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Der einflussreiche und umstrittene Kritiker trägt die Literaturgeschichte aus der Studierstube hinaus in die Welt.Morettis neueste Studie führt den historischen Aufstieg Amerikas zur globalen kulturellen Hegemonie in anschaulichen Momentaufnahmen vor Augen. Sie untersucht Schlüsselepisoden im Wettbewerb der Kunststile, durch welche die Neue Welt die Alte als zentralen Orientierungspunkt moderner ästhetischer Repräsentationen verdrängte. Ein fernes Land legt die verborgenen Bezugspunkte zwischen Kontinenten und Genres offen und ist zugleich eine vergleichende Beobachtung namhafter Dichter,…mehr

Produktbeschreibung
Der einflussreiche und umstrittene Kritiker trägt die Literaturgeschichte aus der Studierstube hinaus in die Welt.Morettis neueste Studie führt den historischen Aufstieg Amerikas zur globalen kulturellen Hegemonie in anschaulichen Momentaufnahmen vor Augen. Sie untersucht Schlüsselepisoden im Wettbewerb der Kunststile, durch welche die Neue Welt die Alte als zentralen Orientierungspunkt moderner ästhetischer Repräsentationen verdrängte. Ein fernes Land legt die verborgenen Bezugspunkte zwischen Kontinenten und Genres offen und ist zugleich eine vergleichende Beobachtung namhafter Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Maler und Filmemacher dies- und jenseits des Atlantiks: Walt Whitman und Charles Baudelaire, Ernest Hemingway und James Joyce, Arthur Miller und Bertolt Brecht. Bemerkenswert ist Morettis Gegenüberstellung von Edward Hoppers Nighthawks und der Niederländischen Meister sowie des Hollywood Western und des Film Noir. Seine Analysen stellen die Brüche in der Form dar, welche die Kulturlandschaft auf beiden Seiten des Atlantiks in den letzten anderthalb Jahrhunderten verändert haben, als das »Wie«, »Warum« und »Wofür« in der Literatur auf den Zwiespalt des gesellschaftlichen Lebens zu reagieren begannen. Ein fernes Land ist die essayistische Summe jahrelangen Lehrens (und Lesens) - zunächst in Europa, dann in den Vereinigten Staaten.
Autorenporträt
Franco Moretti ist Literaturtheoretiker und emeritierter Professor an der Stanford University, wo er das Center for the Study of the Novel und das Literary Lab gründete. Er ist Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Bei Konstanz University Press erschienen 'Distant Reading' (2016), 'Literatur im Labor' (2017) und 'Ein fernes Land' (2020)?
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Kai Sina schätzt Franco Moretti als einen Literaturwissenschaftler, dem alles Kanonische fremd ist. Dieses Bändchen macht ihn aber ein wenig stutzig. Dass Moretti endlich die Verbindung von europäischer und amerikanischer Kultur in den Blick nimmt, findet Sina richtig und wichtig. Doch die Auswahl an Autoren und Filmemachern, die Moretti trifft, erscheint dem Rezensenten nicht nur erratisch, sondern abenteuerlich. Immerhin: Ein erster Schritt in Richtung "transatlantischer Kulturgeschichte".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2020

High Noon
Franco Moretti, einer der prägendsten Literaturwissenschaftler der Welt, analysiert die
amerikanische Popkultur mit dem Instrumentarium, das er an Dante und Proust geschärft hat
VON LOTHAR MÜLLER
Im Frühjahr 2016 hat der italienische Literaturwissenschaftler Franco Moretti sein letztes Seminar an der Stanford University in Kalifornien gegeben. Danach hat er den Zyklus von Einführungsvorlesungen, die er über Jahre hinweg vor amerikanischen Studenten gehalten hat, in fünf Essays verwandelt und ist dabei einer sehr einfachen Idee gefolgt: aus einem Hörsaal heraus sprechen, aber nicht ausschließlich zu ihm. Ebenso einfach ist seine Methode. Alle Essays des Bandes, den es nun unter dem Titel „Ein fernes Land. Szenen amerikanischer Kultur“ auch auf Deutsch gibt, sind kontrastive Lektüren, wobei man das Wort „Lektüren“ großzügig nehmen muss, da es nicht nur um Bücher und Buchstaben geht, sondern auch um Bilder und Filme. Walt Whitman steht Charles Baudelaire gegenüber, Hemingways festgefügter Satzbau der unberechenbaren Prosa von Joyce und Gertrude Stein, der Western tritt zum Duell mit dem „Film noir“ an, Henry Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ muss sich vor dem epischen Theater Bertolt Brechts verantworten und am Ende werden die Jahrhunderte durcheinander gewürfelt, werden Vermeers Interieurs mit den Innenräumen Edward Hoppers konfrontiert.
Trotzdem gibt einen roten Faden. Er verläuft durch die disparaten Gegenstände, und wenn man ihn aufrollt, landet man beim Autor als jungem Mann, in der intellektuellen Herkunftswelt Morettis, im Italien der Sechziger- und Siebzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Das war eine Welt des theoretischen Aufbruchs, in dem sich die Neuentdeckung des Marxismus mit dem Import des russischen Formalismus und des französischen Strukturalismus mischte und die populäre Kultur, schon ehe sie „Pop“ hieß, zum Faszinosum der Intellektuellen wurde.
Wie in anderen europäischen Ländern waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Projekte einer „demokratischen Kultur“ eng verbunden mit der Frage nach dem Verhältnis von europäischer und amerikanischer Kultur. Franco Moretti, 1950 als Sohn des Althistorikers und Epigrafen Luigi Moretti geboren und wie sein jüngerer Bruder, der Filmregisseur Nanni Moretti, im Rom der späten der 1960er-Jahre aufgewachsen, studierte Anglistik in Rom, schrieb zahlreiche Bücher über den europäischen Roman, und da knüpft der rote Faden dieses Buches an. Der europäische Roman war ein weit über Europa hinaus erfolgreiches Modell, er war ein Instrument „kultureller Hegemonie“. Das Studium der politischen Effekte einer solchen Hegemonie hatte der italienische Marxist Antonio Gramsci auf die Tagesordnung gesetzt, in Reaktion auf den Aufstieg des Faschismus. Die Grunderfahrung der Nachkriegsgenerationen war die kulturelle Hegemonie Amerikas, etwa im Kino. Mit Verachtung und Abendland-Rhetorik oder Begriffen wie „Kulturimperialismus“ ließ sich der Erfolg von Hollywood nicht beantworten. Sondern indem man die amerikanischen Filme, die Musik, die Literatur mit demselben hoch entwickelten Instrumentarium studierte wie Dante, Shakespeare, Goethe, Proust.
Morettis kontrastive Lektüren werden durch die Frage nach den Formen von Kunst und Literatur vorangetrieben, durch die Frage nach den Energien, die in sie eingehen und die sie freisetzen. Die Form in der Literatur ist Sprache, Stil. Die linguistische Analyse kleiner Elemente gibt über sie Aufschluss. Wie arbeiten die Adjektive und Substantive bei Walt Whitman zusammen, wie bei Charles Baudelaire gegeneinander? Wie arbeitet Whitman an einer Sprache der Poesie, die immer zu Hause ist, wie an seiner Rhetorik der Einfachheit, wie Baudelaire an den paradoxen Widerhaken seiner Verse voller Gespenster? Moretti löst die vorschnelle Koppelung der „modernen Lyrik“ an Komplexität, Vieldeutigkeit und Sprachskepsis auf. Adressat der Warnung ist eine der Orientierungsfiguren seiner Jugend, Theodor W. Adorno, in dessen „Ästhetischer Theorie“ Baudelaire auf Schritt und Tritt vorkommt, Walt Whitman aber kein einziges Mal.
Formen sind für Moretti wie für den jungen Georg Lukács in seiner „Theorie des Romans“ (1916) Antworten auf historische Erfahrungen, auf die „Grunddissonanz des Daseins“. Aus der Stummheit, mit der die Soldaten aus den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs heimkehrten, sieht er den Stil Hemingways in „Großer doppelherziger Strom“ (1925) hervorgehen, aus dem Anrennen gegen die Ungerührtheit, mit der das moderne Wirtschaftsleben die Konventionen des bürgerlichen Theaters kassiert, ein melodramatisches Detail in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Das Glanzstück des Bandes aber ist wohl kaum zufällig der Essay, in dem der amerikanische Western und der „Film noir“ aufeinandertreffen. Wie die Literatur geriet auch die Philologie in Europa seit den Sechzigerjahren in den Bann des Kinos. In einer Fußnote lässt Moretti einen der ältesten Kinosäle Romas auftreten, der „Lux et Umbra“ hieß. Die lateinische Formel fasst die Grundspannung dieses Essays zusammen, das Gegenüber des Duells unter freiem Himmel, in heißer Sonne, und der nächtlichen Schattenspiele des Film Noir. „High Noon“ versus „Double Indemnity“, „Stagecoach“ versus „Der dritte Mann“. Den Planwagentreck durch eine weite Landschaft im Western und die Spiegelkabinette des Film noir, der kein Showdown mit zwei einander gegenüberstehenden Figuren kennt, sondern unbedingt des Dritten oder besser noch der Dritten bedarf und seine Toten im gefährlichen Ineinander von Intimität und Gewalt produziert. Sie, die Gewalt und der Tod sind die „Dissonanzen“, aus der die Formen von Western und Film noir hervorgehen. Sagt der Filmvorführer Moretti und gibt für seine Zuhörer, wenn sie sich dem Studium der Zauberkräfte von Literatur und Kino widmen wollen, die Parole aus: „Genieße ihre Magie und filtere sie dann durch die Skepsis der Kritik!“
Franco Moretti: Ein fernes Land. Szenen amerikanischer Kultur. Aus dem Amerikanischen von Bettina Engels und Michael Adrian. Konstanz University Press im Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 148 Seiten, 22 Euro.
Wie arbeitet Whitman an
einer Sprache der Poesie,
die immer zu Hause ist?
Im Western ist die
Grunddissonanz des Daseins
grell hervorgehoben
Walt Whitman steht
Charles Baudelaire
gegenüber,
Hemingways
festgefügter Satzbau
der Prosa von Joyce
und Gertrude Stein,
der Western tritt
zum Duell mit dem
fFilm noir“ an,
Henry Miller muss sich
vor dem epischen
Theater Bertolt Brechts
verantworten
Ineinander von Intimität und Gewalt: Barbara Stanwyck und Fred MacMurray in „Double Indemnity“ (1944).
Foto: imago stock&people
Der italienische
Literaturwissenschaftler Franco Moretti.
Foto: Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2020

Der Atlantik bleibt tief
Franco Moretti zum Verhältnis von Kunst und Kultur

Eine transatlantische, die europäischen und die nordamerikanischen Traditionen gleichermaßen einbeziehende Literaturgeschichte - das ist ein längst überfälliges, ein notwendiges Vorhaben. Denn es ginge hierbei ja nicht nur um innerliterarische Fragen, sondern viel allgemeiner um die Entstehung dessen, was heute meist unhinterfragt als "westliche Kultur" bezeichnet wird. Man denke nur, um zwei Beispiele aus deutscher Sicht zu nennen, an die außerordentliche Bedeutung Goethes für die Erfindung einer amerikanischen Kulturpoetik bei Intellektuellen wie Ralph Waldo Emerson; oder, in umgekehrter Blickrichtung, an die Modernedebatten um 1900 in Deutschland, die sich häufig mit dem Namen Walt Whitmans verbinden.

Das neue, schmale Buch des italienischen Literaturwissenschaftlers Franco Moretti, das aus einer Vorlesung an der Universität Stanford hervorgegangen ist, könnte in dieser Sache in der Tat "ein Schritt in die richtige Richtung" sein. Der Untersuchungsauftrag: eine Analyse der amerikanischen Literatur, aber auch des Films und der bildenden Kunst in ihrem zunehmend hegemonialen Verhältnis zur europäischen Kultur. "Jedes Thema spaltete sich auf und erzeugte einen Gegensatz", so beschreibt Moretti den Entstehungsprozess seiner Vorlesung, der sich noch im Aufbau der Studie widerspiegelt: "Walt Whitman oder Charles Baudelaire?", "Tag und Nacht: Über den Kontrapunkt von Western und Film noir", "Amsterdam, New Amsterdam" (dieses Kapitel liefert eine Betrachtung der Kunst einiger niederländischer Meister und, eigenartig ahistorisch, der Gemälde Edward Hoppers).

An den produktiven Verflechtungen und Verknüpfungen, die für jeden, der nur ein wenig über den kulturellen Tellerrand hinausschaut, eigentlich auf der Hand liegen, ist Moretti dagegen kaum interessiert. Das Bändchen konstruiert eine transatlantische Kulturgeschichte in Brüchen - und anhand einer suggestiven, zum Teil nicht anders als abenteuerlich zu nennenden Auswahl, die überdies fast nur aus Männern besteht (die einzige wesentliche Ausnahme ist Gertrude Stein). Das aber ist verwunderlich, steht doch niemand so wie Moretti für eine quantitativ vorgehende, von allen Kanonklischees absehende Literaturforschung, deren Methode gerade nicht das "Close Reading" einzelner, als repräsentativ erachteter Werke ist, sondern die computergestützte Auswertung großer Textkorpora im Modus des "Distant Reading". Ehrlich, also unrhetorisch gefragt: Wie passt das zusammen?

In ihrer immer wieder lesenswerten Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2003 beschreibt Susan Sontag, die sich als transatlantisch Intellektuelle zeitlebens stark an der europäischen Literatur und Philosophie orientierte, das spannungsreiche Verhältnis von amerikanischer und europäischer Kultur als "mindestens so komplex und ambivalent" wie das "zwischen Eltern und Kind." So betrachtet, steckt Morettis Buch, in seinem einsinnigen und entschiedenen Beharren auf Differenzen, noch mitten in der Pubertät.

KAI SINA.

Franco Moretti: "Ein fernes Land". Szenen amerikanischer Literatur.

Konstanz University Press, Konstanz 2020. 148 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Klarer, knapper und ansteckender kann man die Notwendigkeit nicht vermitteln, sich mit Literatur, Film und bildendender Kunst befassen zu müssen.« (Maike Albath, Deutschlandfunk Kultur Lesart, 11.07.2020) »Was für ein großartiges kleine Büchlein! (...) voller Intelligenz, kulturhistorischer Erkenntnisse & überraschender Ansichten.« (Wolfram Schütte, glanzundelend.de, 02.11.2020)