49,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Die Pflegeberufe bilden das personelle Rückgrat des Gesundheitswesens. Ihre Bedeutung in einer arbeitsteiligen, vom demographischen Wandel gezeichneten Gesellschaft wächst. Ihre politische Schlagkraft verhält sich dazu diametral. Die Pflegeberufe gelten als das "Aschenputtel" unter den Gesundheitsberufen. Nur 10% der Pflegekräfte sind in Berufsverbänden organisiert. Ihre Verbandsvertreter treten als "Feierabend-Funktionäre" hochprofessionellen Kammerstrukturen anderer Heilberufe gegenüber. Nach dem Vorbild anderer Berufsvertretungen wollen zahlreiche Bundesländer die Selbstorganisation der…mehr

Produktbeschreibung
Die Pflegeberufe bilden das personelle Rückgrat des Gesundheitswesens. Ihre Bedeutung in einer arbeitsteiligen, vom demographischen Wandel gezeichneten Gesellschaft wächst. Ihre politische Schlagkraft verhält sich dazu diametral. Die Pflegeberufe gelten als das "Aschenputtel" unter den Gesundheitsberufen. Nur 10% der Pflegekräfte sind in Berufsverbänden organisiert. Ihre Verbandsvertreter treten als "Feierabend-Funktionäre" hochprofessionellen Kammerstrukturen anderer Heilberufe gegenüber. Nach dem Vorbild anderer Berufsvertretungen wollen zahlreiche Bundesländer die Selbstorganisation der Pflegeberufe durch Gründung einer Pflegekammer professionalisieren. Dadurch sollen die Pflegeberufe eine hörbare Stimme im Konzert der Akteure des Gesundheitswesens erhalten. Doch die Pläne sind auch unter den Pflegenden umstritten. Die Pflegeberufe zeichnen sich gegenüber anderen, verkammerten Berufsgruppen durch strukturelle Besonderheiten aus. Ob die Kammerstruktur die hochgesteckten Erwartungen der Pflegenden erfüllen und ihre finanziellen und bürokratischen Lasten rechtfertigen kann, harrt einer kritischen verwaltungswissenschaftlichen und rechtlichen Analyse. Martini legt die erste umfassende monographische Untersuchung zu der Thematik vor.
Autorenporträt
Prof. Dr. Mario Martini ist seit 2010 Inhaber eines Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht an der Universität Speyer. Bis April 2010 hatte er eine Professur für Staats- und Verwaltungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Rufe an die Universitäten Augsburg, Passau und an die Leibniz Universität Hannover hat er abgelehnt. Im Jahr 2006 habilitierte er sich an der Bucerius Law School mit der Arbeit »Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung«. Im Jahre 1999 wurde er mit einer umweltrechtlichen Arbeit promoviert. Die Forschungsschwerpunkte von Mario Martini liegen im IT-Recht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht sowie im Öffentlichen Wirtschaftsrecht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2014

Streitfall Pflegekammer
Bevormundung oder Stärkung der Pflegekräfte?

Mehr als eine Million Menschen arbeiten in Deutschland in der Pflege, und es werden immer mehr, da die Zahl der Bedürftigen wächst. Die Pflegebranche gilt dem Sachverständigenrat "als die am meisten unterschätzte nationale Wachstumsbranche". Gleichzeitig wachsen aber auch die gesellschaftlichen Erwartungen an die Qualität der Versorgung. Immer mehr und immer bessere Pflege wird benötigt, aber Fachkräfte fehlen allerorten - auch weil das gesellschaftliche Ansehen des Berufsstandes nicht ihrer Verantwortung entspricht. In dieser Gemengelage haben Politiker und Lobbyisten die Idee der Pflegekammer geboren. Sie soll dafür sorgen, dass Pflegern endlich eine hinreichende Wertschätzung entgegengebracht wird.

Kritiker bezweifeln, dass diese Rechnung aufgeht, und vermuten ein anderes Interesse: Verbandsfunktionäre wollen zu Kammerfunktionären aufsteigen. Da die Bundesländer für die Einrichtung von Pflegekammern zuständig sind, toben in vielen Regionen zum Teil erbitterte Streitigkeiten. Gewerkschaften, manche Verbände, FDP und Linkspartei sind gegen der Deutsche Pflegerat, ein eingetragener Verein, und die Grünen sind für Pflegekammern. Die Haltung der Volksparteien unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland.

Zu Beginn stellen sich zwei Grundsatzfragen. Die erste betrifft die Rationalität von Kammern. Diese gibt es heutzutage für freie Berufe und Selbständige, aber nicht für abhängig Beschäftigte, wozu Pflegekräfte gehören. Weshalb will man Arbeitnehmer in das System der Kammern pressen? Eine zweite Frage stellt sich bei der Zulässigkeit der damit einhergehenden Pflichtmitgliedschaften, heutzutage etwa in den Industrie- und Handelskammern (IHK). Ein Erfolgsmodell sind sie in den Augen vieler Unternehmer nicht. Ihnen werden Selbstherrlichkeit, Verschwendungssucht und undemokratische Strukturen (etwa bei den Friedenswahlen als Wahlen ohne Wahlhandlung) vorgeworfen.

In diesen Monaten stellt deshalb das Bundesverfassungsgericht die Beitragspflicht auf den Prüfstand - übrigens zum ersten Mal seit 1962. Der Richterspruch aus Karlsruhe könnte den Blick auf den Status vieler Mitglieder von Pflichtverbänden verändern. Trotzdem treten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein aufs Gaspedal und bereiten die ersten Pflegekammern vor. Ob die unterbezahlten Fachkräfte über den zusätzlichen Monatsbeitrag beglückt sein werden? Hamburg hat entsprechende Pläne gerade begraben und kann nun hoffen, Pflegekräfte aus dem nördlichen Nachbarland abzuwerben. Attraktiv werden so jene Bundesländer, die ohne Beiträge für eine Pflegekammer auskommen. Andererseits könnte es Defizite in der Fortbildung geben, die eine eigene Kammer überwachen und zertifizieren dürfte.

Die Diskussion ist vielschichtig. Deshalb ist die erste unabhängige Studie "zur verwaltungspolitischen Sinnhaftigkeit und den rechtlichen Grenzen von Pflegekammern" zu begrüßen. Der Autor Mario Martini, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, benennt und hinterfragt versiert alle Argumente für und gegen Pflegekammern. Eine solche ließe sich jedenfalls rechtskonform ausgestalten. "Die größte Chance liegt in ihrem Aktivierungspotential. Im Idealfall kann sie der Pflege in einem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen eine starke Stimme als Gegenspieler verleihen und dadurch zu einer ausgewogeneren Verteilung der Kräfteverhältnisse beitragen." Andererseits warnt Martini: "Weder die dringend erhofften Verbesserungen der tariflichen Arbeitsbedingungen noch die politisch ausgelobte größere ideelle Anerkennung wird die Pflegekammer hervorbringen." Aus diesen Gründen sprechen sich seit langem drei der vier größten Verbände in der Physiotherapie gegen einen Kammerzwang aus. In der Tat bedarf es für die Einrichtung einer Zwangskörperschaft einer besonderen Rechtfertigung. Argumentiert wird meist damit, dass die Kammern einen Teil der staatlichen Aufgaben übertragen bekommen, vor allem in der Aus- und Fortbildung. Aber das entbindet nicht von der Pflicht, zu prüfen, ob diese Aufgaben sinnvoll und, falls ja, ob sie tatsächlich von einer Zwangskörperschaft zu organisieren sind. Wettbewerb könnte gut tun.

Martini weist in seiner Analyse auf eine weitere strukturelle Gefahr hin: "Für Kammerorganisationen, die durch einen hohen Anteil an Arbeitnehmern gekennzeichnet sind, ist eine enge personelle Verschränkung mit Gewerkschaften und Berufsverbänden typisch. Von dieser Koppelung kann eine Gefahr für die Vollständigkeit und Unparteilichkeit einhergehen." Ein Blick auf die Arbeitnehmerkammern, die im Saarland und in Bremen bestehen, nähre diese Befürchtung: "Dort sprechen auch Befürworter dieses Kammersystems von einer vollkommenen Personalunion."

Die Kammern können zwar von den Erfahrungen der Gewerkschafter profitieren, aber die Verwebung führt auch zu Dominanzrisiken. Manche sprechen von "Zwangsgewerkschaften". Daher kann es sich darüber nachzudenken lohnen, bestehende Verbände der Pflegebranche mit mehr Selbstverwaltungskraft auszustatten. Österreich ist diesen Weg gegangen und hat eine Entscheidung gegen die "Verkammerung" getroffen. Lediglich für die - selbständig tätigen - Hebammen wurde sie eingerichtet. In Großbritannien gibt es dagegen seit langem einer der Pflegekammer im Wesentlichen ähnliche Institution. Alle drei Jahre müssen sich dort Schwestern, Pfleger und Hebammen gebührenpflichtig registrieren. Ihr öffentliches Ansehen ist hoch. Das gilt freilich auch für Schweden, wo es keine Pflegekammer gibt. "Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Organisationsstruktur und dem Ansehen der Berufsgruppe lässt sich nur schwer ausmachen", folgert Martini. Auch die Europäische Union geht in ihrer Dienstleistungsrichtlinie davon aus, dass wirksame Konzepte zur Qualitätssicherung keineswegs zwingend aus der Feder von Organisationen mit Pflichtmitgliedschaft stammen müssen.

JOCHEN ZENTHÖFER

Mario Martini: Die Pflegekammer - verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen. Duncker & Humblot. Berlin 2014. 260 Seiten. 39,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Gerade wegen dieser kritischen Punkte ist das Werk sehr lesenswert und ein Gewinn in der Debatte um die Weiterentwicklung der Pflegelandschaft in Deutschland.« Prof. Dr. Ingo Heberlein, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 9/2015

»Das Buch ist ein wesentlicher Beitrag zur Diskussion um die nichtterritoriale Selbstverwaltung. Es ist in rechtsvergleichender Perspektive bedeutsam, weil in ihm sehr anschaulich die Voraussetzungen des deutschen Verfassungsrechts für die Errichtung von Kammern ausgeleuchnet werden. Und es ist aus verwaltungswissenschaftlichem Blickwinkel wichtig, weil in ihm breit die Gründe für die Schaffung von Kammern diskutiert und mit den Gegengründen abgewogen werden. Seine Lektüre kann jedem, der mit Fragen der beruflichen Selbstverwaltung befasst ist, nur empfohlen werden.« Ulrich E. Zellenberg, in: Zeitschrift für Verwaltung, 2/2015

»Das klar und gut geschriebene Buch bereichert die Diskussion um die funktionale Selbstverwaltung. Nicht nur für speziell an Fragen der Pflegekammern Interessierte, sondern ebenso allgemein im Hinblick auf die Zulässigkeit und Grenzen einer Zwangsmitgliedschaft und die Befugnisse von Kammern liefert das Buch reichen Ertrag.« Prof. Dr. Peter Axer, in: GewerbeArchiv, 1/2015

»Dieser Diskussionsprozess ist es, der der Berufsgruppe im Idealfall eine starke Stimme zu verleihen mag.« Redaktion, in: Gesundheit und Gesellschaft, 9/2014