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A beautiful new edition of Lavinia Greenlaw's mesmerising debut novel about growing up in the surreal banality of mid-'70s Essex. 'A poet's eye clearly informs Greenlaw's beautifully observed portrait of Seventies provincial life. In prose layered like paint, Greenlaw conjures up the period through details that will strike endless chords with readers who grew up at that time. . . This is a suggestive, elusive novel, which achieves a magical effect by the gradual accumulation of images. ' VogueLavinia Greenlaw puts before us the monochrome, immemorial middle England of the 1970s in all its…mehr

Produktbeschreibung
A beautiful new edition of Lavinia Greenlaw's mesmerising debut novel about growing up in the surreal banality of mid-'70s Essex. 'A poet's eye clearly informs Greenlaw's beautifully observed portrait of Seventies provincial life. In prose layered like paint, Greenlaw conjures up the period through details that will strike endless chords with readers who grew up at that time. . . This is a suggestive, elusive novel, which achieves a magical effect by the gradual accumulation of images. ' VogueLavinia Greenlaw puts before us the monochrome, immemorial middle England of the 1970s in all its dowdy glory, and has us see through the mercurial, bewitching Mary George's eyes how a seemingly static landscape is suddenly illuminated by the most vivid bursts of energy, colour and drama. Punk's torch flares into life and singes the fringes of England. Mary George bears witness and burns brighter still: she is more memorable than even the extraordinary events around her, and the reader will find it devastatingly hard to leave her company at the end of this exceptional debut about growing up under the shadow of an unknowable, inescapable small-town mystery.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Mädchen aus Nirgendwo
Lavinia Greenlaw spielt Dörferversenken / Von Thomas Poiss

Allnorthover, das ist ein fiktives Kaff an der Straße zwischen London und Colchester, zudem in der Nähe eines Ingfield-Stausees und eines Städtchens Camptown, die wohl mit dem realen Hanningfield Reservoir und Chelmsford gleichzusetzen wären - wenn es denn darauf ankäme. Doch dieses Niemandsland, in dem die siebzehnjährige Mary George heranwächst, ist ebenso formlos wie die Zeit, die in diesem Buch erzählt wird. Mit allen Details werden wir in die siebziger Jahre versetzt, als die letzten Kanten der Achtundsechziger-Generation sich im kurzatmigen Recycling der Moden auflösten: Plateausohlen und Schlaghosen neben Hüten der dreißiger Jahre, Folklore-Look neben Nylonkleidern, es gibt noch Langhaarige, aber sie werden schon von den ersten Glatzen und Stachelfrisuren als Hippies beschimpft. Der amorphen Vorstadt und Hinterwelt entspricht das Vermischen aller Stile durch Camptowns DJ Terry Flux oder durch Antiquitäten-Trödler wie Marys Mutter Stella. Noch gibt es kirchliche Wohltätigkeitsfeste, aber Disco und Punk bilden die Gegenwirklichkeit.

In dieses Durcheinander stolpert die extrem kurzsichtige Mary George, nimmt an allem teil, trinkt und kifft, flirtet und experimentiert parallel mit zwei Freunden und schwankt dabei zwischen zwei Cliquen: den mondänen, von der Arzttochter Clara angeführten Kunststudenten und den Dorfmädchen, bei denen die Serviererin Lucie das Sagen hat. Die scheinbar konträren Ausbruchsversuche aus der Elternwelt führen die anderen aber ihrerseits wieder nur in eine unbewußte Wiederholung von sozialen und affektiven Mustern, bloß Mary George fällt durch ihre täppische Ungeschicktheit durch jeglichen Gruppenraster.

Die 1962 in London geborene Lyrikerin Lavinia Greenlaw schildert diese Welt mit beklemmender, bisweilen komischer Intensität. Aus straffen Textpassagen montiert sie ein polyperspektivisches Bild, dessen Wirklichkeitsgrad jeden Historiker entzücken muß. Aber um das realistische Darstellen des Einerleis aus Dingen, Meinungen und Moden geht es der Erzählerin nur zum geringsten Teil, auch nicht um die kulturelle Initiation eines Teenagers. Das Ganze steht auf dem Spiel, wie in jeder Erzählung von Rang: Zeit und Erinnerung, Tod und Vergessen inmitten des erzählten Lebensflusses - und die wenigen Momente, in denen wir über das Verhängnis hinaussehen.

Auch Mary George verfällt bisweilen in Panik, doch zugleich ist sie von mitreißender Energie und von bestechender Klarsicht, etwa wenn sie das Erwachsenwerden fühlt, "als würde sie langsam aus ihrem Kopf in die Welt hinausgedrängt". Aus dem eigenen Kopf hinausgedrängt zu werden - diese Erfahrung teilt sie mit Tom Hepple. Dieser kehrt zu Beginn des Romans nach zehn Jahren in psychiatrischen Anstalten ins Haus seines Bruders Christie zurück und sieht zufällig, wie Mary George am frühen Morgen mit geschlossenen Augen auf einem Ast über dem Stausee balanciert. Seit dieser "Vision", seit diesem Schweben im Licht über dem Wasser, stellt Tom Mary nach, um von ihr den entscheidenden Hinweis zu erhalten. Tom muß nämlich etwas in Ordnung bringen, und dazu braucht er Mary. Was da an den rechten Ort soll, schält sich erst allmählich heraus, denn die Enge Allnorthovers, in dem alle miteinander "praktisch verwandt" sind und alles voneinander wissen, läßt die Bewohner in Andeutungen sprechen.

Im verborgenen Zentrum des Buches steht jene Katastrophe, die vor zehn Jahren das Dorf gespalten hatte: der Bau des Staudamms. Durch ihn verloren Tom und Christie Hepple das Haus ihrer Mutter Iris, die kurz vor dem Enteignungsbescheid an Krebs starb. Der einzige, der sie in jenem Winter im Krankenhaus besuchte, war der Architekt Matthew George, der Vater von Mary, der zugleich auch zu den Initiatoren des Staudamms gehörte. Iris wiederum war Matthews Ziehmutter gewesen, und die beiden verband noch ganz zuletzt mehr als eine Mutter-Kind-Beziehung. Was genau, läßt sich nicht mehr feststellen, aber immerhin war es so stark, daß die Ehe von Marys Eltern daran zerbrach, als herauskam, daß Matthew und nicht die leiblichen Söhne von Iris das Haus erben sollten. Das klingt melodramatischer, als es ist, denn der Kern der Geschehnisse verbirgt sich hinter den Sichtweisen der Beteiligten, verändert unaufhörlich seine Gestalt und auch seine Wirkung. Zwar gibt es im Laufe der Erzählung noch mehrere Unfälle, zwei Tote, ein Feuer und eine Straßenschlacht nach einem Punk-Konzert, aber mindestens genauso wichtig sind die Entdeckungen und Gedanken, die Mary sich als Friseurgehilfin beim Waschen der Haare einer alten Frau macht: Das menschliche Gesicht, um hundertachtzig Grad gedreht und von oben betrachtet, zerfällt unter ihren Händen und zerfließt vor ihren Augen.

Nur Tom Hepples kann den Fluß der Zeit nicht akzeptieren. Er erinnert sich zwanghaft und fotografisch genau an das Dorf, wie es war, an das Dorf, an das sich die anderen nur in den seltensten Fällen erinnern. Sein Versuch, die alte Ordnung teilweise wiederherzustellen, indem er die Überreste seiner Mutter bei ihrem versunkenen Haus ein zweites Mal bestattet, führt naturgemäß zu einer zweiten Katastrophe. Die Grenze zwischen Außenwelt und Toms Innerem bricht definitiv zusammen, während die äußerlich und innerlich nicht weniger gefährdete Mary einen Zimmerbrand heil übersteht. Daß sie bald aus Allnorthover fortgehen wird wie einst ihr Vater, ergibt sich zwingend, auch wenn es nirgends eindeutig ausgesprochen wird.

Lavinia Greenlaw trägt bei ihrem Erzähldebüt die Wasser-und-Feuer-Symbolik etwas kräftig auf und ringt manchmal mit dem Verhältnis von Personen- und Erzählperspektive, doch das exzellent übersetzte Gesamtergebnis übertrifft selbst hohe Erwartungen. Was daherkommt wie ein epochentypischer Initiationsroman, entpuppt sich als Schilderung des permanenten Entstehens und Vergehens von Bewußtsein, von Wirklichkeit und Schicksal. Greenlaws Sprache tastet genau nach jener flüchtigen Grenze zwischen innen und außen, die nicht nur Verrückte nicht zu fassen bekommen und die die biederen Dörfler und Kleinstädter ebenso wie die aufgekratzten Jugendlichen mit Surrogaten, unbeholfenem Lifestyling und schließlich mit Marotten überkleben oder mit Alkohol überschwemmen. Daß die Autorin ein Heraklit-Motto vor die lächerlichen siebziger Jahre setzt, ist nicht zu hoch gegriffen: Der Irrsinn der fließenden Wirklichkeit, betrachtet mit der Lupe von Greenlaws Kunst, ist immerwährend.

Lavinia Greenlaw: "Die Vision der Mary George". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Hedinger. DuMont Buchverlag, Köln 2001. 370 S., geb., 44,- DM.

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