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Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft und ihre Bevölkerung im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Zehntausende sind ohne Obdach, viele werden ihre Heimat, das Friaul, für immer verlassen. Die Materialverschiebungen infolge der Beben sind gewaltig, sie bilden neues Gelände, an denen sich die Wucht des Eingriffs ablesen und in die Begriffe der Naturkunde fassen lässt. Doch für das menschliche Trauma, für die Erfahrung der plötzlich zersprengten Existenz, lässt sich die Sprache nicht so einfach finden.In Es...
Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft und ihre Bevölkerung im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Zehntausende sind ohne Obdach, viele werden ihre Heimat, das Friaul, für immer verlassen. Die Materialverschiebungen infolge der Beben sind gewaltig, sie bilden neues Gelände, an denen sich die Wucht des Eingriffs ablesen und in die Begriffe der Naturkunde fassen lässt. Doch für das menschliche Trauma, für die Erfahrung der plötzlich zersprengten Existenz, lässt sich die Sprache nicht so einfach finden.
In Esther Kinskys neuem, noch vor Erscheinen preisgekrönten Roman berichten sieben Bewohner eines abgelegenen Bergdorfs, Männer und Frauen, von ihrem Leben, in dem das Erdbeben tiefe Spuren hinterlassen hat, die sie langsam zu benennen lernen. Von der gemeinsamen Erfahrung von Angst und Verlust spleißen sich bald die Fäden individueller Erinnerung ab und werden zu eindringlichen und berührenden Erzählungen tiefer, älterer Versehrung.
In Esther Kinskys neuem, noch vor Erscheinen preisgekrönten Roman berichten sieben Bewohner eines abgelegenen Bergdorfs, Männer und Frauen, von ihrem Leben, in dem das Erdbeben tiefe Spuren hinterlassen hat, die sie langsam zu benennen lernen. Von der gemeinsamen Erfahrung von Angst und Verlust spleißen sich bald die Fäden individueller Erinnerung ab und werden zu eindringlichen und berührenden Erzählungen tiefer, älterer Versehrung.
Esther Kinsky wurde in Engelskirchen geboren und wuchs im Rheinland auf. Für ihr umfangreiches Werk, das Lyrik, Essays und Erzählprosa ebenso umfasst wie Übersetzungen aus dem Polnischen, Russischen und Englischen, wurde sie mit zahlreichen namhaften Preisen ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Suhrkamp
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 267
- Erscheinungstermin: 9. Februar 2022
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 132mm x 26mm
- Gewicht: 434g
- ISBN-13: 9783518430576
- ISBN-10: 3518430572
- Artikelnr.: 62726888
Herstellerkennzeichnung
Suhrkamp Verlag AG
Linienstraße 34
10178 Berlin
info@suhrkamp.de
030 7407440
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Christiane Pöhlmann lässt sich von Esther Kinskys Text ins Friaul von 1976 zurückführen, als dort die Erde bebte und hunderte Menschen starben. Was genau der Text leistet, vermag Pöhlmann nur schwer zu erfassen. Eine Geschichte gibt es nicht, und Natur und Figuren bleiben blass, meint sie. Was Kinsky "auf metaphorischer Ebene" leistet, scheint Pöhlmann allerdings bemerkenswert. Die knappen Erinnerungsfragmente über Land und Leute, teils aus allwissender, teils aus Ich-Perspektive der Figuren erzählt, wie die Rezensentin erläutert, tippen laut Pöhlmann Themen wie Arbeitsmigration oder Folklore an. Ein erzählerisches Ganzes aber wird daraus nicht, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Akribische Achtlosigkeit
Italien im Jahr 1976: Mit ihrem neuen Roman "Rombo" wagt sich Esther Kinsky an eine seismische Erinnerungsfotografie.
Goethe geht ja immer, aber Brecht war vielleicht nie so nah wie nach diesem neuen Roman von Esther Kinsky. Dem alten Meister ist mit seinem "Denn unfühlend / Ist die Natur: / Es leuchtet die Sonne / Über Bös' und Gute, / Und dem Verbrecher / Glänzen wie dem Besten / Der Mond und die Sterne" nicht viel entgegenzusetzen, doch der moderne Lyriker drängt sich nun vor, wenig edel zwar, womöglich aber hilfreich, und mault: mehr Mensch!
Der Reihe nach. Im Mai und September 1976 zerstören im Friaul Erdbeben ganze Orte, Hunderte von Menschen sterben. Kinskys Roman "Rombo" ist
Italien im Jahr 1976: Mit ihrem neuen Roman "Rombo" wagt sich Esther Kinsky an eine seismische Erinnerungsfotografie.
Goethe geht ja immer, aber Brecht war vielleicht nie so nah wie nach diesem neuen Roman von Esther Kinsky. Dem alten Meister ist mit seinem "Denn unfühlend / Ist die Natur: / Es leuchtet die Sonne / Über Bös' und Gute, / Und dem Verbrecher / Glänzen wie dem Besten / Der Mond und die Sterne" nicht viel entgegenzusetzen, doch der moderne Lyriker drängt sich nun vor, wenig edel zwar, womöglich aber hilfreich, und mault: mehr Mensch!
Der Reihe nach. Im Mai und September 1976 zerstören im Friaul Erdbeben ganze Orte, Hunderte von Menschen sterben. Kinskys Roman "Rombo" ist
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nach dem Geräusch benannt, das diesem Beben vorausgeht. Er beginnt mit einem italienischen Zitat aus Dantes "Göttlicher Komödie", dem kein Hinweis auf die Übersetzung am Ende beigegeben ist, im Anschluss wechseln sich Auslassungen zu naturwissenschaftlichen Themen mit den Beobachtungen einer quasi allwissenden Person ab, die Land und Leute beschreibt. Die einzelnen Fragmente sind recht kurz. Im Schaffen Kinskys ist all das kein Novum, zu denken ist an den preisgekrönten Geländeroman "Hain" oder an die Gedichtsammlung "Schiefern". Doch gilt bei jedem Werk aufs Neue: You never get a second chance to make a first impression. Und hier ist der erste, der anfängliche Eindruck schlecht.
Da mäandert die Sprache der Natur hinterher, da weiß jemand um ihr Fühlen. "Beim Eintritt aus den Bergen in die Moränenlandschaft knickt der Fluss von seinem Verlauf nach Osten in Richtung Süden ab und nimmt die Fella von Norden auf, zögernd, unschlüssig beide, türkis und weiß, die Unschlüssigkeit hat ein riesiges dreieckiges Kiesel- und Schotterfeld entstehen lassen, das die Karnischen Alpen von den Julischen Voralpen trennt, eine helle Fläche wie Versehrung, ein Zögerraum vor dem Hintergrund der Bergtäler, vor den abgeschiedenen Zonen mit ihren eigenen, von schwindender Nutzung abgestumpften Sprachen, ihren schrillen, hilflosen Liedern und ihren vertrackten Tänzen." Bei Kontinentalplatten, denen "so, wie sie liegen, nicht wohl ist", geht es personal zur Sache, während kurz darauf der Blick der beobachtenden Person auf einen Mann mit weißem Haar und schlimmen Zähnen fällt, der meint, die "Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt".
Darauf folgt ein "Anselmo" betiteltes Stück, das ebendiesen alten Mann vorstellt. "Er verwickelt die Grabbesucher gern in Plaudereien und bietet sich auswärtigen Hinterbliebenen als Vertrauensperson an." Weitere Erinnerungsfragmente liefern Lina, Mara, Olga, Silvia, Gigi und Toni, gleichwohl bleibt alles Tun der Menschen lange passiv dargestellt: "Vieh wurde auf Almen getrieben, Kalksteine zum Brennen gebracht, geschlagenes Holz wird zu Tal geführt." Ein Netz von Spuren dagegen "führt um Schluchten herum und sucht Furten". Erst nach etwa einem Viertel des Romans gesteht Kinsky ihren Figuren die Ich-Perspektive zu. Die Geschichten, die sie dann erzählen, sind brüchig; vereinzelt schimmert durch, dass einige miteinander befreundet oder verwandt waren, das meiste bleibt jedoch Stichwort: italienische und slowenische Partisanen, Arbeitsmigration, Träume, Scheidungen, Sprache. Am deutlichsten wird noch die Folklore erhellt. Den Eindruck vom Anfang können sie nicht mehr wettmachen, entscheidend ist jedoch ihre Beliebigkeit: Die Erinnerungsfundstücke bedeuten keinen Perspektivwechsel und fügen sich nicht zu einem Ganzen. Fiele eines weg, würde das nur den Umfang des Textes ändern.
"Fundstücke" titelt Kinsky am Ende des Romans auch einige Fragmente, die Fotos beschreiben. Die Fotografie musste lange darum kämpfen, als Kunst anerkannt zu werden. In "Rombo" wird schlaglichtartig auf ihre Frühform eingegangen und mit dem Bild aus der Sofortbildkamera eine Brücke zum Selfie der Gegenwart geschlagen. Im Grunde fotografiert Kinsky die Landschaft verbal ab und belichtet dabei die Natur über, die Menschen unter: "Im Frühling die hellgrünen Primeln, dann die gelben Trugdolden des Euphorbium, die später ins Rötliche wechseln, wie rostig. Skabiosen. Storchenschnabel. Margeriten. Kleinblütiger Thymian, Schafgarbe, Wiesenkerbel, wilder Majoran. Wickenartige, gelb. Glockenblumen. Knabenkraut." Doch Silvia kann nur sagen: "Ich habe ein gutes Gedächtnis, ich kann Dinge leicht behalten." Deshalb erinnert sie sich an einen Streit der Eltern noch vor dem Erdbeben, als im Fernsehen der Schlagerwettbewerb von San Remo übertragen wird. Das war mehr als 25 Jahre her. "Aber das Lied weiß ich bis heute, und bis heute meine ich, es handelt vom Streit meiner Eltern." Mehr nicht, kein Titel.
Es ist nicht das Geringste dagegen einzuwenden, wenn Kinsky der Krone der Schöpfung einen Zacken herausbricht. Der hochartifiziellen Struktur ihres Romans steht, als die sieben Personen endlich eine eigene Stimme erhalten, eine bewusst geformte, wiewohl sehr einfache Sprache gegenüber. Die übrigen Fragmente bringen das erwartbare Raunen - "Der Himmel gibt sich dunkelstimmig, der Rombo ist nie weit" -, sprechen dezent von allgemeiner Unbehaustheit und universeller Katastrophe. Auf metaphorischer Ebene gibt der Roman einiges her, eine Geschichte erzählt er nicht. Schon gar keine vielschichtige.
Nur eine Erinnerung Linas fast am Ende des Romans ist individueller und plastischer geprägt. Ihre jüngere Schwester wird nach dem Erdbeben im Mai von einem Soldaten aus den Hilfstrupps schwanger. Der lässt sie sitzen, weder Kräuter noch Bäder mit Seifenlauge helfen. Dann folgt im September das zweite Beben, das weniger Opfer verlangt. "Und auch meine Schwester hat Glück gehabt, in all dem Hin und Her und dem Schreck und der Angst ist es ihr abgegangen, was sie da im Bauch hatte. Sie hat es mir am nächsten Abend gesagt, sie hat arg geblutet, aber es ging schon besser, und sie hat gelacht und geweint, es war ja auch alles so ein Schreck."
Kurioserweise bleibt an "Rombo" alles blass, selbst die kleinteilig beschriebene Natur. Es ist Lina, die ihr fast noch Mitgefühl entgegenbringt, denn "die Landschaft vergisst nicht, was ihr zugestoßen ist". Schade, dass die Natur nicht lesen kann. CHRISTIANE PÖHLMANN
Esther Kinsky: "Rombo". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 267 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Da mäandert die Sprache der Natur hinterher, da weiß jemand um ihr Fühlen. "Beim Eintritt aus den Bergen in die Moränenlandschaft knickt der Fluss von seinem Verlauf nach Osten in Richtung Süden ab und nimmt die Fella von Norden auf, zögernd, unschlüssig beide, türkis und weiß, die Unschlüssigkeit hat ein riesiges dreieckiges Kiesel- und Schotterfeld entstehen lassen, das die Karnischen Alpen von den Julischen Voralpen trennt, eine helle Fläche wie Versehrung, ein Zögerraum vor dem Hintergrund der Bergtäler, vor den abgeschiedenen Zonen mit ihren eigenen, von schwindender Nutzung abgestumpften Sprachen, ihren schrillen, hilflosen Liedern und ihren vertrackten Tänzen." Bei Kontinentalplatten, denen "so, wie sie liegen, nicht wohl ist", geht es personal zur Sache, während kurz darauf der Blick der beobachtenden Person auf einen Mann mit weißem Haar und schlimmen Zähnen fällt, der meint, die "Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt".
Darauf folgt ein "Anselmo" betiteltes Stück, das ebendiesen alten Mann vorstellt. "Er verwickelt die Grabbesucher gern in Plaudereien und bietet sich auswärtigen Hinterbliebenen als Vertrauensperson an." Weitere Erinnerungsfragmente liefern Lina, Mara, Olga, Silvia, Gigi und Toni, gleichwohl bleibt alles Tun der Menschen lange passiv dargestellt: "Vieh wurde auf Almen getrieben, Kalksteine zum Brennen gebracht, geschlagenes Holz wird zu Tal geführt." Ein Netz von Spuren dagegen "führt um Schluchten herum und sucht Furten". Erst nach etwa einem Viertel des Romans gesteht Kinsky ihren Figuren die Ich-Perspektive zu. Die Geschichten, die sie dann erzählen, sind brüchig; vereinzelt schimmert durch, dass einige miteinander befreundet oder verwandt waren, das meiste bleibt jedoch Stichwort: italienische und slowenische Partisanen, Arbeitsmigration, Träume, Scheidungen, Sprache. Am deutlichsten wird noch die Folklore erhellt. Den Eindruck vom Anfang können sie nicht mehr wettmachen, entscheidend ist jedoch ihre Beliebigkeit: Die Erinnerungsfundstücke bedeuten keinen Perspektivwechsel und fügen sich nicht zu einem Ganzen. Fiele eines weg, würde das nur den Umfang des Textes ändern.
"Fundstücke" titelt Kinsky am Ende des Romans auch einige Fragmente, die Fotos beschreiben. Die Fotografie musste lange darum kämpfen, als Kunst anerkannt zu werden. In "Rombo" wird schlaglichtartig auf ihre Frühform eingegangen und mit dem Bild aus der Sofortbildkamera eine Brücke zum Selfie der Gegenwart geschlagen. Im Grunde fotografiert Kinsky die Landschaft verbal ab und belichtet dabei die Natur über, die Menschen unter: "Im Frühling die hellgrünen Primeln, dann die gelben Trugdolden des Euphorbium, die später ins Rötliche wechseln, wie rostig. Skabiosen. Storchenschnabel. Margeriten. Kleinblütiger Thymian, Schafgarbe, Wiesenkerbel, wilder Majoran. Wickenartige, gelb. Glockenblumen. Knabenkraut." Doch Silvia kann nur sagen: "Ich habe ein gutes Gedächtnis, ich kann Dinge leicht behalten." Deshalb erinnert sie sich an einen Streit der Eltern noch vor dem Erdbeben, als im Fernsehen der Schlagerwettbewerb von San Remo übertragen wird. Das war mehr als 25 Jahre her. "Aber das Lied weiß ich bis heute, und bis heute meine ich, es handelt vom Streit meiner Eltern." Mehr nicht, kein Titel.
Es ist nicht das Geringste dagegen einzuwenden, wenn Kinsky der Krone der Schöpfung einen Zacken herausbricht. Der hochartifiziellen Struktur ihres Romans steht, als die sieben Personen endlich eine eigene Stimme erhalten, eine bewusst geformte, wiewohl sehr einfache Sprache gegenüber. Die übrigen Fragmente bringen das erwartbare Raunen - "Der Himmel gibt sich dunkelstimmig, der Rombo ist nie weit" -, sprechen dezent von allgemeiner Unbehaustheit und universeller Katastrophe. Auf metaphorischer Ebene gibt der Roman einiges her, eine Geschichte erzählt er nicht. Schon gar keine vielschichtige.
Nur eine Erinnerung Linas fast am Ende des Romans ist individueller und plastischer geprägt. Ihre jüngere Schwester wird nach dem Erdbeben im Mai von einem Soldaten aus den Hilfstrupps schwanger. Der lässt sie sitzen, weder Kräuter noch Bäder mit Seifenlauge helfen. Dann folgt im September das zweite Beben, das weniger Opfer verlangt. "Und auch meine Schwester hat Glück gehabt, in all dem Hin und Her und dem Schreck und der Angst ist es ihr abgegangen, was sie da im Bauch hatte. Sie hat es mir am nächsten Abend gesagt, sie hat arg geblutet, aber es ging schon besser, und sie hat gelacht und geweint, es war ja auch alles so ein Schreck."
Kurioserweise bleibt an "Rombo" alles blass, selbst die kleinteilig beschriebene Natur. Es ist Lina, die ihr fast noch Mitgefühl entgegenbringt, denn "die Landschaft vergisst nicht, was ihr zugestoßen ist". Schade, dass die Natur nicht lesen kann. CHRISTIANE PÖHLMANN
Esther Kinsky: "Rombo". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 267 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Was diese Schrift birgt, das geht nicht verloren. Sie manifestiert Gedächtnis, konserviert, was durch den Wandel der Zeit und nicht zuletzt durch das Erdbeben physisch ausgelöscht oder umgestaltet wurde. ... Alles Dasein hält sich in unabsehbarer Evolution. Nur dieses Buch, Rombo, es dürfte den Sog der Vergänglichkeit überdauern.« Björn Hayer neues deutschland 20220324
Eine Geschichte, die partout keine sein will
Der das Thema des neuen Romans von Esther Kinsky bereits andeutende Titel «Rombo» steht im Italienischen mythisch für das dumpfe, mehr spür- als hörbare Grollen aus der Tiefe, welches heftigen Erdbeben vorauszugehen scheint. …
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Eine Geschichte, die partout keine sein will
Der das Thema des neuen Romans von Esther Kinsky bereits andeutende Titel «Rombo» steht im Italienischen mythisch für das dumpfe, mehr spür- als hörbare Grollen aus der Tiefe, welches heftigen Erdbeben vorauszugehen scheint. Es geht hier um die verheerenden Erdbeben, die am 6. Mai 1976 im Bereich des Monte San Simeone im Friaul begannen und denen im September gleichen Jahres weitere schwere Erdbeben folgten. Bis zum Herbst jenes Jahres zerstörten die gewaltigen Erschütterungen zehntausende Häuser und forderten fast tausend Tote. Wie schon in «Hain», ihrem letzten Roman, dienen auch hier ausufernde Beschreibungen von Natur und Landschaft als stimmungsmäßige Grundierung für das eigentliche Thema. Es geht um das menschliche Trauma bleibender Erinnerungen an zerstörerische Naturgewalten, das in Worte zu fassen nicht so einfach ist. Ähnlich traumatische Erfahrungen von 9/11, nicht weniger schrecklich, zeugen davon.
Jedes der sieben Abschnitte des Romans wird durch ein kurzes Zitat aus verschiedenen wissenschaftlichen Werken zur Geognosie eingeleitet, wie die Lehre von Aufbau und Struktur der Erdkruste im neunzehnten Jahrhundert noch hieß. Ebenso fachkundigen Ehrgeiz verwendet die Autorin auf ihre eigenen, minutiösen Schilderungen der zerklüfteten Landschaft des betroffenen Gebietes. Mit großer sprachlicher Präzision beschreibt sie die Eigenarten von Flora und Fauna der rauen Bergregion mit ihren oft extremen Wetterlagen. Die krempeln im Verein mit den häufigen Erdbeben die geologischen Verhältnisse manchmal derart um, dass quasi neues Gelände entsteht. Meist durch Felsstürze oder plötzliche Schneeschmelze verursacht, werden unversehens Flüsse und Bäche in ein entferntes Bett umgelenkt. Oder durch Fels und Geröll verursachte Aufstauungen lassen an anderer Stelle neue Tümpel und Teiche entstehen. - und nichts ist mehr, wie es mal war.
Wenn es im Roman heißt, «die Erinnerungen, das sind wir selbst», dann ist das ein Hinweis auf die sieben Dorfbewohner, die zum Teil als Ich-Erzähler in meist kurzen Erinnerungs-Schnipseln über sich selbst und ihre persönlichen Lebensumstände, vor allem aber über ihre Beobachtungen und Erlebnisse vor, beim und nach dem Erdbeben berichten. Allesamt Einwohner des armseligen Bergdorfes Venzone, das sich mangels Arbeitsplätzen zusehends entvölkert und immer mehr ins Abseits gedrängt wird. «Die Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt», merkt der alte Anselmo zum Thema an. Esther Kinsky verwendet ihre fiktiven Protokolle nicht dokumentarisch, sondern schiebt sie in scheinbar bunter Folge in ihre thematisch nur bruchstückhaft zusammen gefügten Natur-Betrachtungen ein. Angereichert wird dieses Pendeln zwischen den Erzähl-Gegenständen durch immer wieder mal eingeschobene Mythen wie die von «Rombo», dem seismischen Unglücksboten. Es gibt aber auch Legenden und Sagen, wie sie zum Beispiel im Lied von der «Riba Faronika», dem pharaonischen Fisch, in der Region weiterleben als eigenständige Schöpfungs-Geschichte.
Mit ihrem verstörenden Mix aus Natur, Trauma und Mythen stellt die Autorin dem äußeren Chaos ein poetologisches gegenüber, eines der Sphären und Wörter, wohl um das Unfassbare sichtbar zu machen. Insoweit kann man ihren artifiziellen Roman als metaphorisch angelegten Versuch über das Erinnern lesen. Und natürlich steckt darin auch die alte Frage der Theodizee, wie kann Gott das zulassen? Durch ihre peniblen Natur-Beschreibungen festigt sie zunehmend den Eindruck, dass aber alles richtig ist, wie es ist. All diesen vielen geologischen und biologischen Exkursen, den Berichten ihrer blutleer bleibenden Figuren, den knappen, auktorialen Ergänzungen über Land und Leute fehlt jedoch ein narrativer Überbau, der die nicht weniger als 142 disparaten Textblöcke zu einer als Roman überzeugenden Prosa mit erkennbar rotem Faden zusammen bindet. Denn so bleibt kaum was haften nach der Lektüre einer Geschichte, die nun mal partout keine sein will.
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Rombo von Esther Kinsky ist ein fein und genau geschriebenes Buch über zwei Erdbeben im Jahr 1978 in Italien.
Kinsky entwickelt eine sprachliche Poetik, die sich in einem prägenden Sound entlädt. Einerseits lässt sie sieben Figuren wie Zeitzeugen zu Wort kommen, andererseits …
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Rombo von Esther Kinsky ist ein fein und genau geschriebenes Buch über zwei Erdbeben im Jahr 1978 in Italien.
Kinsky entwickelt eine sprachliche Poetik, die sich in einem prägenden Sound entlädt. Einerseits lässt sie sieben Figuren wie Zeitzeugen zu Wort kommen, andererseits bindet sie dazwischen Passagen ein, die die ländliche Umgebung, die Fauna und Flora betrachten. Aber auch die Stimmen der berichtenden Menschen, die zum Zeitpunkt der Beben überwiegend noch Kinder waren, werden melodiös und zu einem eigenständigen Motiv.
Mit der Zeit wiederholt sich aber viel und das Buch ist auch viel zu lang. Das nahm dem Buch für mich ein wenig an Stärke, doch als Leseerlebnis bleibt es bestehen. Was auch bleibt, ist die Bewunderung für die sprachliche Eleganz der Autorin.
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