Maria Stepanova
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Nach dem Gedächtnis
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Ein Buch macht Furore, ein neues Genre ist erfunden: der »Metaroman«. Liebesgeschichten und Reiseberichte, Reflexionen über Fotografie, Erinnerung und Trauma verschmilzt die Stimme der Autorin zu einer spannungsvollen essayistischen Erzählung. Im Zentrum steht eine weitverzweigte jüdisch-russisch-europäische Familie von Ärzten, Architekten, Bibliothekaren, Buchhaltern und Ingenieuren, die in unzivilisierten, gewaltgeprägten Zeiten ein stilles, unspektakuläres Leben führen wollten.Maria Stepanova durchmisst einen Gedächtnisraum, in dem die Linien des privaten Lebens haarscharf an den...
Ein Buch macht Furore, ein neues Genre ist erfunden: der »Metaroman«. Liebesgeschichten und Reiseberichte, Reflexionen über Fotografie, Erinnerung und Trauma verschmilzt die Stimme der Autorin zu einer spannungsvollen essayistischen Erzählung. Im Zentrum steht eine weitverzweigte jüdisch-russisch-europäische Familie von Ärzten, Architekten, Bibliothekaren, Buchhaltern und Ingenieuren, die in unzivilisierten, gewaltgeprägten Zeiten ein stilles, unspektakuläres Leben führen wollten.
Maria Stepanova durchmisst einen Gedächtnisraum, in dem die Linien des privaten Lebens haarscharf an den Abbruchkanten der Epochenlandschaft entlangführen. Sie sichtet Dinge aus »der Bibliothek einer anderen, untergegangenen visuellen Kultur«, hinterlassen von Menschen, die sich wenig Mühe gaben, aufzufallen: »Bei allen anderen bestand die Familie aus Teilnehmern der Geschichte, bei mir nur aus ihren Untermietern«.
In einer leichten, dichtgewebten poetischen Sprache, die von sinnlicher und intellektueller Anschauung zehrt, fügt Maria Stepanova ihre Fundstücke zu einem Panorama der Epoche.
Prädestiniert, Opfer von Verfolgung und Repressionen zu werden, haben alle ihre Verwandten es geschafft, die Schrecken des 20. Jahrhundert zu überleben. Wie war das möglich? Aus dieser Frage ist ein unvergleichliches Buch entstanden.
Maria Stepanova durchmisst einen Gedächtnisraum, in dem die Linien des privaten Lebens haarscharf an den Abbruchkanten der Epochenlandschaft entlangführen. Sie sichtet Dinge aus »der Bibliothek einer anderen, untergegangenen visuellen Kultur«, hinterlassen von Menschen, die sich wenig Mühe gaben, aufzufallen: »Bei allen anderen bestand die Familie aus Teilnehmern der Geschichte, bei mir nur aus ihren Untermietern«.
In einer leichten, dichtgewebten poetischen Sprache, die von sinnlicher und intellektueller Anschauung zehrt, fügt Maria Stepanova ihre Fundstücke zu einem Panorama der Epoche.
Prädestiniert, Opfer von Verfolgung und Repressionen zu werden, haben alle ihre Verwandten es geschafft, die Schrecken des 20. Jahrhundert zu überleben. Wie war das möglich? Aus dieser Frage ist ein unvergleichliches Buch entstanden.
Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist die international erfolgreichste russische Dichterin der Gegenwart. Für ihr umfangreiches lyrisches und essayistisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Prosadebüt Nach dem Gedächtnis (2018) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie lebt zurzeit in Paris.
Produktdetails
- Verlag: Suhrkamp
- Originaltitel: Pamjati pamjati
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 524
- Erscheinungstermin: 12. November 2018
- Deutsch
- Abmessung: 216mm x 131mm x 43mm
- Gewicht: 636g
- ISBN-13: 9783518428290
- ISBN-10: 3518428292
- Artikelnr.: 52361139
Herstellerkennzeichnung
Suhrkamp Verlag AG
Torstr. 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
www.suhrkamp.de
+49 (030) 740744-0
Sind wir nur Dämmstoff der Geschichte?
Maria Stepanovas "Nach dem Gedächtnis" ist ein vielschichtiger, von Zweifeln grundierter Essay über das Wesen des Erinnerns
Ein kaum drei Zentimeter großes Porzellanpüppchen wollte Maria Stepanova zum Leitmotiv ihres als "Metaroman" annoncierten Buches "Nach dem Gedächtnis" machen. Tatsächlich handelt es sich um einen erzählerischen, von Kulturwissenschaft und Literatur ebenso wie von Skrupeln grundierten Essay über die eigene jüdisch-russische Familie, über die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und über das Erinnern selbst. Die Porzellanfigur hatte die 1972 in Moskau geborene Autorin und Redakteurin von "colta.ru", einer Internetzeitschrift für Kultur, Gesellschaft und
Maria Stepanovas "Nach dem Gedächtnis" ist ein vielschichtiger, von Zweifeln grundierter Essay über das Wesen des Erinnerns
Ein kaum drei Zentimeter großes Porzellanpüppchen wollte Maria Stepanova zum Leitmotiv ihres als "Metaroman" annoncierten Buches "Nach dem Gedächtnis" machen. Tatsächlich handelt es sich um einen erzählerischen, von Kulturwissenschaft und Literatur ebenso wie von Skrupeln grundierten Essay über die eigene jüdisch-russische Familie, über die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und über das Erinnern selbst. Die Porzellanfigur hatte die 1972 in Moskau geborene Autorin und Redakteurin von "colta.ru", einer Internetzeitschrift für Kultur, Gesellschaft und
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Politik, in einer Kiste mit unzähligen anderen beschädigten Püppchen auf dem Flohmarkt entdeckt.
Angeblich - verifizieren allerdings kann Stepanova dies nicht - dienten die Püppchen, die seit Ende der 1880er Jahre in einer Fabrik in Deutschland produziert wurden, einst als eine Art Dämmstoff: "Billig und anspruchslos, wie sie waren, wurden sie als Verpackungsmaterial beim Gütertransport benutzt, damit die schweren Gegenstände der Epoche einander nicht die Seiten zerschrammten, wenn sie im Dunkeln zusammenstießen."
Sinnbildlicher kann man das Schicksal des Individuums, das zwischen den Bewegungen der Politik, wo nicht zermalmt, so doch versehrt wird, kaum fassen. Es klingt beinahe zu treffend, um wahr sein zu können. Auch auf ihre Familie, deren Mitglieder Stepanova nicht als Protagonisten, sondern lediglich als "Untermieter" der Geschichte begreift, passt die Vorstellung von den Figuren allzu gut.
Irritierend aber mutet Stepanovas Schlussfolgerung aus dem Vergleich von zerschlagenen Puppen und Menschen an: "dass nur das Trauma uns aus Massenware in unverwechselbare, einzigartige Wesen verwandelt, in uns selbst". Ein Einverständnis klingt da hindurch, eine Anerkennung der historischen Unmenschlichkeiten und Verbrechen, denen mit einem "Trotz" besser begegnet wäre.
Die winzige Figur, die Stepanova lange mit sich herumträgt, zerschellt schließlich auf einem Fliesenboden. Vielleicht aber spiegelt sie gerade im Zerbrechen das von Stepanova wiederholt problematisierte Wesen des Erinnerns selbst wider: "Je weiter, meine ich vielmehr, die Gegenwart in die Vergangenheit hineinwatet (bis ans Knie, an die Taille, an die Brust), desto vernehmlicher wird die Frage, wem sie gehört: die Frage nach dem Eigentumsrecht an diesem oder jenem Fetzen Vergangenheit und die Frage nach denen, die kein solches Recht haben." Das Erinnern will Stepanova als Gewaltakt an den Toten erscheinen.
Diese Zweifel an der Legitimität des Erinnerns sind angesichts der prekären Erinnerungskultur in Russland, die lange nicht existierte und erst seit kurzem von einer jüngeren Autorengeneration, etwa von Sergej Lebedew, eingefordert wird, allzu verständlich. Und natürlich will Stepanova im Überwinden des Schweigens keinesfalls in die Nähe einer ideologischen Vereinnahmung rücken, wie sie von offizieller Seite betrieben wird.
Im Vergleich aber etwa mit Lebedew, der in Romanen wie "Der Himmel auf ihren Schultern", "Menschen im August" oder jüngst "Kronos' Kinder" mit der Präzision und Ruhe eines Geologen Mentalitätsschichten der Gegenwart und Vergangenheit freilegt, scheint Stepanova sich durchaus mit einer gewissen Lust der vermeintlichen Unmöglichkeit ihres Anliegens verschrieben zu haben. Wie die zersprungene Porzellanfigur ist auch das Buch kein geschlossenes Ganzes mehr. Dokumente, Briefwechsel, Erzählung und mitunter mäandernde Reflexion wechseln sich ab. Die Auseinandersetzung ist geprägt von Ambivalenzen. Schon mit zehn Jahren, berichtet Stepanova, verspürte sie den Drang, dieses Buch über ihre Familie zu schreiben, und noch in dem Moment, als sie sich Jahrzehnte später dazu durchringen kann, ist der Antrieb ähnlich stark wie die Scheu, sich an den Toten zu vergreifen.
Dieses Für und Wider führt Stepanova zu der Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des Aufschreibens. Stellt es eine Inbesitznahme dar? Oder einen Akt der Camouflage? Es tauchen verschiedene Figuren auf, an denen Stepanova dieses Changieren zwischen Aneignen und Verbergen zeigt - etwa die jüngst verstorbene Tante, die in ihrem Tagebuch minutiös die täglichen Verrichtungen vermerkt hat, aber kaum je etwas von ihrer Befindlichkeit preisgibt. "Als hätte der Hauptzweck jedes Eintrags, jedes jährlich gefüllten Bandes darin bestanden, ein verlässliches Zeugnis zu hinterlassen und ihr eigentliches, inneres Leben für sich zu behalten."
Ähnlich, aber historisch noch einmal fataler, lesen sich die Briefe, die der knapp zwanzigjährige Soldat Leonid, ein Cousin von Stepanovas Großvaters, bis zu seinem Tod von der Front des Zweiten Weltkriegs an seine Familie schreibt. Beschwörend beinahe seine stets ähnlichen Beteuerungen, dass er wohlauf, seine Lage geradezu komfortabel sei, und seine stereotypen Fragen nach einzelnen Familienmitgliedern. Nicht nur will er die Familie nicht beunruhigen, es scheint auch die omnipräsente Angst vor möglichen Sanktionen eines totalitären Regimes mitzuschreiben.
Das aufgezwungene Verleugnen der eigenen Existenz - wie es auch in den zahlreichen politischen Fragebögen und selbstverfassten und modifizierten Lebensläufen ihrer Verwandten, die Stepanova zitiert, geschieht -, die ständige Gefahr, dass das, was in einem Moment lebensrettend ist, unter gewandelten politischen Verhältnissen zum Verhängnis werden kann, macht die stille Seite der Katastrophe des russischen zwanzigsten Jahrhunderts aus, der Stepanova mit ihrem Buch ein Denkmal setzen will.
Was aber bleibt von dem, das Stepanova in immer neuen Ansätzen von den früheren Generationen ihrer Familie erzählt - von ihrer Urgroßmutter etwa, einer couragierten Frau, die in Paris Medizin studierte und die Fotografien bei Barrikadenkämpfen zeigen? Diese Figuren drohen den Lesern und Leserinnen in der von Stepanova gewählten Form zwischen den Fingern hindurchzugleiten und wie eine kleine Porzellanfigur zu zerschellen.
WIEBKE POROMBKA
Maria Stepanova: "Nach dem Gedächtnis". Roman.
Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 527 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Angeblich - verifizieren allerdings kann Stepanova dies nicht - dienten die Püppchen, die seit Ende der 1880er Jahre in einer Fabrik in Deutschland produziert wurden, einst als eine Art Dämmstoff: "Billig und anspruchslos, wie sie waren, wurden sie als Verpackungsmaterial beim Gütertransport benutzt, damit die schweren Gegenstände der Epoche einander nicht die Seiten zerschrammten, wenn sie im Dunkeln zusammenstießen."
Sinnbildlicher kann man das Schicksal des Individuums, das zwischen den Bewegungen der Politik, wo nicht zermalmt, so doch versehrt wird, kaum fassen. Es klingt beinahe zu treffend, um wahr sein zu können. Auch auf ihre Familie, deren Mitglieder Stepanova nicht als Protagonisten, sondern lediglich als "Untermieter" der Geschichte begreift, passt die Vorstellung von den Figuren allzu gut.
Irritierend aber mutet Stepanovas Schlussfolgerung aus dem Vergleich von zerschlagenen Puppen und Menschen an: "dass nur das Trauma uns aus Massenware in unverwechselbare, einzigartige Wesen verwandelt, in uns selbst". Ein Einverständnis klingt da hindurch, eine Anerkennung der historischen Unmenschlichkeiten und Verbrechen, denen mit einem "Trotz" besser begegnet wäre.
Die winzige Figur, die Stepanova lange mit sich herumträgt, zerschellt schließlich auf einem Fliesenboden. Vielleicht aber spiegelt sie gerade im Zerbrechen das von Stepanova wiederholt problematisierte Wesen des Erinnerns selbst wider: "Je weiter, meine ich vielmehr, die Gegenwart in die Vergangenheit hineinwatet (bis ans Knie, an die Taille, an die Brust), desto vernehmlicher wird die Frage, wem sie gehört: die Frage nach dem Eigentumsrecht an diesem oder jenem Fetzen Vergangenheit und die Frage nach denen, die kein solches Recht haben." Das Erinnern will Stepanova als Gewaltakt an den Toten erscheinen.
Diese Zweifel an der Legitimität des Erinnerns sind angesichts der prekären Erinnerungskultur in Russland, die lange nicht existierte und erst seit kurzem von einer jüngeren Autorengeneration, etwa von Sergej Lebedew, eingefordert wird, allzu verständlich. Und natürlich will Stepanova im Überwinden des Schweigens keinesfalls in die Nähe einer ideologischen Vereinnahmung rücken, wie sie von offizieller Seite betrieben wird.
Im Vergleich aber etwa mit Lebedew, der in Romanen wie "Der Himmel auf ihren Schultern", "Menschen im August" oder jüngst "Kronos' Kinder" mit der Präzision und Ruhe eines Geologen Mentalitätsschichten der Gegenwart und Vergangenheit freilegt, scheint Stepanova sich durchaus mit einer gewissen Lust der vermeintlichen Unmöglichkeit ihres Anliegens verschrieben zu haben. Wie die zersprungene Porzellanfigur ist auch das Buch kein geschlossenes Ganzes mehr. Dokumente, Briefwechsel, Erzählung und mitunter mäandernde Reflexion wechseln sich ab. Die Auseinandersetzung ist geprägt von Ambivalenzen. Schon mit zehn Jahren, berichtet Stepanova, verspürte sie den Drang, dieses Buch über ihre Familie zu schreiben, und noch in dem Moment, als sie sich Jahrzehnte später dazu durchringen kann, ist der Antrieb ähnlich stark wie die Scheu, sich an den Toten zu vergreifen.
Dieses Für und Wider führt Stepanova zu der Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des Aufschreibens. Stellt es eine Inbesitznahme dar? Oder einen Akt der Camouflage? Es tauchen verschiedene Figuren auf, an denen Stepanova dieses Changieren zwischen Aneignen und Verbergen zeigt - etwa die jüngst verstorbene Tante, die in ihrem Tagebuch minutiös die täglichen Verrichtungen vermerkt hat, aber kaum je etwas von ihrer Befindlichkeit preisgibt. "Als hätte der Hauptzweck jedes Eintrags, jedes jährlich gefüllten Bandes darin bestanden, ein verlässliches Zeugnis zu hinterlassen und ihr eigentliches, inneres Leben für sich zu behalten."
Ähnlich, aber historisch noch einmal fataler, lesen sich die Briefe, die der knapp zwanzigjährige Soldat Leonid, ein Cousin von Stepanovas Großvaters, bis zu seinem Tod von der Front des Zweiten Weltkriegs an seine Familie schreibt. Beschwörend beinahe seine stets ähnlichen Beteuerungen, dass er wohlauf, seine Lage geradezu komfortabel sei, und seine stereotypen Fragen nach einzelnen Familienmitgliedern. Nicht nur will er die Familie nicht beunruhigen, es scheint auch die omnipräsente Angst vor möglichen Sanktionen eines totalitären Regimes mitzuschreiben.
Das aufgezwungene Verleugnen der eigenen Existenz - wie es auch in den zahlreichen politischen Fragebögen und selbstverfassten und modifizierten Lebensläufen ihrer Verwandten, die Stepanova zitiert, geschieht -, die ständige Gefahr, dass das, was in einem Moment lebensrettend ist, unter gewandelten politischen Verhältnissen zum Verhängnis werden kann, macht die stille Seite der Katastrophe des russischen zwanzigsten Jahrhunderts aus, der Stepanova mit ihrem Buch ein Denkmal setzen will.
Was aber bleibt von dem, das Stepanova in immer neuen Ansätzen von den früheren Generationen ihrer Familie erzählt - von ihrer Urgroßmutter etwa, einer couragierten Frau, die in Paris Medizin studierte und die Fotografien bei Barrikadenkämpfen zeigen? Diese Figuren drohen den Lesern und Leserinnen in der von Stepanova gewählten Form zwischen den Fingern hindurchzugleiten und wie eine kleine Porzellanfigur zu zerschellen.
WIEBKE POROMBKA
Maria Stepanova: "Nach dem Gedächtnis". Roman.
Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 527 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Gegenstand dieses Buches ist ... in erster Linie die Reflexion einer Suche nach deren verbliebenen Spuren. Es beschreibt das Bemühen darum, etwas einzufangen und zu bewahren, das längst verloren ist, und thematisiert gleichzeitig das Wissen um die Vergeblichkeit des Vorhabens. Ein beharrliches, und herrliches, 'Trotzdem!' ... « Katharina Granzin Frankfurter Rundschau 20190227
Lesen, kann ich nur sagen!
Als «Metaroman» wird im Klappentext das Buch «Aus dem Gedächtnis» der streitbaren russischen Intellektuellen und Schriftstellerin Maria Stepanova bezeichnet, «eine essayistischer Erzählung», die sich den üblichen Genres …
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Lesen, kann ich nur sagen!
Als «Metaroman» wird im Klappentext das Buch «Aus dem Gedächtnis» der streitbaren russischen Intellektuellen und Schriftstellerin Maria Stepanova bezeichnet, «eine essayistischer Erzählung», die sich den üblichen Genres nicht so eindeutig zuordnen lässt. Obwohl dieses Debüt einer in Deutschland unbekannten Autorin wie ein Komet am literarischen Himmel erschienen ist, schweigt sich das Feuilleton bisher weitgehend aus. Auf Wikipedia findet man unter diesem Namen eine blonde, 2,02 Meter große russische Basketballspielerin, die gleichnamige Schriftstellerin ist dort nur namentlich gelistet, es gibt keinen Beitrag über sie. Das alles wird nicht so bleiben, ist zu vermuten!
Die Autorin beschreibt ihre geradezu manisch betriebene Spurensuche nach ihren jüdisch-russischen Vorfahren, ein gewagtes Vorhaben angesichts einer ziemlich dürftigen Quellenlage. Denn nur einzelne Zweige des weitverzweigten Stammbaums ihrer großen Familie sind durch Texte verschiedenster Art, diverse Fotos und aufbewahrte Gegenstände einigermaßen gut erschließbar, andere existieren allenfalls als körper- und geschichtslose Namen, oft sogar nur in mündlicher Überlieferung. Die in fünf Generationen das gesamte zwanzigste Jahrhundert umfassende und teilweise auch noch bis ins neunzehnte Säkulum zurückreichende Geschichte bezieht die Ahnen mit ein, gibt ihnen quasi eine Stimme. Eine gewisse Schlüsselrolle kommt dabei der ebenso dominanten wie exzentrischen Urgroßmutter Sarra zu, einer bolschewistische Revolutionärin, die 1907 nach Paris gegangen ist, dort Medizin studiert und promoviert hat und, in die Heimat zurückgekehrt, sich vorausahnend als Ärztin in die relative Sicherheit einer Gesundheitsbehörde zurückgezogen hat. Diese intuitive Weitsicht scheint in den Genen der Großfamilie zu liegen, bis auf einen als Soldat gefallenen jungen Mann hat die gesamte Sippe die Wirren von Revolution, Weltkrieg, Antisemitismus und stalinistischen Säuberungen, zumindest körperlich, recht gut überstanden.
Es ist das Wechselspiel von Erinnern und Vergessen, das den Leser auf seinem in jeder Hinsicht bereichenden Streifzug durch die wechselvolle Geschichte Russlands begleitet, immer auf den Spuren dieser Familie, wobei er der Autorin bei ihren vergeblichen Bemühungen um Gewissheit quasi ständig über die Schulter blickt. Als Ich-Erzählerin nimmt Maria Stepanova sich selbst völlig aus, sie berichtet mit einer gewissen Schwermut über die Altvorderen, nicht über sich, - an einer Stelle erwähnt sie ihren Mann, ebenso prophetisch wie amüsant, als «mein zukünftiger Ex-Mann», das war’s auch schon. Man erfährt auch relativ wenig über ihre Eltern. Nur einmal, als der Vater ihre Frage, ob sie seine erhalten gebliebenen Briefe im Buch abdrucken dürfe, ziemlich überraschend brüsk zurückweist, ist sie gekränkt und irritiert zugleich. Diese mühevolle Erinnerungsarbeit mit den vielen darin eingeschlossenen, klugen Reflexionen ist von einer geradezu ausufernden Intertextualität begleitet, der sich vertiefend noch viele essayartige Randgeschichten hinzugesellen. So ist zum Beispiel ein längerer Abschnitt des Romans sehr einfühlsam dem Schicksal der jüdischen, in Auschwitz ermordeten Künstlerin Charlotte Salomon gewidmet, über die David Foenkinos einen miserablen Roman geschrieben hat. Und die eigenwilligen Glaskästen des schrägen US-amerikanischen Künstlers Joseph Cornell dienen ihr an anderer Stelle als willkommenes Vehikel zur Veranschaulichung des Erinnerns, die hinterlassenen Gegenstände haben ihren Sinn nur als ehemaliger Besitz Verstorbener, - solange sich überhaupt noch irgend jemand daran erinnert.
Als Leser wird man geradezu suggestiv mitgenommen und zu eigenem Nachdenken angeregt, geht es in diesem stilistisch unpathetischen, fraktionell erzählten Suchprozess letztendlich doch um nichts Geringeres als die eigene Bedeutungslosigkeit, die unerträgliche Gewissheit also, nur ein Sandkorn der Geschichte zu sein. Lesen, kann ich nur sagen!
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Russischer Erinnerungsschinken ohne Spannung
Ja, eigentlich ist es eine spannende Frage, was von einem bleibt. Früher Portraits, heute Fotos. Im dritten Kapitel werden 20 Fotos auf 13 Seiten beschrieben. Sonst ist es wahnsinnig schwer eine roten Faden zu erkennen. Vielleicht sind russische …
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Russischer Erinnerungsschinken ohne Spannung
Ja, eigentlich ist es eine spannende Frage, was von einem bleibt. Früher Portraits, heute Fotos. Im dritten Kapitel werden 20 Fotos auf 13 Seiten beschrieben. Sonst ist es wahnsinnig schwer eine roten Faden zu erkennen. Vielleicht sind russische Bücher nicht für Sommerhitze geeignet.
Mein Lob gilt Frau Westermann, die im literarischen Quartett vor diesem Buch warnte. Ich sage zu recht. Bis S.98 habe ich die ersten 5 Kapitel gelesen. Es gibt bessere Bücher. Nicht zu Ende gelesene Bücher können leider nur mit einem Stern bewertet werden.
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