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Eine unbekannte Mutter, die Liz Taylor ähnelt, ein zärtlich geliebter Vater, der sich für Musset hält, ein verheirateter Liebhaber, der mit einem Revolver spielt, ein anderer, der an Becketts Todestag auftaucht, Freundinnen in Deutschland, Korsika und England, deren Erinnerung manchmal fast verschwunden ist, und ein mal weibliches, mal männliches, verletzliches oder mörderisches Ich erscheinen abwechselnd, wie man Karten aufdeckt, in diesem neuen Spiel von Anne Serre, das unter dem Zeichen von Lewis Carroll steht. Ein Selbstporträt in dreiunddreißig Facetten.

Produktbeschreibung
Eine unbekannte Mutter, die Liz Taylor ähnelt, ein zärtlich geliebter Vater, der sich für Musset hält, ein verheirateter Liebhaber, der mit einem Revolver spielt, ein anderer, der an Becketts Todestag auftaucht, Freundinnen in Deutschland, Korsika und England, deren Erinnerung manchmal fast verschwunden ist, und ein mal weibliches, mal männliches, verletzliches oder mörderisches Ich erscheinen abwechselnd, wie man Karten aufdeckt, in diesem neuen Spiel von Anne Serre, das unter dem Zeichen von Lewis Carroll steht. Ein Selbstporträt in dreiunddreißig Facetten.
Autorenporträt
Anne Serre, geboren 1960 in Bordeaux, hat seit ihrem Romandebüt 1992 sechzehn Romane und Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Für »Im Herzen eines goldenen Nachmittags«, ihre erste Veröffentlichung auf Deutsch, erhielt sie 2020 den Prix Goncourt de la nouvelle.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "kleine, scharfkantige Wunderwelt" hat Anne Serre mit ihren 33 sehr knappen und präzisen Erzählungen geschaffen, findet Rezensent Niklas Bender bewundernd. Immer in der Ich-Form erzählt, erforsche Serre stichprobenartig alle möglichen Lebensentwürfe zwischen Martinique und Bonn, schreibt   Bender, der aus dem Schwärmen über die Dichte und den Ton der Geschichten gar nicht mehr herauskommt. Das sei schönste französische Prosa und stehe Oulipo, Raymond Carver und James Salter in nichts nach, schreibt er. Dass die äußerst belesene Serre erst jetzt ins Deutsche übersetzt wird, führt Bender auf den Prix Goncourt de la nouvelle zurück, den die 62-Jährige vor drei Jahren erhielt - was dem Rezensenten unbedingt Lust auf mehr macht. 

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2023

Scharfkantige Wunderwelt

Der zum Tiny House verknappte Erzählraum: Aus dem "Herzen eines goldenen Sommers" formt Anne Serre meisterlich spielerische Kurzgeschichten.

Diese Rezension muss mit dem Besten anfangen, dem Anfang nämlich: "Es kam ein Soldat auf der Landstraße dahermarschiert: Eins, zwei! Eins, zwei! Freilufttheater, mitten im Sommer, im Dorf Deaut, hinter der Apsis der Kirche. Anwesend waren Tante Solaire und Tante Amélie, die mir böse Blicke zuwarfen. Vor allem Tante Solaire. Tante Amélie hielt sich etwas zurück. Seit ein paar Monaten schlief ich ab und zu mit meinem Cousin Yvan, sie hatten es erfahren, wie und von wem auch immer." So beginnt die Geschichte einer Frau, die rückblickend erzählt, dass sie "immer mit allen geschlafen hatte", aus einem Verlangen "nach Leben" heraus.

Das Zitat macht fast ein Achtel der Erzählung "Die Sünde" aus und fängt selbst mit einem Zitat an (dem Einstieg von Hans Christian Andersens "Das Feuerzeug"). Wie alle Erzählungen des Bändchens "Im Herzen eines goldenen Sommers" ist sie extrem kurz und extrem präzise: Anne Serre hat eine kleine, scharfkantige Wunderwelt geschaffen, in die man jeder Verletzungsgefahr zum Trotz mit Freude eintaucht, eine Vielzahl der erdachten Identitäten, in der man sich mit Maximalgenuss verliert. Als Hausheiliger wacht - wie könnte es anders sein? - Fernando Pessoa, der Dichter der Heteronyme, mit einem Motto vom "Übermaß an Selbsten", die in uns wohnen.

Tatsächlich entwirft Serre 33 davon, denn so viele Texte fasst ihr Band, Erzählungen, von Ton und Länge her irgendwo zwischen amerikanischer short story und lateinamerikanischer microficción angesiedelt - die Evokationskraft der Letzteren haben sie allemal, die emotionale Dichte einer Geschichte von Raymond Carver oder James Salter allerdings auch. Hinzu kommt die ironische Verspieltheit von Oulipo und überhaupt das Detachement schönster französischer Prosa. Wem die Hervé-Le-Tellier-Bände ausgehen, dem wird hier geholfen.

Wovon erzählt Serre? Von einem Geliebten, der - morgens heimlich am Schreibtisch beobachtet - sehr Unheimliches tut: im Morgenmantel mit dem Revolver zu spielen ("Stark wie ein Löwe"). Von einer Beobachtung hinter einem bürgerlichen Haus, die wie Prousts Gilberte-Szene nicht erzählt werden kann ("Auf dem Rasenplatz"). Von der eigenartigen Postkarte einer Freundin, die eine scheinbar menschenleere Esplanade im Süden zeigt, die ebenso abschreckend wie mysteriös ist ("Als wäre sie tot"). Von einem verstorbenen Vater, der seine Tochter in dem Haus heimsucht, das er ihr hinterlassen hat ("Papa ist zurück"). Von einem Serienmörder, der routiniert und beiläufig Menschen mit Schlingen erlegt, wie andere Vögel oder Kaninchen ("Das ist eine Hypothese").

Alle diese Geschichten sind in der Ichform erzählt - aber statt eine Identität zu formen, erforschen sie lieber Stichproben möglicher Leben, zwischen Kindheit und Alter, Liebe und Mord, Traum und Wahnsinn. Ebenso vielfältig sind die Schauplätze: Paris, die Provence, Bonn, London, Barcelona, Martinique. Kern ist jedoch nicht Lokalkolorit, sondern eine Anomalie. In "Hyères" heißt es von einer Katze, der die Erzählerin hätte folgen können: "Bestimmt hätte sie mich irgendwohin geführt. Zu einem Rätsel, das seiner Auflösung harrte, zu einer Sphinx, deren Frage fehlerfrei zu beantworten war." Der Knackpunkt, der zum Nachdenken herausfordert: Um ihn herum skizziert Serre mit wenigen Sätzen Figuren und Situationen. Der zum Tiny House verknappte Erzählraum ist ihr Element, ihre contrainte: jenes Hindernis, das bei Oulipo die Phantasie triggert. Entscheidend ist der Anfang: Er muss den Ton treffen - und er ist ein Zitat, das, so die Aufgabe, in einen eigenen Text überführt werden muss. Manche der Zitate schlüsselt Serre am Ende auf, andere muss man selbst ermitteln.

Weil es so schön ist, noch der Anfang von "Hyères": "Unter dem braun-weiß gestreiften Sonnensegel, das auch jetzt bei Nacht ausgespannt ist, stehen die leichten Korbtische und Korbstühle. Wir sind in Hyères, es ist Nacht, und begonnen hat der Beginn unserer Trennung." Von der Doppelung am Ende abgesehen (ein Übersetzungspatzer? Es wäre ein Ausreißer, denn Patricia Klobusiczky arbeitet sauber und elegant): Der erste Satz ist ein Hermann-Broch-Zitat ("Die Schuldlosen"), der Rest schönste Serre, die eine Sommernacht in süße Melancholie taucht. Man wundert sich, sie erst jetzt zu entdecken: Die 1960 in Bordeaux geborene Schriftstellerin hat seit 1992 sechzehn Bücher - Romane, Geschichten - veröffentlicht. Es ist vermutlich dem Prix Goncourt de la nouvelle 2020 zu verdanken, dass "Im Herzen eines goldenen Sommers" ins Deutsche übertragen wurde. Nun aber rasch mehr davon! NIKLAS BENDER

Anne Serre: "Im Herzen eines goldenen Sommers".

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Berenberg Verlag, Berlin 2022. 120 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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