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Ausgehend von ihren Vorfahren in Deutschland und Schweden beschreibt Gunilla Palmstierna-Weiss ihr Leben: eine jüdische Buchdrucker-Familie mütterlicherseits und der Großvater väterlicherseits, Außenminister der ersten sozialdemokratischen Regierung in Schweden. Im Zweiten Weltkrieg konnte ihre Familie mit dem letzten Zug aus Nazideutschland nach Holland fliehen. Palmstierna-Weiss erzählt vom Erwachsenwerden in den dunklen Jahrzehnten. Erst nach ihrem Studium in Amsterdam und Paris kommt sie endgültig zurück nach Schweden und erlebt die Boheme in den 50ern in der Stockholmer Altstadt. Im Zuge…mehr

Produktbeschreibung
Ausgehend von ihren Vorfahren in Deutschland und Schweden beschreibt Gunilla Palmstierna-Weiss ihr Leben: eine jüdische Buchdrucker-Familie mütterlicherseits und der Großvater väterlicherseits, Außenminister der ersten sozialdemokratischen Regierung in Schweden. Im Zweiten Weltkrieg konnte ihre Familie mit dem letzten Zug aus Nazideutschland nach Holland fliehen. Palmstierna-Weiss erzählt vom Erwachsenwerden in den dunklen Jahrzehnten. Erst nach ihrem Studium in Amsterdam und Paris kommt sie endgültig zurück nach Schweden und erlebt die Boheme in den 50ern in der Stockholmer Altstadt. Im Zuge ihrer Arbeit am Theater lernt sie Peter Weiss kennen, den sie heiratet und mit dem sie auch eine Arbeitsgemeinschaft bildet. Viele Reisen prägten ihr Leben (USA, Mexiko, Kuba und Vietnam). Erst machte sie als Keramikerin Karriere, schließlich entschloss sie sich Theater- und Opernausstatterin zu werden. Dies führte zur Zusammen arbeit mit einer Vielzahl an bekannten Regisseuren: Ingmar Bergman, Peter Brook, Fritz Kortner, Götz Friedrich in Stockholm, München, New York und der ganzen Welt. All diese, aber auch Freundinnen wie Siri Derkert oder Freunde wie Olof Palme werden von Palmstierna-Weiss liebevoll porträtiert.
Autorenporträt
Gunilla Palmstierna-Weiss, geboren 1928 in Lausanne, Schweiz, ist eine schwedische Bildhauerin, Keramikerin, Bühnenbildnerin und Autorin. Sie war von 1964 bis zu seinem Tod 1982 mit dem deutsch-schwedischen Autor, Dramatiker, Maler und Filmemacher Peter Weiss verheiratet. Gemeinsam mit diesem veröffentlichte sie 1968 das Buch »Bericht über die Angriffe der US-Luftwaffe und -Marine gegen die Demokratische Republik Viet Nam nach der Erklärung Präsident Johnsons über die ¿begrenzte Bombardierung¿ am 31. März 1968« (Voltaire Flugschrift) und gab die Gesammelten Werke von Weiss mit heraus. Zwischen 1966 und 1989 war sie als Bühnen- und Kostümdesignerin ständige Mitarbeiterin des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman. Heute kuratiert sie Ausstellungen (zuletzt in Peking) und mischt sich als Feministin u. a. mit Vorträgen in die schwedische Politik ein. Ihre Memoiren erschienen 2013 unter dem Titel »Minnets spelplats« in Schweden ¿ sie wurden für die deutsche Ausgabe von der Autorin überarbeitet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Bewunderung und Sympathie liest der hier rezensierende Schriftsteller Jochen Schimmang die Erinnerungen der vor wenigen Tagen gestorbenen Gunilla Palmstierna-Weiss. Er verfolgt gebannt ihre Entwicklung als Künstlerin, ihre Ehe mit dem Schriftsteller Peter Weiss und ihr gemeinsames Leben im Zirkel europäischer Intellektualität. Besonders einnehmend findet er, wie Palmstierna-Weiss von ihrer Arbeit als Bühnenbildnerin erzählt, ihrem "Denken in Bildern", ihren Koproduktionen mit Regisseuren wie Peter Brook und Ingmar Bergman. Für die größte Stärke des Buches hält er jedoch ihre Kunst, Menschen zu porträtieren. Allein diese Wärme und Freundschaftlichkeit lohnen die Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2022

Zwischen uns ein Zeitalter
Sie besuchte Samuel Beckett, stritt mit Siegfried Unseld und heiratete
Peter Weiss. Jetzt hat Gunilla Palmstierna ihre Autobiografie veröffentlicht
VON HELMUT BÖTTIGER
Im Jahr 1952 kamen die Studentin Gunilla Palmstierna und der sich damals primär als Bildender Künstler verstehende Peter Weiss auf einem Jahrmarkt in der schwedischen Provinz ins Gespräch. Sie unterhielten sich über Kunst und über gemeinsame Bekannte. Gunilla sagte, dass der Umschlag für die neue Ausgabe von André Bretons „Nadja“ von ihr stamme, und Weiss entgegnete, dass er „so etwas Hässliches“ noch nie gesehen habe. Doch nachdem sie sich eine Zeit lang weiter abgetastet hatten, meinte Weiss plötzlich: „Wenn wir einmal eine Tochter bekommen, soll sie Nadja heißen.“ Dies war der Beginn einer jahrzehntelangen Beziehung, die bis zu Weiss‘ Tod im Jahr 1982 anhielt. Zwanzig Jahre nach dieser Begegnung kam ihre gemeinsame Tochter Nadja zur Welt. Was Gunilla Palmstierna-Weiss in ihren autobiografischen Aufzeichnungen erzählt, erinnert manchmal an ein kunstvoll konzipiertes Bühnenstück – aber es handelt sich tatsächlich um ihr gelebtes Leben.
Die Szene der ersten Begegnung mit Peter Weiss lässt bereits einiges von seinen Widersprüchen ahnen, von seiner scharfkantigen Psyche, aber auch von Gunilla Palmstiernas Selbstbehauptungswillen und Verve. Und deshalb bildet die Beziehung zu dem berühmten Schriftsteller Peter Weiss, der ihr zweiter Ehemann war, keineswegs das eindeutige Zentrum ihres Buches. Sie kann selbst auf eine große künstlerische Karriere als Bühnenbildnerin und Theaterdramaturgin zurückblicken und beschreibt ausführlich ihre eigene Arbeit, etwa die zahlreichen Projekte mit dem Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman. Aber die gemeinsamen Höhenflüge wie die Spannungen, die sich aus dem Zusammenleben zweiter Menschen ergeben, die sich radikal ihrer eigenen Kunst verschrieben haben, bilden doch einen der Hauptstränge. Ein besonderes Denkmal setzt die Autorin ihrer Mutter Vera. Diese verlässt Schweden und geht nach Wien, um Psychoanalytikerin zu werden, nimmt an Seminaren von Sigmund Freud teil, tritt mit ihren beruflichen Ambitionen aber hinter ihren Mann zurück. Die traditionellen Rollenbilder sowie die juristische Benachteiligung der Frauen sind ein Leitmotiv des Buches.
Gunillas Mutter Vera hat keine Chance gegen ihren Mann und dessen einflussreiche Familie, sie wird finanziell ausgenutzt und zur Scheidung getrieben. Als sie in Freuds Umfeld in Wien den holländischen Psychoanalytiker René de Monchy kennenlernt und mit ihm nach Rotterdam zieht, kommt sie vom Regen in die Traufe. In der konservativ-starren, calvinistischen holländischen Familie verzweifelt sie und begeht 1948 schließlich Selbstmord.
Gunilla und ihr Bruder wachsen die meiste Zeit in einer armen und strengen Pflegefamilie in Schweden auf, vom Nimbus des väterlichen Namens Palmstierna haben sie nichts. Als Vera nach Holland übergesiedelt ist, holt sie ihre beiden Kinder zu sich. Es ist die Zeit des Zweiten Weltkriegs, Rotterdam wird im Mai 1940 von der deutschen Luftwaffe fast vollkommen zerstört, und die widrigen, brutalen Mechanismen des Überlebens werden prägend.
Nach dem Tod der Mutter landet Gunilla wieder in Schweden. Als sie beginnt, an der Kunsthochschule zu studieren, fehlen ihr die üblichen Beziehungs-und Familienstrukturen. Aber sie tut sich in der Kunstszene um, und als sie den bereits zwei Mal verheirateten, zwölf Jahre älteren Emigranten Peter Weiss kennenlernt, treffen sich zwei auf ähnliche Weise entwurzelte, von den Zeitläuften des zwanzigsten Jahrhunderts hin und her geworfene Existenzen.
Es ist eine Stärke dieses Buches, dass es auf größere theoretische Einlassungen verzichtet und stattdessen zwar emotional, aber sehr realistisch die Geschehnisse und die persönlichen Umstände referiert. Zu den eindringlichsten Passagen gehören die Schilderungen der jungen Stockholmer Künstler-Bohème der fünfziger Jahre. Es gab wenig Einkünfte, provisorische Wohnungen mit verschiedenen Belegschaften, undefinierte und wechselnde Beziehungsverhältnisse und karge Mahlzeiten – aber heftige und nächtelange Diskussionen.
Gunilla studierte zu Ende und schlug sich mit diversen Aufträgen durch. Peter Weiss drehte unter kärglichsten Bedingungen einige Kurz- und Dokumentarfilme, die Entstehung seines einzigen abendfüllenden Streifens „Hägringen“, der auf seinem frühen auf Schwedisch geschriebenen Roman „Dokument I“ basierte, verdankte sich der Unterstützung von Freunden und improvisatorischer Erfindungsgabe und wurde ein eklatanter Misserfolg.
Künstlerische Avantgarde war in dieser Zeit wirklich noch Avantgarde, und sie mischte sich in ihrer Dringlichkeit mit radikalen persönlichen Infragestellungen. Die Psychoanalyse spielte für Peter Weiss wie für Gunilla, schon aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte, eine große Rolle. Und eine herausgehobene Bedeutung hatte ein Parisaufenthalt im Herbst 1952 – die ständigen Besuche in der Cinemathèque, die Begegnung mit dem absurden Theater, und schließlich der reichlich skurrile Nachmittag bei Samuel Beckett, dessen bleibendes Bild die geriebenen Karotten sind, die auch bei späteren Gelegenheiten untrennbar mit Becketts Frau verbunden werden. Die unbeirrbare Produktivität von Gunilla und Peter Weiss in den Jahren danach hat viel mit den Anregungen aus Paris zu tun.
Wendepunkte waren der Vertrag mit dem deutschen Suhrkamp-Verlag 1960 sowie der Welterfolg des Theaterstücks „Marat/Sade“ 1964, bei dem Gunilla für das Bühnenbild verantwortlich war. Weiss sollte in dessen Gefolge sogar eine Revue für die Beatles konzipieren, aber er steckte da bereits mitten in der Arbeit für sein Auschwitz-Stück „Die Ermittlung“ und lehnte deshalb ab. Die linken politischen Überzeugungen der Autorin werden nicht eigens ausdifferenziert, aber dafür sind die Beschreibungen der Reisen nach Nordvietnam und Kuba voller überraschender Einblicke, genauso wie bei der Entstehungsgeschichte von Weiss‘ berühmter „Ästhetik des Widerstands“.
Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass einige prekäre private Verwicklungen nur angedeutet werden. Aber bei alldem ist diese Autobiografie das eindrucksvolle Zeugnis eines Lebens, das durch die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts geprägt wurde. Gunilla Palmstierna-Weiss hat neben ihrem monomanischen Ehemann kompromisslos ihre eigenen künstlerischen Aktivitäten verfolgt.
Als sie das dem Verleger Siegfried Unseld klarmachte, der ziemlich verdutzt auf ihre Rolle und ihre Ansprüche reagierte, sagte er irritiert: „Solche Frauen wie du machen einen Mann impotent.“ Sie resümiert: „Zwischen uns lag ein Zeitalter.“ Dass die unbezweifelbaren Errungenschaften unseres Zeitalters viel mit Frauen wie Gunilla Palmstierna-Weiss zu tun haben, davon legt ihre Autobiografie ein beredtes Zeugnis ab.
Künstlerische Avantgarde
war in dieser Zeit
wirklich noch Avantgarde
Neben ihrem monomanischen
Ehemann verfolgte sie
kompromisslos ihre eigene Kunst
Gunilla Palmstierna-Weiss auf der Terrasse der Berliner Akademie der Künste im Jahr 2016.
Foto: imago images/gezett
Gunilla Palmstierna-Weiss: Eine europäische Frau.
Aus dem Schwedischen von Jana Hallberg. Verbrecher Verlag, Berlin 2022. 600 Seiten, 39 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2022

Mit Bildern den Blick erweitern
Viel mehr als Witwe: Kurz nach Übersetzung ihrer Memoiren ist Gunilla Palmstierna-Weiss gestorben

Allein das Personenregister am Ende des Bandes umfasst mehr als achthundert Namen auf fünfzehn Seiten. Es ist ein nicht nur kulturelles, sondern auch politisches Who's Who des schrecklichen zwanzigsten Jahrhunderts (dem allerdings bisher kein weniger schreckliches gefolgt ist). Das Memoir von Gunilla Palmstierna-Weiss ist ein zwar selbstbewusstes, aber keineswegs selbstbezügliches Buch, sondern weitet von Anfang an den Blick. Umso trauriger stimmt die Nachricht, dass die Autorin am vergangenen Sonntag im Alter von 94 Jahren gestorben ist.

Dass ihre Erinnerungen, die kurz zuvor unter dem Titel "Eine europäische Frau" erschienen sind, ein derart weites Panorama eröffnen, ist kein Zufall: Die 1928 in Lausanne geborene spätere Bühnenbildnerin war offenbar mit einem überdurchschnittlichen visuellen Gedächtnis begabt. So beschrieb sie in "Eine europäische Frau" etwa die Wohnung des Rotterdamer Psychoanalytikers René de Monchy, des zweiten Ehemanns ihrer Mutter Vera, inklusive der Praxisräume über anderthalb Seiten in allen Einzelheiten und bis in die Farbgebung. Diese Schilderung ist in ihrer Präzision nur ein Beispiel und schafft schon früh bei der Lektüre das Gefühl, dass man Gunilla Palmstierna-Weiss auch bei ihren nahezu enzyklopädischen Lebenserinnerungen vertrauen darf, die in Schweden bereits 2013 erschienen waren, für die deutsche Ausgabe von der Autorin aber noch einmal überarbeitet und von Jana Hallberg sehr flüssig übersetzt wurden.

Schon die wie Puzzles zusammengesetzten verschiedenen Geschichten der Familien, die für das eigene Leben der Autorin den Hintergrund bilden (das Buch beginnt 1838 mit der Geburt ihres Urgroßvaters mütterlicherseits, Peder Herzog, in Oppenheim bei Mainz), greifen tief aus und bilden Teile eines europäischen gesellschaftlichen Kaleidoskops der letzten beiden Jahrhunderte. Väterlicherseits trug der Urgroßvater den Namen Palmstierna und war Oberzeremonienmeister am Königlichen Hof und zudem Minister. Dieser Name ist es dann auch, der den aus Deutschland geflohenen Schriftsteller Peter Weiss, als er Gunilla Palmstierna zum ersten Mal begegnete, zu der Frage veranlasste: "Wohl auf einem Landsitz geboren?" Diese leichte Provokation durch Weiss, der selbst der Sohn eines erfolgreichen Unternehmers war, deutet auf eine schwedische Gesellschaft mit sehr gefestigten Klassenverhältnissen hin, in der das heutige IKEA-Du und die sogenannten flachen Hierarchien noch nicht zu ahnen waren.

"Was erwidert man darauf? Ich erzählte von meiner Arbeit und meinen Zukunftsplänen, auch etwas über meine Herkunft, über die Länder, in denen ich gelebt hatte, ein wenig über den Krieg in Holland und über meine politische Haltung." Der entscheidende Moment war vielleicht der, als sie ihm erzählte, sie habe unter dem Namen ihres damaligen Mannes Mark Sylwan, eines bekannten Zeichners, den Umschlag zur schwedischen Ausgabe von Bretons "Nadja" gemacht. "Peter wunderte sich darüber, dass ich es überhaupt gelesen hatte." Sehr viel später, im Jahr 1972, wird die gemeinsame Tochter Nadja getauft werden.

"Aufbruch" ist das Kapitel betitelt, das diese Anekdote enthält. Gemeint ist damit aber nicht der Aufbruch in eine neue Liebesbeziehung oder Ehe (die erst Jahre später, 1964, aus pragmatischen Gründen geschlossen wurde), sondern Gunilla Palmstiernas Aufbruch in die eigene künstlerische Tätigkeit, zunächst als Keramikerin. "Eine europäische Frau" ist keineswegs ein Erinnerungsbuch der Witwe von Peter Weiss, sondern das einer jederzeit selbständigen Künstlerin. Soweit Peter Weiss darin eine herausragende Rolle spielt, liegt es daran, dass die beiden nach Bezug einer gemeinsamen Wohnung ihren Arbeitsalltag geteilt und bei vielen Projekten eine Produktionsgemeinschaft gebildet haben. Es ist gewiss nicht unwesentlich, dass ihr Durchbruch als Bühnenbildnerin mehr oder weniger mit Weiss' "Marat/Sade" am Berliner Schillertheater und danach in New York erfolgte, beides unter der Regie von Peter Brook. Aber auch ohne das hätte sie ihren Weg gemacht, wäre die langjährige Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman zustande gekommen (über dessen Zwangsneurose in puncto Pünktlichkeit es hier einige hübsche Geschichten zu lesen gibt).

Die Schlüsselsequenz im Buch, soweit es um ihre Arbeit geht, umfasst zwei Seiten unter der Überschrift "Ausgangspunkt" und beginnt so: "Seit frühester Kindheit ist das Bild etwas, in das ich eingetreten bin, und via Bild habe ich den Blick auf die innere und äußere Wirklichkeit erweitert." Und später: "Bei meiner Arbeit denke ich in Bildern." Von diesem Ausgangspunkt aus entwirft Palmstierna in der Folge so etwas wie eine Theorie des Bühnenbildes als "Bestandteil einer Inszenierung, die sich ihrerseits in einem sozialen Kontext befindet". Das Bühnenbild sei Teil des Stückes, aber keine Illustration. Realismus ist erlaubt, Naturalismus nicht. "Mit Hilfe des Visuellen sollen beim Zuschauer Assoziationen hervorgerufen werden. Schließlich gehen wir ja nach einer Vorstellung mit Bildern auf der Netzhaut nach Hause." Zu diesem gesamten visuellen Bereich gehören selbstverständlich auch die historische und soziale Einstufung des Stückes durch die entsprechenden Kostüme: "Es ist wichtig . . ., bei jeder Kostümprobe vor Ort zu sein. Das Kostüm ist die zweite Haut des Schauspielers."

Wie ihre Arbeit funktionierte, stellt Palmstierna dann anhand verschiedener Inszenierungen dar, an denen sie mitgewirkt hat, in Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Kortner, Peter Brook und natürlich immer wieder Bergman, mit dem sie das erste Mal bei der Inszenierung von Peter Weiss' "Die Ermittlung" am Stockholmer Dramaten zusammengearbeitet hatte.

Es versteht sich, dass die Erinnerungen nicht in der Welt der Kunst und des Theaters verbleiben. Schon durch ihren Geburtsjahrgang war Gunilla Palmstierna-Weiss eine ideale Zeitzeugin des zwanzigsten Jahrhunderts, zumal sie bereits die familiären Wirren ihrer Kindheit und Jugend durch mehrere Länder (und mehrere Sprachen) getragen hatten. Im Mai 1940 erlebte die Zwölfjährige die Bombardierung von Rotterdam, die die Familie nur um Haaresbreite überlebte, und in den folgenden Jahren die deutsche Besatzung in Holland. Sehr lange weigerte sie sich nach dem Krieg, Deutsch zu sprechen, und Peter Weiss erfuhr erst 1962, nach seiner Einladung zur Gruppe 47, dass sie diese Sprache überhaupt beherrschte. (Im Abbildungsteil des Buches finden sich von dieser Tagung prägnante Zeichnungen der Autorin von Ernst Bloch, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Erich Fried, Günter Grass und anderen.) Mit Peter Weiss fuhr sie 1965 nach Auschwitz, um für "Die Ermittlung" zu recherchieren. Mit einer ganzen Gruppe, zu der unter anderen auch Marguerite Duras und der "recht überhebliche" Jorge Semprun gehörten, reisten die beiden 1967 nach Kuba, wo Gunilla Palmstierna der dortige machismo Probleme bereitete. 1968 waren sie auf Einladung in Nordvietnam.

Neben den Reflexionen zur Arbeit als Bühnenbildnerin ("Gedanken zu Bild und Raum") liegt eine der größten Stärken des Bandes in der Kunst des Porträts ihrer Mitmenschen. Das kann knapp und anekdotisch sein, wie im Fall des irischen Schauspielers Patrick Magee, der in New York den De Sade spielte und direkt vor der Premiere mit einem Kasten irischen Starkbiers aufwartete: "Er versicherte mir, das sei kein Problem, da er wie sein Vater Alkoholiker sei und das für seine Arbeit brauche. Ich bekam auch zu wissen, dass sein Vater mit neunundneunzig Jahren im Rausch in der Badewanne ertrunken ist." Es können ausführliche, sehr analytische Porträts sein, die manchmal auch das eher kritische Urteil nicht scheuen. Und es gibt das zehnseitige Porträt der Filmproduzentin und langjährigen Freundin Anna-Lena Wibom. Diese zehn Seiten sind so voller Wärme und Dankbarkeit für eine zuletzt mehr als siebzig Jahre umfassende Freundschaft, dass sie allein es schon lohnen, das Buch zu lesen. Die restlichen 589 Seiten aber auch. JOCHEN SCHIMMANG

Gunilla

Palmstierna-Weiss: "Eine europäische Frau".

Aus dem Schwedischen von Jana Hallberg.

Verbrecher Verlag,

Berlin 2022. 599 S., Abb., geb., 39,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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