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Mea Schearim, die Stadt der 100 Tore, ist ein Viertel von Jerusalem, das fast ausschließlich von ultraorthodoxen Juden bewohnt wird. Um diese unfassbar aufregende und fremde Welt und ihre Spiritualität erfassen und verständlich machen zu können, muss man dort gelebt haben - so wie Tuvia Tenenbom, der in Mea Schearim aufgewachsen ist und nach vielen Jahren in New York hierher zurückgekehrt ist, um sich seiner Vergangenheit zu stellen: Denn Tenenbom entstammt selber einer ultraorthodoxen Familie, lernte in einer Jeschiwa, und ihm wurde eine Zukunft als einer der ganz großen Rabbis prophezeit.…mehr

Produktbeschreibung
Mea Schearim, die Stadt der 100 Tore, ist ein Viertel von Jerusalem, das fast ausschließlich von ultraorthodoxen Juden bewohnt wird. Um diese unfassbar aufregende und fremde Welt und ihre Spiritualität erfassen und verständlich machen zu können, muss man dort gelebt haben - so wie Tuvia Tenenbom, der in Mea Schearim aufgewachsen ist und nach vielen Jahren in New York hierher zurückgekehrt ist, um sich seiner Vergangenheit zu stellen: Denn Tenenbom entstammt selber einer ultraorthodoxen Familie, lernte in einer Jeschiwa, und ihm wurde eine Zukunft als einer der ganz großen Rabbis prophezeit. Dies machte seinen Aufenthalt auch zu einer Reise in die eigene Kindheit.

Tenenbom wollte wissen, wie sich die orthodoxe Kultur und Lebensweise verändert und wie sich eine restriktive Welt in einer immer restriktiver werdenden Welt entwickelt hat. Um diese Frage zu beantworten, wird er für lange Monate wieder einer von ihnen und tut das, was sie tun: in die Synagogen und in die Jeschiwas gehen, zum Rebbe, zum Rabbi, auch zu den Extremisten unter ihnen, mit ihnen zu essen und stundenlang zu singen, zum Schabbat mit den Familien zusammenzusitzen und Jiddisch mit ihnen zu sprechen, und er gewinnt so ihr Vertrauen, dass sich ihm die Menschen öffnen und dass ihre Welt des Glaubens in ihrer ganzen Faszination und in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit offenbar wird.
Autorenporträt
Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, stammt aus einer deutschjüdisch-polnischen Familie und lebt seit 1981 in New York. Er studierte u. a. englische Literatur, angewandte Theaterwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften sowie rabbinische Studien und Islamwissenschaften. Er arbeitet als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel, darunter für DIE ZEIT. 1994 gründete er das Jewish Theater of New York. Zuletzt erschienen die Bestseller Allein unter Deutschen (2012), Allein unter Juden (2014), Allein unter Amerikanern (2016), Allein unter Flüchtlingen (2017) sowie Allein unter Briten (2020).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Lukas Sarvari hat Tuvia Tenenboms neues Reportagebuch "Gott spricht Jiddisch" mit Interesse gelesen. Darin berichtet der Theatermacher und Journalist von seinem einjährigen Aufenthalt im ultraorthodoxen Jerusalemer Viertel Mea Sharim. Er zeichnet ein nuanciertes Bild von der charedischen Gemeinschaft, das sich laut Sarvari abseits von den üblichen Vorurteilen - von Sozialschmarotzertum bis radikalem Antizionismus - mit dem Leben der orthodoxen Juden auseinandersetzt. Da Tenenbom selbst als Teenager eine ultraorthodoxe Gemeinschaft in Israel verlassen hat und nach New York auswanderte, gerät das Buch auch zu einer Auseinandersetzung mit seiner eigenen Familiengeschichte. Eine besondere Bedeutung, so der Rezensent, erhält es vor dem Hintergrund des Massakers vom 7. Oktober 2023: Die Reportage, so der Rezensent, sei zur letzten Momentaufnahme dieses wesentlichen Teils der israelischen Gesellschaft vor der Zäsur des 7. Oktobers geworden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2024

Vielleicht doch Rabbi werden
Tuvia Tenenbom hat mit „Gott spricht Jiddisch“ ein
faszinierendes Buch geschrieben, das die Welt der ultraorthodoxen Juden ausleuchtet.
In Israels derzeitiger rechter Regierungskoalition aus sechs Parteien finden sich auch zwei als „ultraorthodox“ bezeichnete Parteien, welche die Charedim, so sie überhaupt politisch agieren, vertreten. Chared würde laut dem 1957 geborenen Journalisten und Theatermacher Tuvia Tenenbom Folgendes bedeuten: ängstlich, ehrfürchtig, furchtsam. Die Charedim wären demnach die Gottesfürchtigen. Sie machen schätzungsweise ein Zehntel der sieben Millionen Juden in Israel aus und zerfallen in etliche, manchmal verfeindete Gruppierungen. Tuvia Tenenbom weiß, wovon er schreibt. Er war als Jugendlicher selbst ein Chared, wurde ausgeschlossen, ging in die USA, gründete ein jüdisches Theater in New York, reüssierte in Deutschland als Zeitungskolumnist und Autor erfolgreicher Bücher.
Für sein neuestes Buch „Gott spricht Jiddisch“ kehrte er nach der Pandemie zurück zu seinen charedischen Anfängen, nach Jerusalem und in seine Geburtsstadt Bnei Brak bei Tel Aviv. Und weil Tenenbom aus dieser Welt stammt und ihre Sprache, besonders das Jiddische, spricht, weil er nicht als Wissenschaftler, sondern als aufgeklärter Journalist mit jeder und jedem spricht, weil er frech und frei von seinen Begegnungen und den vielen Essenseinladungen besonders zum Sabbat schreibt, erschließt sich eine sonst für Außenstehende undurchschaubare Welt mit all ihren Faszinosa und Schattenseiten.
Angekommen an Jerusalems tief in den Berg gegrabenem Hauptbahnhof geht es auf drei absurd langen Rolltreppen hoch zur Jaffa-Straße. Die ist für Autos gesperrt, nur Straßenbahn und Fußgänger gelangen schnell zur Altstadt mit deren Heiligtümern. Gleich fallen die Charedim auf, die in Tel Aviv kaum zu sehen sind: die Männer in schwarzen Anzügen mit weißen Hemden und oft einem Schtreimel, einer Pelzhaube auf dem Kopf, die Frauen mit dicht den Körper verschließender Kleidung und Kopftuch, Perücke, Turban. Immer wieder hetzen Menschen mit einer kleinen Thora in der Hand vorüber, sich Richtung Tempelberg verneigend. In der Straßenbahn steht mancher Chared abrupt auf, wenn sich eine Frau neben ihn setzt. Das Mann-Frau-Verhältnis, Tenenbom kommt immer darauf zurück, ist zentral und schwierig.
Bald nach dem Bahnhof kommt der Tourist zu Israels größtem Markt, Mahane Yehuda, nachts ein Kneipenviertel. Hier betteln Charedim, manche machen Musik, oft wild tanzend mit E-Gitarre. An der nächsten Tramstation Ha-Davidka steht die gleichnamige unscheinbare Kanone, die im ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 eingesetzt wurde, in dem die blutigen prägenden Verwerfungen in der Region erstmals brutal ausbrachen.
An Jaffa-Center sollte man links nach Norden abbiegen. Nach wenigen Hundert Metern beginnt, nur 20 Gehminuten von der Klagemauer entfernt, mit der Straße Mea Schearim, Hundert Tore, laut Tenenbom „eines der authentischsten charedischen Viertel in Israel“. Mea Shearim steht in allen Reiseführern mit dem Hinweis, dass man anständig gekleidet sein sollte und nicht knutschen dürfe, andernfalls flögen schon mal Steine. Die Dichte der Schtreimel-Träger ist enorm, Touristen und selbst Juden anderer Glaubens- und Nichtglaubensrichtungen sind kaum zu sehen. Hier beginnt die Ratlosigkeit des Touristen. Der Zugang zu dieser schillernd widersprüchlichen Welt ist ihm verwehrt und damit oft auch das Verständnis für sie.
In diese Ratlosigkeit hinein grätscht Tenenboms „Gott spricht Jiddisch“. Frustriert von den zunehmend die Rede- und Denkfreiheit einschränkenden Verboten der linken Szene in New York und Berlin, Tenenbom geißelt diese Entwicklungen, kehrt er zurück in sein geliebtes Jerusalem und die strenggläubige Welt, die er einst „geliebt und verraten“ hat, weil ihn die vielen Verbote und die Rabbis nervten. Sein Buch ist Selbstfindung und Besinnung auf die eigenen Wurzeln.
Tenenbom ist überrascht, dass die Charedim ihn – Freigeist, fast kahl, rote Brille, kugelförmige Gestalt, Hosenträger und frech neugierig – nicht verjagen. In seiner Jugend hätten sie es getan. Jetzt aber reden sie mit dem Ex-Mitglied, laden ihn ein zu sich, essen mit ihm. Tenenbom schwärmt ständig von Kugels, gefillte Fisch, Tscholent, früher sei das koschere Essen viel schlechter gewesen. Er singt mit den Charedim und diskutiert die zahllosen Ge- und Verbote vor allem zu Sexualität, Bettdienst und Partnerwahl. Für Letztere gehen viele Verzweifelte an Gräber oder Klagemauer, die für die Araber nach Mohammeds geflügeltem Reittier al-Buraq heißt. Tenenbom lässt liebevoll keine Provokation aus.
Auch geht er in die Schuls (Synagogen) und Jeschiwas (Rabbinerseminare) der einzelnen Gruppen: Die drei größten sind die in Tanz und Gesang und Lebensfreude vernarrten Chassidim, ihre Gegenspieler die gestrengen Litwakim, die auf Mystik erpichten Sepharden, die kein Jiddisch sprechen und sich nur schwer behaupten können. Rabbis, diese abgöttisch verehrten spirituell väterlichen Anführer, hatten früher nur die Chassiden, die Litwakim haben mittlerweile den Brauch übernommen.
Da ändert sich etwas bei den Chareddim, auch gehen einige mittlerweile zum Militär. Tenenbom, der keine Rabbis mag, stammt von den Radzyńer Rabbis ab, auch sein geliebter Vater war ein Rabbi. Tenenbom trifft ein paar ihm sympathische Rabbis, die unsympathischen aber reden nicht mit ihm. Wie viel Pädophilie gibt es in Mea Schearim, wie stark beuten manche Rabbis ihre Anhänger finanziell aus? Tenenbom lässt keine dieser unangenehmen Fragen ungestellt. Er erregt sich darüber, dass kaum jemand die Thora liest und kennt, dass nicht nur Smartphones verboten sind, sondern es ist auch verboten, Fragen zu stellen. Das, und Frauen anzuschauen, gilt als kfire, ketzerisch. Tenenbom schaut liebend gerne Frauen an.
Im Leser macht sich nach und nach jenes von intensiven Spannungen geprägte Jerusalemgefühl breit, das selbst Kurzurlauber kennen. Es ist direkter Reflex auf die unzähligen Widersprüche Jerusalems, die Tenenbom beschreibend stehen lässt. Er versucht gar nicht erst, diese Widersprüche aufzulösen, die oft selbst in ein und demselben Gespräch aufbrechen. Er überlässt sich dieser ihm vertraut fremden Welt und erlebt immer wieder glückliche Menschen, wie er sie sonst noch nie getroffen hat. Erstmals fühlt er sich als Jude angenommen. Aber eine neue Heimat kann ihm seine alte nicht werden. Tenenbom bleibt, die Bitterkeit dieser Erkenntnis kann er nicht wegspotten, ein Wanderer zwischen den Welten, der mit der Möglichkeit kokettiert, selbst Rabbi zu werden. Und der Tourist, der hoffentlich bald wieder nach Jerusalem kommt, wird dann mit ganz anderen Augen die Menschen in Mea Schearim erleben.
REINHARD J. BREMBECK
Er versucht gar nicht
erst, die vielen
Widersprüche aufzulösen
Straßenszene aus Jerusalems charedischem Viertel Mea Schearim.
Foto: A.Pizzoli/AFP
Tuvia Tenenbom:
Gott spricht Jiddisch.
Sachbuch. Suhrkamp
Nova, Berlin 2023.
576 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Tenenboms Buch wird ... zur letzten Momentaufnahme dieses wesentlichen Teils der israelischen Gesellschaft vor der Zäsur des 7. Oktobers.« Lukas Sarvari taz.de 20240424