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Charlene, alleinerziehende Mutter und Krankenschwester in der Notaufnahme, lebt mit ihrem kleinen Sohn Brandon auf Hawaii und pflegt zu Hause ihren kranken Vater. Die mühevoll aufrechterhaltene Normalität der kleinen Familie fällt in sich zusammen, als ihr Vater tödlich verunglückt. Charlene, die jahrelang alle anderen an erste Stelle gesetzt hat, sieht dies als Chance für einen Neuanfang: Sie kündigt und schreibt sich für ein Medizinstudium ein. Zur Beerdigung des Vaters taucht ihr Bruder Robbie nach langer Abwesenheit wieder auf, ein gutmütiger, aber unsteter Amateur-Musiker. Robbie und…mehr

Produktbeschreibung
Charlene, alleinerziehende Mutter und Krankenschwester in der Notaufnahme, lebt mit ihrem kleinen Sohn Brandon auf Hawaii und pflegt zu Hause ihren kranken Vater. Die mühevoll aufrechterhaltene Normalität der kleinen Familie fällt in sich zusammen, als ihr Vater tödlich verunglückt. Charlene, die jahrelang alle anderen an erste Stelle gesetzt hat, sieht dies als Chance für einen Neuanfang: Sie kündigt und schreibt sich für ein Medizinstudium ein. Zur Beerdigung des Vaters taucht ihr Bruder Robbie nach langer Abwesenheit wieder auf, ein gutmütiger, aber unsteter Amateur-Musiker. Robbie und Charlene müssen lernen, ihre alten familiären Rollen als die Verantwortliche und der Ausreißer hinter sich zu lassen, während Brandon seinen Kummer auf seine verschwundene Katze Batman konzentriert. R. Kikuo Johnsons KEIN ANDERER ist ein Comic von zärtlicher Wahrheit, in dem Charlene, Brandon und Robbie lernen, sich mit ihren Plänen, Ängsten und Sehnsüchten im Alltag zurechtzufinden. Die zersplitterte Welt dieser Geschichte, in der brennende Zuckerrohrfelder Brandons Träume ersticken, ist von eindrucksvollen Bildern bevölkert, die die sich verändernde emotionale Landschaft der Figuren symbolisieren.
Autorenporträt
R. KIKUO JOHNSON, geboren 1981 auf Maui, Hawaii. Der Comicautor und Illustrator gestaltete schon mehrfach das prestigeträchtige Cover von The New Yorker und veröffentlichte seit dem preisgekrönten NIGHT FISHER weitere Geschichten, die unter anderem die hawaiianische Identität und Legenden der Insel thematisieren.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2022

Überall ist Hawaii
Ein Comic wie eine Short Story: R. Kikuo Johnson erzählt in „Kein anderer“ von schwierigen Familienbeziehungen
Tief steht die Sonne am Himmel, ein kleiner orangefarbener Ball vor dem Schlot einer Fabrik. Es folgt eine Wand aus Orange, ein Zuckerrohrfeld: Am oberen Bildrand einer Doppelseite ragen orangefarbene Blätter wie Scherenschnitte ins Weiß. „Kein anderer“ spielt auf Hawaii, wo R. Kikuo Johnson 1981 geboren wurde und mit seiner Familie heute noch lebt. Der Zeichner arbeitet auch als Illustrator, hat mehrere Cover für den New Yorker gestaltet. Wie Daniel Clowes, Adrian Tomine und Chris Ware steht er für die Adaptation der frankobelgischen Ligne claire in den USA, in einer besonders minimalistischen Variante.
Grau und weiß sind die Panels, in denen eine junge Frau ihrem offenbar pflegebedürftigen Vater die Füße wäscht. Orange sind die Süßigkeiten, die ein Junge in sich hineinstopft, während er im Fernsehen eine Zeichentrickversion von „Der König der Löwen“ sieht und sich mit seiner Katze in eine orangefarbene Decke kuschelt. Als sein Opa mit unsicheren Schritten vorbeischlurft, rührt er sich nicht, um ihm zu helfen. Kurz darauf wird der alte Mann auf der Decke, die der Junge beiseite geworfen hat, ausrutschen und zu Tode stürzen.
Die Farbe Orange verheißt nichts Gutes in diesem Comic. So häufig wie am Anfang taucht sie später nicht mehr auf, aber sie bleibt ein visuelles Leitmotiv: Sie springt den Leser an in einem Albtraum, ist ein Fleck auf einem Teppich oder strahlt als Ampelsignal. Sie ist der orange Faden, der durch das Leben einer ziemlich kaputten, ziemlich unglücklichen Familie führt.
Charlene arbeitet als Krankenschwester, ist von ihrem Job aber so genervt, dass sie ihn hinwirft und versucht, ein Medizinstudium aufzunehmen. Außerdem ist sie alleinerziehende Mutter des kleinen Brandon und hat sieben lange Jahre ihren dementen Vater gepflegt. Der war wohl ein Familientyrann, aber auch ein großer Hochseefischer: Das Boot, mit dem er unterwegs war, steht nun nutzlos im Vorgarten herum. Eines Tages klingelt Charlenes Bruder Robbie an der Tür. Nach einem heftigen Streit mit seinem Vater hat er als Jugendlicher das Haus verlassen und reist nun mit seiner Gitarre als Musiker durch die Welt. Während Charlene mit nahezu manischem Eifer um ihren Studienplatz kämpft, kümmert Robbie sich ein wenig um den einsamen Brandon. Gleichzeitig beginnt er, eine Beerdigungszeremonie zu organisieren. bislang steht die Asche des Vaters in einer Urne, die an einen kleinen Mülleimer erinnert, unbeachtet im Haus.
Das ist lieblos, so wie Brandons Verhalten gegenüber seinem Opa. Verständnis füreinander oder freundliche Zuwendung gibt es in dieser Familie kaum. Als Robbie von einem Konzert schwärmt, das er gegeben hat, besteht der einzige Kommentar seiner Tante darin, ihm einen Job als Bauarbeiter zu empfehlen. Lieblos verhält sich auch Charlene. Als Brandons Katze verschwindet, an der der Junge sehr hängt, rührt das seine Mutter wenig. Sie vergisst sogar Brandons Geburtstag, und während Robbie die Asche ihres Vaters verstreut, tippt sie auf ihrem Handy herum.
Treten in diesem Comic also lauter grobe, unsympathische Menschen auf? Keineswegs. Es sind die Mühen des Zusammenlebens, der Bewältigung des alltäglichen Lebens, die in „Kein anderer“ zu Gleichgültigkeit, Gereiztheit und emotionaler Verkapselung führen. Bezeichnend ist ein Streit zwischen Robbie und Charlene: Er wirft ihr vor, nur an sich zu denken und das Leiden anderer zu ignorieren. Das aber wirft auch sie ihm vor: Schließlich habe sie sich alleine um den Vater gekümmert und kein eigenes Leben mehr gehabt, im Gegensatz zu ihm. Recht haben sie beide. Ob es ihnen gelingen wird, sich aus dem Zirkel wechselseitiger Schuldzuweisungen zu befreien, bleibt offen.
„Kein anderer“ ist fast ausschließlich in drei Farben gehalten, in Dunkelblau, Graublau und Weiß. Dem Weiß wird viel Platz eingeräumt; Menschen wie auch Gegenstände sind manchmal nur Konturen. Umso wirkungsvoller sind die wenigen leuchtenden Einsprengsel: das starke Orange und in zwei Rückblenden ein blasses Rosa.
So minimalistisch wie sein Zeichenstil ist auch Johnsons Erzählweise. Dramatische Vorfälle werden ins Off verbannt; die Dialoge sind knapp; große Gefühlsausbrüche finden nicht statt. Die lakonische Short-Story-Ästhetik eines Ernest Hemingway oder Raymond Carver wird in „Kein anderer“ erfolgreich in den Comic übertragen. Obwohl Johnson in dem querformatigen Band meistens eine strenge Seitenaufteilung verwendet – zwei Reihen von je drei Panels – entsteht durch den elliptischen Stil, der für harte Schnitte sorgt, eine große, fast filmische Dynamik. Auch deshalb liest man diesen Comic, in dem nichts, aber auch gar nichts Außergewöhnliches passiert, mit einer atemlosen Spannung.
CHRISTOPH HAAS
Charlene hat ihren Vater
jahrelang gepflegt,
seine Asche aber in eine Urne
gesteckt, die an eine
kleine Mülltonne erinnert
R. Kikuo Johnson
(Text und Zeichnungen):
Kein anderer.
Graphic Novel. Aus dem
Amerikanischen von
Sven Scheer.
Reprodukt Verlag, Berlin 2022. 112 Seiten, 20 Euro.

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Begeistert liest Christoph Haas diese Graphic Novel von R. Kikuo Johnson. In ebenso minimalistischen Zeichnungen wie Texten erzähle der Hawaianer die Geschichte einer Familie, in der jedes einzelne Mitglied den Alltag und das Zusammenleben bewältigt, ohne dabei Aufmerksamkeiten oder Mitgefühl füreinander aufzubringen: die alleinerziehende Mutter kümmerte sich zugleich um den dementen Vater, der kurz darauf verstirbt und reagiert unempathisch auf den Verlust der Katze des Sohnes. Der früh weggezogene Bruder hilft bei der Organisation der Beerdigung und leistet seinem Neffen Gesellschaft, nachdem er sich jahrelang allein für seine Musikerkarriere interessierte, fasst der Rezensent zusammen. Darin verspürt Haas "die lakonische Short-Story-Ästhetik eines Ernest Hemingway", die mit wenigen Strichen und gedeckten Farben gekonnt in Bildsprache übertragen werde, wobei grelleres Rosa und Orange punktiert Akzente setzten und die Bildanordnung für Dynamik sorgt. So habe der Autor ein Werk erschaffen, in dem eigentlich nichts "Außergewöhnliches" passiert und das doch den Rezensenten in "atemlose Spannung" versetzt.

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