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Laurent Binet
Gebundenes Buch
Die siebte Sprachfunktion
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Binets erster Roman «HHhH» gewann 2010 den Prix Goncourt du premier Roman und sein neuer Roman "Die siebte Sprachfunktion" gewann 2015 den Prix Interallié und den Prix du Roman Fnac. Es ist ein Krimi mit Poststrukturalisten.Paris, Frühjahr 1980: Roland Barthes wird von einem bulgarischen Wäschelieferanten überfahren. Barthes kommt von einem Essen mit dem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, François Mitterrand, und trägt ein Manuskript unter dem Arm. Ein Passant, Michel Foucault, wird Zeuge des Unfalls und behauptet, es war Mord. Der Tod des Autors ist für Kommissar Bayar...
Binets erster Roman «HHhH» gewann 2010 den Prix Goncourt du premier Roman und sein neuer Roman "Die siebte Sprachfunktion" gewann 2015 den Prix Interallié und den Prix du Roman Fnac.
Es ist ein Krimi mit Poststrukturalisten.
Paris, Frühjahr 1980: Roland Barthes wird von einem bulgarischen Wäschelieferanten überfahren. Barthes kommt von einem Essen mit dem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, François Mitterrand, und trägt ein Manuskript unter dem Arm. Ein Passant, Michel Foucault, wird Zeuge des Unfalls und behauptet, es war Mord.
Der Tod des Autors ist für Kommissar Bayard ein Rätsel. Er mischt sich unter die Poststrukturalisten, besucht Vorlesungen von Foucault und hört Vorträge von Julia Kristeva, Philippe Sollers, Jacques Derrida und anderen. Da er nichts versteht, macht er den jungen Sprachwissenschaftler Simon Herzog zu seinem Assistenten.
Der Roman ist auch ein Gesellschaftsporträt Frankreichs der achtziger Jahre. Bayard ermittelt unterden Nach-Achtundsechzigern, die er nicht ausstehen kann, diesen linken Nichtsnutzen, die mit Joints und langen Haaren vor der Uni herumlungern und mit lüsternen Professoren, die von sexueller Freiheit labern und sich unzüchtig benehmen, Frankreichs Kultur gefährden.
Das Manuskript, das Barthes bei sich hatte, bleibt spurlos verschwunden. Auch der bulgarische Geheimdienst interessiert sich dafür. Ein bulgarischer Mörder greift Simon Herzog mit einer vergifteten Regenschirmspitze an. Aber im letzten Moment wird Herzog von zwei Japanern gerettet. Sie sind ebenfalls hinter dem Manuskript her. Eine heiße Spur führt zu dem italienischen Semiotiker Umberto Eco. Also bewegt sich der Tross - Kommissar und Assistent, Bulgaren und Japaner, nach Italien. Die Reise geht noch lange weiter, sie führt sogar auf einen amerikanischen Campus, wo Foucault über die Sexualität der Elefanten philosophiert.
Das Manuskript, das alle haben wollen, beschreibt die siebte Sprachfunktion (in Anlehnung an Roman Jakobsons Standardwerk der Linguistik über die sechs Sprachfunktionen). Die siebte Funktion, die Binet Roland Barthes erfinden lässt, gibt Politikern die rhetorischen Mittel an die Hand, um öffentliche Rededuelle und damit auch die Wahlen, zu gewinnen. Könnte Mitterrand damit an die Macht gelangen?
Es ist ein Krimi mit Poststrukturalisten.
Paris, Frühjahr 1980: Roland Barthes wird von einem bulgarischen Wäschelieferanten überfahren. Barthes kommt von einem Essen mit dem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, François Mitterrand, und trägt ein Manuskript unter dem Arm. Ein Passant, Michel Foucault, wird Zeuge des Unfalls und behauptet, es war Mord.
Der Tod des Autors ist für Kommissar Bayard ein Rätsel. Er mischt sich unter die Poststrukturalisten, besucht Vorlesungen von Foucault und hört Vorträge von Julia Kristeva, Philippe Sollers, Jacques Derrida und anderen. Da er nichts versteht, macht er den jungen Sprachwissenschaftler Simon Herzog zu seinem Assistenten.
Der Roman ist auch ein Gesellschaftsporträt Frankreichs der achtziger Jahre. Bayard ermittelt unterden Nach-Achtundsechzigern, die er nicht ausstehen kann, diesen linken Nichtsnutzen, die mit Joints und langen Haaren vor der Uni herumlungern und mit lüsternen Professoren, die von sexueller Freiheit labern und sich unzüchtig benehmen, Frankreichs Kultur gefährden.
Das Manuskript, das Barthes bei sich hatte, bleibt spurlos verschwunden. Auch der bulgarische Geheimdienst interessiert sich dafür. Ein bulgarischer Mörder greift Simon Herzog mit einer vergifteten Regenschirmspitze an. Aber im letzten Moment wird Herzog von zwei Japanern gerettet. Sie sind ebenfalls hinter dem Manuskript her. Eine heiße Spur führt zu dem italienischen Semiotiker Umberto Eco. Also bewegt sich der Tross - Kommissar und Assistent, Bulgaren und Japaner, nach Italien. Die Reise geht noch lange weiter, sie führt sogar auf einen amerikanischen Campus, wo Foucault über die Sexualität der Elefanten philosophiert.
Das Manuskript, das alle haben wollen, beschreibt die siebte Sprachfunktion (in Anlehnung an Roman Jakobsons Standardwerk der Linguistik über die sechs Sprachfunktionen). Die siebte Funktion, die Binet Roland Barthes erfinden lässt, gibt Politikern die rhetorischen Mittel an die Hand, um öffentliche Rededuelle und damit auch die Wahlen, zu gewinnen. Könnte Mitterrand damit an die Macht gelangen?
Binet, LaurentLaurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und hat in Prag Geschichte studiert. Jetzt lebt er in Paris. Sein erster Roman «HHhH» gewann den Prix Goncourt du Premier Roman und wurde von der New York Times zu den 100 besten Büchern des Jahres 2012 gewählt. "Die siebte Sprachfunktion" wurde mit dem Prix Interallié und dem Prix du Roman Fnac ausgezeichnet. Für "Die Eroberung" erhielt Binet den Grand Prix de l'Académie française, der Roman war in Frankreich ein großer Bestseller und wird als Serie verfilmt.
Produktdetails
- Verlag: Rowohlt, Hamburg
- Artikelnr. des Verlages: 20131
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 528
- Erscheinungstermin: 13. Dezember 2016
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 130mm x 39mm
- Gewicht: 612g
- ISBN-13: 9783498006761
- ISBN-10: 3498006762
- Artikelnr.: 44980452
Herstellerkennzeichnung
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© BÜCHERmagazin, Nicole Trötzer
Jetzt ist der Autor wirklich tot
In Laurent Binets durchgedrehtem Roman "Die siebte Sprachfunktion" ist der Theoretiker Roland Barthes nicht bei einem Unfall gestorben, sondern ermordet worden. Warum?
Am 25. Februar 1980 wird Roland Barthes, Autor klassisch gewordener Bücher wie "Mythen des Alltags" oder "Fragmente einer Sprache der Liebe", von einem Lastwagen überfahren und stirbt einige Wochen später in einem Krankenhaus in Paris. Das Schaffen des berühmten Zeichentheoretikers: abgebrochen durch das stumpfe, schicksalhafte Ereignis des Unfalls, Folge eines unbedachten Schritts auf die Straße.
So weit die historisch verbürgte Version des fatalen Augenblicks, der einen der prominentesten Denker der
In Laurent Binets durchgedrehtem Roman "Die siebte Sprachfunktion" ist der Theoretiker Roland Barthes nicht bei einem Unfall gestorben, sondern ermordet worden. Warum?
Am 25. Februar 1980 wird Roland Barthes, Autor klassisch gewordener Bücher wie "Mythen des Alltags" oder "Fragmente einer Sprache der Liebe", von einem Lastwagen überfahren und stirbt einige Wochen später in einem Krankenhaus in Paris. Das Schaffen des berühmten Zeichentheoretikers: abgebrochen durch das stumpfe, schicksalhafte Ereignis des Unfalls, Folge eines unbedachten Schritts auf die Straße.
So weit die historisch verbürgte Version des fatalen Augenblicks, der einen der prominentesten Denker der
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glorreichen Theorieepoche namens Strukturalismus auf der Höhe seines Ruhms aus dem Leben riss. Der französische Schriftsteller Laurent Binet nun schreibt dieses Ereignis, das vor 35 Jahren nichts als Fassungslosigkeit nach sich zog, in einem langen, vor konspirativen Verstrickungen beinahe berstenden Roman um und macht den vermeintlichen Unfalltod Barthes' zum Ausgangspunkt eines weltweiten, von Politikern, Geheimdiensten und gekränkten Großintellektuellen gesteuerten Mordkomplotts.
Die Semiologie und die Kriminalgeschichte: grundsätzlich eine vielversprechende Kombination, denn in beiden Disziplinen steht die Entzifferung der Wahrheit im Mittelpunkt. Sowohl der Zeichentheoretiker als auch der Detektiv durchforsten die Oberfläche der Phänomene nach verborgenen Bedeutungen; sie prüfen fortwährend, ob sich unscheinbare Dinge in aussagekräftige Indizienketten verwandeln können, der eine in ideologiekritischer, der andere in kriminalistischer Mission.
Binets Roman macht sich diese methodische Verwandtschaft zweier Milieus, die einander in sozialer Hinsicht aber völlig fremd bleiben, zunutze und zieht aus der Kollision von Polizeiarbeit und feinsinniger strukturalistischer Analyse zu Beginn einige komische Effekte. Der hemdsärmelige Kommissar Bayard nimmt die Ermittlungen auf, da Roland Barthes vor dem Unfall bei dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Mitterrand zum Essen eingeladen war und ihm - erstes Zeichen des Verdachts - auf dem Weg ins Krankenhaus offenbar der Ausweis entwendet wurde. Investigative Unterstützung holt sich Bayard bei dem jungen Semiologiedozenten Simon Herzog, der nicht umsonst die Initialen von Sherlock Holmes teilt, da er wie der berühmte Detektiv dazu imstande ist, aus einigen beiläufigen Blicken auf Kleidung, Schmuck und Habitus eines Menschen dessen gesamte Biographie zu dechiffrieren.
Das ungleiche Ermittlerpaar bewegt sich fortan durch halb Europa und an die Ostküste der Vereinigten Staaten, um eine immer stärker verzweigte Verschwörungsgeschichte zu entwirren, in deren Zentrum ein geheimes Manuskript des Linguisten Roman Jakobson über die titelgebende "siebte Sprachfunktion" steht, das Barthes am Tag des Unfalls bei sich trug. Alle bestimmenden Autoren des Strukturalismus und Poststrukturalismus treten im Verlauf dieses Falles in Erscheinung, jene Namen und Gesichter, die ein halbes Jahrhundert nach ihren einschlägigen Publikationen eher dem popkulturellen Gedächtnis als der anhaltenden Lektüre vertraut sind.
Binet stellt diese Theoretiker auch konsequent als Karikaturen dar, indem er bei jeder Figur ein, zwei Merkmale, Vorlieben oder Schlagworte herausgreift und ihnen dieselben Etiketten dann in allen Szenen unermüdlich aufklebt: Foucault taucht praktisch nur in Schwulensaunen und Darkrooms auf, voll mit LSD und über "Biomacht" dozierend; Deleuze' berüchtigte überlange Fingernägel dürfen bei keiner Erwähnung des Philosophen fehlen; Derrida spricht in jedem Satz von "différance"; der junge Bernard-Henri Lévy schließlich trägt stets seine weißen aufgeknöpften Hemden und streicht sich übers Haar (was in diesem Fall aber stimmig wirkt, weil das Original hier ohnehin immer schon Karikatur war).
Im Lauf des Romans stellt sich nicht nur heraus, dass Roland Barthes von dem Lastwagenfahrer, einem Handlanger des bulgarischen Geheimdienstes, bewusst überfahren wurde, um an das Manuskript zu gelangen. Es kommt auch zum Mord an Jacques Derrida durch die Kampfhunde seines sprachphilosophischen Opponenten John Searle auf dem Campus der Cornell-Universität in Ithaca. Und Umberto Eco steht an der Spitze eines weltumspannenden Rhetorik-Geheimbunds namens "Logos-Club", dessen Rededuelle den Verlierer einen Finger (und wie im Fall des Schriftstellers Philippe Sollers sogar empfindlichere Körperteile) kosten können. Immerhin ist die Butler nicht der Mörder, wie das Sprichwort nahelegen könnte, aber die junge Judith weist Kommissar Bayard in Cornell mit einem Strap-on-Dildo in die Geheimnisse der homosexuellen Liebe ein.
Alle Spoiler-Vorwürfe an diese Rezension können dabei guten Gewissens zurückgewiesen werden, weil es auf den 530 Seiten von "Die siebte Sprachfunktion" noch mindestens ein Dutzend weitere unvorhergesehene, atemberaubende, den poststrukturalistisch geschulten Leser durch subtile Andeutungen amüsierende Plotwendungen gibt - und genau das ist auch das massive Problem dieses Romans. Seine Handlung, vom Besuch der Ermittler bei Eco in Bologna über die lange Schilderung der Theoriekonferenz in Ithaca bis zum Showdown im venezianischen Karneval, ist ein willkürlich choreographiertes, von unglaubwürdigen Deduktionen und Ahnungen notdürftig zusammengehaltenes Konstrukt.
Zweifellos bedient sich Binet aller spielerischen Freiheiten des (post-)modernen Romans, bindet historische Ereignisse des Jahres 1980, wie das nie geklärte Bombenattentat am Bologneser Bahnhof, in die Logik der Handlung ein, vermischt Realpersonen der Geistesgeschichte mit Figuren aus anderen Romanen und streut von Zeit zu Zeit versierte Selbstreflexionen des Ich-Erzählers über die Grenze von Realität und Literatur ein. Aber bei all dieser Opulenz ist "Die siebte Sprachfunktion" eher ein Beleg dafür, dass sich das Ausmaß solcher Freiheiten oft proportional zum Mangel an ästhetischer Sorgfalt und an Kohärenz der Erzählung verhält.
Als literarisches Gebilde löst dieser Roman, mit seinem etwas streberhaften Anspielungsreichtum und den völlig unmotivierten Einschüben von wörtlichen Deleuze- oder Baudrillard-Passagen, mehr und mehr Überdruss und irgendwann schlicht Ermattung aus. Interessant ist das Buch allerdings - und vielleicht erklärt dies, neben seinem voyeuristischen Versprechen, auch den enormen Erfolg in Frankreich - als nostalgische Beschwörung einer fremd gewordenen Ära. Denn was der überbordende Plot letztlich demonstrieren will, ist die Nähe zwischen Sprachphilosophie und Politik, zwischen "Geist" und "Macht".
Roman Jakobsons kurzes Manuskript, das diese blutige Auseinandersetzung mit insgesamt sieben Todesopfern verursacht, ist die Ergänzung seiner Abhandlung über die sechs Funktionen der Sprache. Die imaginäre siebte, laut Binet eine "Zauberformel", eine "Gebrauchsanweisung", behandelt die performative Kraft der Rede: "Wer diese Funktion kennt und beherrscht, wäre praktisch der Herr der Welt". Zu den Jägern des Manuskripts, das der greise russische Linguist seinem Pariser Kollegen Roland Barthes vermacht hat, gehören deshalb auch die Wahlkampftruppen der beiden französischen Präsidentschaftsbewerber für die Wahl von 1981, der amtierende Giscard d'Estaing und François Mitterrand.
Der sozialistische Herausforderer, lange Zeit als eher steifer Rhetoriker bekannt, redete seinen Gegner in der entscheidenden Fernsehdebatte Anfang 1981 mit unerwarteter Brillanz an die Wand und gewann bekanntlich die Wahl. Laurent Binet liefert die fiktive Erklärung für diese tatsächliche rhetorische Meisterleistung, denn Mitterrand und seinem späteren Kulturminister Jack Lang gelingt es in dem Roman, dem politischen Kontrahenten und dem bulgarischen Geheimdienst unter der Anleitung von Julia Kristeva zuvorzukommen und dem ahnungslosen Roland Barthes die "siebte Sprachfunktion" zu entreißen.
Der Aufsatz eines heute nur noch in orthodoxen Linguistenkreisen bekannten Sprachwissenschaftlers als zentrales Einflussinstrument einer Präsidentschaftswahl: Das ist die Sehnsucht, die dieses Buch formuliert - die heute (und vermutlich auch im Jahr 1980) illusorische Utopie, dass die komplexesten Denker ihrer Zeit auch das politische Weltgeschehen steuern könnten. Am Ende des Romans wird angedeutet, dass sich auch die Karriere Obamas letztlich dem Manuskript verdankt hätte - doch je näher die Erzählung der Gegenwart kommt, desto unglaubwürdiger wird selbst der geringste Einfluss philosophischer oder semiologischer Programme auf die Politik.
Was wäre heute jene "Zauberformel", jene "Gebrauchsanweisung", die eine epochale Präsidentschaftswahl entscheiden könnte? In den Wochen nach Trumps Sieg wurde viel über das sogenannte "Target Profiling" diskutiert, über die Manipulation der eingehenden Informationen auf jeder einzelnen Timeline in Sozialen Netzwerken; zudem stehen gerade die generalstabsmäßigen Angriffe russischer Computerspezialisten auf die Rechner der demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten zur Debatte. 2016 sind es also Hacker, Programmierer und Profile, denen man wahlentscheidende Bedeutung zuspricht, mit Hilfe der Steuerung grober Informationsmuster. In Binets Roman über das Jahr 1980 kommt diese Rolle Semiologen und ihren mikroskopischen wissenschaftlichen Analysen zu. "Die siebte Sprachfunktion" ist am Ende also eine beinahe rührende romantische Phantasie über die Macht des Intellektuellen, vorgetragen im Gewand eines um Rasanz bemühten, völlig überladenen Romans.
ANDREAS BERNARD
Laurent Binet: "Die siebte Sprachfunktion". Übersetzt von Kristian Wachinger. Rowohlt, 528 Seiten, 22,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Semiologie und die Kriminalgeschichte: grundsätzlich eine vielversprechende Kombination, denn in beiden Disziplinen steht die Entzifferung der Wahrheit im Mittelpunkt. Sowohl der Zeichentheoretiker als auch der Detektiv durchforsten die Oberfläche der Phänomene nach verborgenen Bedeutungen; sie prüfen fortwährend, ob sich unscheinbare Dinge in aussagekräftige Indizienketten verwandeln können, der eine in ideologiekritischer, der andere in kriminalistischer Mission.
Binets Roman macht sich diese methodische Verwandtschaft zweier Milieus, die einander in sozialer Hinsicht aber völlig fremd bleiben, zunutze und zieht aus der Kollision von Polizeiarbeit und feinsinniger strukturalistischer Analyse zu Beginn einige komische Effekte. Der hemdsärmelige Kommissar Bayard nimmt die Ermittlungen auf, da Roland Barthes vor dem Unfall bei dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Mitterrand zum Essen eingeladen war und ihm - erstes Zeichen des Verdachts - auf dem Weg ins Krankenhaus offenbar der Ausweis entwendet wurde. Investigative Unterstützung holt sich Bayard bei dem jungen Semiologiedozenten Simon Herzog, der nicht umsonst die Initialen von Sherlock Holmes teilt, da er wie der berühmte Detektiv dazu imstande ist, aus einigen beiläufigen Blicken auf Kleidung, Schmuck und Habitus eines Menschen dessen gesamte Biographie zu dechiffrieren.
Das ungleiche Ermittlerpaar bewegt sich fortan durch halb Europa und an die Ostküste der Vereinigten Staaten, um eine immer stärker verzweigte Verschwörungsgeschichte zu entwirren, in deren Zentrum ein geheimes Manuskript des Linguisten Roman Jakobson über die titelgebende "siebte Sprachfunktion" steht, das Barthes am Tag des Unfalls bei sich trug. Alle bestimmenden Autoren des Strukturalismus und Poststrukturalismus treten im Verlauf dieses Falles in Erscheinung, jene Namen und Gesichter, die ein halbes Jahrhundert nach ihren einschlägigen Publikationen eher dem popkulturellen Gedächtnis als der anhaltenden Lektüre vertraut sind.
Binet stellt diese Theoretiker auch konsequent als Karikaturen dar, indem er bei jeder Figur ein, zwei Merkmale, Vorlieben oder Schlagworte herausgreift und ihnen dieselben Etiketten dann in allen Szenen unermüdlich aufklebt: Foucault taucht praktisch nur in Schwulensaunen und Darkrooms auf, voll mit LSD und über "Biomacht" dozierend; Deleuze' berüchtigte überlange Fingernägel dürfen bei keiner Erwähnung des Philosophen fehlen; Derrida spricht in jedem Satz von "différance"; der junge Bernard-Henri Lévy schließlich trägt stets seine weißen aufgeknöpften Hemden und streicht sich übers Haar (was in diesem Fall aber stimmig wirkt, weil das Original hier ohnehin immer schon Karikatur war).
Im Lauf des Romans stellt sich nicht nur heraus, dass Roland Barthes von dem Lastwagenfahrer, einem Handlanger des bulgarischen Geheimdienstes, bewusst überfahren wurde, um an das Manuskript zu gelangen. Es kommt auch zum Mord an Jacques Derrida durch die Kampfhunde seines sprachphilosophischen Opponenten John Searle auf dem Campus der Cornell-Universität in Ithaca. Und Umberto Eco steht an der Spitze eines weltumspannenden Rhetorik-Geheimbunds namens "Logos-Club", dessen Rededuelle den Verlierer einen Finger (und wie im Fall des Schriftstellers Philippe Sollers sogar empfindlichere Körperteile) kosten können. Immerhin ist die Butler nicht der Mörder, wie das Sprichwort nahelegen könnte, aber die junge Judith weist Kommissar Bayard in Cornell mit einem Strap-on-Dildo in die Geheimnisse der homosexuellen Liebe ein.
Alle Spoiler-Vorwürfe an diese Rezension können dabei guten Gewissens zurückgewiesen werden, weil es auf den 530 Seiten von "Die siebte Sprachfunktion" noch mindestens ein Dutzend weitere unvorhergesehene, atemberaubende, den poststrukturalistisch geschulten Leser durch subtile Andeutungen amüsierende Plotwendungen gibt - und genau das ist auch das massive Problem dieses Romans. Seine Handlung, vom Besuch der Ermittler bei Eco in Bologna über die lange Schilderung der Theoriekonferenz in Ithaca bis zum Showdown im venezianischen Karneval, ist ein willkürlich choreographiertes, von unglaubwürdigen Deduktionen und Ahnungen notdürftig zusammengehaltenes Konstrukt.
Zweifellos bedient sich Binet aller spielerischen Freiheiten des (post-)modernen Romans, bindet historische Ereignisse des Jahres 1980, wie das nie geklärte Bombenattentat am Bologneser Bahnhof, in die Logik der Handlung ein, vermischt Realpersonen der Geistesgeschichte mit Figuren aus anderen Romanen und streut von Zeit zu Zeit versierte Selbstreflexionen des Ich-Erzählers über die Grenze von Realität und Literatur ein. Aber bei all dieser Opulenz ist "Die siebte Sprachfunktion" eher ein Beleg dafür, dass sich das Ausmaß solcher Freiheiten oft proportional zum Mangel an ästhetischer Sorgfalt und an Kohärenz der Erzählung verhält.
Als literarisches Gebilde löst dieser Roman, mit seinem etwas streberhaften Anspielungsreichtum und den völlig unmotivierten Einschüben von wörtlichen Deleuze- oder Baudrillard-Passagen, mehr und mehr Überdruss und irgendwann schlicht Ermattung aus. Interessant ist das Buch allerdings - und vielleicht erklärt dies, neben seinem voyeuristischen Versprechen, auch den enormen Erfolg in Frankreich - als nostalgische Beschwörung einer fremd gewordenen Ära. Denn was der überbordende Plot letztlich demonstrieren will, ist die Nähe zwischen Sprachphilosophie und Politik, zwischen "Geist" und "Macht".
Roman Jakobsons kurzes Manuskript, das diese blutige Auseinandersetzung mit insgesamt sieben Todesopfern verursacht, ist die Ergänzung seiner Abhandlung über die sechs Funktionen der Sprache. Die imaginäre siebte, laut Binet eine "Zauberformel", eine "Gebrauchsanweisung", behandelt die performative Kraft der Rede: "Wer diese Funktion kennt und beherrscht, wäre praktisch der Herr der Welt". Zu den Jägern des Manuskripts, das der greise russische Linguist seinem Pariser Kollegen Roland Barthes vermacht hat, gehören deshalb auch die Wahlkampftruppen der beiden französischen Präsidentschaftsbewerber für die Wahl von 1981, der amtierende Giscard d'Estaing und François Mitterrand.
Der sozialistische Herausforderer, lange Zeit als eher steifer Rhetoriker bekannt, redete seinen Gegner in der entscheidenden Fernsehdebatte Anfang 1981 mit unerwarteter Brillanz an die Wand und gewann bekanntlich die Wahl. Laurent Binet liefert die fiktive Erklärung für diese tatsächliche rhetorische Meisterleistung, denn Mitterrand und seinem späteren Kulturminister Jack Lang gelingt es in dem Roman, dem politischen Kontrahenten und dem bulgarischen Geheimdienst unter der Anleitung von Julia Kristeva zuvorzukommen und dem ahnungslosen Roland Barthes die "siebte Sprachfunktion" zu entreißen.
Der Aufsatz eines heute nur noch in orthodoxen Linguistenkreisen bekannten Sprachwissenschaftlers als zentrales Einflussinstrument einer Präsidentschaftswahl: Das ist die Sehnsucht, die dieses Buch formuliert - die heute (und vermutlich auch im Jahr 1980) illusorische Utopie, dass die komplexesten Denker ihrer Zeit auch das politische Weltgeschehen steuern könnten. Am Ende des Romans wird angedeutet, dass sich auch die Karriere Obamas letztlich dem Manuskript verdankt hätte - doch je näher die Erzählung der Gegenwart kommt, desto unglaubwürdiger wird selbst der geringste Einfluss philosophischer oder semiologischer Programme auf die Politik.
Was wäre heute jene "Zauberformel", jene "Gebrauchsanweisung", die eine epochale Präsidentschaftswahl entscheiden könnte? In den Wochen nach Trumps Sieg wurde viel über das sogenannte "Target Profiling" diskutiert, über die Manipulation der eingehenden Informationen auf jeder einzelnen Timeline in Sozialen Netzwerken; zudem stehen gerade die generalstabsmäßigen Angriffe russischer Computerspezialisten auf die Rechner der demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten zur Debatte. 2016 sind es also Hacker, Programmierer und Profile, denen man wahlentscheidende Bedeutung zuspricht, mit Hilfe der Steuerung grober Informationsmuster. In Binets Roman über das Jahr 1980 kommt diese Rolle Semiologen und ihren mikroskopischen wissenschaftlichen Analysen zu. "Die siebte Sprachfunktion" ist am Ende also eine beinahe rührende romantische Phantasie über die Macht des Intellektuellen, vorgetragen im Gewand eines um Rasanz bemühten, völlig überladenen Romans.
ANDREAS BERNARD
Laurent Binet: "Die siebte Sprachfunktion". Übersetzt von Kristian Wachinger. Rowohlt, 528 Seiten, 22,95 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Kerstin Klamroth schwärmt erst einmal ausführlich über Laurent Binets Intellektuellen-Krimi, der als "astreiner Whodunnit" in die Pariser Akademikerzirkel der achtziger Jahre führt. Wie sich herausstellt, war Roland Barthes' Unfalltod doch Mord, und entweder steckt der bulgarische Geheimdienst dahinter, die italienische Mafia oder ein internationaler Philosophenclub. Die Wahrheit muss der bodenständige Kommissar Bayard im Verbund mit einem hochtrabenden Jungphilosophen herausfinden, informiert Klamroth vergnügt, die am Ende allerdings einräumt, dass manche Leser die seitenlangen Theorie-Abhandlungen etwas ermüdend finden können.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Leser als Detektiv. Er wird zum Spurenleser, Bedeutungsschnüffler. Und seine Beziehung zum Text ist nicht nur intellektuell, sondern auch eine erotische Beziehung zum Textkörper, die 'Lust am Text', wie Barthes sagen würde. Davon handelt dieses vergnügliche Lehrstück: wie man aus einem guten Happen Theorie eine faszinierende Erzählung machen kann. FAZ.NET
Laurent Binet verwebt überaus kunstsinnig bis hin zu verrückt seine linguistischen Theorien mit einer Krimihandlung und Gesellschaftssatire. Film, Sound & Media
„Das Leben ist kein Roman.“ So lautet der erste Satz. Und mit diesem Satz erhält das Buch eine Ebene, die erst gegen Ende wieder aufgenommen wird, als der Autor darüber schreibt, wie es mit der zweiten Hauptfigur Simon weiter läuft.
Die erste Ebene dieses Buches ist …
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„Das Leben ist kein Roman.“ So lautet der erste Satz. Und mit diesem Satz erhält das Buch eine Ebene, die erst gegen Ende wieder aufgenommen wird, als der Autor darüber schreibt, wie es mit der zweiten Hauptfigur Simon weiter läuft.
Die erste Ebene dieses Buches ist eigentlich ein Krimi. Der französische Philosoph Roland Barthes wird 1980 von einem LKW überfahren und stirbt an den Folgen eines Unfalls, später stellt sich raus es war Mord.
Ihm wurde ein Manuskript entwendet, in dem es um die siebte Sprachfunktion ging. Und nun wird es sehr philosophisch. Denn der russische Philosoph Jakobson hat ein Modell mit 6 Sprachfunktionen beschrieben. Es soll aber noch eine siebte geben, die durch Worte Tatsachen schafft, wie z.B. in der Bibel: „Es werde Licht und es ward Licht.“
Nahezu alle großen französischen Sprachphilosophen tauchen auf, ja z.B. Derrida wird sogar ermordet, obwohl er im Leben weiterlebte. Ein anderer Philosoph verliert seine Eier, weil er im Logos-Club, einem Debattierclub, den Meister herausfordert und verliert. Das Leben ist eben kein Roman.
Auch die Politik kommt nicht zu kurz. Es geht um den Wahlkampf zwischen Giscard und Mitterand. Nebenbei lernt man auch noch was über Tennis der 80er Jahre, wobei ich glaube, dass der Autor Connors und McEnroe verwechselt.
Gut gevögelt wird natürlich auch, vor allem in Bologna und Ithaca.
Ein vielschichtiges Buch, bei dem aber gewisse philosophische Vorkenntnisse nicht schaden. Mir fehlen sie teilweise, daher kann ich nur 5 Sterne vergeben.
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Broschiertes Buch
Für den idealen Leser
Der französische Autor Laurent Binet nimmt in seinem satirischen Roman «Die siebte Sprachfunktion» seine Leser mit auf einen Parforceritt durch die Semiotik, in dem die Poststrukturalisten gehörig durch den Kakao gezogen werden. Der Romantitel …
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Für den idealen Leser
Der französische Autor Laurent Binet nimmt in seinem satirischen Roman «Die siebte Sprachfunktion» seine Leser mit auf einen Parforceritt durch die Semiotik, in dem die Poststrukturalisten gehörig durch den Kakao gezogen werden. Der Romantitel deutet auf die performative Funktion von Sprache hin, thematisiert wird hier also die Frage, inwieweit Sprache Realität herstellen kann. Ein einfaches Beispiel dazu: Mit dem Ausspruch «Ich eröffne die Versammlung» durch den Vorsitzenden tritt genau das ein, was er sagt, die Sprache schafft Fakten, die Versammlung ist tatsächlich eröffnet. Im Roman nun geht es darum, die von einem russischen Semiotiker perfektionierte siebte Sprachfunktion politisch zu nutzen, um damit Wahlen zu gewinnen, hier beim entscheidenden Rededuell um die französische Präsidentschaft mit dem sozialistischen Herausforderer François Mitterand.
Der in den 1980er Jahren angesiedelte, turbulente Plot versammelt alles, was Rang und Namen hat im Bereich der Semiotik, in einer geradezu burlesken Kriminalgeschichte, die den Tod von Roland Barthes, einem ihrer führenden Köpfe, kurzerhand zum Mordfall erklärt. Denn der Professor war im Besitz eines hochbrisanten Manuskripts, angeblich von dem russischen Linguisten Roman Jakobson verfasst, das den Schlüssel zur siebten Sprachfunktion bildet und eine mächtige Waffe darstellt in der Hand dessen, der es besitzt, es habe «die Sprengkraft einer Neutronenbombe». Bei seinem Verkehrsunfall muss das Papier dem berühmten Wissenschaftler, der just von einem Dinner mit François Mitterand kam, ganz offensichtlich entwendet worden sein. Kommissar Bayard ermittelt, nachdem der Schwerverletzte im Krankenhaus ermordet wird, in Intellektuellenkreisen, assistiert von Simon, einem Linguistik-Doktoranden mit Sherlock Holmesartiger Kombinationsgabe, der ihm im elitären Dschungel der Sprachwissenschaft die dringend benötigte Schützenhilfe geben soll.
In seiner ebenso aberwitzigen wie respektlosen Story, die über Paris, Bologna, Ithaka (USA) und Venedig bis nach Neapel führt, vermischt der Autor unbekümmert historische Realität mit tolldreister Fiktion. Er lässt sich die absurdesten Winkelzüge einfallen in einem Krimi, der im Wesentlichen als Vehikel dient für ausgiebige, teilweise auch ausufernde Streifzüge durch die Sprachwissenschaft. Wobei sein intellektuelles Personal aus namentlich benannten, realen Personen der Zeitgeschichte besteht, von denen viele noch leben. Wirklich erstaunlich, dass niemand von den Betroffenen gegen den Autor vorgegangen ist, niemand seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah. Aber das kann wohl nur daran liegen, dass die Satire hier deutlich erkennbar ist und niemals hämisch daherkommt, also immer wohlwollende Karikatur bleibt. Der bulgarische Geheimdienst, die Mafia, zwei mysteriöse Asiaten, eine weltweit operierende, intellektuelle Loge, bei der auch Umberto Eco Mitglied ist, sie alle spielen eine Rolle in der spannenden Geschichte. Und leitmotivisch taucht immer wieder der schwarze Citroen DS-19 vom Titelbild auf. Déesse also, die Göttin, in Deutschland liebevoll «Flunder» genannt, als automobiler Klassiker ein Wahrzeichen der «Mythen des Alltags», der auch in einem Essay von Roland Barthes thematisiert wurde.
Der ideale Leser nach poststrukturalistischer Lehre ist der detektivisch veranlagte Spurenleser, immer auf der Suche nach Bedeutungen, mit einer geradezu lustvollen Beziehung zum geschriebenen Wort. Binets kecke Farce ist für eben jenen Leser als vergnügliches Lehrstück über eine epochetypische Theorieseligkeit angelegt, deren Absurdität nur mit viel Humor zu goutieren ist. Er erzählt sprachlich perfekt und schnörkellos, zeichnet dabei jeweils stimmige Bilder, jagt auf wechselnden Schauplätzen von einer interessanten Szenerie zu anderen. Egal, ob man an seinen semiotischen Exkursen Gefallen findet als idealer Leser, an der temporeichen Kriminalstory oder an der köstlichen Satire, lesenswert ist der Roman in jedem Fall.
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