrem großen Haus zurücklässt, glaubt Hannah noch an eine Geschäftsreise. Doch schon bald muss sie erfahren, dass ihr Vater nicht der geschätzte
Gentleman ist, für den sie ihn gehalten hat, sondern ein Lügner und Betrüger, der seine Tochter auf der…mehrLondon 1814: Als ihr Vater mitten in der Nacht ein paar Sachen zusammenpackt, ihr noch schnell ein Geschenk in die Hand drückt und sie dann alleine in ihrem großen Haus zurücklässt, glaubt Hannah noch an eine Geschäftsreise. Doch schon bald muss sie erfahren, dass ihr Vater nicht der geschätzte Gentleman ist, für den sie ihn gehalten hat, sondern ein Lügner und Betrüger, der seine Tochter auf der Flucht vor dem Galgen einfach im Stich lässt. Hannah möchte das nicht wahrhaben und lehnt – als Tochter eines vermeintlichen Ehrenmanns – den Heiratsantrag ihres Hauslehrers Thomas Behr ab.
Nun ist das 14jährige Mädchen völlig auf sich allein gestellt und gerät bei dem Versuch, einen Teil ihres Schmucks zu Geld zu machen, in die Fänge der Justiz, die sie für ein Verbrechen beschuldigt, das sie nicht begangen hat. Unschuldig und hilflos wird sie zunächst ins Gefängnis gesteckt und später zu sieben Jahren Strafarbeit in einer australischen Kolonie verurteilt. Es folgt eine monatelange Seereise, die Hannah und ihre Mitreisenden an ihre Grenzen bringt…
Gleich vorneweg: Der kurze Klappentext, das verträumte lila-glitzernde Cover und die Einschübe des Märchens vom Mädchen Scatterheart vor den einzelnen Kapiteln wecken leider völlig falsche Erwartungen. Wer eine London-Story à la Charles Dickens erwartet, wird – wie ich – zunächst einmal enttäuscht sein und sich wundern, warum der Großteil des Buches auf dem Schiff Richtung Australien spielt. Da ist das Cover der im Januar 2o11 erscheinenden Taschenbuchausgabe deutlich passender gewählt.
Hat man sich aber erstmal damit abgefunden, dass man vielmehr eine »Rosamunde Pilcher für Jugendliche« in den Händen hält, bekommt man eine tragische (Liebes)Geschichte geboten, die durch ihre historische Authentizität besticht. Hier hat die Autoren ganze Arbeit geleistet und offenbar gründlich recherchiert.
Im Vordergrund stehen die Behandlung von Frauen und deren Stellung in der damaligen Gesellschaft sowie die Unterschiede zwischen den Klassen. Dabei mutet Lili Wilkinson ihren Lesern so einiges zu, sodass ich das Buch – auch aufgrund der teils vulgären Ausdrücke – nicht für allzu junge Mädchen empfehlen würde. Das Schicksal der Gefangenen ist geprägt von Gewalt, Leid und Unterdrückung und so manches Mal möchte man aufschreien ob so viel Ungerechtigkeit und Grauen. Es überrascht nicht, dass nicht jeder das Ziel der Reise miterleben darf.
Während die äußeren Umstände sehr glaubwürdig und bildhaft dargestellt sind, kränkelt die Figurenzeichnung allerdings ein wenig. Hannahs Charakter ist über die gesamten knapp 450 Seiten nur schwer greifbar. Die längste Zeit ist das Mädchen unsagbar naiv und auch wenn sie in den Monaten auf See an Reife gewinnt, bleibt ein fader Beigeschmack, da man ihr das verzogene Gör zu Beginn irgendwie nicht richtig abnehmen konnte. Der abgelehnte Heiratsantrag wirkt aufgesetzt, ist scheinbar einzig dazu da, die Liebesgeschichte in Gang zu bringen, die – auch das ist leider zu bemängeln - insgesamt etwas gekünstelt rüberkommt.
Wird die Zeit auf dem Schiff noch sehr ausführlich beschrieben, geht es an Land dann ziemlich schnell. Fast schon zu schnell, denn bevor man sich versieht, steuert man auf ein Ende zu, das nur einem übermäßig großen Zufall zu verdanken ist und daher ebenfalls nicht ganz überzeugt.
FAZIT: Im Hinblick auf die historische Darstellung erschütternd und beeindruckend zugleich, aber alles in allem dann leider doch nur Mittelmaß.