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Anfang Februar 1781 reist Gotthold Ephraim Lessings Stieftochter Maria Amalia von Wolfenbüttel, wo die Familie lebt, nach Braunschweig zu Lessing, der schwer erkrankt ist. Es steht nicht gut um ihn. Amalia tut, was sie kann, um ihm beizustehen, doch kann sie kaum noch zu ihm durchdringen, verliert er sich doch zusehends im Fieberwahn, verwechselt Amalia mit ihrer Mutter, seiner verstorbenen Ehefrau Eva, und sinniert über Spinoza und seinen »Derwisch«, den er als letzten großen Wurf zu Papier bringen wolle . Was hat Lessing am Ende umgetrieben? Welche Gedanken gingen ihm kurz vor seinem Tod…mehr

Produktbeschreibung
Anfang Februar 1781 reist Gotthold Ephraim Lessings Stieftochter Maria Amalia von Wolfenbüttel, wo die Familie lebt, nach Braunschweig zu Lessing, der schwer erkrankt ist. Es steht nicht gut um ihn. Amalia tut, was sie kann, um ihm beizustehen, doch kann sie kaum noch zu ihm durchdringen, verliert er sich doch zusehends im Fieberwahn, verwechselt Amalia mit ihrer Mutter, seiner verstorbenen Ehefrau Eva, und sinniert über Spinoza und seinen »Derwisch«, den er als letzten großen Wurf zu Papier bringen wolle .
Was hat Lessing am Ende umgetrieben? Welche Gedanken gingen ihm kurz vor seinem Tod durch den Kopf? Christoph Hein erzählt eindringlich von den letzten Tagen des bedeutendsten Dichters der Aufklärung.
Autorenporträt
Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut. Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. Seine Romane sind Spiegel -Bestseller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2020

Sei ruhig, Malchen
Alle Klippen umschifft: Christoph Hein lässt Lessings Stieftochter von des Dichters letzten Tagen erzählen

Das Los, das Lessing kurz vor seinem Ende zog, war eine Niete. Den Einsatz blieb er seinem Freund Daveson jedoch schuldig, als er am 15. Februar 1781 in dessen Beisein im Braunschweiger Haus der Lotterie verstarb. Neben Daveson waren ein Arzt, Lessings Diener und dessen Stieftochter Maria Amalia anwesend. An sie soll der Dichter seine letzten Worte gerichtet haben: "Sei ruhig, Malchen." Sie war die Tochter von Lessings Frau, die nach nur fünfzehn Monaten Ehe mit ihm im Kindbett gestorben war. Der bei Lessings Tod mittlerweile Sechzehnjährigen sind die meisten Informationen über seine finalen Jahre als Bibliothekar in Wolfenbüttel zu verdanken. Christoph Hein zaubert daraus nun eine kleine, charmante Erzählung in Form eines fiktiven Briefes. Malchen, inzwischen alt geworden und selbst verwitwete Braunschweiger Posträtin, könnte ihn 1842 an die Tochter des einst als Lotterieschwindler angeklagten Daveson geschrieben haben.

Historische Novellen sind ein populäres, aber heikles Genre. Hein entgeht geschickt der doppelten Gefahr, historische Dokumente entweder bloß nachzuerzählen oder über mögliche Pikanterien freizügig zu spekulieren. Er erfindet Zusammenhänge, die das Gefundene nach dichterischer Logik neu erschließen. Lessing, der isolierte Bücherkauz mit magerem Bibliothekarsgehalt, für den Hein sich schon vor der Wende im Essay "Öffentlich arbeiten" interessiert hatte, gewinnt dabei schön an Kontur. Der Alltag mit Malchen, die ihm nach dem Tod seiner Frau den Haushalt führte, wird ins Geistige erweitert: Lessings Philosophieren mit Spinoza oder der Plan zur Fortführung des Derwischs aus dem Drama "Nathan der Weise" kommen ebenso zur Sprache wie der intensive Austausch mit dem Braunschweiger Dichter Leisewitz oder dem Hamburger Theaterleiter Schröder. Natürlich spielt auch das Gerücht einer angeblichen Leidenschaft für die Stieftochter eine Rolle, das die eifersüchtig in Lessing verliebte Elise Reimarus aufgegriffen hatte. Der dementierte es äußerst klug in einem vier Seiten langen Schreiben vom 7. Mai 1780. Hein behandelt dieses vermeintliche Skandälchen taktvoll aus Malchens Perspektive, die sich im ruhigen Duktus ihres eigenen Briefes niemals irritieren lässt. Ihre bildliche Sprache und ihr Sinn für prägnante Details bieten durchaus schöne Anlässe für Illustrationen. Rotraut Susanne Berner greift sie aber leider nicht auf, ihre Falter, Früchte und Flore gehen keine nennenswerte Verbindung mit dem Text ein.

kos

Christoph Hein: "Ein Wort allein für Amalia".

Mit Illustrationen von Rotraut Susanne Berner. Insel Verlag, Berlin 2020. 88 S., geb., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.08.2020

„Mir, dem Spinoza und den Deutschen“
Christoph Hein sieht den späten Lessing aus den Augen seiner Stieftochter Amalia und schreibt ihn als Radikalaufklärer fort
Die Literatur hat ihre eigenen Friedhöfe. Sie führt dort Totengespräche, bestattet die Dichter ihrer eigenen Zeit oder einer fernen Vergangenheit in Gedichten, Erzählungen oder ganzen Romanen, erzählt von letzten Tagen, letzten Worten und Todesstunden. Die Grablegung ist dabei nur Schein. In Wahrheit verlebendigt die Literatur die Toten, erfindet sie neu, macht dokumentarische Hinterlassenschaften dienstbar, nistet sich in die Leerstellen von Biografien ein. Immer benötigt sie dafür eine Stimme, und es hängt viel davon ab, woher sie kommt. Von ihrer Herkunft hängt ab, wie sie spricht, was sie über den Toten weiß, was sie mitteilt oder verschweigt und was sie über sich selbst sagt, indem sie über die Toten spricht.
Christoph Hein hat in seinem jüngsten Roman „Verwirrnis“ (2018) die Lebensgeschichte eines homosexuellen Germanisten erfunden und in die Realgeschichte der DDR hineinretuschiert. Nun erzählt er in einem schmalen Insel-Bändchen von den letzten Lebenstagen und vom Tod des deutschen Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing: „Ein Wort allein für Amalia“. Lessing taucht in diesem Titel nicht auf, sein Name fällt erst nach mehr als zehn Seiten und auch danach nur selten, er heißt hier durchgängig „Vater“ und ist schon seit über sechzig Jahren tot. Nur die Stimme musste Christoph Hein erfinden, nicht die verwitwete Posträtin Maria Amalia Henneberg, die er im Oktober 1842 in Braunschweig einen langen Brief an Margarete Blount schreiben lässt, eine Enkelin des jüdischen Kunsthändlers und Lotterieunternehmers Alexander Daveson, für den Lessing sich eingesetzt hatte, als er beim braunschweigischen Hof in Ungnade gefallen war.
Amalias Lebensdaten sind verbürgt, sie wurde 1761 als Tochter des Kaufmanns Engelbert König und seiner Frau Eva geboren. Der Kaufmann starb 1769, seine Witwe heiratete 1776 den Wolfenbütteler Bibliothekar Lessing. Sie brachte im Dezember 1777 den gemeinsamen Sohn Traugott zur Welt, der nur zwei Tage lebte, und starb selbst kurz darauf. Die knappen Briefe Lessings an Johann Joachim Eschenburg mit den Todesnachrichten wurden als Zeugnisse lakonischer Schmerzverdichtung berühmt. Die Kinder Eva Königs – Amalia, die er „Malchen“ nannte, und ihre drei Brüder – , blieben bei Lessing zurück, der am 15. Februar 1781 in Braunschweig starb. Ein Jahr nach seinem Tod heiratete Amalia den Braunschweiger Postrat Henneberg.
„Gestern habe ich auf meiner Haut einen toten Fleck gesehen: das Sterben beginnt.“ Mit Sätzen wie diesen rief 1977 in Heiner Müllers „Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ der Lessing-Darsteller seine Figur auf die Bühne. Der Aufklärer klang hohl im leeren Innern der Bronzefigur, in die ihn die Klassikerverehrung des deutschen Sozialismus eingesargt hatte. Nathan und Emilia Galotti geisterten durch ein preußisches Greuelmärchen, aus Lessings Mund kam die Sprache Heiner Müllers: „Ich habe ein neues Zeitalter nach dem andern heraufkommen sehn, aus allen Poren Blut Kot Schweiß triefend jedes. Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel.“
Nicht von ungefähr stand der Schlaf im Titel der Szene. Von Lessings Schlafsucht in seinen späten Jahren, seinem plötzlichen Wegnicken und seinen Absencen haben viele Zeitgenossen berichtet. Christoph Heins Amalia schreibt ihren langen Brief aus dem Binnenraum der Erinnerung heraus, den sie eifersüchtig zu hüten gelernt hat, nachdem so viele Neugierige sie bedrängt und ihre Worte verfälscht haben. Sie beginnt ihren Bericht mit dem Aufbruch Lessings nach Braunschweig Ende Januar 1781, kaum mehr als zwei Wochen vor seinem Tod. Auch bei ihr gibt es die Schlafsucht Lessings, aber der Kranke, von dem sie berichtet ist häufig wach, macht Projekte, hadert mit sich selbst, schwankt zwischen tiefer Erschöpfung, auflodernden Delirien, in denen er Amalia mit der toten Eva König verwechselt, und brillanten Aperçus über sein Leben, seine Figuren, die deutsche Literatur. Die Sprache, in der all das geschieht, ist – anders als bei Heiner Müller – aus der Lessingzeit herausgeschrieben, in der Posträtin Henneberg wird sie aufbewahrt: „Am Abend aß Vater nur eine Eiersuppe. Die Nacht verbrachte er ruhig. Ich selbst schlief wenig, die Sorge um Vater hielt mich wach.“
Es gibt in diesem schmalen Buch die Krankengeschichte, das Nudelschneiden im Haus des Weinhändlers Angott, bei dem Lessing wohnt, das Kommen und Gehen der Ärzte, der Diener, das Zeitungslesen und die Nachrichten vom braunschweigischen Hof. Die Gerüchte, die ihn umgeben, nimmt der Kranke nur noch obenhin, Amalia umso aufmerksamer zur Kenntnis. Dass er seine Stieftochter allzu sehr liebe, dass er mit den Teufeln und den Juden im Bunde sei. Es gehört zu den Vorzügen des schmalen Buchs, dass Vater und Tochter gelegentlich selbst im Geheimen von einer Ehe träumen.
Und es gibt darin die Frage, die schon Heiner Müller umtrieb, als er gegen die Kulturpolitik der DDR seine Grand-Guignol-Lessing-Puppe aufbot: wovon träumte der späte Lessing? Die Posträtin Henneberg würde diese Frage nie so formulieren, aber Christoph Hein hat sie in den langen Brief geschmuggelt, den er sie schreiben lässt. Und er hat eine Idee, besser gesagt einen Wunsch: der todkranke Lessing träumt von der Radikalisierung der Aufklärung. Darum widmet er dem verbürgten Projekt Lessings so große Aufmerksamkeit, seinem „Nathan“, anknüpfend an die darin enthaltene Figur des Al-Hafi, ein Stück „Der Derwisch“ hinterherzuschicken. Amalia ist auch für die Ausfantasierung dieses Projektes eine treue Chronistin. Im Bettelmönch spiegelt Christoph Heins Lessing sich selbst, mit dem „Derwisch“ als Figur absoluter Radikalität will er seine kritische Musterung der Religionen auf die Spitze treiben, alle Rücksichten hinter sich lassen, die der Bibliothekar in herzöglichen Diensten nehmen musste.
Die gelehrten Diskussionen der Zeitgenossen nach Lessings Tod, ob er der Lehre des Spinoza angehangen habe, die als Maske des Atheismus beargwöhnt wurde, spart Amalia aus. Sie hat den Spinoza nicht gelesen, weiß nur, dass ihr Vater ihm sein Stück über den Derwisch zu schulden glaubt: „Mir, dem Spinoza und den Deutschen. Hast du ihn gelesen, den Spinoza? Versäum’s nicht. Es ist das Einzige, das lohnt. Er ist nicht behaglich. Aber was ist das für eine Ehre. Er ist ein Erdbeben. Wenn du ihn liest, siehst du die festen Häuser wanken. Die Wege werden zu Abgründen. Jeder Schritt ein Schritt ins Unsichere.“
Christoph Hein hat manche Zitate und Briefstellen Lessings in Amalias Bericht eingeschmolzen. Das Schlüsselzitat entstammt einem Brief Lessings vom 19. Dezember 1780, geschrieben in Wolfenbüttel, adressiert an Moses Mendelssohn, den jüdischen Freund und Philosophen in Berlin. Es ist ein Empfehlungsschreiben für Alexander Daveson, den Großvater von Margarete Blount, Amalias Adressatin bei Christoph Hein, der nach zwielichtigen Geschäften Braunschweig verlassen musste: „Er will von Ihnen nichts, lieber Moses, als dass Sie ihm den kürzesten und sichersten Weg nach dem Europäischen Lande vorschlagen, wo es weder Christen noch Juden gibt.“ Der Weg dürfte schwer zu finden gewesen sein. Christoph Heins Lessing wollte ihn in seinem Stück „Der Derwisch“ beschildern.
LOTHAR MÜLLER
Christoph Hein: Ein Wort allein für Amalia. Mit Illustrationen von Rotraut Susanne Berner. Insel Verlag, Berlin 2020. 88 Seiten, 14 Euro.
Vignetten von Rotraut Susanne Berner begleiten den Band.
Foto: Berner/Suhrkamp/Insel
Illustrationen zu den Träumen des Aufklärers Lessing.
Foto: Berner/Suhrkamp/Insel
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Lothar Müller findet in Christoph Heins Briefroman über Lessings letzte Tage manch verbürgte Szene, brillante Apercus des Dichters über sein Leben und die Literatur sowie die Krankengeschichte bis zum Tod und auch einen späten Traum Lessings von der Radikalisierung der Aufklärung. Wie der Autor all das aus dem "Binnenraum der Erinnerung" der Tochter Amalia heraus erzählt und Zitate und Briefstellen Lessings einbindet, findet Müller erfrischend, lesenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Christoph Hein zaubert ... eine kleine, charmante Erzählung in Form eines fiktiven Briefes.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20200618