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1959, sechs Jahre nach dem Ende des Korea-Kriegs, kommt ein junger amerikanischer Soldat in einer entlegenen Militärbasis auf Grönland einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur. Wie schon in "Rausch" entfaltet John Griesemer abermals eine packende Geschichte vor einem historischen Hintergrund: In der Tradition von "MASH" und "Catch 22" entlarvt "Niemand denkt an Grönland" den Wahnsinn des Krieges - subversiv und unerbittlich.

Produktbeschreibung
1959, sechs Jahre nach dem Ende des Korea-Kriegs, kommt ein junger amerikanischer Soldat in einer entlegenen Militärbasis auf Grönland einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur. Wie schon in "Rausch" entfaltet John Griesemer abermals eine packende Geschichte vor einem historischen Hintergrund: In der Tradition von "MASH" und "Catch 22" entlarvt "Niemand denkt an Grönland" den Wahnsinn des Krieges - subversiv und unerbittlich.
Autorenporträt
John Griesemer
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2004

Ihre Leichen leben noch
John Griesemers Roman über ein dunkles Kapitel des Korea-Kriegs

Macht nichts, wenn Sie ihn damals in "Malcolm X" oder "Tage des Donners" übersehen haben. Die Verlage haben ja auch seinen Erstling übersehen, der erst jetzt auf deutsch herauskommt, nachdem sein zweiter Roman, "Rausch", monatelang auf der Bestsellerliste stand. An Grönland hat da keiner gedacht, so wenig wie an die eher kleinen Filmrollen von John Griesemer. Griesemer ist mittlerweile siebenundfünfzig und schreibt mehr, als daß er vor der Kamera steht. Er wurde als junger Mann für den Dschungelkampf in Vietnam ausgebildet - und durfte dann zu Hause bleiben. Doch diese Erfahrung hat ihn nicht losgelassen, und als er vor Jahren ein Reisebuch von Lawrence Millman über Grönland las, in dem auch ein geheimes Lazarett für Schwerstverwundete aus dem Korea-Krieg auftauchte, wurde daraus sein erster Roman.

"Niemand denkt an Grönland" ist ein historischer Roman wie sein Bestseller "Rausch", der von der Verlegung des ersten Transatlantikkabels erzählt. Der Kalte Krieg ist uns nicht sehr viel näher; Korea ist nach Vietnam und dem Irak nicht einmal in Amerika sonderlich virulent. Es ist fast schon im Nebel der Erinnerung verschwunden, wenn der Roman einsetzt, im Jahre 1959, auf einer Militärbasis am Rande der Welt. Der Corporal Rudy Spruance wird in die grönländische Einöde versetzt, ohne zunächst zu wissen, wo er überhaupt gelandet ist. Er ist schon zum Opfer von Myriaden von Stechmücken geworden, als wir ihn auf der ersten Seite kennenlernen, und dieses erste Kapitel hat manche Rezensenten dazu gebracht, das Buch mit der Fernsehserie "M.A.S.H." oder mit Joseph Hellers Klassiker "Catch-22" zu vergleichen, weil die Situation absurd und der Tonfall satirisch ist, wenn der bis zur Unkenntlichkeit zerstochene Rudy im Bett liegt. ",Im Krieg geht man durch die Hölle', sagte die Krankenschwester zu Rudy. ,Und danach kommt man zu uns.'"

Das ist ein guter Wahlspruch, und auch Rudy kapiert bald, warum. Er entdeckt das Lazarett, das sie nur "den Flügel" nennen. Der kommandierende Colonel Woolwrap hat seine Schuldgefühle mit Eichenholz vertäfelt und mit Tiffanylampen beleuchtet. In Korea hat er als Quartiermeister ein Bataillon mit fehlerhaftem Material beliefern lassen. Und so vegetieren hier, sechs Jahre danach, Männer, denen Kiefer, Augen, Ohren und Gliedmaßen fehlen, verstümmelt und vergessen. Ihren Angehörigen hat man mitgeteilt, sie seien vermißt. Es ist ein Ort des Transits, eine letzte Rast, ein Niemandsland zwischen Leben und Tod.

Die äußerlich unversehrten Soldaten, die hier stationiert sind, unterhalten sich mit Gelagen oder Eisbärjagden im Jeep, und "die totale Umnachtung", wie sie es nennen, resultiert nicht aus der winterlichen Dunkelheit der polaren Welt allein. Rudy darf eine Stützpunktzeitung machen, er verliebt sich in Irene, die Geliebte des Kommandanten. Er entdeckt dunkle Geheimnisse, er freundet sich mit einem der Halbtoten an, dem er aus Walt Whitmans Gedichten vorliest und der einfach "Guy X" heißt, was ein bißchen arg forciert klingt. Und Rudy erlebt, wie sich dieses Land hinter der Hölle langsam auflöst. Das Lager wird verkleinert, dann abgewickelt, es bleiben nur halbgefrorene Ruinen und eine halberfrorene Liebesgeschichte.

Ein paar Kunstgriffe hätte Griesemer sich dabei sparen können. Daß Rudy, bevor er sich zur Army meldete, in fremde Häuser einstieg, sich ins Wohnzimmer setzte und Fernsehen schaute, weil er seinem eigenen Zuhause entfliehen wollte, mag ja sein; daß er am Ende dann zu wissen glaubt, was er bei diesen Hausfriedensbrüchen suchte, nämlich Irene, ist nicht nur kitschig, sondern auch ziemlich unsinnig. Daß Rudy immer wieder die menschlichen Torsi, die Vergessenen des Kriegs, aufsuchen muß, gehört zum Plot; daß er am Ende durch Erfrierungen einen halben Fuß und die meisten Finger der linken Hand verliert, daß ihn ein Vorgesetzter auch noch auf die Ironie dieses Schicksals aufmerksam machen muß, ist viel zu konstruiert, um stimmig zu sein.

Griesemers Grönland-Exkursion ist kein schlechtes Buch, es ist nie langweilig, der lakonische, schnörkellose Ton ist angenehm, aber es ist auch nie mitreißend. Manchmal hat man das Gefühl, der Stoff sei auch dem Autor zu fern geblieben - eher angelesen als anverwandelt. Die Faszination, die von Millmans Reisebericht ausging, springt auf den Leser über, die Story, die sich daraus entwickelt hat, ist funktionstüchtig wie ein solides Drehbuch, doch die Charaktere, mit denen Griesemer diese absurde Welt bevölkert hat, sind farblos wie die arktische Landschaft. Daß einer gegen den militärischen Irrsinn ist, gegen den Krieg, und deshalb ein Buch schreibt, dagegen kann ja niemand etwas haben. Es wäre allerdings auch nicht schlecht gewesen, wenn die Charaktere nicht ganz so vage und papieren wie die Botschaft ausgefallen wären.

PETER KÖRTE

John Griesemer: Niemand denkt an Grönland. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingo Herzke. Marebuchverlag, Hamburg 2004. 336 S., geb., 19,90 [Euro].

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