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Überliefert sind von Friedrich Dürrenmatt über 4000 Seiten der unterschiedlichsten Gespräche und Interviews für Zeitungen, Zeitschriften, den Rundfunk oder das Fernsehen aus drei Jahrzehnten, von 1961 bis 1990 (erst in den 60er Jahren nämlich begann so etwas wie eine Praxis von authentisch reproduzierten Gesprächen und Interviews). Diese Gespräche sind ein einzigartiger Fundus, eine dem Tagebuch nahe, in diesem Falle sie ersetzende Dokumentation von Dürrenmatts Welt- und Wirklichkeitsanschauung, seiner ästhetischen und stofflichen Grundlagen, der Begleitumstände des entstehenden Werks. Aus…mehr

Produktbeschreibung
Überliefert sind von Friedrich Dürrenmatt über 4000 Seiten der unterschiedlichsten Gespräche und Interviews für Zeitungen, Zeitschriften, den Rundfunk oder das Fernsehen aus drei Jahrzehnten, von 1961 bis 1990 (erst in den 60er Jahren nämlich begann so etwas wie eine Praxis von authentisch reproduzierten Gesprächen und Interviews). Diese Gespräche sind ein einzigartiger Fundus, eine dem Tagebuch nahe, in diesem Falle sie ersetzende Dokumentation von Dürrenmatts Welt- und Wirklichkeitsanschauung, seiner ästhetischen und stofflichen Grundlagen, der Begleitumstände des entstehenden Werks.
Aus diesem schriftstellerischen Tage-Werk hat der Herausgeber die wichtigsten Gespräche vollständig oder in Teilen ausgewählt, immer darauf bedacht, einen lesbaren, an Biographie und Werk sich orientierenden Jahr- und Tagebuch-Text herzustellen, der den spannenden, erkenntnisreichen, humorvollen, den eigensinnigen und eigenwilligen Dürrenmatt zeigt.
Ein Lesevergnügen soll bereitet werden, das Friedrich Dürrenmatt als den zeigt, der er war: ein einfallsreicher, witziger, widerspruchsfreudiger, quer-, also selbstdenkender und erkenntnisheischender Schriftsteller voller Neugier und Einfallsreichtum."
Autorenporträt
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ¿Der Richter und sein Henker¿, ¿Der Verdacht¿, ¿Die Panne¿ und ¿Das Versprechen¿, weltberühmt mit den Komödien ¿Der Besuch der alten Dame¿ und ¿Die Physiker¿. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ¿Stoffen¿, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.1997

Der plaudernde Koloß
Friedrich Dürrenmatts gesammelte Gespräche und Interviews · Von Jochen Hieber

In Sachen Nachruhm hat Friedrich Dürrenmatt den Antipoden und Freund, den Konkurrenten und Verbündeten Max Frisch einstweilen weit hinter sich gelassen. Während es um Frisch und sein Werk sonderbar still geworden ist, folgt bei Dürrenmatt auch postum ein Ereignis auf das andere. So ist seit seinem Tod am 14. Dezember 1990 kein einziges Jahr vergangen, in dem die rührigen Verwalter des Nachlasses nicht wenigstens ein neues Buch aus den zu Lebzeiten unpublizierten Beständen ediert hätten - "Und ich habe einen gigantischen Nachlaß", prophezeite der Autor schon 1978. Davon sind inzwischen das Fragment "Midas oder Die schwarze Leinwand", die Essaysammlung "Gedankenfuge", eine Auswahl von Gedichten unter dem Titel "Das Mögliche ist ungeheuer" und "Der Pensionierte", ein unvollendeter Krimi, unter die Leser gekommen: keine Sensationen allesamt, immerhin jedoch, wie im Fall der "Gedankenfuge", hochinteressante oder, wie bei der Lyrik, zumindest skurrile Abrundungen eines festgefügten OEuvres.

Damit nicht genug. Im Frühjahr und Sommer 1994 huldigte die erzrepublikanische Schweiz ihrem nun fraglos akzeptierten Kulturkönig mit zwei großen Ausstellungen. Zeitungen, die auf sich hielten, waren mit Sonderbeilagen zur Stelle, Kongresse fanden statt, landauf, landab gab es Neuinszenierungen seiner Stücke. Vor wenigen Wochen erst feierte der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich selbst und seine kulturellen Leistungen, indem er, auf 3sat und einigen Hörfunkwellen, einen Monat lang tagtäglich wenigstens eine Dürrenmatt-Konserve sendete: die Hörspiele, die Fernsehfassungen seiner Dramen, Verfilmungen seiner Romane, Porträts und Gespräche.

Hinter all dem steckt mehr als bloß geschickte Nachlaßregie, verlegerische Findigkeit oder nostalgische Reminiszenz. Friedrich Dürrenmatt, so scheint es, ist lebendiger, aktueller denn je. Jenseits der Auseinandersetzung um die einzelnen Arbeiten, die oft zu Recht umstritten waren, ist der Blick aufs Gesamtwerk frei geworden. Sichtbar wird hinter den Bruchstücken dabei in der Tat eine große Konfession. Am Ende eines katastrophischen Jahrhunderts, in dem die Künste zwischen politischer Parteinahme und ästhetischem Rückzug schwankten und die Künstler zwischen Treue und Verrat, in dem ein nie gekannter Wohlstand zugleich die Marktgängigkeit der Kunst beförderte und alle moralische Verbindlichkeit fragwürdig erscheinen ließ, wirkt Dürrenmatts Werk wie ein erratischer Block in zerklüfteter Landschaft.

Dieses Werk verdankt seine Herkunft, wie sein Autor oft betonte, dem Gefühl eines von den großen Kriegen und Verbrechen unserer Epoche "Verschonten", der sein Verschontsein durchaus als Makel begriff - zugleich aber auch als Möglichkeit, ja als Verpflichtung zu geistiger Kohärenz, praktischer Vernunft und politischer Unabhängigkeit. Dies hat er eingelöst, dies macht ihn glaubwürdig. Die Wahrhaftigkeit seiner Kunst ist ungeheuer. Sie war die moralische Voraussetzung für die artistischen Spiele, für seine Versuche, die Welt, die er vorfand, auf Formeln zu bringen. Dürrenmatt hat, vor aller Ästhetik, dabei auf das Primat des Denkens gesetzt - und ist darüber zu einem der originellsten Selbstdenker unserer Zeit geworden.

Im Gleichnis fand er die poetische Entsprechung für seine Denkbilder - was Wunder, wenn nicht jedes Gleichnis aufgehen, mithin der Wirklichkeit entsprechen wollte. Aber Dürrenmatt hat mit der Kurzgeschichte "Der Tunnel" (1952), mit den Stücken "Der Besuch der alten Dame" (1956) und "Die Physiker" (1962), mit der Erzählung "Die Panne" (1956), dem Roman "Das Versprechen" (1958) und mit der Prosa "Zusammenhänge. Essay über Israel" (1978) Texte entstehen lassen, deren weltliterarischer Rang langsam selbstverständlich wird - Passagen und einzelne Kapitel der beiden Bände der "Stoffe", die 1981 und 1990 erschienen, stehen den Glanzlichtern kaum nach. Und es wird an den Tag kommen, daß Dürrenmatts Fabel von Anan ben David und Abu Chanifa aus dem Band "Zusammenhänge" in einem Atemzug mit Lessings Ringparabel zu nennen ist. Dieser Autor, resümierte der Kritiker Joachim Kaiser, habe unser "Weltgefühl" verändert. Man darf hinzufügen: sogar unser Weltverständnis. Er ist ein Koloß der Gegenwartsliteratur, sein Werk ein Kontinent.

Der Koloß plauderte gerne, nicht zuletzt zur Entspannung und meist zu exzellentem französischen Rotwein - auch, wie er einmal spöttisch bemerkte, um beim Plaudern in Ruhe etwas ganz anderes zu denken. Über dreihundert Mal in den gut vier Jahrzehnten der literarischen Laufbahn hat er Journalisten in seinem Haus in Neuchâtel zu Interviews empfangen, hat mit Kritikern in den Studios von Hörfunk und Fernsehen diskutiert und mit (meist minder bekannten) Kollegen Probleme der Kunst, des Lebens und Schreibens erörtert. Fast neunzig dieser Gespräche sind jetzt zu vier Bänden versammelt: Dürrenmatt ist der erste deutschsprachige Schriftsteller, dem eine derart umfangreiche und repräsentative Auswahl zuteil wird.

Um es vorweg zu sagen: Der Herausgeber Heinz Ludwig Arnold hat, gemeinsam mit den Mitarbeitern Anna von Planta und Jan Strümpel, nicht nur redliche Mühe verwandt, um das verstreute Material zu finden und zu sichten, er beweist zudem ein sicheres Gespür für den pragmatischen Umgang mit den immensen Konvolut. Wie er etwa das redaktionelle Bearbeiten von bisher nicht abgeschriebenen, geschweige denn gedruckten Fernseh-Gesprächen begründet und am Beispiel erläutert, ist völlig plausibel, ebenso die sparsame, indes ausreichende Kommentierung der Bände. So erzählt Dürrenmatt 1987 nach der Rückkehr von einer Reise ins Moskau des Michail Gorbatschow, man könne dort jetzt überall offen seine Meinung sagen. Er, zum Exempel, habe den Satz eines großen Biologen zitiert: "Kommunismus ist Darwinismus ohne Religion." Korrekt, erfährt man, lautet das Zitat von Edward O. Wilson: "Marxismus ist Soziobiologie ohne Biologie." Eine reizvolle, nicht untypische Marginalie über des Autors höchst produktive Verwandlung von Lesefrüchten in eigene Erkenntnis. Kurz und gut: die Edition ist mit Sinn und Verstand gemacht.

Aber lohnt das Ganze überhaupt? Natürlich kann auch Arnolds Redaktion nicht vermeiden, daß sich Dürrenmatts Antworten auf ähnliche Fragen bisweilen wörtlich wiederholen, daß der Befragte mit nur leichten Variationen immer aufs neue seine zentralen Themen ausbreitet. Im Dutzend also gibt es die Erklärung für seine berühmte Formel von der ,schlimmstmöglichen Wendung", die eine Geschichte, ein Theaterstück zu nehmen habe; wohl fünfzigmal das Lob auf den Kleinstaat und den Tadel an den Lebenslügen der Schweiz als Heimat. Hinzu kommt, daß dieser Autor in seinem genuin literarischen Werk ohnedies zu einem Höchstmaß an Selbstreflexion neigte, daß er in Vor- und Nachworten seine Intentionen erläuterte, in öffentlichen Reden Stellung bezog zu naturwissenschaftlichen Problemen, zum Verhältnis von Mythos und Moderne, in Aufsätzen und Polemiken seine Meinung zur Kritik ausgiebig darlegte und selbstredend die jeweils neu entstandenen Theaterstücke oder Prosaarbeiten kommentierte und deutete. Weshalb sollte er die geschriebenen Sätze im Interview nicht in etwas lässigerem Ton wiederholen?

Das Interview ist eine journalistische Zweckform, bestimmt für den Tag, geführt aus aktuellem Anlaß für ein je spezielles Publikum von Lesern, Hörern oder Zuschauern. Entlassen in die mittlere Ewigkeit des Buchs und dort verbunden mit anderen, ebenfalls aus je gegenwärtigem Interesse entstandenen Gesprächen, entwertet es sich selbst, wird Teil einer Epopöe des Immerähnlichen und damit der Langeweile. Und die Fragesteller, im einzelnen Gespräch oft Zöllner beim Abverlangen unmittelbarer Wahrheiten, werden in der chronologischen Abfolge nicht selten zu schieren Stichwortgebern. Vor derartigen Problemen jedoch werden in Zukunft nahezu alle Herausgeber von Werk- und Nachlaßeditionen stehen: Nicht nur Dürrenmatt fühlte sich durch die vielen Wünsche des Interview-Zeitalters herausgefordert und geschmeichelt.

Wieder also nichts Überraschendes, wieder bloß Abrundung und Repetition? Gemach. Wer bereit ist, sich mit den unvermeidbaren, weil zwangsläufigen Malaisen von Arnolds Ausgabe abzufinden, wird reichlich belohnt. Dürrenmatt läßt sich zwar höchst selten auf Plaudereien aus dem Nähkästchen ein - die Literatur der Ichsager war seine Sache nicht -, viel deutlicher als bisher wird jedoch der persönliche Urgrund, das subjektive Fundament seiner allgemeinen Anschauungen und seiner poetischen Gleichnisse erkennbar.

Die Institution Theater: Sie hat ihm fördernde Skandale und frühe Triumphe beschert, sie hat ihm deprimierende Durststrecken abverlangt und herbe Niederlagen zugefügt. Dies alles passiert Revue, oft in Sätzen von bissigem Humor: Die Arroganz der überschätzten Regisseure - Peter Stein gilt ihm 1973 noch als "außerordentlicher Bühnendenker", wird 1981 aber als "Oberpriester" abgeschrieben -, die Verschwendungssucht des Apparats, die Inkompetenz der Kulturpolitiker. Damit war zur Not zu leben. Aber was Dürrenmatt nie verwand: "daß ich nicht habe, was Brecht hatte, ein Theater, das hinter mir steht". Sein Berliner Ensemble hätte in Basel oder Bern sein können, es war nirgendwo.

Aufschlußreich sind auch die unmittelbar biographischen Auskünfte. Das Dorf Konolfingen bei Bern, in dem er 1921 geboren wurde und in dem sein Vater Pfarrer war, schildert er als "Idylle" der Grausamkeit. Die Metzgerei lag neben dem Elternhaus: "Ich habe schon als kleines Kind gesehen, wie man Tiere schlachtet . . ., diese Mischung aus Wasser und Blut." Das Dorf ist prägend auch für eine zentrale Denkfigur Dürrenmatts: das Labyrinth. "Unzählige kleine Gänge", die in die Felder führten und in die Heuschober der Bauernhöfe, Gänge, "durch die man schlüpfen", in denen man auch verlorengehen konnte, weil man sich selbst verlor. Ein Einzelgänger wurde aus ihm, der 1965 zwar noch beklagt, daß der "Kontakt der Leute, die sich mit Literatur beschäftigen", viel zu gering sei: "Wir haben kein literarisches, kulturelles Klima mehr." Der aber zugleich weiß, daß der Autor stets "in einer Abwehrposition den anderen gegenüber ist", und daraus, um den Widerspruch wissend, folgert: "Ich habe das literarische Leben nicht gern." Unironisch redet der eben zweiundfünfzig Jahre gewordene Dürrenmatt davon, wie er sich nun, "im Alter", einrichte. Mehrere Herzinfarkte, eine jahrzehntelange Zuckerkrankheit: "Die Müdigkeit der Zuckerkranken", sagt er kurz vor dem Tod, "ist ein Gefühl, das ich oft versuche zu beschreiben, aber ich finde keine Worte."

Wohl das Erstaunlichste an diesem Intellektuellen: seine politische Klarsicht über die Zeiten hinweg. "Die kommunistische Welt zerfällt", weiß er 1966. Einen "Anti-Ideologen" nennt er sich, programmatisch zumal in den Jahren nach 1968. Während sich die Debatten Mitte der achtziger Jahre um die Nachrüstung drehen, redet er bereits "von einem Problem wie der Arbeitslosigkeit, das heute eigentlich gar nicht mehr zu bewältigen ist", auch der gegenwärtige Wohlstand sei auf Dauer nicht zu halten. Von engagierten Autoren will er nichts wissen: "Der Schriftsteller darf sich nicht binden, er hat von Fall zu Fall zu entscheiden." Daß auch Gorbatschow, dessen Mut er bewundert, den "neuen Menschen" für seine neue Politik fordert, irritiert ihn. Es liege in der Natur, daß Menschen egoistisch handelten, der Kapitalismus sei deshalb "die natürliche Form der menschlichen Willkür". Zunehmend spricht er in den letzten Jahren von der "biologischen Krise", in der wir uns befänden, sieht angesichts der Überbevölkerung die Freiheit auf dem Rückzug gegenüber dem Prinzip Gerechtigkeit. Vom Tier unterscheide sich der Mensch nicht etwa durch die Sexualität, sondern einzig "durch die Entdeckung, daß er sterben muß. Das war ein ungeheurer Schock, darum hat er die Religion erfunden, . . . also die Kultur."

Am meisten, am liebsten aber redet er über Max Frisch. Shakespeare, Lessing, Brecht und Goethe folgen mit Abstand. Er hadert mit Frischs "Romantizismus in der Liebe" und in der Literatur, schimpft auf die Ich-Besessenheit, die Wendung ins "Innenleben": "Alles ist immer so privat. Was interessieren mich Eheprobleme?" Und doch: "Max Frisch ist der einzige lebende Schriftsteller, mit dem ich mich wirklich auseinandergesetzt habe . . .; er ist für mich immer noch der große Impressionist. . . Ich bin ein Expressionist." Und der gemeinsame Ruhm? Für Dürrenmatt war er die Folge der deutschen Nachkriegslücke: "In den Schubladen der sogenannten Schubladendichter in Deutschland war leider nicht besonders viel drin. So kamen und waren wir eben mit einem Mal dran." Dürrenmatt und seine poetischen Weltformeln sind dran geblieben.

Friedrich Dürrenmatt: "Gespräche 1961 - 1990". Vier Bände. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold in Zusammenarbeit mit Anna von Planta und Jan Strümpel. Diogenes Verlag, Zürich 1996. Zus. 1248 S., geb., 198,- DM.

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»Der Dialog mit Friedrich Dürrenmatt ist nicht zu Ende - er beginnt erst, und wir werden Mühe haben, in Friedrich Dürrenmatts mächtigem Schatten, ihn zu bestehen.« Walter Jens