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Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Neuaufl.
  • Seitenzahl: 156
  • Abmessung: 185mm
  • Gewicht: 209g
  • ISBN-13: 9783251004058
  • ISBN-10: 3251004050
  • Artikelnr.: 23997035
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.1998

Brokat zum Essen
Max Goldt verabschiedet sich vielleicht vom Onkel

Wenn Krieg ist, leiden die Kinder am meisten - wenn Design ist, leiden die Lampen am meisten. Ein Buch, das solche Wahrheiten vermittelt, muß von Max Goldt sein. Das neue, in dem sich diese Beobachtung findet, heißt nach einer Pressestimme, wie sie der weltgewandte Spaßmacher auf amerikanischen Büchern bestaunt, die dem Leser außer dem Titel des Buches auch mitteilen, wie es ihm gefallen haben wird - es heißt also: "Mind-boggling" - Evening Post. Das ist so schön und strange, wie wir, die Max-Goldt-Gemeinde, es an unserem Dichter lieben. Wir erwarten es Monat für Monat, seit nunmehr fast zehn Jahren; irgendwann während dieser Zeit müssen wir den Kunstverstand verloren haben, der uns sagt, daß gerade dieses vollkommen zwanglose Plaudern und Poetisieren, das die Kunstfigur des Onkel Max betreibt, eine regelmäßige Repetition am allerwenigsten verträgt. Er selbst hat es bemerkt und deshalb nicht nur das Kolumnieren für die "Titanic" vorübergehend eingestellt, sondern sich auch in seinen letzten Kolumnen, die den ersten Teil des neuen Buches ausmachen, als Feind des eigenen Tuns vorgestellt. Nur wenige Fundstückchen schimmern im alten Glanz, "das Verschwinden des Befeuchtens der Finger vor dem Umblättern" zum Beispiel oder die Einsicht: "Krokant, das ist Brokat zum Essen." Im übrigen ist er des vielgelobten Genres nach jahrelanger pünktlicher Ablieferung so überdrüssig geworden, daß er es sich schon als "Masochismus" vorwirft, die Bezeichnung "Kolumne" zugelassen zu haben. Deshalb gebärdet sich der Masochist als Misanthrop, schneidet sich selbst das Wort und dem Publikum das Gelächter ab und raunzt, das sei überhaupt nicht komisch. "Es ist ja auch kein Spaß." Nein wirklich, das ist es nicht. Es ist nicht zum Lachen, wie der Entertainer aus der Rolle fällt, wie er poltert und pöbelt. Daß trotzdem eine Fortsetzung folgen wird, das, schreit es am Schluß eines Textes aus ihm, "ist das gottverdammte Gesetz der Serie". Es ist der Fluch der "Continuity". Und da sind wir ganz seiner Meinung.

Denn gereizt, wie er einmal ist, schnauzt er an, wer immer ihm in die Quere kommt. "Stinkferkel" und "Kulturbeflissenheitsfregatte" sind noch die mildesten Injurien, die er für seine Fans erfindet. Daß er im Feuilleton besprochen wird, findet er genauso widerwärtig wie die Leute, die ihm zum Signieren bloß Taschenbücher hinlegen. Sein letztes Wort im Nachwort heißt: "Fahrt zur Hölle, Personen, die ich meine!" Eben dort aber würde man mutmaßlich Onkel Max begegnen. Denn das Leben ("Eines Tages gongte mir das Leben in die Fresse") ist ihm so zuwider wie die Leute ("Die Leute fressen eh genug"). Deshalb spielt er auch dem Unschuldigsten so übel mit, daß es eine Unart hat. Nie wäre es ihm früher eingefallen, einen betagten Archivar, der ihm Geschichten aus alten Zeiten erzählt, als "lokalhistorisch fanatisierten alten Schnarchsack" zu begeifern. Schwerlich wäre der sanfte Verehrer des Geschmacklosen so ins Abgeschmackte abgerutscht wie mit dem Einfall, das Schlafwagenabteil mit "fünf korpulenten Muselmaninnen" zu teilen, "die schlimmstenfalls die ganze Nacht religiösen Schweinkram brabbeln". Das ist nicht lustig, nicht hübsch unkorrekt, das ist bloß doof; genauso doof wie der Kalauer "in morscher Nacht bei 35 Grad im Schatten", der auch nicht fehlt. Hier muß man über Onkel Max sagen, was Onkel Max über Rilke sagt: "Okay es ist schrill, okay es ist schräg, aber leider ist es nicht witzig." Mißmut quillt aus allen Zeilen, und zur Angriffslust fehlt nur die Lust.

Plötzlich aber, mitten im Absturz und mitten im Buch, ereignet sich ein Aufschwung von wunderbarer Eleganz. Aus den höllischen Flüchen flattern himmlische kleine Prosastücke ans Licht, freihändige Improvisationen aus Luft und Liebe. Vielleicht liegt das daran, daß diese Texte im Unterschied zu den Kolumnen aufhören dürfen, wenn sie zu Ende sind. In Gedankenspielen und Dialogen, die selbst frühe Großtaten wie die unvergessene "Radiotrinkerin" in den Schatten stellen, schlendern hier Willy Millowitsch und Bob Marley, Hanuta und Duplo im anmutigen Verein; Zartheit und Drastik reichen sich die Hände, und die Komik gelingt so leicht und nebenbei wie die Verklärung des Vulgären. Hier spricht der Dichter. Hier wird zum Wort, was wir nur dunkel spürten, zum Beispiel die Freude am Fünfmarkschein, dem ungebräuchlich-schönen, der "ein seltenes Kinderlachen ist im düsteren Theater der Finanzen".

Abschied und Willkommen: das neue Buch, halb Kolumne und halb Freiheit, zeigt Onkel Max am Scheideweg. Entschlösse er sich und schlüge den schmalen Pfad ein, der ihn weiter ins poetische Neuland führt: wir sötten ihm jeden Festtagsbraten und büken ihm sämtliche Klöben, die sich dieser Liebhaber des Konjunktivs einst gewünscht hat. Wenn nicht, dann treffe ihn der Fluch der Continuity und der Bannstrahl einer Designerlampe. HEINRICH DETERING

Max Goldt: "Mind-boggling - Evening Post". Haffmans Verlag, Zürich 1998.

158 S., geb., 28,- DM.

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