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1945. Flucht aus Stettin in Richtung Westen. Ein kleiner Bahnhof irgendwo in Vorpommern. Helene hat ihren siebenjährigen Sohn durch die schweren Kriegsjahre gebracht. Nun, wo alles überstanden, alles möglich scheint, lässt sie ihn allein am Bahnsteig stehen und kehrt nie wieder zurück. Was hat sie dazu bewogen? Julia Franck nähert sich diesem Geheimnis mit großer Sensibilität und erzählt ein Leben, das in die Mühlen eines furchtbaren Jahrhunderts gerät. Geglückt sind ihr ein eindringliches Zeitepos und die Geschichte einer faszinierenden Frau.
In der Lausitz verlebt Helene eine idyllische Kindheit, die mit Ausbruch des ersten Weltkriegs jäh endet. Der Vater wird nach Osten geschickt und kehrt nur zum Sterben nach Hause zurück, die jüdische Mutter zieht sich zunehmend vor den Anfeindungen ihrer Umgebung in die Verwirrung zurück. Blind am Herzen nennt Helene das und fürchtet die zunehmende Kälte der Mutter, die ihre Töchter kaum mehr wahrzunehmen scheint. Helene möchte Medizin studieren, ein ungewöhnlicher Traum für eine Frau zu Beginn des Jahrhunderts. Nach dem Tod des Vaters zieht sie Anfang der zwanziger Jahre mit ihrer Schwester Martha nach Berlin, und während Martha ihrer Freundin Leontine wieder begegnet, lernt Helene Carl kennen. Als der kurz vor der Verlobung stirbt, verliert sie den Sinn für das Dasein. Sie flieht in die Arbeit und will das Leben überleben. Auf einem Fest stellt sich ein gewisser Wilhelm vor, er ist begeisterter Ingenieur, der Reichsautobahnen bauen und Helene heiraten möchte. Die schnell scheiternde Ehe mit ihm führt Helene nach Stettin, wo ihr Sohn zur Welt kommt. Die Liebe, die der kleine Junge fordert, die Nähe, die er sucht, werden ihr zunehmend unerträglich, und bald schon geht ihr der Gedanke vom Verschwinden nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich trifft sie eine ungeheuerliche Entscheidung.
Zwei Weltkriege, Hoffnungen, Einsamkeit und Liebe - und die Erkenntnis, dass alles verloren gehen kann. Julia Franck erzählt ein Leben, das in die Mühlen einer furchtbaren Zeit gerät. Ein ungewöhnlicher Familienroman, ein eindringliches Zeitepos und die Geschichte einer faszinierenden Frau.
Zwei Weltkriege, Hoffnungen, Einsamkeit und Liebe - und die Erkenntnis, dass alles verloren gehen kann. Julia Franck erzählt ein Leben, das in die Mühlen einer furchtbaren Zeit gerät. Ein ungewöhnlicher Familienroman, ein eindringliches Zeitepos und die Geschichte einer faszinierenden Frau.
Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt 'Der neue Koch', danach 'Liebediener' (1999), 'Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen' (2000) und 'Lagerfeuer' (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman 'Die Mittagsfrau' erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 35 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien der Roman 'Rücken an Rücken' (2011). Julia Francks Roman 'Lagerfeuer' wurde 2012/13 für das Kino unter der Regie von Christian Schwochow unter dem Titel 'Westen' verfilmt.Literaturpreise:1995 Siegerin beim Open Mike-Wettbewerb1998 Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste1999 Stipendium der Stiftung Niedersachsen2000 3sat-Preis in Klagenfurt2004 Marie Luise Kaschnitz Preis2005 "Roswitha Preis" der Stadt Bad Gandersheim2007 Deutscher Buchpreis2010 war die englische Ausgabe der 'Mittagsfrau' auf der Short
list des Independent Foreign Fiction Prize und auf der Shortlist des 'Jewish Quaterly' sowie für den internationalen IMPAC nominiert.
list des Independent Foreign Fiction Prize und auf der Shortlist des 'Jewish Quaterly' sowie für den internationalen IMPAC nominiert.

© Mathias Bothor / photoselection
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- 11. Aufl.
- Seitenzahl: 432
- Erscheinungstermin: September 2007
- Deutsch
- Abmessung: 205mm x 125mm
- Gewicht: 530g
- ISBN-13: 9783100226006
- ISBN-10: 3100226003
- Artikelnr.: 22793297
Herstellerkennzeichnung
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Das kalte Herz
Was ist eine Familie? Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" rührt an eine Schicksalsfrage unserer Gesellschaft / Von Edo Reents
Wenn wir über Familie sprechen, dann geht es meistens um zwei Fragen: Wo kann man tagsüber sein Kind abgeben? Und was ist, wenn sich die Eltern nicht mehr verstehen? Jetzt kommt eine Siebenunddreißigjährige aus Berlin daher und zeigt uns, was passiert, wenn mit den Banden zwischen Eltern und leiblichen Kindern, die wir für viel elementarer halten als die etabliertesten Patchwork-Strukturen, etwas nicht stimmt. Zwar wissen wir schon aus der Bibel, dass Kinder ausgesetzt werden, und aus den Kindsmördergeschichten des achtzehnten Jahrhunderts kennen wir noch Schlimmeres - aber
Was ist eine Familie? Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" rührt an eine Schicksalsfrage unserer Gesellschaft / Von Edo Reents
Wenn wir über Familie sprechen, dann geht es meistens um zwei Fragen: Wo kann man tagsüber sein Kind abgeben? Und was ist, wenn sich die Eltern nicht mehr verstehen? Jetzt kommt eine Siebenunddreißigjährige aus Berlin daher und zeigt uns, was passiert, wenn mit den Banden zwischen Eltern und leiblichen Kindern, die wir für viel elementarer halten als die etabliertesten Patchwork-Strukturen, etwas nicht stimmt. Zwar wissen wir schon aus der Bibel, dass Kinder ausgesetzt werden, und aus den Kindsmördergeschichten des achtzehnten Jahrhunderts kennen wir noch Schlimmeres - aber
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wie es ist, wenn eine Mutter ihr Kind nun einmal nicht liebt, das wird in der Literatur selten verhandelt; das ist eher Stoff für die vermischten Meldungen in der Zeitung.
Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" bringt die Begriffe, die wir uns unter dem Beschuss durch wohlmeinende politische Verlautbarungsprosa von "Familie" mittlerweile gebildet haben, so gehörig durcheinander, dass wir am Ende nicht mehr wissen, was das überhaupt ist und ob es das noch gibt. Worum es hier geht, ist von dem kleinsten gemeinsamen politischen Nenner, auf den man sich unter dem Regiment einer Familienministerin vielleicht einigen könnte, genauso weit entfernt wie von den Ideen einer Eva Herman. Julia Francks Buch ist keine Lach- und Sachgeschichte zum Dauerthema der vergangenen Jahre; es zeigt vielmehr, dass Literatur etwas verhandeln kann, worauf sich die nichtbelletristische Befassung nur ungern einlässt: uns den Blick schärfen für Abgründe, für die weder das Fortschrittliche noch das Rückständige eine Kategorie ist und die von Erwägungen sozialer Wünschbarkeit nicht erreicht werden.
Man könnte das Buch deshalb auch als Anti-Familien-Roman bezeichnen, wenn man durch das lächerliche "Anti-" nicht gleich jene Einstellung verriete, die auch beim "Antikriegsfilm" immer gleich betonen will, man sei "dagegen": dass Krieg geführt wird, wie man natürlich auch dagegen ist, dass Familien zerbrechen. Aber es passiert ja trotzdem. Noch weniger wird man es gutheißen, wenn eine Mutter ihren kleinen Sohn aussetzt wie einst Moses im Schilf. Auf dergleichen Monstrositäten stoßen wir zwar regelmäßig in Schreckensmeldungen, aber wir halten solche Fälle auf Abstand, indem wir die Protagonisten einfach für unzurechnungsfähig erklären.
Damit kommen wir hier nicht weit. Helene Würsich, die Heldin, schlägt sich mit enormer Leidensfähigkeit durch vier Jahrzehnte, aber unzurechnungsfähig ist sie nicht; sie hat nur ein kaltes beziehungsweise ein nach verschiedenen seelischen Verletzungen erkaltetes Herz. Der Roman, dessen Titel auf eine Sagengestalt in der Lausitz anspielt, hält solche Zumutungen bereit, dass von Rechts wegen das Jugendamt zum Einschreiten gezwungen wäre - wenn es Zugriff auf literarische Phantasien hätte. Er handelt, im Wesentlichen, davon, wie zwei Töchter ihre Mutter im Stich lassen und wie eine dieser Töchter dann später ihren eigenen Sohn im Stich lässt. Wenn der Fischer Verlag das Buch als "Familienroman" bezeichnet, dann wird man bei der Formulierung des Klappentextes kaum die Definition im Ohr gehabt haben, welche die Christlich-Demokratische Union ausgegeben hat: "Familie ist dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung übernehmen."
Was ist nämlich, wenn diese Verantwortung gar nicht übernommen wird - gibt es dann auch keine Familie? Und was bedeutet überhaupt "Verantwortung"? In diesem Roman bedeutet sie, unter anderem, dass ein junges Mädchen dem Vater, der schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimkommt, eine gute Wundärztin ist und den fauligen Stumpf, der vom abgeschossenen Bein noch übrig ist und in dem sich die Maden schon eingenistet haben, säubert, während der Gestank kaum auszuhalten ist.
Am Anfang der Erzählung, während der letzten Kriegswochen, schlägt Helene sich mit dem sechsjährigen Peter zu einem Bahnhof irgendwo in Nordostdeutschland durch. Der Bahnsteig ist voller Menschen, die auf der Flucht vor der Roten Armee sind. Peter sagt: "Ich hab' Hunger." Und Helene sagt: "Ich bin gleich zurück, wart hier." Peter sagt: "Ich komm' mit." Aber Helene will nicht: "Lass mich los, Peter." Sie drückt ihn auf die Bank zurück, geht weg und kommt nicht wieder.
Was ist das? Einfach bloß Grausamkeit? Oder ist die Mutter verflucht wie Adrian Leverkühn und darf nicht lieben? Dann hätte sie ja richtig gehandelt, indem sie ihren Sohn ihrem Einfluss entzieht; der kleine Peter soll schließlich nicht enden wie Nepomuk Schneidewein. Aber diese Geschichte kommt ohne Hexerei aus. Am Ende, an einem Novembertag 1956 will Helene ihren Sohn, der auf dem Bauernhof von Onkel und Tante bei Rostock untergekommen ist, wo er in jeder Hinsicht und fast wie ein Hund an der kurzen Leine gehalten wird, wiedersehen; aber jetzt will Peter nicht mehr: "Er wollte sie sein Leben lang nicht mehr sehen."
Ein fast eiserner Wille, nur ja keine Sentimentalität aufkommen zu lassen, der schon Julia Francks 2003 erschienenen Roman "Lagerfeuer" zu einem Vergnügen machte, erlaubt es, dass man diesen Roman neben die Beispiele großer realistischer, unerbittlicher Prosa stellt. Man wird einschränken müssen, dass die vierhundert Seiten, die zwischen den beiden Ereignissen liegen, über eine geringere stilistische Sicherheit und Selbstverständlichkeit verfügen. Doch die klassische erzählerische Klammer aus Prolog und Epilog umfängt das, was den autobiographischen Kern dieses außergewöhnlichen Romans ausmacht: Das Schicksal des kleinen Peter hat Julia Franck bei ihrem eigenen Vater geborgt. Das und ihre schriftstellerische Einfühlung verschaffen dem Buch eine ganz und gar eigenständige Überzeugungskraft. Es führt uns in jene unheimlichen menschlichen Tiefenschichten, über die eine politisch-gesellschaftliche, also wertende Aussage nicht getroffen werden kann.
Die Geschichte fängt so an: Ernst Ludwig, ein Druckereifabrikant in Bautzen kurz vor dem Ersten Weltkrieg, führt mit seiner Frau Selma und den Töchtern Martha und Helene ein Leben, dem es äußerlich an nichts mangelt, das innerlich aber längst verödet ist. Die jüdische Mutter gibt sich einem Außenseitertum von seidener Affektiertheit hin, wortlos, ichbezogen, verwöhnt, verhärmt; eine schauerromantische Dachkammerexistenz, auf deren Grund die Trauer um die bei der Geburt verstorbenen Söhne lagert, die sie so gerne gehabt hätte. Kein Wunder, dass es ihr die Töchter nicht recht machen können. Helene, der dies noch weniger gelingt als ihrer älteren Schwester, wird später ihren eigenen Sohn dafür büßen lassen.
Es gibt solche Fälle, in denen ein Muttertier ihr Junges verstößt, weil sie es buchstäblich nicht riechen kann und ihr jede Berührung unerträglich ist. Wahrscheinlich gibt es das auch unter Menschen. Julia Franck, die bekannt ist für ihren wirkungsvollen schriftstellerischen Umgang mit Gerüchen und Körperkontakten, legt diesen Schluss nahe und lässt Helenes Abwehrreflexe fast schon zu einer Form von Kindesmisshandlung werden: "Lass mich los, Peter!" Dies muss auf eine lesende Öffentlichkeit, die sich über frühkindliche Erziehung vermutlich mehr Gedanken macht als irgendeine vor ihr, wie eine Provokation wirken.
Die Mittagsfrau schreitet auf dem Weg zur inneren Verhärtung und Verhärmung jedenfalls voran, durch die Jahrzehnte hindurch. Nach dem Tod des Vaters zieht Helene mit ihrer Schwester nach Berlin zu Tante Fanny, der Schwester der Mutter, die selbst in Bautzen zurückbleibt und den Nationalsozialismus am Ende nicht überlebt. Die Roaring Twenties halten auch für diese Lausitzer Mädchen nicht nur den Beruf als Krankenschwester, sondern auch die ganze Palette aus Partys, Drogen, zweifelhaften Bekanntschaften und natürlich deutlich mehr Kultur bereit, der sich indes nur Martha richtig hingibt, die hier ihrer Bautzener Freundin Leontine in jeder Hinsicht verfällt. Helene stellt sich linkischer an und schlüpft wie selbstverständlich in die Rolle der missachteten Nichte.
Vermutlich ist über Berlin schon zu viel gesagt und zusammenphantasiert worden; die Passagen, die hier spielen, gehören jedenfalls nicht zu den stärksten. Die Weltstadtatmosphäre wirkt in ihrer Schwülheit vorhersehbar und doch seltsam konstruiert; das gesellschaftliche Getriebe vermittelt eine Aufbruchsstimmung, von der freilich niemand zu sagen weiß, wohin sie führen soll. Helene tendiert Richtung Geist, der ihr in Gestalt des (jüdischen) Philosophiestudenten Carl Wertheimer begegnet; und wenn man die doch recht hölzernen Gespräche der Liebenden eine Weile mit angehört hat, dann muss man es aus Gründen des literarischen Geschmacks begrüßen, dass sie so abrupt abbrechen: Kurz nach der Verlobung verunglückt Wertheimer tödlich. Von nun an ist Helene innerlich versteinert. Und damit geht die Geschichte noch einmal so richtig los.
Noch in Berlin lernt Helene Wilhelm kennen. Die beiden heiraten und bekommen 1939 ein Kind: Peter. Es ist eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten, aber diese Konstellation kommt einem sehr heutig vor: "Wilhelm und Helene sahen zum Kinderwagen. Wir finden eine Betreuung, sagte Wilhelm mit seinem strotzenden Lächeln. Die Personaldienstleitende nickte und schloss ihre Tür."
Was sich wie ein Versatzstück aus einem Problemfilm unserer Gegenwart liest, ist in Wirklichkeit das nebensächliche Detail einer Ehe, in der ganz andere Kräfte wirksam sind als das Bedürfnis nach weiblicher Selbstverwirklichung. Helene und Wilhelm finden eine Betreuung, aber damit wird noch lange nicht alles gut. Genaugenommen wird hier gar nichts mehr gut, von Anfang an ist der Wurm drin, wie die Made in der Wunde von Vater Würsich. Wilhelm ist nämlich kein Softie, der hinterm Kinderwagen herläuft und sich pausenlos Gedanken über seine Frau macht; er ist als Ingenieur eine tragende Säule beim Reichsautobahnbau kurz vor den Olympischen Spielen und gegenüber Helene nicht zimperlich.
Die nüchterne Härte, in der diese Ehe geschildert wird, gehört zu den Glanzstücken des Romans, der sich auch sonst jede Parteinahme in souveräner erzählerischer Distanz verkneift. Und es ist einer bemerkenswerten Differenzierungskunst geschuldet, dass Wilhelm, dieser im Ganzen doch recht überzeugte Nationalsozialist, den Begriff der Blutschande völlig überraschend und doch glaubwürdig versteht: Nicht weil seine Frau Halbjüdin ist, verstößt er sie - im Gegenteil, er hat ihr sogar noch falsche Papiere besorgt -, sondern, weil sich in der Hochzeitsnacht herausstellt, dass er nicht ihr erster Liebhaber ist.
Man könnte nun sagen: jüdische Identität, starke Frau, Berlin, Nachkriegsdeutschland - das ist etwas zu viel des Guten, so was wollen wir jetzt nicht mehr lesen. Aber der Stoff ist hier Nebensache. Julia Franck geht es, vermutlich, darum zu zeigen, wie banal auch das Ungeheuerliche ist: Gleichgültigkeit, physische Aversionen - daraus sind Familienschicksale im Grunde gemacht. Ideologien wirken da nur von ferne herein. Nicht zufällig wird hier das Kriegsgeschehen weitgehend ausgeblendet. Das Wesentliche, sagt ein Sprichwort, kann man nicht sehen, es ist unsichtbar und nur dem Herzen zugänglich. Bei Julia Franck kann man es mit Händen förmlich greifen, mit der Nase riechen. Aber es entzieht sich, anders als die wohlmeinendste Familienpolitik, jeder Diskussion.
"Die Mittagsfrau" ist, trotz der stilistischen Mängel in der ersten Hälfte, ein großer Roman über das Schweigen, dessen zentraler Satz lautet: "Helene konnte gut schweigen, er würde schon sehen." Wilhelm muss die Zähigkeit seiner Frau schließlich auch anerkennen. Helene hatte aus der kurzen Glücksphase mit dem Philosophiestudenten Hofmannsthals Erkenntnis von der Hinfälligkeit der Wörter, die wie modrige Pilze im Mund zerfallen, herübergerettet in ihr weiteres karges Leben. Kurz vor dem Ende, in einer ungeheuerlichen Szene, sammelt sie mit Peter im Wald Pilze und will ihn hier eigentlich schon abschütteln. In einer verzweifelten Übersprunghandlung beglaubigt sie dann aber sehr konkret die Sprachkritik des "Chandos"-Briefs: "Helene griff nach einem Pilz, brach ihn und steckte ihn ganz in den Mund, das mürbe, feste Fleisch zerfiel fast auf der Zunge, was für ein Genuss." Kurz zuvor haben Mutter und Sohn einen Viehwaggon auf dem Gleis stehen sehen: "Ein sinnesbetäubender Gestank wehte ihnen entgegen. Nach Aas stank es, nach Urin und Exkrementen." Es sind Menschen darin, über die Peter in kindlich-grausamer Ahnungslosigkeit ein Juden-Hetzlied gesungen hatte. Das Märchen vom kalten Herzen, das Helene ihm einst vorgelesen hat, ist damit noch lange nicht zu Ende. Wir wüssten gerne, was aus Peter wird.
Julia Franck: "Die Mittagsfrau". Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2007. 430 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" bringt die Begriffe, die wir uns unter dem Beschuss durch wohlmeinende politische Verlautbarungsprosa von "Familie" mittlerweile gebildet haben, so gehörig durcheinander, dass wir am Ende nicht mehr wissen, was das überhaupt ist und ob es das noch gibt. Worum es hier geht, ist von dem kleinsten gemeinsamen politischen Nenner, auf den man sich unter dem Regiment einer Familienministerin vielleicht einigen könnte, genauso weit entfernt wie von den Ideen einer Eva Herman. Julia Francks Buch ist keine Lach- und Sachgeschichte zum Dauerthema der vergangenen Jahre; es zeigt vielmehr, dass Literatur etwas verhandeln kann, worauf sich die nichtbelletristische Befassung nur ungern einlässt: uns den Blick schärfen für Abgründe, für die weder das Fortschrittliche noch das Rückständige eine Kategorie ist und die von Erwägungen sozialer Wünschbarkeit nicht erreicht werden.
Man könnte das Buch deshalb auch als Anti-Familien-Roman bezeichnen, wenn man durch das lächerliche "Anti-" nicht gleich jene Einstellung verriete, die auch beim "Antikriegsfilm" immer gleich betonen will, man sei "dagegen": dass Krieg geführt wird, wie man natürlich auch dagegen ist, dass Familien zerbrechen. Aber es passiert ja trotzdem. Noch weniger wird man es gutheißen, wenn eine Mutter ihren kleinen Sohn aussetzt wie einst Moses im Schilf. Auf dergleichen Monstrositäten stoßen wir zwar regelmäßig in Schreckensmeldungen, aber wir halten solche Fälle auf Abstand, indem wir die Protagonisten einfach für unzurechnungsfähig erklären.
Damit kommen wir hier nicht weit. Helene Würsich, die Heldin, schlägt sich mit enormer Leidensfähigkeit durch vier Jahrzehnte, aber unzurechnungsfähig ist sie nicht; sie hat nur ein kaltes beziehungsweise ein nach verschiedenen seelischen Verletzungen erkaltetes Herz. Der Roman, dessen Titel auf eine Sagengestalt in der Lausitz anspielt, hält solche Zumutungen bereit, dass von Rechts wegen das Jugendamt zum Einschreiten gezwungen wäre - wenn es Zugriff auf literarische Phantasien hätte. Er handelt, im Wesentlichen, davon, wie zwei Töchter ihre Mutter im Stich lassen und wie eine dieser Töchter dann später ihren eigenen Sohn im Stich lässt. Wenn der Fischer Verlag das Buch als "Familienroman" bezeichnet, dann wird man bei der Formulierung des Klappentextes kaum die Definition im Ohr gehabt haben, welche die Christlich-Demokratische Union ausgegeben hat: "Familie ist dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung übernehmen."
Was ist nämlich, wenn diese Verantwortung gar nicht übernommen wird - gibt es dann auch keine Familie? Und was bedeutet überhaupt "Verantwortung"? In diesem Roman bedeutet sie, unter anderem, dass ein junges Mädchen dem Vater, der schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimkommt, eine gute Wundärztin ist und den fauligen Stumpf, der vom abgeschossenen Bein noch übrig ist und in dem sich die Maden schon eingenistet haben, säubert, während der Gestank kaum auszuhalten ist.
Am Anfang der Erzählung, während der letzten Kriegswochen, schlägt Helene sich mit dem sechsjährigen Peter zu einem Bahnhof irgendwo in Nordostdeutschland durch. Der Bahnsteig ist voller Menschen, die auf der Flucht vor der Roten Armee sind. Peter sagt: "Ich hab' Hunger." Und Helene sagt: "Ich bin gleich zurück, wart hier." Peter sagt: "Ich komm' mit." Aber Helene will nicht: "Lass mich los, Peter." Sie drückt ihn auf die Bank zurück, geht weg und kommt nicht wieder.
Was ist das? Einfach bloß Grausamkeit? Oder ist die Mutter verflucht wie Adrian Leverkühn und darf nicht lieben? Dann hätte sie ja richtig gehandelt, indem sie ihren Sohn ihrem Einfluss entzieht; der kleine Peter soll schließlich nicht enden wie Nepomuk Schneidewein. Aber diese Geschichte kommt ohne Hexerei aus. Am Ende, an einem Novembertag 1956 will Helene ihren Sohn, der auf dem Bauernhof von Onkel und Tante bei Rostock untergekommen ist, wo er in jeder Hinsicht und fast wie ein Hund an der kurzen Leine gehalten wird, wiedersehen; aber jetzt will Peter nicht mehr: "Er wollte sie sein Leben lang nicht mehr sehen."
Ein fast eiserner Wille, nur ja keine Sentimentalität aufkommen zu lassen, der schon Julia Francks 2003 erschienenen Roman "Lagerfeuer" zu einem Vergnügen machte, erlaubt es, dass man diesen Roman neben die Beispiele großer realistischer, unerbittlicher Prosa stellt. Man wird einschränken müssen, dass die vierhundert Seiten, die zwischen den beiden Ereignissen liegen, über eine geringere stilistische Sicherheit und Selbstverständlichkeit verfügen. Doch die klassische erzählerische Klammer aus Prolog und Epilog umfängt das, was den autobiographischen Kern dieses außergewöhnlichen Romans ausmacht: Das Schicksal des kleinen Peter hat Julia Franck bei ihrem eigenen Vater geborgt. Das und ihre schriftstellerische Einfühlung verschaffen dem Buch eine ganz und gar eigenständige Überzeugungskraft. Es führt uns in jene unheimlichen menschlichen Tiefenschichten, über die eine politisch-gesellschaftliche, also wertende Aussage nicht getroffen werden kann.
Die Geschichte fängt so an: Ernst Ludwig, ein Druckereifabrikant in Bautzen kurz vor dem Ersten Weltkrieg, führt mit seiner Frau Selma und den Töchtern Martha und Helene ein Leben, dem es äußerlich an nichts mangelt, das innerlich aber längst verödet ist. Die jüdische Mutter gibt sich einem Außenseitertum von seidener Affektiertheit hin, wortlos, ichbezogen, verwöhnt, verhärmt; eine schauerromantische Dachkammerexistenz, auf deren Grund die Trauer um die bei der Geburt verstorbenen Söhne lagert, die sie so gerne gehabt hätte. Kein Wunder, dass es ihr die Töchter nicht recht machen können. Helene, der dies noch weniger gelingt als ihrer älteren Schwester, wird später ihren eigenen Sohn dafür büßen lassen.
Es gibt solche Fälle, in denen ein Muttertier ihr Junges verstößt, weil sie es buchstäblich nicht riechen kann und ihr jede Berührung unerträglich ist. Wahrscheinlich gibt es das auch unter Menschen. Julia Franck, die bekannt ist für ihren wirkungsvollen schriftstellerischen Umgang mit Gerüchen und Körperkontakten, legt diesen Schluss nahe und lässt Helenes Abwehrreflexe fast schon zu einer Form von Kindesmisshandlung werden: "Lass mich los, Peter!" Dies muss auf eine lesende Öffentlichkeit, die sich über frühkindliche Erziehung vermutlich mehr Gedanken macht als irgendeine vor ihr, wie eine Provokation wirken.
Die Mittagsfrau schreitet auf dem Weg zur inneren Verhärtung und Verhärmung jedenfalls voran, durch die Jahrzehnte hindurch. Nach dem Tod des Vaters zieht Helene mit ihrer Schwester nach Berlin zu Tante Fanny, der Schwester der Mutter, die selbst in Bautzen zurückbleibt und den Nationalsozialismus am Ende nicht überlebt. Die Roaring Twenties halten auch für diese Lausitzer Mädchen nicht nur den Beruf als Krankenschwester, sondern auch die ganze Palette aus Partys, Drogen, zweifelhaften Bekanntschaften und natürlich deutlich mehr Kultur bereit, der sich indes nur Martha richtig hingibt, die hier ihrer Bautzener Freundin Leontine in jeder Hinsicht verfällt. Helene stellt sich linkischer an und schlüpft wie selbstverständlich in die Rolle der missachteten Nichte.
Vermutlich ist über Berlin schon zu viel gesagt und zusammenphantasiert worden; die Passagen, die hier spielen, gehören jedenfalls nicht zu den stärksten. Die Weltstadtatmosphäre wirkt in ihrer Schwülheit vorhersehbar und doch seltsam konstruiert; das gesellschaftliche Getriebe vermittelt eine Aufbruchsstimmung, von der freilich niemand zu sagen weiß, wohin sie führen soll. Helene tendiert Richtung Geist, der ihr in Gestalt des (jüdischen) Philosophiestudenten Carl Wertheimer begegnet; und wenn man die doch recht hölzernen Gespräche der Liebenden eine Weile mit angehört hat, dann muss man es aus Gründen des literarischen Geschmacks begrüßen, dass sie so abrupt abbrechen: Kurz nach der Verlobung verunglückt Wertheimer tödlich. Von nun an ist Helene innerlich versteinert. Und damit geht die Geschichte noch einmal so richtig los.
Noch in Berlin lernt Helene Wilhelm kennen. Die beiden heiraten und bekommen 1939 ein Kind: Peter. Es ist eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten, aber diese Konstellation kommt einem sehr heutig vor: "Wilhelm und Helene sahen zum Kinderwagen. Wir finden eine Betreuung, sagte Wilhelm mit seinem strotzenden Lächeln. Die Personaldienstleitende nickte und schloss ihre Tür."
Was sich wie ein Versatzstück aus einem Problemfilm unserer Gegenwart liest, ist in Wirklichkeit das nebensächliche Detail einer Ehe, in der ganz andere Kräfte wirksam sind als das Bedürfnis nach weiblicher Selbstverwirklichung. Helene und Wilhelm finden eine Betreuung, aber damit wird noch lange nicht alles gut. Genaugenommen wird hier gar nichts mehr gut, von Anfang an ist der Wurm drin, wie die Made in der Wunde von Vater Würsich. Wilhelm ist nämlich kein Softie, der hinterm Kinderwagen herläuft und sich pausenlos Gedanken über seine Frau macht; er ist als Ingenieur eine tragende Säule beim Reichsautobahnbau kurz vor den Olympischen Spielen und gegenüber Helene nicht zimperlich.
Die nüchterne Härte, in der diese Ehe geschildert wird, gehört zu den Glanzstücken des Romans, der sich auch sonst jede Parteinahme in souveräner erzählerischer Distanz verkneift. Und es ist einer bemerkenswerten Differenzierungskunst geschuldet, dass Wilhelm, dieser im Ganzen doch recht überzeugte Nationalsozialist, den Begriff der Blutschande völlig überraschend und doch glaubwürdig versteht: Nicht weil seine Frau Halbjüdin ist, verstößt er sie - im Gegenteil, er hat ihr sogar noch falsche Papiere besorgt -, sondern, weil sich in der Hochzeitsnacht herausstellt, dass er nicht ihr erster Liebhaber ist.
Man könnte nun sagen: jüdische Identität, starke Frau, Berlin, Nachkriegsdeutschland - das ist etwas zu viel des Guten, so was wollen wir jetzt nicht mehr lesen. Aber der Stoff ist hier Nebensache. Julia Franck geht es, vermutlich, darum zu zeigen, wie banal auch das Ungeheuerliche ist: Gleichgültigkeit, physische Aversionen - daraus sind Familienschicksale im Grunde gemacht. Ideologien wirken da nur von ferne herein. Nicht zufällig wird hier das Kriegsgeschehen weitgehend ausgeblendet. Das Wesentliche, sagt ein Sprichwort, kann man nicht sehen, es ist unsichtbar und nur dem Herzen zugänglich. Bei Julia Franck kann man es mit Händen förmlich greifen, mit der Nase riechen. Aber es entzieht sich, anders als die wohlmeinendste Familienpolitik, jeder Diskussion.
"Die Mittagsfrau" ist, trotz der stilistischen Mängel in der ersten Hälfte, ein großer Roman über das Schweigen, dessen zentraler Satz lautet: "Helene konnte gut schweigen, er würde schon sehen." Wilhelm muss die Zähigkeit seiner Frau schließlich auch anerkennen. Helene hatte aus der kurzen Glücksphase mit dem Philosophiestudenten Hofmannsthals Erkenntnis von der Hinfälligkeit der Wörter, die wie modrige Pilze im Mund zerfallen, herübergerettet in ihr weiteres karges Leben. Kurz vor dem Ende, in einer ungeheuerlichen Szene, sammelt sie mit Peter im Wald Pilze und will ihn hier eigentlich schon abschütteln. In einer verzweifelten Übersprunghandlung beglaubigt sie dann aber sehr konkret die Sprachkritik des "Chandos"-Briefs: "Helene griff nach einem Pilz, brach ihn und steckte ihn ganz in den Mund, das mürbe, feste Fleisch zerfiel fast auf der Zunge, was für ein Genuss." Kurz zuvor haben Mutter und Sohn einen Viehwaggon auf dem Gleis stehen sehen: "Ein sinnesbetäubender Gestank wehte ihnen entgegen. Nach Aas stank es, nach Urin und Exkrementen." Es sind Menschen darin, über die Peter in kindlich-grausamer Ahnungslosigkeit ein Juden-Hetzlied gesungen hatte. Das Märchen vom kalten Herzen, das Helene ihm einst vorgelesen hat, ist damit noch lange nicht zu Ende. Wir wüssten gerne, was aus Peter wird.
Julia Franck: "Die Mittagsfrau". Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2007. 430 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tobias Rüther geht in seiner Besprechung in der Sonntags-FAZ ziemlich harsch mit Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" ins Gericht, der das Thema Emanzipation und lesbische Liebe in der Zwischenkriegszeit behandelt. In erster Linie stört ihn Francks gestelzte Sprache, die noch die schrecklichsten Ereignisse wie Missbrauch, Vergewaltigung und Tod nicht wirklich beim Namen nennt. Er spricht in diesem Zusammenhang kritisch vom "Phänomen der wattierten Beschreibung" und der "Samtschatulle" von Francks Wortschatz, den er schließlich fast zum Lachen findet. Auch mit der Geschichte von Helene, die einen brutalen Nazi heiratet und ihren Sohn weggibt, weiß er nicht viel anzufangen. Auch warum die Autorin das Berlin der zwanziger Jahre noch einmal beschwören muss, zumal auf eine spießige, papierene Weise, die jeden Augenblick das Angelesene verrät, erschließt sich ihm nicht. Die männlichen Figuren wie auch die Begegnung der Geschlechter muten ihm klischeehaft an. Zum Ende hin stößt er auf Passagen, die er nicht nur für "traurig", sondern sogar für "ergreifend" hält, wenn etwa die innere Erstarrung Helenes geschildert wird. Aber das kann das Buch für ihn auch nicht mehr retten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Mir hat "Die Mittagsfrau" von Julia Franck den Atem geraubt
Es ist eine spannende Geschichte, die erzählt wird. Die Charaktere sind überwiegend glaubwürdig geschildert. Doch letztlich wird für mich nicht überzeugend beschrieben, warum Helene ihr Kind irgendwo einfach aussetzt, warum ihre Schwester wichtiger ist. Warum Helene ihr …
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Es ist eine spannende Geschichte, die erzählt wird. Die Charaktere sind überwiegend glaubwürdig geschildert. Doch letztlich wird für mich nicht überzeugend beschrieben, warum Helene ihr Kind irgendwo einfach aussetzt, warum ihre Schwester wichtiger ist. Warum Helene ihr Leben nur erduldet. Und alle anderen Frauen im Roman ebenfalls.
Es gibt trotz des Aufbruchs und neuer Möglichkeiten in der Weimarer Republik keine wirkliche Freude für Helene - und die anderen Frauengestalten.
So darf ein Roman natürlich sein. Doch ich finde ihn zu deprimierend.
Und manche Passagen lesen sich nicht gut. Wie in einem Dreigroschenroman. Andere wiederum sind hervorragend. Darum ein gutes, aber kein ausgezeichnetes Buch.
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Antworten 8 von 16 finden diese Rezension hilfreich
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Das Buch ist sehr nah dran am wirklichen Leben! Vieles von dem, was mir ältere Verwandte - immer die Frauen übrigens, die Männer glorifizierten gern die Kriegs- und Fluchtzeit - berichteten, fand ich packend und stilistisch souverän erzählt in diesem Buch wieder.
Antworten 5 von 11 finden diese Rezension hilfreich
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Eine gute Geschichte schlecht erzählt, spießige gestelzte Sprache, jede Menge Plattheiten, detailwütige Beschreibung körperlicher Vorgänge im Sexualbereich, es fehlt nur noch die Beschreibung des Stuhlgangs.....
bedauerlich, daß man immer wieder auf geschicktes …
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Eine gute Geschichte schlecht erzählt, spießige gestelzte Sprache, jede Menge Plattheiten, detailwütige Beschreibung körperlicher Vorgänge im Sexualbereich, es fehlt nur noch die Beschreibung des Stuhlgangs.....
bedauerlich, daß man immer wieder auf geschicktes Marketing hereinfällt.
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Dieser "unbekannte Benutzer" will der Autorin wohl schaden; hätte mich interessiert, was er sonst so ließt....
Ich finde, es ist klar, warum Helene ihr Kind "einfach" zurücklässt. Ihre Schwester war ihr schon immer sehr wichtig. Zwar haben´sie sich mittlerweile auseinandergelebt, doch Helene kann es nicht ertragen, dass sie nicht weiß, wie es Martha geht. Leontines letzter …
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Ich finde, es ist klar, warum Helene ihr Kind "einfach" zurücklässt. Ihre Schwester war ihr schon immer sehr wichtig. Zwar haben´sie sich mittlerweile auseinandergelebt, doch Helene kann es nicht ertragen, dass sie nicht weiß, wie es Martha geht. Leontines letzter Brief hat sie sichtlich erschüttert.
Außerdem kann sie mit ihrem Kind über nichts reden, das wird an mehreren Stellen deutlich. Sie ist praktisch gefangen und kann sich niemandem anvertrauen. Eine solche Situation auszuhalten ist fast unmöglich. Es fällt ihr garantiert nicht leicht, Peter zurückzulassen, aber, wenn sie selber nicht kaputtgehen will, hat sie keine andere Wahl.
Ich fand das Buch äußerst realitätsnah und spannend. Zu deprimierend war es keinesfalls, da die Situation damals nunmal so war.
Dieses Buch gehört zum Besten, was ich in letzter Zeit gelesen habe.
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Antworten 9 von 22 finden diese Rezension hilfreich
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Broschiertes Buch Ein aufregendes und ein trauriges Buch. Ein Buch, das einen nicht so schnell wieder losläßt. Gut geschrieben, angenehme Sprache sehr authentisch. Übersichtliche Personenbeschreibung, die auch nach einer Pause gleich wieder präsent ist.
Antworten 13 von 18 finden diese Rezension hilfreich
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Broschiertes Buch
Julia Frank erhielt für die "Mittagsfrau" den deutschen Buchpreis - und zwar zu recht!
Wirklich wunderschön und mitreißend geschrieben!
Der Charakter von Helene ist vielschichtig. Man kann gar nicht fassen, wie übel das Schicksal dieser jungen, gebildeten Frau …
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Julia Frank erhielt für die "Mittagsfrau" den deutschen Buchpreis - und zwar zu recht!
Wirklich wunderschön und mitreißend geschrieben!
Der Charakter von Helene ist vielschichtig. Man kann gar nicht fassen, wie übel das Schicksal dieser jungen, gebildeten Frau mitspielt. Ihr Leben führt sie in eine absolute Sprachlosigkeit und lässt sie emotional abstumpfen. Durch das Kind und die Art wie sie mit ihrem Sohn umgeht, wird erst deutlich, wie sehr das Leben seine Spuren bei ihr hinterlassen hat.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Bittersüß und mit überraschenden Wendungen.
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Broschiertes Buch
Eines meiner Lieblingsbücher - in geniales Buch absolut toll und fesselnd erzählt.
In diesem Buch wird die Geschichte von Helene, die vor den ersten Weltkrieg zurück reicht, vom Ende her entrollt. Mit ihrem Sohn Peter geht Helene 1945 wie fast jeden Tag zu einem Bahnhof in …
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Eines meiner Lieblingsbücher - in geniales Buch absolut toll und fesselnd erzählt.
In diesem Buch wird die Geschichte von Helene, die vor den ersten Weltkrieg zurück reicht, vom Ende her entrollt. Mit ihrem Sohn Peter geht Helene 1945 wie fast jeden Tag zu einem Bahnhof in Vorpommern, um vor den Russen Richtung Berlin zu fliehen. Am Bahnhof lässt sie Peter einfach auf einer Bank zurück. Eine traurige Konsequenz, weil Helene's unbeschwerte Kindheit in der Lausitz 1918 ebenso abrupt endete. Sie hatte selbst kaum Liebe erfahren hat und deshalb wird ihr auch die kindliche Liebe unerträglich. Von den Männern enttäuscht und von der Familie verlassen, fasste Helene diesen Entschluss, der so grausam ist wie die Schicksalsschläge, die sie selbst erlitten hat.
Völlig zu recht hat Julia Franck dafür den Deutschen Buchpreis 2007 erhalten.
Ein wundervolles Buch über Frauen, von Tabus der Zeit vom 1. und 2. Weltkrieg und über Bildungschancen. Die Erzählsprache von Julia Franck ist total fesselnd, zärtlich und voller Virtuosität!
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Literarisches Tabuthema
Mit dem Roman «Die Mittagsfrau» hat die Schriftstellerin Julia Franck im Jahre 2007 ihren größten Erfolg erzielt, er wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, bevölkerte die Bestsellerlisten und wurde in viele Sprachen übersetzt. Die …
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Literarisches Tabuthema
Mit dem Roman «Die Mittagsfrau» hat die Schriftstellerin Julia Franck im Jahre 2007 ihren größten Erfolg erzielt, er wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, bevölkerte die Bestsellerlisten und wurde in viele Sprachen übersetzt. Die Rezeption im Feuilleton und in der Leserschaft war jedoch auffallend widersprüchlich und wurde emotional sehr heftig ausgetragen, sowohl was die verstörende Thematik anbelangt als auch deren narrative Umsetzung. Der Buchtitel verweist auf einen slawischen Naturgeist, der während der Erntezeit mittags erscheint und den Menschen den Verstand verwirrt, ein Motiv, das schon Antonín Dvořák zu seiner Sinfonischen Dichtung ‹Die Mittagshexe› inspiriert hatte. Im Interview hat die Autorin erklärt, es gäbe in ihrer Familie eine «Begebenheit», die sie als Anlass genommen habe, diese rein fiktionale Erzählung zu schreiben.
Klammerartig erzählt Julia Franck im Prolog, wie die Protagonistin Helene ihren siebenjährigen Sohn Peter im Chaos der Nachkriegszeit auf der Flucht an einem Umsteige-Bahnhof auffordert, er solle hier auf sie warten, während sie Fahrkarten kaufen geht. Sie kehrt aber nicht wieder zurück, sie hat ihr Kind einfach ausgesetzt. Im Epilog besucht sie ihren Onkel auf seinem Hof bei Rostock, die Adresse hatte sie dem Jungen neben weiteren Unterlagen in seinen Koffer gelegt, und tatsächlich ist er dort auch untergekommen. Peter versteckt sich, als sie zehn Jahre später erstmals zu Besuch kommt, Peter will sie nicht sehen, nie mehr! Und so reist sie nach wenigen Stunden unverrichteter Dinge wieder ab.
In drei Kapiteln wird das Leben von Helene erzählt, beginnend Anfang des Jahrhunderts in Bautzen als jüngste Tochter eines wohlhabenden Druckers, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hat und nach der Rückkehr an seiner Verletzung elendig zugrunde geht. Die Mutter ist Jüdin, hat vier Söhne bei der Geburt verloren, ist seither geistig verwirrt, neigt zu Tobsuchtsabfällen und schließt sich in ihr Zimmer ein, will ihren sterbenden Mann nicht mehr sehen. Helene und ihre neun Jahre ältere Schwester, die die Druckerei aufgeben müssen, ziehen auf Einladung ihrer wohlhabenden Tante Fanny zu ihr nach Berlin und geraten dort in die Boheme der ‹Goldenen Zwanziger› mit rauschenden Festen, Alkohol, Sex und Drogen. Helene findet ihre große Liebe, die nach dreijähriger Verlobungszeit, - während der sie, weil sie studieren will, heimlich eine Abtreibung vornimmt -, dann aber plötzlich tragisch endet. Nach Jahren tiefster Depressionen heiratet sie rein vernunftgesteuert einen Ingenieur, der in der Nazizeit Karriere macht, sie aber verlässt, als sie schwanger wird. Während des Zweiten Weltkriegs schlägt sie sich allein durch und arbeitet aufopferungsvoll als Krankenschwester, wird nach Kriegsende in Stettin von Russen vergewaltigt und versucht, dem Chaos durch Flucht nach Berlin zu entkommen, - beim Umsteigen lässt sie ihren Sohn schließlich am Bahnsteig allein zurück.
Der hier nur knapp skizzierte Plot dieses Gesellschaftsromans enthält neben dem Fanal einer Kindsaussetzung eine Fülle von Motiven. Es geht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte um moralische Fragen, um die eigene Identität, Adoleszenz-Probleme, weibliche Emanzipation, Konflikte der Mutterschaft, emotionale Bindungen, Judenverfolgungen und anderes mehr. Daraus resultierend ergibt sich fast zwangsläufig eine konträre, erbittert geführte Debatte, der Roman selbst gibt keine Antworten und überlässt die Deutungen dem Leser. Erzählt wird diese thematisch breit angelegte Geschichte in einer nüchternen, einfachen Sprache, die zuweilen etwas geziert wirkt. Die Figuren sind stimmig gezeichnet auch in ihren inneren Widersprüchen, allerdings werden diverse Klischees bedient, besonders was die kolportagehaften Boheme-Passagen in Berlin betrifft oder Helenes Liebesgeschichte mit ihren gestelzten Dialogen. Gleichwohl, dieser lesenswerte Roman behandelt verdienstvoll ein nicht nur literarisches Tabuthema.
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Ein schwermütiges Buch, traurig und voller Zweifel. Im Prolog wird der Leser schonungslos mit dem inneren Zerwürfnis der Protagonistin Helene konfrontiert. Nach ein paar fassungslosen Schicksalsschlägen lässt sie ihren fünfjährigen Sohn Peter alleine auf einer Bank in …
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Ein schwermütiges Buch, traurig und voller Zweifel. Im Prolog wird der Leser schonungslos mit dem inneren Zerwürfnis der Protagonistin Helene konfrontiert. Nach ein paar fassungslosen Schicksalsschlägen lässt sie ihren fünfjährigen Sohn Peter alleine auf einer Bank in einem fremden Bahnhof zurück und verschwindet zunächst aus seinem Leben. Die Autorin erzählt fortan die Geschichte Helenes in der Rückschau.
Frau Franck hat mit diesem Buch ein kleines Meisterwerk erschaffen, mit einer beeindruckend starken Sprache offenbart sie das Unaussprechliche, ohne zu entschuldigen oder anzuklagen. Ein Schicksal das nicht leicht zu verdauen ist, das dem Leser Geduld und Kraft abverlangt, für mich jedoch absolut lesenswert.
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