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Gott will es so. Der Staat will es so. Dein Vater will es so. Warum aber ist da ein Oberes, Unsichtbares, das mir sagt, was ich zu tun, zu lassen, zu denken, zu glauben, was ich zu arbeiten und wen ich zu lieben habe? Der Anarchismus setzt uns auf ein politisches und philosophisches Karussell, von dem man nicht weiß, wann es anhält. Der Anarchismus gibt sich nicht zufrieden mit dem, was ist. Er will das Ende von Gewalt und von Herrschaft. Er will ein Leben vor dem Tod. Eva Demski hat die spannende Geschichte des Anarchismus durchstreift - und die zahllosen Ausprägungen, in denen sie ihm…mehr

Produktbeschreibung
Gott will es so. Der Staat will es so. Dein Vater will es so. Warum aber ist da ein Oberes, Unsichtbares, das mir sagt, was ich zu tun, zu lassen, zu denken, zu glauben, was ich zu arbeiten und wen ich zu lieben habe? Der Anarchismus setzt uns auf ein politisches und philosophisches Karussell, von dem man nicht weiß, wann es anhält. Der Anarchismus gibt sich nicht zufrieden mit dem, was ist. Er will das Ende von Gewalt und von Herrschaft. Er will ein Leben vor dem Tod.
Eva Demski hat die spannende Geschichte des Anarchismus durchstreift - und die zahllosen Ausprägungen, in denen sie ihm begegnet ist, gesammelt. Sie erinnert an Bakunin, Mühsam und Emma Goldman, erzählt von anarchistischen Uhrmachern des 19. Jahrhunderts, von fortschrittlichen Fürsten und Entdeckerinnen wie Isabelle Eberhardt; sie entdeckt fast vergessene Dichterinnen und Dichter und versucht, den Sisi-Mörder Lucheni zu begreifen. Aus Porträts, Ortsterminen, Alltagsbeobachtungen, Pamphleten und Liebeserklärungen ist so ein buntes Album mit Momentaufnahmen aus vielen Epochen entstanden - und man staunt darüber, was man mit dem Buchstaben A alles anfangen kann.
Autorenporträt
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2023

Ihre Attacke gegen diese furchtbaren Bärte
Auch Reich-Ranicki war für sie ein Anarchist: Eva Demskis ebenso respektvolles wie trauriges Album zu einem politischen Phänomen

Wäre es Eva Demski darum gegangen, am Ende ein Fazit zu ziehen - was aber dem Geist dieses Albums fundamental widerspräche -, so hätte sie dort ein paar Sätze versammelt, die sie im vorhergehenden Text versteckt hat und die hier zitiert werden sollen: "Die Frage nach dem Anfang des Anarchismus wird unbeantwortet bleiben und sich am Ende als müßig erweisen. Er war immer da. Er wird immer da sein. Er wird niemals siegen." Und: "Es geht damals wie heute um den richtigen Weg. In diesem Kampf haben jene die größte Mühe, die ahnen, dass es den gar nicht gibt, und die wissen, dass Heilsgewissheit tödliche Folgen haben kann, jede Heilsgewissheit, auch die linke." Wichtig auch noch dieses Faktum: "Kein Buch markiert den Anfang, weder ein heiliges, noch ein weltliches, kein Moses, kein Prophet, kein Messias lässt sich ausmachen."

Da der Anarchismus (besser vielleicht: das libertäre Denken) kein Lehrgebäude ist und nichts so sehr verabscheut wie das, was Roland Barthes die doxa genannt hat, bringt er auch nicht die übliche Flut exegetischer Sekundärliteratur hervor. Zwar gibt es zuweilen Versuche einer Gesamtdarstellung wie Daniel Guérins "Anarchismus - Begriff und Praxis", an deren Neuübersetzung 1978 Eva Demski mitgearbeitet hat, oder Horst Stowassers "Anarchie! Idee - Geschichte - Perspektiven", die sich aber auch dezidierter Schlussfolgerungen eher enthalten.

Hier nun liegt ein Album vor, und zu einem Album gehören selbstverständlich Bilder, Fotos. Man muss aber nicht die Konterfeis von Bakunin, Kropotkin oder Emma Goldman erwarten - denen Demski gleichwohl drei hinreißende Kapitel widmet -, sondern das große A im Kreis, an den unterschiedlichsten Orten, auf Papierkörben, Trafohäuschen, Bauzäunen und Verkehrsschildern, an Häuserwänden und Baumstämmen. Diese Fotos sind ein kleiner Teil der Ausbeute vieler gemeinsamer Expeditionen mit der Fotografin Ute Dietz in Frankfurt am Main. Das A findet sich zumeist in den "Endmoränen städtischen Lebens", manchmal aber auch auf eher repräsentativen Frankfurter Bürgerhäusern, die man etwa im Nordend vermuten könnte.

Bevor das Album richtig aufgeblättert wird (man kann Alben natürlich auch ganz ziellos durchblättern, dazu sind sie da), benennt Demski noch einmal den entscheidenden und sympathischen Mangel des Anarchismus, der ihm zum Siegen fehlt: "Anarchisten können nicht missionieren." Wie wahr und wie angenehm in einer Welt voller missionarischer Bewegungen und Eiferer, deren Missionarstätigkeit nicht selten den Tod im Gepäck hat. Dass ausgerechnet der Anarchismus oft zwanghaft mit dem Bombenwerfen assoziiert wird, ist einerseits auf jene russischen Revolutionäre im neunzehnten Jahrhundert zurückzuführen, die vor vielen Jahren Enzensberger in seinem glänzenden Essay "Die schönen Seelen des Terrors" analysiert hat, andererseits auf Fehlurteile, die etwa die Rote-Armee-Fraktion der Siebzigerjahre für anarchistisch hielten, während es sich bei deren Protagonisten doch um hartgesottene Leninisten handelte, was allein schon an der scheußlichen Sprache ihrer Schriften erkennbar war.

Im Zentrum des Albums stehen Geschichten, angefangen mit derjenigen Emma Goldmans, die diese selbst in "Gelebtes Leben" erzählt hat. Die ist, bei allen Widersprüchen, vor allem die Geschichte eines Kampfes gegen das Abstraktum, gegen die "große Sache" (trotz allem ist auch der Anarchist von der Verführung zur doxa nicht völlig frei), und ein Beispiel für eine Propaganda der Tat, die nicht im Bombenwerfen besteht, sondern in einem Pragmatismus, der sich wohl bewusst ist, dass er versucht, "mit einem Löffel ein Meer auszuschöpfen". Auch für Emma Goldman traf übrigens zu, was Demski im folgenden Kapitel über die Hobo-Bewegung an ihrer Heldin Bertha auffällt: "Im Sich-Verlieben ist sie schon früh eine Meisterin, das hat sie wohl von ihrer Mutter. Immer wieder steckt diese Gräte in meinem feministischen Hals, dass Anarchistinnen offenbar selbstbewusst genug für die totale Hingabe sind."

Im Kapitel über Kropotkin bescheinigt Demski dem russischen Fürsten als schönstes Kompliment "seine Ideologieunfähigkeit". Sie reitet gleichzeitig eine herrlich zu lesende Attacke gegen "diese furchtbaren Bärte! Sie haben so etwas Gleichmacherisches, Bakunin sieht aus wie Marx, wie Landauer, wie Kropotkin und noch Dutzende andere, immer diese haarigen Masken . . ." Apropos Marx: Er kommt ein bisschen zu schlecht weg in diesem Buch, wenn man an seinen Satz "Je ne suis pas marxiste" denkt; doch diese Abneigung ist bei jenen Angehörigen unserer Generation, die in ihrer Jugend in einem Kapitalschulungszirkel gelandet sind, mehr als verständlich.

Eine besondere Würdigung erfahren in diesem Album jene Uhrmacher im Schweizer Jura, die 1872 in St. Imier zusammen mit Bakunin die Antiautoritäre Internationale ins Leben riefen. Die Gründe für die Offenheit gegenüber libertären Ideen und Praktiken liegen auf der Hand: "Man kann sich den Uhrmacher nicht als halbbewussten Lohnsklaven vorstellen . . . Dazu ist die Arbeit zu fein, eine Uhr ist keine Eisenhütte, kein Baumwollfeld, kein Steinbruch." Soll heißen: Ein Uhrmacher ist nicht so einfach zu ersetzen wie ein Hüttenwerker, Baumwollpflücker oder Steinhauer. Da die Produkte dieser Angehörigen der Handwerkeraristokratie keine Dutzendware waren und in alle Welt gingen, die Welt aber nicht ihre engen Täler überschwemmte, entwickelten sie unter diesem Schutz eine funktionierende genossenschaftliche Praxis.

Allerdings liegen in dieser Konstellation auch die Grenzen dieser Praxis, wie Demski sie deutlich formuliert: "Schöne, nachahmenswerte Gesellschaftsmodelle existieren zwar, aber sie breiten sich nicht aus. Zudem werden die Schöpferinnen und Schöpfer alt . . ., und irgendwann ist alles Erinnerung. Gute alte Zeit. Folklore . . . Und manch idealistisches Modell erweist sich im Lauf der Zeit als Sackgasse, hermetisch verschlossen und ohne die notwendige Vitalität der Veränderung."

Auch dies ist allerdings nicht das (traurige) Fazit dieses Albums, in dem unter anderem auch noch ein Kapitel über drei "Anarchen" namens Lagerfeld, Reich-Ranicki und Lindenberg wartet. Am Ende geht es um den immer erneuerten Versuch, "das richtige Leben im falschen zu führen", wie Eva Demski den "Fast-Anarchen" Adorno paraphrasiert. Man darf ihr Album dafür durchaus als Handbuch dieser Kunst zurate ziehen. JOCHEN SCHIMMANG

Eva Demski: "Mein anarchistisches Album".

Mit Fotos von Ute Dietz. Insel Verlag, Berlin 2022. 220 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jochen Schimmang lernt mit Eva Demski, das richtige Leben im falschen zu führen. Neben Adorno, den "Bärten" Bakunin, Marx und Kropotkin kommen noch Karl Lagerfeld und Udo Lindenberg als Anarchisten vor, stellt Schimmang überrascht fest. Als Handbuch des richtigen Lebens taugt das Album laut Rezensent nicht zuletzt deshalb, weil Demski den Defiziten des Anarchismus nachspürt und echte Lebensgeschichten erzählt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der Anarchismus, dem Demski nachspürt, ist ... eine Gedankenreise, an der jeder teilnehmen darf.« Otto A. Böhmer faustkultur.de 20230217