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Die Blooms sind eine Familie, die eines Woody-Allen-Films würdig wäre: jeder einzelne liebenswert, leicht schräg - und unglüklich. Doch im Kampf gegen das Unglücklichsein sind alle unendlich tapfer und jeder Situation gewachsen: wie Anni, die Unwiderstehliche, der alle Männer verfallen und die eines Tages selbst Opfer wird; oder ihre Mutter June, die sich als Soldat bezeichnet und nach dem Motto lebt: Nie zurückschauen, einfach durchstreichen und weitergehen; oder Tante Selma, die Wut und Boshaftigkeit am Leben halten. Nicht zu vergessen sind Annis Töchter Julie und Karin: Julie ist stets…mehr

Produktbeschreibung
Die Blooms sind eine Familie, die eines Woody-Allen-Films würdig wäre: jeder einzelne liebenswert, leicht schräg - und unglüklich. Doch im Kampf gegen das Unglücklichsein sind alle unendlich tapfer und jeder Situation gewachsen: wie Anni, die Unwiderstehliche, der alle Männer verfallen und die eines Tages selbst Opfer wird; oder ihre Mutter June, die sich als Soldat bezeichnet und nach dem Motto lebt: Nie zurückschauen, einfach durchstreichen und weitergehen; oder Tante Selma, die Wut und Boshaftigkeit am Leben halten. Nicht zu vergessen sind Annis Töchter Julie und Karin: Julie ist stets unglücklich und verzweifelt - kein Soldat laut Großmutter June; Karin dagegen versucht mit Hilfe ihrer Lieblingsbeschäftigungen ihr Leben zu meistern: Geschichten erzählen, Männer verführen und lügen. Doch auf der Suche nach Liebe scheint keine der Frauen mit der jeweils eigenen Strategie wirklich glücklich zu werden. Mit viel Witz und Sinn für Situationskomik zeichnet Linn Ullmann das scharfsinnige Portrait einer Familie. Die Schilderungen der todtraurigen Erlebnisse der Frauen und Männer gelingen ihr vor allem deshalb, weil sie nicht abrutscht in Larmoyanz und Zynismus. Man muß sie einfach lieben, diese Familie Blom - und mit ihr fühlen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.1999

Alles so schön wehmütig hier
Und noch einmal: Linn Ullmanns Lehrbuch des Geplappers

Dies ist ein Roman der Wiederholungen. Die Wiederholungen sind sein auffallendstes Merkmal. Immer mit kleinen Variationen, aber immer Wiederholungen. Dazu kommen die Parataxen. Und die unvollständigen Sätze. Fünf, sechs Wörter, dann ein Punkt. Und ein Absatz. Das wirkt salopp. Und tiefsinnig auch. Und zwar vor allem, dass wir es nur nicht vergessen, dank der Wiederholungen. Der variierten Wiederholungen: "Åse sagt, ist das nicht ein wunderschöner Tag für eine Hochzeit - und da müssen ihr alle zustimmen. Ja, es ist wirklich ein wunderschöner Tag, sagt Anni und schaut zur Sonne hoch. Alle anderen schauen auch zur Sonne hoch. Sicher, sagt Åge nachdenklich, auch heute scheint die Sonne. Ja, sagt Anni. Alle sehen Anni an. Ich finde, es ist ein wunderschöner Tag für eine Hochzeit, sagt Åse noch einmal. Aber sicher, es ist ein wunderschöner Tag für eine Hochzeit, ruft Aleksanders Bruder."

Ungefähr ab Seite fünfundzwanzig wird dieser Tonfall enervierend; da haben wir noch knapp dreihundert Seiten vor uns, und der Roman kommt erst richtig in Fahrt. Zunehmend entpuppt sich die vermeintliche Familiengeschichte als ein wahres Kompendium der Nichtigkeiten, ein Lehrbuch des Geplappers. Außer Wiederholung und Ellipse lehrt es beispielsweise, wie sich eine beliebige Nicht-Mitteilung durch Anaphern so effektvoll aufschwellen lässt, dass sogar der Anschein eines suggestiven Prosa-Rhythmus entstehen kann: "Annies Weinen ist nicht immer echt, nicht immer Ausdruck für Trauer oder Freude, nicht immer von langer Dauer, nicht immer zu verstehen." Nein, zu verstehen ist es auf diese Weise tatsächlich nicht; das allerdings hätte man wortreicher kaum sagen können. Und warum weint Annie? Weil sie erkannt hat, "dass sie Vater jetzt gar nichts mehr bedeutete. Nichts. Zero. Nada. Versucht nur, Nichts zu verstehen." Ja, das tun wir schon; es geht ganz leicht.

Pausenlos sprudelt die Ich-Erzählerin in diesem Ton Anekdoten aus dem Familienalbum, beherzt und beschwingt, lustig und traurig und nach Möglichkeit beides zugleich, also bittersüß. Was der Roman zu erzählen vorgibt, sind fünf Kapitel aus dem Leben einer Osloer Familie in den neunziger Jahren. Von vielen Verwandten und Freunden erzählt Karin, und jeder ist auf seine Weise putzig und "unwiderstehlich". Dieses Attribut hat es ihr am meisten angetan.

Mag sein, dass der hier vorgeführte Wiederholungszwang komisch sein soll, vielleicht satirisch; womöglich soll das ziellose Gerede einen Zustand existentieller Sprachlosigkeit zeigen. Bedenklich wäre dann allerdings, dass der Roman selbst an diesem Zustand unbekümmert teilhat. Ausdauernd erprobt er die Möglichkeiten, nichts zu sagen; das aber aufwendig. Wenn eine Figur einmal "wehmütig" wird, fügt die Erzählerin hinzu: "Wehmütig ist an dieser Stelle das richtige Wort. Nicht traurig. Nicht unglücklich. Nicht verzweifelt." Nein, wir verstehen schon: wehmütig, und zwar genau "an dieser Stelle". Eine Rhetorik der Redundanz.

Die Episoden, die sich nach und nach zu romanesken Girlanden verschlingen, folgen demselben Gesetz der leichten Wiedererkennbarkeit. Mit Ausnahme einer Passage aus dem Alltag eines Kindes, die ganz unprätentiös und darum anrührend erzählt ist, gibt es hier wenige Einfälle, die nicht schon im Fernsehprogramm abgenutzt wären. Mit wem betrügt der frisch gebackene Ehemann seine Frau? Mit der Trauzeugin. Wenn amerikanische Hochzeitsgäste in Oslo erscheinen und nur einen Satz zu sagen haben, was sagen sie dann unfehlbar? Sie sagen tatsächlich: "Beautiful, beautiful, what a beautiful day for a wedding"; und weiter sagen sie nichts. Julies Selbstmordversuche enden in absurd zufälligen Rettungen, wie wir sie sämtlich aus Funk und Fernsehen kennen - die Pillendose hat bloß Vitaminpräparate enthalten, der Haken reißt aus der Zimmerdecke, der Fön schaltet sich automatisch ab; und wenn sie endlich alles richtig gemacht hat, wird sie rechtzeitig gefunden, ein Pechvogel im Glück. Selbst jene burlesken Szenen, die man schon mit Woody Allens Familiengeschichten verglichen hat, lesen sich allenfalls als deren banalisierende Imitation.

Fast jede Figur nämlich wird hier schon bei ihrer ersten Vorstellung mit genau dem einen skurrilen Trick ausgestattet, der einen tragikomischen Schrulle, die später zum Einsatz kommen soll; der running gag ersetzt die Charakterisierung. Gleich zu Beginn erfahren wir von der Neigung des trotteligen Onkel Fritz, sich bei Familienfeiern plötzlich zu erbrechen, was er denn auch erwartungsgemäß tut. Tante Selma ist die böse und komische Alte, und da sie als Kettenraucherin eingeführt wird, ist ihr Husten bis kurz vor Romanschluss zu hören. Wie bei Woody Allen der reale Handlungsgang zuweilen angehalten und stattdessen eine imaginäre Fortsetzung erzählt wird, so kippt auch hier das realistische Erzählen gelegentlich verblüffend ins Groteske um. Aber wie fade sind diese Einfälle auf den zweiten Blick! Bei einer Familienfeier sehen wir etwa, mit den Augen der verliebten Karin, wie Aron auf einmal zur Übergröße anschwillt - immerhin ist er für sie jetzt da "der größte Mann der Welt". Auch der umgekehrte Fall kommt vor. Man kann das komisch finden.

Erzählt wird dies alles in einer koketten Vertraulichkeit, deren behauptete Wirklichkeitsnähe anschauungslos bleibt. Dank der detaillierten Ortsangaben vermag, wer sich in Oslo ein bisschen auskennt, das Geschehen unschwer durch den Stadtplan zu verfolgen. Wem die Stadt hingegen fremd ist, der hat auch nach der Lektüre nicht die geringste Vorstellung von ihr. Die Suggestion der Nähe täuscht darüber hinweg, dass der Roman nichts zeigt. Was ihm aber an Anschaulichkeit mangelt, wird kompensiert durch die Intensität der Erzählstimme. Abwechselnd redet sie die Figuren und die Leser mit schelmisch gespielter Aufregung an - "hört doch", "seht nur"; egoman und aufgedreht erzählt sie von "meiner Wut, meiner Verachtung, meinen Erinnerungen, meinem Tag, meiner Trauer". Wut und Trauer: da sind sie wieder, die beiden Unzertrennlichen, jetzt als trendy gestylte Wiedergänger der verflossenen Betroffenheitsliteratur.

Mit der hat der so flott drapierte Text mehr gemein, als sein neckischer Grundton verrät. Karins Erzählung, darunter tut sie es nicht, soll uns lehren, wie der Mensch ist und das Leben und die Welt. "Anni steht im Licht, ich stehe im Schatten. Ist das nicht typisch, denke ich." Doch ja, nickten die Leser, das muss wohl typisch sein. Der Roman steckt voll von solchen larmoyanten Reflexionen, von denen manche gleich als Kalendersprüche formuliert sind; "bei Menschen", lautet einer, "weiß man nie". Solche Merksätze der Erzählerin sind immerhin philosophisch subtil im Vergleich zu dem, was ihren Figuren in existentiellen Grenzsituationen einfällt. Die Freundin, die eine lange Geschichte von Ehebruch und Einsamkeit erzählt, unterbricht sich betroffen: "Warum tun wir Menschen uns selber so weh?" - und redet gleich weiter, die Frage hatte nichts zu bedeuten, sie weht im selben Wind wie Julies "leise" und ironiefreie Liebesklage: "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt." So ist die Liebe, so ist das Leben, und auf den Grund geschaut hat ihm, naturgemäß, der Barkeeper: "Das Leben", sagt er, "ist ein Traum."

Wenn dieser Redefluss aus Redundanzen, Albernheiten und Banalitäten trotzdem ein sonderbar süffiges easy reading ergibt, dann dank des geübten Schwungs, mit der die Nichtigkeit gehandhabt wird. Wie die rhetorischen Kniffe, so erzeugen auch einige narrative Tricks bei flüchtiger Betrachtung die optische Täuschung von Tiefe. Zeitsprünge dehnen und raffen das von einfachen Leitmotiven phrasierte Geschehen; ein doppelter Rahmen aus Geschichten, die einem Kind zum Einschlafen erzählt werden, reflektiert den Prozess des Erinnerns. Und Karins Selbstinszenierung als "Lügnerin" spielt mit der Spannung von Fiktion und Wirklichkeit. Solange aber das so aufwendig gerahmte Bild Konfektionsware ist, bleibt das Ganze ein dekorativer Bluff.

Die Kunstgriffe dieses Buches dienen keinem anderen Zweck als der Fiktion eines Romans aus den Nineties. Seine beiden Motti stammten von Rilke und Joe Frazier; es hätten auch Joyce und Donald Duck sein können. Nicht minder zeitgemäß gewählt sind die Lifestyle-Signale. In Karins Welt sieht man Filme von Eric Rohmer, man hört Platten von Nat King Cole und Gershwin und sagt in der Bar: "One more for the road." Urban ist das alles und so kosmopolitisch wie der "Cosmopolitan", in dem Linn Ullmanns Antwort auf die Frage stehen könnte, wie eine "tolle Frau" aussieht: "Langgliedrig, schlicht und schön wie die George Washington Bridge."

Die Verfasserin ist übrigens die Tochter von Liv Ullmann und Ingmar Bergman und in Norwegen eine bekannte Journalistin. Mag sein, dass der Bestseller-Ruhm, der ihrer Familiengeschichte im Augenblick zuteil wird, sich auch dieser Aura verdankt und der Hoffnung, Intimes aus dem Leben großer Künstler zu erfahren. Die Hoffnung trügt. Mit dem Leben hat diese Plauderei nicht mehr zu tun als mit der Kunst.

HEINRICH DETERING

Linn Ullmann: "Die Lügnerin". Roman. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Droemer Verlag, München 1999. 320 S., geb., 38,- DM.

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