Kritisches und Mütterliches beim Festmahl mit Rapunzel
Die Journalistin Viola Roggenkamp lud zwölf Frauen zwischen 31 und 53 Jahren zu einem üppigen Menü in ihre Küche, um mit ihnen über ihre gemeinsame Kinderlosigkeit zu sprechen. So verschieden die Frauen sind, allen ist gemeinsam, dass sie einen
qualifizierten Beruf haben, an dem sie sehr hängen. Beschreibungen der Völlerei am Küchentisch…mehrKritisches und Mütterliches beim Festmahl mit Rapunzel
Die Journalistin Viola Roggenkamp lud zwölf Frauen zwischen 31 und 53 Jahren zu einem üppigen Menü in ihre Küche, um mit ihnen über ihre gemeinsame Kinderlosigkeit zu sprechen. So verschieden die Frauen sind, allen ist gemeinsam, dass sie einen qualifizierten Beruf haben, an dem sie sehr hängen. Beschreibungen der Völlerei am Küchentisch wechseln mit denen engagierter Diskussionen und Einzelbeiträgen der Besucherinnen ab. Die Gründe für die bewusst gewählte Kinderlosigkeit aller Frauen in der Runde sind nicht überraschend: es gibt zu wenig nette Typen; Er will nicht und Sie leidet darunter; verschiedenste Zufälle oder ambivalente Gefühle zur Mutterschaft. Der Parität halber hat eine der Frauen ein ausführliches Gespräch mit einem Nachbarn geführt, der sich zu seiner Kinderlosigkeit und seiner sozialen Vaterschaft gegenüber Jugendlichen äußert, die er beruflich betreut. Sehr deutlich wird in Roggenkamps Bestandaufnahme, wie leicht Mütter und Nichtmütter sich gegenseitig abwerten und wie schnell das auch Großmütter und Nichtgroßmütter tun. Auch Feministinnen pflegen ihre kleinen Klischees: klar, dass eine Frau, die einen Kinderwagen schiebt, nicht zusätzlich auch noch kompetent in anderen Fragen sein kann. Eine Teilnehmerin gibt einen treffenden Rückblick auf die Geschichte der Frauen-Berufstätigkeit seit 1900 und auf spezielle Bosheiten des (inzwischen reformierten) deutschen Eherechts. Eine andere spricht über den Kinderwunsch von Frauenpaaren. Die sehr persönlichen und sehr offenen Stellungnahmen überzeugen durch Mütterlichkeit und Einfühlungsvermögen. Roggenkamps Schlemmerinnen sind sich einig: ein frauenfeindliches Land ist konsequent auch kinderfeindlich. Die derzeitige Situation von Frauen und Müttern in Deutschland und die zukünftige Bevölkerungsentwicklung werden in eingeschobenen Info-Kästen mit Zahlen und treffenden Zitaten belegt. Obwohl Roggenkamps Tafelrunde die Situation kinderloser Frauen thematisiert, ist ihr Buch (gerade deshalb oder trotzdem?) ein elegant formulierter Text über die Mutterschaft. Am Ende der Lektüre drängt sich die indianische Weisheit auf: Urteile erst dann über eine andere Person, nachdem du einen halben Mond in ihren Schuhen gegangen bist.