Martin Heidegger, der aus dem Kleinen eines provinziellen Lebens kam, inszenierte sein Leben und Denken als schicksalhafte Suche eines Metaphysikers nach dem "Geheimnis des Großen". In dramatischen Rückfällen und stets neuen Anläufen erschien es dem einflussreichen Denker als Gott, Dasein, Sein, Nationalsozialismus, schließlich als Dichtung und als Technik.
Der Mann als Freund, den ich suche
Manfred Geier hat eine neue Rowohlt-Monographie über Martin Heidegger vorgelegt
Von der Parteien Hass und Gunst ist immer noch fast jedes Bild geprägt, das in Deutschland von dem Philosophen Martin Heidegger entworfen wird. So muss es nicht sein, und das bewies vor Jahren schon Rüdiger Safranski mit seiner Biografie Heideggers. Auch das Buch Manfred Geiers, das jetzt in der Reihe „Rowohlts Monographien” erschienen ist, vermeidet es unprätentiös, sich ins Schlachtgetümmel zu stürzen. Das ist umso bemerkenswerter, als der Autor sein Manuskript Hermann Heidegger, dem verdienstvollen Über-Herausgeber der Werke eines Ziehvaters, zur „kritischen Durchsicht” anvertraut hatte. Der Verlag hat denn auch auf den Hinweis, dieser Band der legendären Reihe ersetze den früheren von Walter Biemel, verzichtet. Von ersetzen kann keine Rede sein. Geier hat ein ganz anderes Buch geschrieben. Biemel, der Freund (ein Foto bei Geier zeigt ihn an der Geburtstagstafel zum Siebzigsten Heideggers), hatte eine Monografie zum Werk des Lehrers vorgelegt. Geier nähert sich der Biografie.
Glückliche Zufallsgriffe
Die zu schreiben ist immer noch schwierig. Immer noch harren etliche dazu erforderliche Quellen der Aufarbeitung, vielleicht sogar der Entdeckung. Nicht zufällig ist Geier deshalb als Biograf am ausführlichsten beim Thema Herkunft, Heranwachsen und Jugendalter. Das fatale Rektorat 1933/34 wird in einem eigenen, kompetent geschriebenen Artikel abgehandelt. Biografisches, das zum Verständnis der Werkgeschichte beitragen könnte - etwa die Beziehung zu Klassischen Philologen - fehlt vollständig, was angesichts der Forschungslage klug sein mag. Weniger verständlich ist da das Absehen von der Auseinandersetzung mit Ernst Jünger in den dreißiger und vierziger Jahren. Hier berühren sich doch Werk und Biografie Heideggers auf das Engste und keineswegs unproblematisch.
So bleibt in der Geschichte des berühmten Professors das gelebte Leben Zufallsgriffen des Biografen überlassen. Dabei zeigt dieser aber mitunter eine glückliche Hand. So erwähnt er bei Gelegenheit in der berühmten Davoser Disputation mit Ernst Cassirer 1929, dass der Ski-Fahrer Heidegger „am liebsten mit dem Politiker und Philosophen Kurt Riezler zu herrlichen Fahrten ins Gebirge” aufgestiegen sei. Über Riezler, den Kurator der Frankfurter Universität, schrieb Heidegger aus Davos an seine Frau Elfriede, er habe sich mit ihm „wirklich befreundet” und: „Vielleicht ist es der Mann als Freund - den ich suche - und wenn das das Ergebnis dieser Tagung wäre - würde es für mich ein großes inneres Glück bedeuten.” Diese Briefstelle liest man bei Geier nicht, aber der Hinweis auf Riezler, der versucht haben soll, Heidegger nach Frankfurt zu ziehen, öffnet doch spektakulär den Blick auf Möglichkeiten dieses Lebens, die, wären sie Wirklichkeit geworden, eine ganz andere Geschichte Heideggers, vielleicht eine andere Philosophiegeschichte herbeigeführt hätten. Welche Verführung für den Biografen!
Geier erliegt dergleichen nicht. Späteren werden solche Hinweise zu schaffen machen. Auf die müssen wir noch warten. Bis dahin gehört Geiers Buch zum Erfreulichen.
JÜRGEN BUSCHE
MANFRED GEIER: Martin Heidegger, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2005. 138 Seiten, 8,50 Euro.
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Manfred Geier hat eine neue Rowohlt-Monographie über Martin Heidegger vorgelegt
Von der Parteien Hass und Gunst ist immer noch fast jedes Bild geprägt, das in Deutschland von dem Philosophen Martin Heidegger entworfen wird. So muss es nicht sein, und das bewies vor Jahren schon Rüdiger Safranski mit seiner Biografie Heideggers. Auch das Buch Manfred Geiers, das jetzt in der Reihe „Rowohlts Monographien” erschienen ist, vermeidet es unprätentiös, sich ins Schlachtgetümmel zu stürzen. Das ist umso bemerkenswerter, als der Autor sein Manuskript Hermann Heidegger, dem verdienstvollen Über-Herausgeber der Werke eines Ziehvaters, zur „kritischen Durchsicht” anvertraut hatte. Der Verlag hat denn auch auf den Hinweis, dieser Band der legendären Reihe ersetze den früheren von Walter Biemel, verzichtet. Von ersetzen kann keine Rede sein. Geier hat ein ganz anderes Buch geschrieben. Biemel, der Freund (ein Foto bei Geier zeigt ihn an der Geburtstagstafel zum Siebzigsten Heideggers), hatte eine Monografie zum Werk des Lehrers vorgelegt. Geier nähert sich der Biografie.
Glückliche Zufallsgriffe
Die zu schreiben ist immer noch schwierig. Immer noch harren etliche dazu erforderliche Quellen der Aufarbeitung, vielleicht sogar der Entdeckung. Nicht zufällig ist Geier deshalb als Biograf am ausführlichsten beim Thema Herkunft, Heranwachsen und Jugendalter. Das fatale Rektorat 1933/34 wird in einem eigenen, kompetent geschriebenen Artikel abgehandelt. Biografisches, das zum Verständnis der Werkgeschichte beitragen könnte - etwa die Beziehung zu Klassischen Philologen - fehlt vollständig, was angesichts der Forschungslage klug sein mag. Weniger verständlich ist da das Absehen von der Auseinandersetzung mit Ernst Jünger in den dreißiger und vierziger Jahren. Hier berühren sich doch Werk und Biografie Heideggers auf das Engste und keineswegs unproblematisch.
So bleibt in der Geschichte des berühmten Professors das gelebte Leben Zufallsgriffen des Biografen überlassen. Dabei zeigt dieser aber mitunter eine glückliche Hand. So erwähnt er bei Gelegenheit in der berühmten Davoser Disputation mit Ernst Cassirer 1929, dass der Ski-Fahrer Heidegger „am liebsten mit dem Politiker und Philosophen Kurt Riezler zu herrlichen Fahrten ins Gebirge” aufgestiegen sei. Über Riezler, den Kurator der Frankfurter Universität, schrieb Heidegger aus Davos an seine Frau Elfriede, er habe sich mit ihm „wirklich befreundet” und: „Vielleicht ist es der Mann als Freund - den ich suche - und wenn das das Ergebnis dieser Tagung wäre - würde es für mich ein großes inneres Glück bedeuten.” Diese Briefstelle liest man bei Geier nicht, aber der Hinweis auf Riezler, der versucht haben soll, Heidegger nach Frankfurt zu ziehen, öffnet doch spektakulär den Blick auf Möglichkeiten dieses Lebens, die, wären sie Wirklichkeit geworden, eine ganz andere Geschichte Heideggers, vielleicht eine andere Philosophiegeschichte herbeigeführt hätten. Welche Verführung für den Biografen!
Geier erliegt dergleichen nicht. Späteren werden solche Hinweise zu schaffen machen. Auf die müssen wir noch warten. Bis dahin gehört Geiers Buch zum Erfreulichen.
JÜRGEN BUSCHE
MANFRED GEIER: Martin Heidegger, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2005. 138 Seiten, 8,50 Euro.
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