Christine Wunnicke
Buch mit Leinen-Einband
Katie
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Vielleicht liegt es am Nebel. Davon jedenfalls gibt es in London um 1870 genug, und wer weiß, vielleicht trübt er der Stadt die Sinne. Kaum einer, der nicht dem Medium seiner Wahl vertraut, um in schummrigen Séancen mit dem Jenseits zu parlieren. Florence Cook ist das It-Girl der Branche - verschnürt im Schrank, die Haare an die Schrankwand genagelt, bringt sie die aufregendste aller Erscheinungen zutage: Katie, 200 Jahre jung und in gleißendes Weiß gewandet, früher Piratenbraut, heute eine unruhige Seele auf der Suche nach Erlösung. Oder...? Es hilft nichts, die Wissenschaft muss ran....
Vielleicht liegt es am Nebel. Davon jedenfalls gibt es in London um 1870 genug, und wer weiß, vielleicht trübt er der Stadt die Sinne. Kaum einer, der nicht dem Medium seiner Wahl vertraut, um in schummrigen Séancen mit dem Jenseits zu parlieren. Florence Cook ist das It-Girl der Branche - verschnürt im Schrank, die Haare an die Schrankwand genagelt, bringt sie die aufregendste aller Erscheinungen zutage: Katie, 200 Jahre jung und in gleißendes Weiß gewandet, früher Piratenbraut, heute eine unruhige Seele auf der Suche nach Erlösung. Oder...? Es hilft nichts, die Wissenschaft muss ran. Und zwar in Person von Sir William Crookes und seinem Gehilfen Pratt, die Florence (und Katie) nach den Regeln der damaligen Kunst unter die Lupe nehmen - nur um am Ende erschöpft zu konstatieren, dass die Wissenschaft im Grunde auch nur ein Spuk ist. Eine herrlich übersinnliche Geschichte. Und das Beste: Es ist alles wahr. Wirklich.
Christine Wunnicke, geboren 1966, lebt in München. Sie schreibt Hörspiele, biografische Literatur und Romane. 2002 erhielt sie den Bayerischen Staatsförderungspreis für Literatur, 2008 den Tukan-Preis. Ihr Roman "Der Fuchs und Dr. Shimamura" war 2015 für den Deutschen Buchpreis nominiert (Longlist).
Produktdetails
- Verlag: Berenberg Verlag GmbH
- Seitenzahl: 173
- Erscheinungstermin: 1. März 2017
- Deutsch
- Abmessung: 200mm x 134mm x 17mm
- Gewicht: 270g
- ISBN-13: 9783946334132
- ISBN-10: 394633413X
- Artikelnr.: 47099672
Herstellerkennzeichnung
Berenberg Verlag
Sophienstraße 28/29
10178 Berlin
info@berenberg-verlag.de
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
Ich bin ein Rebhuhn, und ich schmecke gut
Forschergeist und forsche Geister: Christine Wunnickes fabelhafter historischer Wissenschaftsroman "Katie"
",Halluzinationen, Mesmerismus, Reichenbach-Kraft', warf einer der Studenten ein. ,Elektrisch', wimmerte der ebenfalls anwesende William Huggins, dann sprang er auf und lief fort, um sich gemeinsam mit Mr. Ladd zu erbrechen." Wir befinden uns im Jahr 1870. Das Panzerschiff HMS Urgent verlässt am 5. Dezember den Hafen von Portsmouth mit einer Gruppe exzentrischer Wissenschaftler an Bord. Es herrscht magenunfreundlicher Wellengang. Man ist unterwegs zu einer Sonnenfinsternis an der algerischen Küste, die, obwohl total, sich als nebeliger Flop entpuppen wird. Um die Zeit
Forschergeist und forsche Geister: Christine Wunnickes fabelhafter historischer Wissenschaftsroman "Katie"
",Halluzinationen, Mesmerismus, Reichenbach-Kraft', warf einer der Studenten ein. ,Elektrisch', wimmerte der ebenfalls anwesende William Huggins, dann sprang er auf und lief fort, um sich gemeinsam mit Mr. Ladd zu erbrechen." Wir befinden uns im Jahr 1870. Das Panzerschiff HMS Urgent verlässt am 5. Dezember den Hafen von Portsmouth mit einer Gruppe exzentrischer Wissenschaftler an Bord. Es herrscht magenunfreundlicher Wellengang. Man ist unterwegs zu einer Sonnenfinsternis an der algerischen Küste, die, obwohl total, sich als nebeliger Flop entpuppen wird. Um die Zeit
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totzuschlagen, wird unter Deck eine Séance abgehalten, ein Modeexperiment, dem sich fast keine Gelehrtenrunde der Zeit verschließen konnte. ",Ist jemand anwesend?', rief plötzlich der Student an Crookes' Seite. ,Eine Präsenz? Eine Wesenheit? Eine Elektrizität?', und dann, nach tiefem Luftholen, laut und gepresst: ,Mama?'."
Die Suche nach dem Zweiten Gesicht, der vierten Dimension oder auch einem Stoff namens Ektoplasma beschäftigte damals auch Vertreter der sogenannten Hard Science - allen voran jene, die nicht daran glaubten und das Phänomen trotzdem erforschten. Einer von ihnen war Sir William Crookes, Herausgeber der "Chemical News", Entdecker der Spektrographie und des chemischen Elements Thallium sowie Alterspräsident der Royal Society, der ehrwürdigen Gesellschaft zur Beförderung experimenteller Gelehrsamkeit. Crookes ist eine der Hauptfiguren in "Katie", dem neuen Roman von Christine Wunnicke.
Seit ein paar Jahren erscheinen ihre Wissenschafts- und Techniksatiren im kleinen Berenberg Verlag - und verbergen sich dort dezent hinter dem landesüblichen Bestenlistengeschehen. Einmal hat es Wunnicke auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Das war im Jahr 2015 mit einem Buch über die klinische Hysterieforschung. Die berühmten Doktoren Charcot in Paris und Freud in Wien hatten darin slapstickhafte Auftritte. Und wer bei der Lektüre dieser Milieuhumoreske nicht Tränen gelacht hat, der werfe jetzt den ersten Stein. Denn Christine Wunnicke kann etwas, das nur den wenigsten ihrer deutschen Kollegen in die Wiege gelegt ist und worin sie auch Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" überflügelt: brüllend komisch schreiben. Mit zartem Sarkasmus und kindlichem Schalk gelingt es ihr, einen wissenschaftlichen Diskurs und sein gesamtes kulturelles wie sprachliches Milieu zu vermessen.
Mit dieser Doppelbegabung begegnet sie nun auch ihrem neuen Forschungsgebiet. Die Spiritismusfrage beschäftigte im neunzehnten Jahrhundert nicht nur okkulte Spinner, sondern hat immer wieder auch die Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses verschoben. Goethe zum Beispiel spricht in seiner Farbenlehre vom "Gespenst" des Lichts anstelle von einem "Spektrum". Auch William Crookes beteiligt sich an den Spekulationen. Stundenlang brütet er in seinem Laboratorium. "Zu Mittag ließ er Schnittchen kommen. Zum Tee bestellte er Kaffee. Er las die Zeitung von gestern von vorne bis hinten und von hinten bis vorn. Zum Supper ließ er Brühe kommen, nur Brühe, Wein und Brot. Er zog die Schuhe aus und die Pantoffeln an, dann zog er die Pantoffeln aus und die Schuhe wieder an und setzte den Fez auf. Er rauchte drei Zigarren, trank zwei Glas Brandy mit Wasser, schrieb in mehrere Kladden das Datum und sonst nichts, dann fluchte er, seufzte, lachte auch ein wenig bitter vor sich hin, und dann begab er sich zum Induktionstisch."
Bekannt ist, dass Crookes die "Künste" des Mediums Daniel Dunglas Home, damals berühmt für mehrere Zentimeter messende Levitationen, experimentell zu fassen trachtete. Auch das berühmteste materialisierende Medium von East London, Florence "Florrie" Cook, fand im Alter von vierzehn Jahren den Weg in die Crookesschen Laboratorien. Dort wurde ihm mit Stricken und Nägeln zu Leibe gerückt, denn Florrie war gewissermaßen eine Jahrmarktbegabung: eine Frau ohne Knochen, die sich aus jeder noch so engen Fixierung herauswinden konnte und dann als eine andere in Erscheinung trat. Ein bisschen Sadomaso, so würde man heute sagen, war auch dabei, denn "dann raffte sie ihre Röcke, um die Fußknöchel freizulegen, hob die zusammengelegten Hände zu Crookes empor und hauchte ,fest . . . bitte fest . . .'".
William Crookes soll nun ein Gutachten über das Medium Florence Cook schreiben. Dafür wird die junge Dame zunächst in die Villa des Privatgelehrten gebracht. Dort angekommen, stiftet sie produktive Unruhe unter den Mitgliedern des Haushalts, darunter Crookes' Ehefrau Nelly, die von ihrem Mann gelegentlich mit Quecksilberperlen zum "Spielen" in eine Ecke des Labors geschickt wird, Crookes' tumber Assistent Pratt sowie eine unüberschaubare Schar Kinder. Florrie nun, ist sie nur fest genug verknotet, materialisiert einen Geist aus dem siebzehnten Jahrhundert. Katie heißt er beziehungsweise sie. Es handelt sich nämlich um eine seefahrende Kindsmörderin, die cherubimhaft zweigeschlechtlich Verwirrung unter ihren Zeitgenossen stiftete.
Dieser Geist hat nun das Formelvolk der Spektralanalyse fest im Griff, was in einer ziemlich ekstatischen Bühnenshow am Piccadilly Circus samt Professor und Professorengattin endet. Eine in weiße Leinenfetzen gewandete Jugend begleitet das Geschehen kreischend, als befände sie sich auf einem Konzert der Beatles. Gegenüber liegt Burlington House: "Dort schaute zuweilen Mr. Darwin hinaus und hinüber, rauchte und lachte über Crookes' Plakat, und wenn ein anderer Fellow der Royal Society vorbeikam, sagte er ,Gesellschaftsinstinkt' oder ,da riecht man den Stammbaum'."
Mit umwerfendem Charme schmückt Christine Wunnicke, über deren Werdegang als Altgermanistin und Linguistin nur wenig bekannt ist, eine Wissenschaftsquerele aus, die uns nicht nur die Grenzen unseres Geistes vor Augen führt, sondern auch, dass jeder Forschungsvorstoß immer von philosophischen Impulsen getragen ist. Und so tragisch manches Experiment aus heutiger Sicht gescheitert scheint, Christine Wunnicke gibt ihre Protagonisten nie der Lächerlichkeit preis. Sie zeichnet sie als Helden mit menschlichen Sehnsüchten und ausgeprägtem Wahrheitsdrang. Und weil Wunnicke sich bestens auskennt in den Diskursen der Zeit, ist es ein einziges Vergnügen, ihren Figuren in die Irrwege des Wissens zu folgen. Ab und an verzehrt ein Medium Rebhuhnpaste am Tisch des großen Sir William Crookes, "still und ernst".
KATHARINA TEUTSCH.
Christine Wunnicke: "Katie". Roman.
Berenberg Verlag, Berlin 2017. 174 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Suche nach dem Zweiten Gesicht, der vierten Dimension oder auch einem Stoff namens Ektoplasma beschäftigte damals auch Vertreter der sogenannten Hard Science - allen voran jene, die nicht daran glaubten und das Phänomen trotzdem erforschten. Einer von ihnen war Sir William Crookes, Herausgeber der "Chemical News", Entdecker der Spektrographie und des chemischen Elements Thallium sowie Alterspräsident der Royal Society, der ehrwürdigen Gesellschaft zur Beförderung experimenteller Gelehrsamkeit. Crookes ist eine der Hauptfiguren in "Katie", dem neuen Roman von Christine Wunnicke.
Seit ein paar Jahren erscheinen ihre Wissenschafts- und Techniksatiren im kleinen Berenberg Verlag - und verbergen sich dort dezent hinter dem landesüblichen Bestenlistengeschehen. Einmal hat es Wunnicke auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Das war im Jahr 2015 mit einem Buch über die klinische Hysterieforschung. Die berühmten Doktoren Charcot in Paris und Freud in Wien hatten darin slapstickhafte Auftritte. Und wer bei der Lektüre dieser Milieuhumoreske nicht Tränen gelacht hat, der werfe jetzt den ersten Stein. Denn Christine Wunnicke kann etwas, das nur den wenigsten ihrer deutschen Kollegen in die Wiege gelegt ist und worin sie auch Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" überflügelt: brüllend komisch schreiben. Mit zartem Sarkasmus und kindlichem Schalk gelingt es ihr, einen wissenschaftlichen Diskurs und sein gesamtes kulturelles wie sprachliches Milieu zu vermessen.
Mit dieser Doppelbegabung begegnet sie nun auch ihrem neuen Forschungsgebiet. Die Spiritismusfrage beschäftigte im neunzehnten Jahrhundert nicht nur okkulte Spinner, sondern hat immer wieder auch die Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses verschoben. Goethe zum Beispiel spricht in seiner Farbenlehre vom "Gespenst" des Lichts anstelle von einem "Spektrum". Auch William Crookes beteiligt sich an den Spekulationen. Stundenlang brütet er in seinem Laboratorium. "Zu Mittag ließ er Schnittchen kommen. Zum Tee bestellte er Kaffee. Er las die Zeitung von gestern von vorne bis hinten und von hinten bis vorn. Zum Supper ließ er Brühe kommen, nur Brühe, Wein und Brot. Er zog die Schuhe aus und die Pantoffeln an, dann zog er die Pantoffeln aus und die Schuhe wieder an und setzte den Fez auf. Er rauchte drei Zigarren, trank zwei Glas Brandy mit Wasser, schrieb in mehrere Kladden das Datum und sonst nichts, dann fluchte er, seufzte, lachte auch ein wenig bitter vor sich hin, und dann begab er sich zum Induktionstisch."
Bekannt ist, dass Crookes die "Künste" des Mediums Daniel Dunglas Home, damals berühmt für mehrere Zentimeter messende Levitationen, experimentell zu fassen trachtete. Auch das berühmteste materialisierende Medium von East London, Florence "Florrie" Cook, fand im Alter von vierzehn Jahren den Weg in die Crookesschen Laboratorien. Dort wurde ihm mit Stricken und Nägeln zu Leibe gerückt, denn Florrie war gewissermaßen eine Jahrmarktbegabung: eine Frau ohne Knochen, die sich aus jeder noch so engen Fixierung herauswinden konnte und dann als eine andere in Erscheinung trat. Ein bisschen Sadomaso, so würde man heute sagen, war auch dabei, denn "dann raffte sie ihre Röcke, um die Fußknöchel freizulegen, hob die zusammengelegten Hände zu Crookes empor und hauchte ,fest . . . bitte fest . . .'".
William Crookes soll nun ein Gutachten über das Medium Florence Cook schreiben. Dafür wird die junge Dame zunächst in die Villa des Privatgelehrten gebracht. Dort angekommen, stiftet sie produktive Unruhe unter den Mitgliedern des Haushalts, darunter Crookes' Ehefrau Nelly, die von ihrem Mann gelegentlich mit Quecksilberperlen zum "Spielen" in eine Ecke des Labors geschickt wird, Crookes' tumber Assistent Pratt sowie eine unüberschaubare Schar Kinder. Florrie nun, ist sie nur fest genug verknotet, materialisiert einen Geist aus dem siebzehnten Jahrhundert. Katie heißt er beziehungsweise sie. Es handelt sich nämlich um eine seefahrende Kindsmörderin, die cherubimhaft zweigeschlechtlich Verwirrung unter ihren Zeitgenossen stiftete.
Dieser Geist hat nun das Formelvolk der Spektralanalyse fest im Griff, was in einer ziemlich ekstatischen Bühnenshow am Piccadilly Circus samt Professor und Professorengattin endet. Eine in weiße Leinenfetzen gewandete Jugend begleitet das Geschehen kreischend, als befände sie sich auf einem Konzert der Beatles. Gegenüber liegt Burlington House: "Dort schaute zuweilen Mr. Darwin hinaus und hinüber, rauchte und lachte über Crookes' Plakat, und wenn ein anderer Fellow der Royal Society vorbeikam, sagte er ,Gesellschaftsinstinkt' oder ,da riecht man den Stammbaum'."
Mit umwerfendem Charme schmückt Christine Wunnicke, über deren Werdegang als Altgermanistin und Linguistin nur wenig bekannt ist, eine Wissenschaftsquerele aus, die uns nicht nur die Grenzen unseres Geistes vor Augen führt, sondern auch, dass jeder Forschungsvorstoß immer von philosophischen Impulsen getragen ist. Und so tragisch manches Experiment aus heutiger Sicht gescheitert scheint, Christine Wunnicke gibt ihre Protagonisten nie der Lächerlichkeit preis. Sie zeichnet sie als Helden mit menschlichen Sehnsüchten und ausgeprägtem Wahrheitsdrang. Und weil Wunnicke sich bestens auskennt in den Diskursen der Zeit, ist es ein einziges Vergnügen, ihren Figuren in die Irrwege des Wissens zu folgen. Ab und an verzehrt ein Medium Rebhuhnpaste am Tisch des großen Sir William Crookes, "still und ernst".
KATHARINA TEUTSCH.
Christine Wunnicke: "Katie". Roman.
Berenberg Verlag, Berlin 2017. 174 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Roman-Haiku
Die Schriftstellerin Christine Wunnicke hat mit dem Titel ihres 2017 erschienen Romans «Katie» einem spiritistischen Medium gehuldigt und damit, wie auch in anderen ihrer Romane, eine exzentrische, obsessive Figur in den Mittelpunkt gestellt. Hier ist es die historisch …
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Roman-Haiku
Die Schriftstellerin Christine Wunnicke hat mit dem Titel ihres 2017 erschienen Romans «Katie» einem spiritistischen Medium gehuldigt und damit, wie auch in anderen ihrer Romane, eine exzentrische, obsessive Figur in den Mittelpunkt gestellt. Hier ist es die historisch verbürgte Entfesselungskünstlerin Florence Cook, zu deren Lebensgeschichte untrennbar auch der ebenfalls reale Naturwissenschaftler und Parapsychologe Sir William Crookes gehört. Das literarische Markenzeichen der Autorin ist es geradezu, diesen realen Figuren mit ungezügelter Phantasie eine ins Groteske reichende Persönlichkeit anzudichten, - im besten Sinne des Wortes. In diesem absurden und komischen Roman wird das geschichtlich Überlieferte durch fiktive Seitenpfade mit Esprit zu einem aberwitzigen narrativen Labyrinth ergänzt, ein Triumph des Übersinnlichen.
In London fasziniert um das Jahr 1870 herum Florence Cook in ihren Séancen ihr abergläubiges Publikum. Gefesselt und in einem Schrank sitzend stellt sie einen Kontakt mit dem Jenseits her, wozu wie ein Cherub als verschleiertes Medium jeweils «Katie» als fluoreszierende Lichtgestalt erscheint, eine zweigeschlechtliche, mehr als zweihundert Jahre alte, walisische Piratentochter und mystische Kindsmörderin. Natürlich ruft der zu jener Zeit weitverbreitete Okkultismus auch eine skeptische Wissenschaft auf den Plan. Bereitwillig stellt sich Florence dem renommierten Parapsychologen Crookes zu Verfügung, der mit Hilfe ziemlich obskur erscheinender Apparate den unerklärlichen, von ihm selbst wahrgenommenen Phänomenen auf den Grund gehen will. Sie wohnt während dieser wissenschaftlichen Untersuchungen in seiner Villa, wo er auch sein Laboratorium hat. In langwierigen Experimenten versucht er zusammen mit seinem Assistenten, verborgenen Kräften auf die Spur zu kommen, sie forschen mit Hilfe der Spektroskopie an vielerlei Stoffen und Strahlungen. Um auf seiner emsigen Suche nach dem «vierten Aggregatzustand» letztendlich aber zu erkennen, dass es den wohl doch nicht gibt.
Mit viel Witz schildert Christine Wunnicke genüsslich diese Irrwege des Wissens, beschreibt zudem mit feiner Ironie jene regelmäßig in wilde Massenekstase mündenden Bühnenshows mit dem berühmten Medium. Ihre Romanfiguren in dem slapstickartig angelegten Plot erscheinen als okkulte Spinner, ohne dass sie jedoch zynisch bloß gestellt werden als der Magie hörige Trottel. Dieser esoterische Roman voller Spuk und Gespenstern ist leicht erkennbar als Satire angelegt und wird in einem dem Sujet angepassten, amüsanten Ton erzählt, knapp und mit überraschenden Wendungen. Zu den berühmtesten realen Figuren, die den Roman bevölkern, gehört Charles Darwin, in einer Nebenrolle allerdings, bei der es nur darum geht, ob er denn in den geheiligten Hallen der Royal Society eine Zigarre rauchen darf, - er darf nicht!
Sie sei durch puren Zufall bei einer Recherche zum Thema Spiritismus auf ihre beiden Romanhelden gestoßen, ein Foto habe die beiden Arm in Arm gezeigt, und in einer Danksagung am Ende schreibt Christine Wunnicke dazu: «Ich danke […], dass sie mir ihre Lebensgeschichten überließen». Im Interview hat die Autorin ihre aktuelle Vorliebe für kurze Texte als Roman-Haiku bezeichnet. «Es kriegt ein bisschen was Exemplarisches, es bleibt schwebend, man muss nicht alles ausführen, man kann auch Sachen besser offen lassen, als wenn man einen großen, dickleibigen Roman schreibt». Und in der Tat bleibt hier manches offen, aber so ist das nun mal beim Überirdischen. Die euphorische Rezeption bei den wenigen Kritiken im Feuilleton, aber auch bei Leser-Rezensenten, deutet darauf hin, dass die Autorin eine kleine literarische Nische bedient, - in der auch ich mich nicht wohlgefühlt habe. Selten ist es mir nämlich so schwer gefallen, beim Lesen bis zum Ende durchzuhalten, ich fand einfach keinen Zugang zu diesem Hokuspokus, vom Thema her nicht, aber leider auch nicht von der ebenfalls esoterischen sprachlichen Form.
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