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In ihren Gedichten schildert Semra Ertan ihr Leben und ihre Erfahrungen in Deutschland. Bis heute steht sie für Generationen von Menschen, die immer noch unsichtbar sind und nicht gehört werden. Es geht um Leid, Wut sowie um Liebe, Hoffnung und Freundschaft, gesellschaftliche Gleichberechtigung, Mut zu Widerstand und ein menschlicheres Mit- und Füreinander.Semra Ertan, geboren 1957 in Mersin/Türkei, zog 1972 zu ihren Eltern, die in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitsmigrant_in- nen lebten. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, Schriftstellerin und Dolmetscherin und schrieb über 350 Gedichte und einige Satiren. 1982 starb sie in Hamburg…mehr

Produktbeschreibung
In ihren Gedichten schildert Semra Ertan ihr Leben und ihre Erfahrungen in Deutschland. Bis heute steht sie für Generationen von Menschen, die immer noch unsichtbar sind und nicht gehört werden. Es geht um Leid, Wut sowie um Liebe, Hoffnung und Freundschaft, gesellschaftliche Gleichberechtigung, Mut zu Widerstand und ein menschlicheres Mit- und Füreinander.Semra Ertan, geboren 1957 in Mersin/Türkei, zog 1972 zu ihren Eltern, die in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitsmigrant_in- nen lebten. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, Schriftstellerin und Dolmetscherin und schrieb über 350 Gedichte und einige Satiren. 1982 starb sie in Hamburg
Autorenporträt
Semra Ertan, geboren 1957 in der Türkei, zog 1972 zu ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, Schriftstellerin und Dolmetscherin und schrieb über 350 Gedichte und einige Satiren. 1982 verbrannte sich Semra Ertan in Hamburg, um ein Zeichen gegen den Rassismus in Deutschland zu setzen. Zühal Bilir-Meier ist die Schwester von Semra Ertan. Geboren in Mersin/Türkei, zog sie 1970 zu ihren Eltern, die als sogenannte ¿Gastarbeiter¿ in Kiel/Deutschland, lebten. Sie studierte Agrarwissenschaft und Sozialpädagogik in Kiel und München und arbeitet heute in ihrer eigenen Praxis in München als Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin. Cana Bilir-Meier ist die Nichte von Semra Ertan. Geboren in München/Deutschland, studierte sie Kunstpädagogik und Digitale Medien in Wien und Istanbul. Sie arbeitet als Filmemacherin, Kunstpädagogin und in Projekten bildender Kunst. Gemeinsam mit ihrer Mutter Zühal Bilir-Meier und weiteren Menschen, hat sie 2018 die Initiative in Gedenken an Semra Ertan in Hamburg gegründet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Tarik Kemper hält die Veröffentlichung einer Auswahl mit Gedichten von Semra Ertan für überfällig. Ertan, die 1982 als Protest gegen den Rassismus in Deutschland Selbstmord verübte, als Dichterin wahrzunehmen, ist für Kemper ein wichtiger Schritt. Der zweisprachige Band mit Gedichten, Fotos und Faksimiles der Handschriften gibt laut Kemper dazu Gelegenheit. Dass die Autorin keine Reime verwendet, aber "feinfühlig und klar" formuliert und ein eindeutig politisches Verständnis ihres Schreiben an den Tag legt, gefällt Kemper.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2021

Gegen die Welt
Um gegen zunehmenden Fremdenhass zu protestieren, verbrannte sich Semra Ertan 1982 in Hamburg.
Mit 25 Jahren. Jetzt ist eine Sammlung ihrer Gedichte erschienen
VON FELIX STEPHAN
Als sich im Jahr 1982 mitten in Hamburg eine junge Frau in aller Öffentlichkeit verbrennt, hält sich die mediale Aufmerksamkeit in Grenzen. In den wenigen Notizen, die zu diesem Fall überhaupt erscheinen, geht es vor allem um die Nationalität der Selbstmörderin. Die Deutsche Presse-Agentur titelte damals: „Türkin erlag Verletzungen“.
Die türkische Presse diskutierte den Selbstmord sehr viel ausführlicher, sie deutete ihn als den dramatischsten und tragischsten Protest „gegen die Erniedrigungen der 1,5 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Türken“, wie es in der dpa-Meldung heißt. Der türkische Botschafter in Bonn erklärte: „Der Selbstmord sollte alle zum Nachdenken bringen.“ Auf der Leserbriefseite der Süddeutschen Zeitung stellte eine Leserin die These auf, dass das Schweigen der großen Medien damit zusammenhänge, dass fast gleichzeitig Romy Schneider gestorben war. Der Name der Selbstmörderin war Semra Ertan. Sie wurde 1957 im türkischen Mersin geboren und ging 1971 als Arbeitsmigrantin zu ihren Eltern nach Kiel. Vor ihrem Tod war sie in einen Hungerstreik getreten. Sie hatte das ZDF und den NDR kontaktiert, um die Sender über ihren bevorstehenden Tod zu informieren, den sie verstanden wissen wollte als Protest gegen die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in Westdeutschland: „Ich möchte, dass Ausländer nicht nur das Recht haben, wie Menschen zu leben, sondern auch das Recht haben, wie Menschen behandelt zu werden.“
Beruflich lief es nicht gut für Ertan in Deutschland. In einem Brief an den deutschen Schriftstellerverband beschrieb sie ihren Lebensweg: Obwohl sie einen akademischen Abschluss machen wollte, sei ihr das Abitur nicht ermöglicht, von einer Berufsschule sei sie entlassen worden. Eine Schule in Heidelberg, die sie zur Bauzeichnerin ausbilden sollte, habe sie nach einer Woche weggeschickt. Daraufhin habe sie „mehrere Stellen angenommen und wurde wieder entlassen“.
Sie schreibe, seit sie 15 Jahre alt sei, heißt es in dem Brief. Die türkische Tageszeitung Hürriyet habe ihre Gedichte veröffentlicht. In Deutschland wurden Gedichte in einige Anthologien aufgenommen, zu einer eigenständigen Publikation kam es jedoch nie.
Ertan ist keine Sylvia Plath, ihre Gedichte schöpfen ihre Kraft nicht aus einem feingliedrigen Formbewusstsein, sondern aus ihrem sozialdokumentarischen Wahrheitsanspruch. Und natürlich liest man die chronologisch angeordneten Gedichte jetzt auch in dem bangen Bewusstsein, dass sie auf den Selbstmord der Autorin hinauslaufen. Im September 1976 setzt die Sammlung ein, sechs Jahre vor der Selbstverbrennung. Mit jedem Gedicht wird die Lage aussichtsloser und die Stimme zorniger, und reflexartig überlegt man, was hätte geschehen müssen, um diesen Selbstmord zu verhindern. Dem ZDF und dem NDR sagte Ertan vor der Tat, die Deutschen sollten sich schämen: „1961 habt ihr gesagt: ‚Herzlich willkommen, Gastarbeiter.‘ Wenn wir alle zurückkehren würden, wer würde die schmutzige Arbeit machen (...) Welcher Mensch würde in der Gießerei arbeiten, die schmutzige Arbeit machen?“ Dass diese Edition es allerdings spürbar abgesehen hat auf dieses Gefühl der Betroffenheit beim angenommenen weißen, deutschen Publikum, hilft der poetischen Souveränität der Texte eher nicht weiter.
Trotzdem wird in der Zusammenstellung die lyrische Geste sichtbar, die Ertans Gedichte charakterisiert. Eine Geste, in der sich Politik und Individuum auf besondere Weise verschränken, und die sie jetzt im Nachhinein eben doch zu einer zentralen Stimme einer neu zu schreibenden Literaturgeschichte des Einwanderungslandes Deutschland macht. Und diese Geste geht aus der Fragestellung hervor, wer in ihren Gedichten eigentlich das Ich ist und wer das Ihr. Im Jahr 1983, ein Jahr nach Ertans öffentlichem Selbstmord, hat die New Yorker Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak das Problem in ihrem berühmten Essay „Can the Subaltern speak?“ ausformuliert: Ihre Beobachtung lautet, dass die Verdammten dieser Erde nicht nur keine Stimme haben, sondern dass sie selbst dann nicht sprechen können, wenn man sie lässt, ja nicht einmal dann, wenn man sie dazu auffordert.
Jede Äußerung der Subalternen werde unweigerlich von den Bedürfnissen der regierenden Klassen überformt: Sie werden zu romantischen Wilden, zu sympathischen Revolutionären, zu bedürftigen Sympathieträgern. In jedem Falle liegt die Kontrolle über ihr öffentliches Bild nicht bei ihnen. Und wenn sie doch bei ihnen liege, seien sie eben keine Subalternen mehr. Die Frage, warum, mit welcher Berechtigung und zu wem das lyrische Ich eigentlich spricht, werfen auch Semra Ertans Gedichte immer wieder auf. In einem Gedicht aus dem Februar 1977 heißt es trotzig: „Ich bin eine unerfahrene Dichterin / Mein Stift ist unerfahren, / Mein Blatt ist unerfahren, / Niemand kennt mich. / Ich kenne niemanden, / Niemanden interessiert es, was ich schreibe; / Aber mich.“
Der Kontrollverlust über das eigene Ich, der in Ertans Gedichten diskutiert wird, geht gleich von zwei Seiten aus: Einerseits von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die sie in erster Linie als Ausländerin, Türkin und Gastarbeiterin wahrnimmt, als kostspieligen Bedarfsfall des öffentlichen Ausbildungswesens. Ertans szenische Alltagsgedichte aus Deutschland berichten vor allem von Erfahrungen auf Amtsfluren und Konsulaten, von Arbeitslosigkeit und Geldmangel, was im Ton ihres sozialdokumentarischen Realismus dann so klingt: „Im Sozialamt Kettenrauchende … / Einige sagten: Lieber bleiben wir illegal, als zu gehen.“ Als sie an anderer Stelle über ihre eigenen finanziellen Verhältnisse nachdenkt, heißt es ahnungsvoll: „Wenn ich sterben will, das Geld reicht nicht mal für die Beerdigung.“ Andererseits ist aber auch die türkische Kultur ihrer Familie im Kampf um eine eigene Subjektivität nicht eben hilfreich. Im April 1982, einen Monat vor ihrem Selbstmord, beschreibt sie das Leben türkischer Frauen, wobei das Gedicht offenlässt, ob es sich um ihre Verwandten handelt oder ob hier ein Idealbild beschrieben wird, das die türkische Kultur von ihren Frauen entwirft, ein Bild von Ikonen bäuerlicher Unschuld: „Auch wenn ihre Hände rissig sind / Heilig sind unsere Frauen“.
Die Frauen, die Ertan hier beschreibt, leben „ohne gekühlten Whiskey“ und „ohne Mercedes“, sie reisen nicht nach Nizza oder Paris, und weil sie keinen Zugang zu Zeitungen haben „passen sie sich nicht der Mode an“. Als Kinder wurde ihnen Bildung verweigert, in jungen Jahren werden sie verheiratet. Sie „wissen nicht, dass sie gelebt haben, / Genauso wie sie nicht wissen, dass sie sterben“. Und obwohl – oder gerade weil – es ein Merkmal der Tiere ist, dass sie nicht wissen, dass sie sterben werden, schließt das Gedicht mit den Versen „Bei uns leben die MENSCHEN so. / Arm, aber tapfer, /Heilig sind unsere Frauen ... / So leben wir.“
Vielleicht liegt eine gewisse Tragik darin, dass in der posthumen Ikonisierung der Autorin wiederum eine Art Entmündigung verborgen liegt, die sie selbst nicht mehr thematisieren kann. Wenn dies aber Leser zu ihren Gedichten führt, wäre das ein kleiner Preis.
Beruflich lief es nicht
gut für Ertan, immer wieder
wurde sie entlassen
Weder in Deutschland noch
in der türkischen Kultur
findet sie Unterstützung
„Verbot der Neonazis“: Studenten protestieren 1982 in München mit dem Konterfei von Semra Ertan gegen Ausländerhass.
Foto: Fritz Neuwirth/SZ Photo
Semra Ertan: Mein Name ist Ausländer/Benim adim Yabanci. Gedichte.
Edition Assemblage, Münster 2020.
240 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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