schickte.
In "Streng vertraulich" greift Andrea Camilleri die Idee des kritischen Possenreißers auf: Sein Schelm heißt Prinz Grhane Solassie Mbssa, Neffe des Negus, des äthiopischen Kaisers. Seine Umgebung freilich würde in ihm gern den Taugenichts sehen: Grhane beginnt 1929 an der Königlichen Bergbauschule in Sizilien zu studieren, und nur zähneknirschend gibt das faschistische Italien zu, dass der junge Mann "obschon Neger, immerhin ein äthiopischer Prinz" sei. Camilleri serviert seinen Lesern eine höllisch gewürzte Geschichte, die zeigt, dass der kaiserliche Spross nicht nur spielsüchtig, notorisch klamm und ein lüsterner junger Bock ist, sondern wie Blechtrommler Oskar auch den faschistischen Apparat der Lächerlichkeit preisgibt. Camilleri, 85 Jahre alt und für die Christdemokraten in Porto Empedocle auch kulturpolitisch aktiv, ist einer der populärsten Schriftsteller Italiens. Neben den Commissario-Montalbano-Krimis hat er ein umfangreiches literarisches Werk geschaffen.
"Streng vertraulich" greift eine Anekdote der Weltgeschichte auf - sie dient als Vorwand, eine haarsträubende Geschichte zu erfinden. Grhanes Störpotential verdankt sich Mussolinis Plänen: Um Bündnisse und Eroberungen in Ostafrika vorzubereiten, hofft der Duce auf die Fürsprache des Prinzen. Der Duce hat zwei Ziele: Grhane soll in einem Brief an den äthiopischen Kaiser die "menschlichen Werte der faschistischen Revolution" loben und bei einem Treffen mit afrikanischen Fürsten vermitteln. Das Schlitzohr begreift seinen Wert und verwandelt ihn in klingende Münze. Im fiktiven Ort Vigàta führt er ein Prasserleben: Spielschulden, Bordellbesuche, feine Kleidung - alles lässt er sich bezahlen. Er quartiert sich im Haus des faschistischen Ortsdichters ein, um dessen reizende Tochter zu verführen. Er tritt dem Adelsclub bei und verprellt die Mitglieder, als er Anspruch auf den Stuhl von Vittorio Emanuele III. erhebt. Er verschwindet schließlich, ohne auch nur ein Versprechen eingelöst zu haben.
Der Reiz der sizilianischen Eulenspiegelei liegt darin, dass Camilleri sie aus dem Inneren des Systems heraus agieren lässt. Kaleidoskopartig setzt er die Handlung aus "Akten" zusammen: Die Korrespondenz von Behörden und Würdenträgern, die Gesprächsmitschnitte, Privatbriefe und Zeitungsartikel ergeben ein schillerndes Bild. Auch stilistisch bedient Camilleri ein reiches Spektrum, das politische Parolen, Diplomaten-, Beamten- sowie deftige Umgangssprache umfasst. Man verspricht, den Fall "mit umsichtiger, faschistischer Entschlossenheit zu lösen", hält fest, dass der Rektor der Bergbauschule "ein ausgemachter Trottel" ist, berichtet davon, wie der Prinz "seinem jugendlichen Überschwang Luft" macht (das heißt, einen Puff besucht), bittet um Erstattung der dabei entstandenen Kosten, strafversetzt den Bittsteller oder verbittet sich Eigeninitiative: "Ihr dürft absolut niemals irgendeine Meinung äußern, Ihr seid ein einfacher Parteisoldat, der nichts weiter zu tun hat, als blind den empfangenen Befehlen zu gehorchen!" Am Ende ist es so, wie der Polizeikommissar befürchtet: Es "ist ein komisches Schauspiel, welches viele zum Lachen bringt. Ich hoffe nur, es bringt uns nicht zum Weinen." Diese Hoffnung allerdings zerschlägt sich zum Vergnügen des Lesers. Der tiefere Sinn des Streiches liegt in der Entlarvung von Borniertheit, Gier und Arroganz.
Ähnlich konstruiert Camilleri "Der geraubte Himmel", einen kurzen Briefroman, der erzählt, wie Michele Riotta, ein ehrwürdiger sizilianischer Notar, von einer Unbekannten angeschrieben und verführt wird; kurz darauf verschwindet er. Die Dame schützt Interesse an einer These vor, die Riotta in seiner Jugend aufgestellt hatte: Der Maler Auguste Renoir habe Girgenti (heute Agrigent) besucht. Tatsächlich aber geht es um die Jagd auf Renoir-Gemälde, die bei diesem Besuch entstanden sein sollen - und nur ein Stück Himmel zeigen.
Seinen Reiz zieht der Kunstkrimi aus seiner Architektur: Die Briefe lassen den Leser nachvollziehen, wie der alternde Notar einer jungen Schönen mit kriminellen Absichten verfällt - riskante Alterserotik findet man des Öfteren bei Camilleri. Dann decken sie die Selbsttäuschung des Alten und die Abgründigkeit einer Intrige auf: Wie in "Streng vertraulich" dient der Wechsel der Perspektiven dem Spiel von Täuschung und Entlarvung. Berührend ist das Motiv der Gemälde: das vielbeschworene Himmelblau ist Sinnbild für die Erwartungen und Enttäuschungen sowohl des Lebens als auch der Kunst. Camilleri-Leser können sich dieses Frühjahr über zwei ebenso tiefgründige wie urkomische Romane freuen.
NIKLAS BENDER
Andrea Camilleri: "Der geraubte Himmel". Roman. Aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 116 S., geb., 14,90 [Euro].
Andrea Camilleri: "Streng vertraulich". Roman.
Aus dem Italienischen von Sigrid Vagt. Verlag Nagel & Kimche, München 2011. 264 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main