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Was hätte in der deutschen Vergangenheit anders laufen müssen, was müßte in diesem Land anders sein, damit es nicht so schwer fiele, hier zu leben? In einer großen historischen Phantasie läßt Michael Kleeberg eine ganz neue deutsche Geschichte ablaufen: Dieser Roman hat jene Mischung aus Ernst und Scherz gefunden, die wir hierzulande so schmerzhaft vermissen.

Produktbeschreibung
Was hätte in der deutschen Vergangenheit anders laufen müssen, was müßte in diesem Land anders sein, damit es nicht so schwer fiele, hier zu leben? In einer großen historischen Phantasie läßt Michael Kleeberg eine ganz neue deutsche Geschichte ablaufen: Dieser Roman hat jene Mischung aus Ernst und Scherz gefunden, die wir hierzulande so schmerzhaft vermissen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.1998

Abfahrt durch die Mitte
Verspätet: Michael Kleebergs Roman "Ein Garten im Norden"

Wer als Schriftsteller an einer Nation, und zwar der eigenen, leidet, will meistens nicht kuriert werden. Hierzulande muß man für ein solches unheilbares Leiden nicht lange nach Motiven suchen. Sie sind kanonisiert. Wie verspätet die Nation auch hervortrat und wie wechselreich seitdem ihre Geschichte war - am Ende dieses Jahrhunderts macht Deutschland in puncto literarischer Anregungen, sich in ihm unwohl zu fühlen, einen ausgereiften und geschlossenen Eindruck. Ein ganzes Syndrom aus Leidenselementen liegt vor. Wohl nur wenige Leser und Autoren, die es kennen, möchten sich noch gern als typische Deutsche bezeichnen. Das Typische in Deutschland ist distanzierungspflichtig. Umgekehrt führt das dazu, daß die "guten Deutschen" bevorzugt als kleine, widerständige Zirkel dargestellt werden. Das Gute an Deutschland erscheint als stets bedrohte und hochflüchtige Essenz. Zahllose Sonderweggefährten aus Philosophie, Historie und Soziologie bestätigen dem Schriftsteller als "Fremdling im eigenen Land" diesen Eindruck.

Michael Kleebergs Roman nutzt alle Elemente dieses verdichteten Motivkomplexes. Ohne Mühe bezieht er sich auf das Leiden an Deutschland als ein allgemeines Kulturgut. Sein Protagonist leidet reflexiv. Er leidet daran, daß er leidet, weil er Deutschland, das gute jedenfalls, liebt, aber nicht findet. Er hat Sehnsucht, aber wonach, weiß er nicht, doch er weiß, daß auch dies als deutsches Merkmal seit längerem zu jenem Leiden gehört. Fast liest man beim Mitleiden am Fuß der Seiten unsichtbare Noten mit: "vergleiche Heine", "so bereits Nietzsche", "siehe auch Plessner". Und weil die Stoffe, aus denen diese deutsche Krankheitsgeschichte sich nährt, bekannt sind, ist es nicht einfach, den eigenen Beitrag des Autors zu ermitteln.

Zwei Erzähllinien durchkreuzen sich in diesem Text. Entlang der ersten folgt der Leser Albrecht Klein, der zwölf Jahre nach seiner Anfang der achtziger Jahre erfolgten Auswanderung - er spricht gespreizt von seinem "Exil" - aus Frankreich zurückkehrt. Hierzulande begegnet ihm, was nun wirklich unerträglich ist: Autobahnzubringer und Abschreibungsobjekte, Handybenutzer, makropsychotisch linksdrehende Vegetarier und Immobilienmakler. Deutschland ist häßlich. So weit, so wohlfeil.

Eine Erzählung entwickelt sich aus dieser Heimkehr ins Klischee nur mühsam. Die Suche nach der verflossenen Jugendliebe, die die Fahrt gen Osten motiviert, erfolgt unentschlossen. War "Bea" - so ihr Name - nicht eine Chiffre, "zeitlos in mir?" fragt sich Albrecht, und wen wundert es, daß unter dieser Prämisse aus der Reunion nichts wird. Auch die Geschichte dubioser Grundstücksgeschäfte im vereinigten Berlin, deren Zeuge der Erzähler wird, spannt den Leser kaum auf ihren Ausgang hin. Es ist, als führe Albrecht Klein vor allem deshalb auf den verhaßten Autobahnen, weil er auf die Abfahrt zum zweiten Erzählstrang wartet, der in die Vergangenheit führt. "Ich will andere Erinnerungen, um eine andere Gegenwart zu haben." Der Text bekundet eher das Bedürfnis, eine andere Vergangenheit anstelle der Gegenwart zu besitzen.

Diese andere deutsche Geschichte entnimmt der Erzähler einem mit Samt und Seide ausgeschlagenen Schatzkästlein. Es ist die Saga vom Aufstieg und Fall seines Großvaters, eines jüdischen Bankiers zwischen Kaiserreich, Weimar und dem Untergang. Dieser Abraham Klein kann und ist so ziemlich alles: Genußmensch, Finanzgenie und Förderer der Völkerverständigung, Unterstützer der Sozialdemokraten, Mäzen einer kommenden Aufklärungselite, Winzer und Produzent ethnographischer Filme.

Von den Zinsen seiner Geschäfte hat er in Berlin einen sagenhaften Park anlegen lassen, einen "Garten des Nordens". Diese Ideallandschaft mit japanischen, englischen und Schwarzwälder Aspekten beherbergt nicht nur exquisites Gebüsch, sondern ist auch hochallegorisch. "Alles hier war richtig und gut", denkt Joseph Roth, der sie besucht, und er beschließt, "seinen Verstand ganz auszuschalten und nur seinen Sinneseindrücken zu folgen". Das wahre Deutschland inmitten des falschen ist eine Synthese aus "Schönheit und Ratio".

Man könnte auch sagen: aus "Vanity Fair" und der "Neuen Rundschau". Denn man fährt vorzugsweise in Maybach-Limousinen vor, von stolzen Pferden steigen "naturhonigblonde" Wesen, man kleidet sich in Kaschmirpaletots und trinkt alten Cognac. Das macht nicht nur dann und wann ein weiser Intellektueller. Tout Europe gibt sich bei Klein die Gartenklinke in die Hand, von Eliot, Kisch und Gide bis Coudenhove, Keynes und Rathenau. Seitenlang werden die von Klein bereisten Städte und bewillkommneten Personen aufgelistet, ist von feinen Hölzern und Gerüchen, Routen und Veduten der Bericht. Das andere Deutschland entstammt einem Versandhauskatalog für edle Stoffe und Furniere.

Damit nicht nur das Mobiliar das Bewußtsein bestimmt, nimmt Kleeberg einige ideengeschichtliche Umbesetzungen vor. Lasalle, Wagner und Heidegger haben ihren Auftritt im Roman - aber sie wirken verändert. Heidegger tanzt Tango "wie ein Gott" und verfaßt elegante und leichte "Philosophische Impromptus". Darin steht scharfsinniger Unfug, zum Beispiel daß das Kaffeehaus die säkularisierte Kirche sei. Der Autor hält das offenkundig für jenes urbane Denken, dessen das tatsächliche Deutschland ermangelte, weswegen es im Roman ganz ohne Umbesetzung in die Hände singvögelfressender Unholde in Frack und Braunhemd gerät. Glück, Nation und Park gehen unter. Dem Erzähler aber fällt kraft später Erbschaft ein Teil des Gartens als Bauerwartungsland für Utopien zu.

Als Thomas Mann davon sprach, das böse Deutschland sei das fehlgeschlagene gute, meinte er schwerlich die - man darf wohl sagen: undialektische - Harmlosigkeit, statt der Guten hätten die Bösen gesiegt. Gemeint war das Gute - Nietzsche, Wagner, Luther - als Fehlschlag. In seinem Essay "Auf die Frage: was ist deutsch" hat Theodor W. Adorno diesen Befund vor dreißig Jahren erneuert. Ohne das selbstgerechte "deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun" seien weder deutsche Philosophie noch Musik entstanden, aber auch nicht die Vergottung des Staates und das bewaffnete Tatmenschentum. Weil es ein "Ineinander des Großartigen mit dem Monströsen" gebe, lasse sich im Rückblick an dem, was deutsch ist, das eine nicht ohne das andere herausheben.

Kleeberg will aus nachvollziehbaren Gründen genau dies: das eine ohne das andere Deutschland. Deshalb setzt er es sich aus kostbaren Modulen zusammen und nennt, was entsteht, ein Märchen. Doch seine Sehnsucht nach einem intellektuell-humanen Zentrum der Nation, in dem sich Kosmopoliten im Cutaway über die Leichtigkeit als Sinn des Lebens austauschen, entbehrt aller Spezifik. So etwas Wunderschönes mag man sich auch für Schweden oder Guatemala wünschen. Daß das Kluge, Gute und Zarte der Gewalt unterliegt, ist nicht der Stoff, aus dem die Erzählung der verspäteten Nation und ihrer Katastrophen bestritten werden kann. Deshalb hat Kleeberg auch kein Märchen erfunden, sondern sich eine ebenso flott gezeichnete wie anspruchslose Wunschlandkarte mit geliehenen Farben ausgemalt. JÜRGEN KAUBE

Michael Kleeberg: "Ein Garten im Norden". Märchen. Ullstein Verlag, Berlin 1998. 590 S., geb., 48,- DM.

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»Ein ausgezeichnet geschriebener Roman.« Ingo Arend, der Freitag