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Ein Leben wie ein Roman, aber ohne happy end: Nach langjährigen Recherchen in europäischen und amerikanischen Archiven legt Steffi Böttger die erste Darstellung der außergewöhnlichen Biographie von Hans Natonek (1892-1963) vor, der wie Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch dem Milieu der Prager deutsch-jüdischen Literatur entstammte. Als Feuilletonist und Romancier zählte er zu den renommierten Schriftstellern der Weimarer Republik. Seine Essays erschienen in allen großen Zeitungen und Zeitschriften, seine Romane wurden von Thomas Mann und Joseph Roth begrüßt. Als er 1933…mehr

Produktbeschreibung
Ein Leben wie ein Roman, aber ohne happy end: Nach langjährigen Recherchen in europäischen und amerikanischen Archiven legt Steffi Böttger die erste Darstellung der außergewöhnlichen Biographie von Hans Natonek (1892-1963) vor, der wie Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch dem Milieu der Prager deutsch-jüdischen Literatur entstammte. Als Feuilletonist und Romancier zählte er zu den renommierten Schriftstellern der Weimarer Republik. Seine Essays erschienen in allen großen Zeitungen und Zeitschriften, seine Romane wurden von Thomas Mann und Joseph Roth begrüßt. Als er 1933 als Feuilletonchef der Neuen Leipziger Zeitung entlassen, seiner Staatsbürgerschaft beraubt und mit Berufsverbot belegt wurde, begann eine achtjährige Flucht, die ihn über Prag und Paris 1941 in die USA führte, wo er sich vergeblich um eine Fortsetzung seiner literarischen Laufbahn bemühte und schließlich völlig vergessen in der Wüste von Arizona starb. Für ihre Darstellung konnte Steffi Böttger erstmals die beiden umfangreichen Nachlaß-Teile in Berlin und Albany, NY, auswerten und sie um zahlreiche Briefe und Dokumente aus Archiven in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Niederlande ergänzen. Als intime Kennerin des publizistischen und literarischen Werkes von Hans Natonek ausgewiesen, bildet ihre umfassende und differenzierte Rekonstruktion von Leben und Werk einen gewichtigen Beitrag zur Geschichte des literarischen Lebens in Deutschland und im Exil.
Autorenporträt
Steffi Böttger ist freischaffende Publizistin, Theaterautorin und Schauspielerin in Leipzig. Sie ist Autorin zahlreicher Reiseführer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

Eine Entscheidung auf Leben und Tod

Hans Natonek und Walter Trier kamen als Prager Juden nach Deutschland, um ihr Glück zu machen. Dann wurden sie ins Exil getrieben.

Von Andreas Platthaus

Aus dem Fenster des Zimmers, in dem ich diese Rezension schreibe, geht der Blick auf die Taufkirche von Hans Natonek. Der Journalist war fünfundzwanzig Jahre alt und erst kurz in Leipzig, als er sich verliebte. Ob es allein die bevorstehende Eheschließung war, die den Sohn einer jüdischen Familie aus Prag dazu bewog, sich am 26. Mai 1918 protestantisch taufen zu lassen, ist unbekannt - wie bis vor kurzem noch so vieles über Natonek. Dabei war er einer der bedeutendsten Feuilletonisten der Weimarer Republik und ein erfolgreicher Schriftsteller obendrein. Doch mit Hitlers Machtübernahme war seines Bleibens in Deutschland nicht mehr lange, die Taufe nutzte nichts; 1934 floh er in seine Heimatstadt, 1938 weiter nach Paris, 1940 nach Lissabon, im Jahr darauf nach New York. Er entkam, doch sein Leben und Werk wären beinahe vergessen worden.

Dass es jetzt wieder in unser Bewusstsein gelangt, verdankt sich der Schauspielerin und Publizistin Steffi Böttger. Vor fast zehn Jahren bereitete sie einen literarischen Abend über die Leipziger Aufenthalte von Joseph Roth vor. Für eine lebendige Dramaturgie suchte sie nach einem Weggefährten jener Jahre, den sie auf der Bühne als fiktiven Gesprächspartner inszenieren konnte. So stieß Böttger auf Natonek, der seit 1924 Feuilletonchef der linksliberalen "Neuen Leipziger Zeitung" war, für die er zahlreiche Schriftsteller als Mitarbeiter gewonnen hatte, darunter Roth, aber auch den jungen Erich Kästner. Doch weder war über den Feuilletonchef biographisch viel herauszubekommen, noch gab es greifbare Ausgaben seiner eigenen Texte. Eine erste kleine Wiederentdeckung dank eines Auswahlbands Anfang der achtziger Jahre war selbst schon wieder vergessen.

Steffi Böttger setzte sich in den Leipziger Archiven auf Natoneks Spuren und brachte 2006 den Band "Im Geräusch der Zeit" heraus, eine Sammlung von Feuilletonartikeln der Jahre 1914 bis 1933. Darin trat ein ebenso wort- wie witzgewaltiger Autor auf, von dem man gern mehr hätte lesen wollen. Dass es sieben Jahre dauerte, bis es jetzt dazu kommt, ist der Akribie zuzuschreiben, mit der Böttger weiterforschte. Nicht nur, dass sie für Natoneks Texte nach 1933 auf ausländische Archive angewiesen war, auch der Nachlass des 1963 in Austin, Texas, gestorbenen Publizisten war verstreut, denn bei der Flucht aus Paris hatte er 1940 nur das Nötigste mitnehmen können. Was er dort hinterließ, geriet in die Hände der Gestapo und über bizarre Umwege heute ins Berliner Bundesarchiv. Die Dokumente der folgenden 23 Lebensjahre liegen dagegen in der Universität von Albany im amerikanischen Bundesstaat New York. Für beide Konvolute hatte sich kaum jemand interessiert.

Nun ist daraus nicht nur ein höchst lesenswerter Sammelband mit Natoneks späterer Publizistik geworden, der den Titel "Letzter Tag in Europa" trägt, sondern gleichsam nebenbei auch eine ganze Biographie: "Für immer fremd - Das Leben des jüdischen Schriftstellers Hans Natonek". Steffi Böttger schließt damit eine jener Lücken in der deutschen Literaturgeschichte, die beinahe siebzig Jahre nach Kriegsende immer noch klaffen.

Eine weitere schließt Antje Neuner-Warthorst. Die Konstanzer Kunsthistorikerin hat sich des Lebens von Walter Trier angenommen, jenes Mannes, der ein Zeichner-Star in der Weimarer Republik war und weltweiten Ruhm durch seine seit 1929 angefertigten Illustrationen zu Erich Kästners Jugendbüchern erlangte. Doch Kästner ist nicht die einzige Verbindungslinie zwischen Natonek und Trier, obwohl beide jeweils in den Biographien des anderen nicht vorkommen.

Sie wurden im selben Ort geboren, in der bei Prag gelegenen, heute in die Stadt eingemeindeten Ortschaft Königliche Weinberge: Trier 1890, Natonek zwei Jahre später. Über Natoneks Jugend gibt es kein so ausführliches Zeugnis wie die Erinnerungen von Max Brod, der als Junge mit Trier und dessen vier Brüdern befreundet war. Dafür zählte Natonek als Exilant in Prag später zum literarischen Umfeld von Brod, und so schließt sich der Kreis wieder. Beide Biographien zeigen, welche zentrale Bedeutung das Prager Judentum für die deutsche Kultur hatte.

Beide, Trier wie Natonek, waren die jüngsten Kinder ihrer Familien, Trier das siebte, Natonek das vierte, und beide gingen später als Einzige ins Exil. Die Geschwister von Natonek sind in der Schoa spurlos verschwunden, Triers Brüder und Schwestern waren teilweise schon tot, als die Deutschen kamen, oder im Ausland in Sicherheit, doch die in Prag verbliebenen Neffen und Nichten wurden ermordet, und die Spur seines ältesten Bruders Ernst verliert sich in Berlin.

So zählen Hans Natonek und Walter Trier zu den wenigen Überlebenden jener Juden, die ihr Glück im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts mit Deutschland versucht hatten. Beide schienen es zunächst gut getroffen zu haben und wurden dann bitter enttäuscht. Beide versuchten, auch noch eine gewisse Zeit nach dem Januar 1933 publizistisch aktiv zu bleiben. Natonek scheiterte nach ein paar Anbiederungsversuchen ans neue Regime schon im April, als die "Neue Leipziger Zeitung" ihn entließ, Trier hatte immerhin bis 1935 noch sein Auskommen als Illustrator in Deutschland, doch die Situation für ihn, seine Frau und seine Tochter wurde untragbar, so dass er 1936 nach London übersiedelte, wo er weiterhin derart erfolgreich zeichnete, dass er 1947 der inzwischen nach Kanada verheirateten Tochter hinterherziehen konnte.

Er hatte das bessere Exillos, aber auch kein rundum glückliches. An seinen Schweizer Verleger schrieb er 1950: "ich glaube nun mal fest daran, dass die Emigration die Menschen doch stark entwurzelt; allein die Sprache ist eine so feste Bindung . . . Wenn Sie fragen: ,Sind Sie zufrieden mit der Wahl Ihrer Heimat und ist es eine Heimat für Sie' so kann man das - wie oft im Leben - nicht auf eine einfache Formel bringen. Aber vielleicht ist eine simplifiete Antwort etwa so: ,Meine' Heimat - definitely not! De Heimat meines einzigen Kindes - yes."

Natoneks beide Kinder waren dagegen in Deutschland zurückgeblieben. Dass ihnen nichts geschah, dürfte der mehr als unerfreulichen Entwicklung seiner Ehe zu verdanken gewesen sein, denn Natoneks Frau hatte unter Ausnutzung der antisemitischen NS-Ideologie die Scheidung betrieben. So verlor der Publizist durch den Gang ins Exil nicht nur bisherige Stellung und Ansehen, sondern auch die eigene Familie. Er wusste, wovon er sprach, als er im Oktober 1938 in Prag seinen Artikel "Schicksal der Wanderung" schrieb. Da war die deutsche Besetzung des Sudetenlandes drei Wochen her, und in weiteren drei Wochen sollte der Publizist abermals fliehen. Noch aber zögerte er, und sein Artikel, der am 22. Oktober in der deutschsprachigen Exilzeitschrift "Die neue Weltbühne" erschien, war vor allem ein Gespräch mit sich selbst: "Eine Auswanderung gehört zu den allerschwersten Entscheidungen des persönlichen Lebens. In gesicherten Zeiten ist sie ein Ausdruck überschüssiger Kraft und bewußten Pioniertums; die Bewegung vollzieht sich meist ruhig und planvoll, geregelt vom Aus- und Einwandererland. Das hat sich in so anormalen, sich überstürzenden Zeiten wie den unseren völlig geändert. Auswanderung ist heute ein Sprung ins Dunkel, in vielen Fällen eine Entscheidung auf Leben und Tod."

Wie wahr das war, sollte er zwei Jahre später in Paris erleben, als er gemeinsam mit seinem Freund und Schriftstellerkollegen Ernst Weiß den heranmarschierenden Deutschen entkommen wollte: Weiß schaffte es nicht, noch einmal wegzulaufen, und wählte den Freitod. Natonek gelangte auf Empfehlung von Thomas Mann und dank der Bürgschaft des amerikanischen Juristen Edwin J. Borchard (der als Jude einen Glaubensgenossen unterstützen wollte, aber vehement einen möglichen Kriegseintritt Amerikas gegen Deutschland bekämpfte) auf abenteuerlichen Wegen Anfang 1941 in die Vereinigten Staaten, wo er dann im Dezember "meinen dritten Kriegsausbruch" erlebte, wie er lapidar in seiner zwei Jahre später auf Englisch erschienenen, aber nie ins Deutsche übersetzten Autobiographie "In Search of Myself" formulierte.

Die Publikation dieses Buchs weckte in Natonek die Hoffnung, auch im neuen Land als Schriftsteller Fuß zu fassen. Es misslang, obwohl er bis an sein Lebensende schrieb. Er fand später auch wieder zur deutschen Sprache zurück, obwohl er sich geschworen hatte, nur noch Englisch zu schreiben. Dieser Plan war die Folge des Schocks seiner Ankunft im januarkalten New York gewesen, als er mittellos auf die Straße entlassen wurde und sich später mit einer Hilfszahlung von wöchentlich nur neun Dollar ein Quartier und vor allem warme Kleidung leisten musste. Seine stilistische Brillanz in deutscher Sprache war hier nicht gefragt.

Schon in Paris hatte Natonek bittere Armut kennengelernt, aber so schlimm wie in New York war es dort noch nicht. Es ist berührend, dass sich im Solinger "Else-Lasker-Schüler-Zentrum für verbrannte und verbannte Dichter-/Künstlerinnen" in einem kleinen Natonek-Konvolut auch die Quittung vom Verkauf zweier Pelzmäntel in Frankreich erhalten hat, die der Schriftsteller unmittelbar vor seiner Flucht zu Geld gemacht hatte. Diesen Beleg nahm er wie als Erinnerung an bessere Zeiten mit über den Atlantik.

Im Gegensatz zu ihm war Walter Trier gerade dabei, auch in Kanada zum führenden Illustrator zu werden, als er 1951 überraschend mit nur 61 Jahren starb. Seine Biographin Antje Neuner-Warthorst hat ein weniger abenteuerliches Leben zu dokumentieren, und im Gegensatz zur lebendig schreibenden Steffi Böttger geraten ihr einige Passagen, vor allem die zum Werk, sehr trocken. Dafür kann Triers Biographie mit dem Bilderschatz wuchern, der in deutschen Zeitschriftenarchiven und vor allem in Toronto, in der Art Gallery of Ontario, liegt.

Triers Bildsprache hat bis heute nichts an Qualität und Zauber eingebüßt, er ist ein Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts und als solcher weiterhin einflussreich. Von Hans Natonek schien dagegen bislang nichts geblieben. Doch nun sind da die beiden neuen Bücher, die einen Autor wieder ins Bewusstsein rücken können, dessen Leben und Werk jede Aufmerksamkeit lohnen.

Steffi Böttger: "Für immer fremd". Das Leben des jüdischen Schriftstellers Hans Natonek.

Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013. 246 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].

Hans Natonek: "Letzter Tag in Europa". Gesammelte Publizistik 1933-1963.

Hrsg. von Steffi Böttger. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013. 372 S., geb., 24,90 [Euro].

Antje Neuner-Warthorst: "Walter Trier". Eine Bilderbuch-Karriere.

Nicolai Verlag, Berlin 2013. 304 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen Autor, der laut Rezensent Andreas Platthaus leider nahezu gänzlich in Vergessenheit geraten ist, wiederzuentdecken, lädt die Biografie über den jüdischen Schriftsteller und Publizisten Hans Natonek von Steffi Böttger ein. Platthaus hebt die Recherchearbeit der Autorin besonders hervor, da die Zeugnisse Natoneks aufgrund seiner Flucht vor den Nazis über die halbe Welt verstreut sind. Dass es der Autorin trotz schwieriger Ausgangslage gelingt, eine Lücke in der deutschen Literaturgeschichte zu schließen, findet der Rezensent bemerkenswert. Böttgers "lebendiger" Stil trägt für ihn dazu bei, dass sich diese Lektüre lohnt.

© Perlentaucher Medien GmbH