Produktdetails
  • Verlag: Arche
  • ISBN-13: 9783716016480
  • Artikelnr.: 26238278
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2016

Eugène Ionesco
Die Bevölkerung einer kleinen, zivilisierten Stadt verwandelt sich Schritt für Schritt in eine Rotte von schnaubendenNashörnern. Gerade die ordentlichsten Mitbürger sind als erste dabei. Das Stück „Die Nashörner“ wurde 1959 in Düsseldorf in einer deutschen Verhältnissen angepassten Version uraufgeführt, noch vor dem französischen Original. Der Erfolg war enorm, bald avancierte es zur beliebten Schullektüre: Drama des Absurden! Es handle, so wurde uns beigebracht, von „Herdentrieb und Konformismus“ in einer Diktatur. Das ist nicht falsch, verharmlost das Drama aber. Denn eigentlich zeigt es, wie eine bürgerliche Gesellschaft Stück für Stück ihr Wutlevel anhebt, also das, was Peter Sloterdijk und sein der AfD zuarbeitender Schüler Marc Jongen den „thymotischen Zustand“ nennen.   „Ich koche innerlich“, brüllt eines der Nashörner. Dazu kommt der Übertritt in eine eigene Wahrheitssphäre. Die Presse, die über die Tiere berichten will, wird delegitimiert: „Alle Journalisten sind Lügner.“ Wer die verwandelten Mitbürger als „Saupack“ bezeichnet, muss sich zurechtweisen lassen: „So spricht man nicht zu Lebewesen.“ Man hat genug von Moral und Gutmenschentum: „Das Humane ist überholt.“ Vielleicht haben die Wutbürger einen Grund? Man sollte „mit ihnen sprechen“, „man muss immer versuchen zu verstehen“, heißt es. Wut und moralischer Relativismus gehen eine giftige Verbindung ein. Mit dem begriffslos schnaubenden Hass bricht die gesellschaftliche Kommunikation zusammen, und das ist viel, viel gruseliger als die Frage nach dem Konformismus.
G.S.
Eugène Ionesco: Die Nashörner. Aus dem Französischen von Clemens Bremer und H. R. Stauffacher. Fischer Taschenbuch, 112 S., 7,99 Euro.
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