Philipp Sterzer
Gebundenes Buch
Die Illusion der Vernunft
Warum wir von unseren Überzeugungen nicht zu überzeugt sein sollten Neuestes aus Hirnforschung und Psychologie
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Wieso glauben Sie, dass Sie recht haben?
Wir sind alle ein bisschen verrückt. Nicht nur die Menschen, die psychisch krank sind, sondern wir alle sind irrational. Der Neurologe, Psychiater und Hirnforscher Philipp Sterzer erklärt, warum das so ist und welche Schlüsse wir daraus ziehen können. Ein neuer Blick auf subjektives Erleben, soziales Bewusstsein und die Wahrnehmung der Welt.
Wir sind alle ein bisschen verrückt. Nicht nur die Menschen, die psychisch krank sind, sondern wir alle sind irrational. Der Neurologe, Psychiater und Hirnforscher Philipp Sterzer erklärt, warum das so ist und welche Schlüsse wir daraus ziehen können. Ein neuer Blick auf subjektives Erleben, soziales Bewusstsein und die Wahrnehmung der Welt.
Philipp Sterzer, Jahrgang 1970, studierte Medizin in München und Harvard. 2011 wurde er zum Professor für Psychiatrie und Neurowissenschaften an der Charité in Berlin berufen, 2022 wechselte er an die Universität Basel. Vor allem seine Arbeiten zur Veränderung von Wahrnehmungsprozessen bei Schizophrenie brachten ihm weltweit Anerkennung ein.
Produktdetails
- Verlag: Ullstein HC
- 4. Aufl.
- Seitenzahl: 320
- Erscheinungstermin: 1. September 2022
- Deutsch
- Abmessung: 221mm x 142mm x 30mm
- Gewicht: 426g
- ISBN-13: 9783550201325
- ISBN-10: 355020132X
- Artikelnr.: 63716829
Herstellerkennzeichnung
Ullstein Verlag GmbH
Friedrichstraße 126
10117 Berlin
Info@Ullstein-Buchverlage.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke findet es angenehm, wie wenig Welterklärungsanspruch Philipp Sterzer in seinem Buch erhebt. Denn der Neurowissenschaftler und Psychiater liefere zwar viel Wissenswertes und mehrere spannende Hypothesen und Erklärungsmodelle um Fragen der Rationalität: Warum handeln wir zum Beispiel oft irrational, obwohl wir es eigentlich besser wissen? Warum hat sich die Genvoraussetzung für Schizophrenie, die irrationale Ängste begünstigt, durchgesetzt? Hier liest der Kritiker etwa gespannt, dass eine erhöhte Angstbereitschaft für unsere Vorfahren möglicherweise ein Überlebensvorteil war, oder dass Psychosen damals vielleicht als ehrbare Kommunikation mit den Geistern interpretiert wurde. Dass Sterzer hier wie im Rest des Buchs stets "gründlich markiert", was belegter Befund und was Spekulation ist, hält der Kritiker für eine große Stärke des Autors. Auch wenn ihm einige Aspekte schon bekannt sind, schätzt Spanke diese übersichtliche und bedachte Darstellung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ich hab da so'n Bauchgefühl
Die Grenze zwischen Vernunft und Unvernunft ist fließend: Philipp Sterzer erklärt, warum Menschen häufig irrational handeln, zur Selbsttäuschung neigen und Überzeugungen vertreten, die eindeutig falsch sind.
Warum sind viele Menschen von Dingen überzeugt, die nachweislich nicht stimmen? Wieso ignorieren vernünftige Zeitgenossen in Diskussionen immer wieder Fakten und stichhaltige Argumente? Wer das erörtern will, begibt sich auf unwegsames Gelände, denn Erklärungen haben Soziologen und Philosophen, Psychologen und Kulturtheoretiker in petto. Philipp Sterzer, von Haus aus Neurowissenschaftler und Psychiater, macht es sich in seinem Buch über die "Illusion der Vernunft" nicht leicht mit
Die Grenze zwischen Vernunft und Unvernunft ist fließend: Philipp Sterzer erklärt, warum Menschen häufig irrational handeln, zur Selbsttäuschung neigen und Überzeugungen vertreten, die eindeutig falsch sind.
Warum sind viele Menschen von Dingen überzeugt, die nachweislich nicht stimmen? Wieso ignorieren vernünftige Zeitgenossen in Diskussionen immer wieder Fakten und stichhaltige Argumente? Wer das erörtern will, begibt sich auf unwegsames Gelände, denn Erklärungen haben Soziologen und Philosophen, Psychologen und Kulturtheoretiker in petto. Philipp Sterzer, von Haus aus Neurowissenschaftler und Psychiater, macht es sich in seinem Buch über die "Illusion der Vernunft" nicht leicht mit
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einer Antwort. Genau genommen, gibt es die eine Antwort augenscheinlich auch nicht, weswegen er eine Reihe von Thesen, Interpretationen und Befunden anbietet.
Stellen wir uns nur einmal zwei Frauen vor, die davon überzeugt sind, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Die eine hat sich umfassend informiert, wissenschaftliche Analysen zum Thema durchgearbeitet, Fernsehdokumentationen geschaut und Vorlesungen von Spezialisten besucht. Nach der Recherche steht für sie fest: Wir tragen wahrscheinlich erheblich zur Erderwärmung bei. Die andere hält nicht viel von Statistiken, meint aber zu wissen, dass in einer vom Wunsch nach Profitmaximierung getriebenen Welt das Klima zwangsläufig leiden muss. Zynisch und menschenverachtend findet sie die Lebensweise im Westen, und ihr Bauchgefühl ist eindeutig: Wer die Globalisierung zu weit treibt, wird den Preis in Form von erhöhten Temperaturen dafür zahlen.
Das Beispiel veranschaulicht, dass selbst Leute, die gemeinsam eine wissenschaftlich weitgehend gesicherte Meinung vertreten, die sich mithin nicht über den Wahrheitsgehalt ihrer Überzeugung streiten würden, erhebliche Unterschiede beim Grad der eigenen Rationalität aufweisen können. Im Gegensatz zu den beiden Frauen, die sich gut verstehen dürften, gäbe es gewiss Auseinandersetzungen zwischen, sagen wir, einem Astrophysiker und einem Verschwörungstheoretiker, der sicher ist, dass die amerikanische Flagge, die Neil Armstrong und Buzz Aldrin 1969 im Mondboden befestigt hatten, flatterte - obwohl es dort windstill sein müsste. Scheinbar klarer Fall: Die Astronauten sind nicht ins All geflogen, sondern in einem Hollywoodstudio gewesen. Derartige Mutmaßungen sollte man nicht als Nischenphänomen abtun, denn Umfragen zufolge glaubt ungefähr die Hälfte aller Amerikaner an mindestens eine Verschwörungstheorie.
Während solche Dauerzweifler darauf pochen, nicht nur nicht irrational, sondern eben ganz besonders rational zu sein, verhalten sich viele rationale Menschen im Alltag oft irrational: Man denke an den Talisman, ohne den man nicht ins Flugzeug steigt, oder den Fußballer, der sich vorm Elfmeterschuss bekreuzigt. Religiöser Glaube etwa bezieht einen nicht unerheblichen Teil seiner Wucht aus jener Nichtfalsifizierbarkeit, die ihn erscheinen lässt, als sei er über alle Zweifel erhaben.
Warum aber sind Überzeugungen oder Handlungen, die man außerhalb eines nachvollziehbaren Vernunftrahmens verorten muss, so verbreitet und kein exklusives Symptom eines Wahns? Laut Sterzer ist die Grenze zwischen Sachlichkeit und Unvernunft fließend. Es gebe nicht einmal einen klaren Unterschied zwischen "'normalen' und krankhaft veränderten Prozessen im Gehirn". Vielmehr müsse man es als eine grundlegende Eigenschaft von Menschen betrachten, sich eigene Welten zu bauen, um anschließend an einmal etablierten Anschauungen festzuhalten.
Weltbilder wiederum entstehen entweder, weil wir uns auf "Grundlage der verfügbaren Evidenz" eine Vorstellung machen oder weil wir Ansichten von Eltern, Lehrern, Freunden oder Gurus übernehmen. Manchen Überzeugungen hänge man an, weil sie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe garantieren, weswegen Sterzer sie als "Standortmarkierungen" bezeichnet. Sie gestatten "Rückschlüsse darauf, wo wir stehen und wer wir sind". Ist etwa ein Amerikaner der Meinung, dass der Klimawandel menschengemacht und die Evolutionstheorie wahr ist, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit regelmäßig die Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei wählen.
Was die Psychologie aus dem Bereich der Selbsttäuschungen kennt - wir sehen etwa Gesichter in Wolken- oder Felsformationen -, verdankt sich dem Drang unseres Gehirns, überall bedeutungsvolle Muster auszumachen. Sterzer handelt eine ganze Reihe von kognitiven Verzerrungen ab, die bei der Urteilsbildung wichtig sind. Neues gibt es dabei nicht zu lernen, gleichwohl bietet die Liste einen guten Überblick. Da ist etwa der Halo-Effekt, der darin besteht, dass man ohne Notwendigkeit von einer Eigenschaft einer Person auf weitere Eigenschaften schließt, der Mitläufereffekt (wir folgen den Überzeugungen erfolgreicher Menschen), das emotionale Schlussfolgern (Intuition vor Fakten), der konzeptionelle Konservatismus (wir halten an Überzeugungen selbst dann fest, wenn man uns mit Informationen versorgt, die ihnen widersprechen), die Bestätigungstendenz (man sucht nach jenen Hinweisen und Auskünften, die eine bereits ausgebildete Überzeugung untermauern, etwa in Filterblasen).
Besonders aufschlussreich ist unsere Ignoranz gegenüber solchen Phänomenen. In einer Studie aus den Vereinigten Staaten gaben fünfundachtzig Prozent der Teilnehmer an, nicht so deutlich von Verzerrungen beeinflusst zu werden wie der "Durchschnittsamerikaner". Dieses Ergebnis legt eine "selbstwertdienliche Verzerrung mitsamt Verzerrungsblindheit nahe und widerlegt damit direkt die Selbsteinschätzung der Befragten". Mit anderen Worten: Die meisten halten sich für rationaler als den Rest - was schon als Ausweis der eigenen Irrationalität gewertet werden darf.
Sterzer bezeichnet das Gehirn als "Vorhersagemaschine", weil es ein "inneres Modell der Welt" unterhalte, das sich aus angeeignetem Wissen zusammensetzt. Mit Hilfe dieses Modells würden laufend Hypothesen aufgestellt, um "eingehende Sinnesdaten vorherzusagen". So mache das Gehirn etwa beim Tennisspielen Annahmen über die Strategie des Gegners: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er wieder genau diesen Vorhanddiagonalball spielen. Ich habe nämlich schon oft mit ihm gespielt und weiß, dass sein Spiel nicht besonders variantenreich ist." Erst kommt also die Vorhersage, dann folgt die Wahrnehmung. Abweichungen von Prognosen nutze das Gehirn, um das Modell der Welt zu optimieren.
Eine schwerwiegende, mit Wahnsymptomen einhergehende Form der Irrationalität ist die Schizophrenie. Dieses Leiden, so hebt Sterzer hervor, sei polygenetisch, das heißt, nicht ein einzelnes verändertes Gen führt zur Erkrankung, sondern die Gefahr zu erkranken steigt mit der Anzahl der geerbten Genvarianten. Nur warum haben sich im Laufe der Evolution des Menschen Varianten durchgesetzt, die mit einem Risiko für eine so massive Störung assoziiert sind? Sterzer schreibt, solche Veranlagungen könnten zu früheren Zeiten adaptiv gewesen sein: "Für unsere Vorfahren, die in kleinen sozialen Gruppen zusammenlebten und mit feindlichen Gruppen um knappe Ressourcen konkurrierten, könnten ein Hang zu Misstrauen und paranoide Züge einen Überlebensvorteil bedeutet haben. Man war dadurch eher auf der Hut, erkannte Bedrohungen schneller."
Zudem sei es möglich, dass man psychotisches Erleben einst als Kommunikation mit den Geistern gedeutet habe, was dem Erkrankten den Status eines Schamanen eingebracht haben könnte. Sterzer spricht hier von einem "Erklärungsansatz"; überhaupt markiert er Hypothesen stets genauso gründlich wie gesicherte Erkenntnisse. Auch ob sich, wie vielfach diskutiert wird, die Risikovarianten für Schizophrenie durchgesetzt haben, weil sie Kreativität begünstigen, ist nicht vollständig geklärt. Doch sogar im Bereich der Spekulation folgt man dem Autor gerne, nicht zuletzt deshalb, weil er gar nicht erst versucht, als streng nüchterner Experte Eindruck zu machen. Er räumt lieber die eigene Irrationalität ein und führt so überzeugend durch sein Forschungsfeld, dass auch dem besonnensten Leser aufgeht, wie unvernünftig er häufig ist. KAI SPANKE
Philipp Sterzer: "Die Illusion der Vernunft". Warum wir von unseren Überzeugungen nicht zu überzeugt sein sollten.
Ullstein Verlag, Berlin 2022. 320 S., Abb., geb., 23,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stellen wir uns nur einmal zwei Frauen vor, die davon überzeugt sind, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Die eine hat sich umfassend informiert, wissenschaftliche Analysen zum Thema durchgearbeitet, Fernsehdokumentationen geschaut und Vorlesungen von Spezialisten besucht. Nach der Recherche steht für sie fest: Wir tragen wahrscheinlich erheblich zur Erderwärmung bei. Die andere hält nicht viel von Statistiken, meint aber zu wissen, dass in einer vom Wunsch nach Profitmaximierung getriebenen Welt das Klima zwangsläufig leiden muss. Zynisch und menschenverachtend findet sie die Lebensweise im Westen, und ihr Bauchgefühl ist eindeutig: Wer die Globalisierung zu weit treibt, wird den Preis in Form von erhöhten Temperaturen dafür zahlen.
Das Beispiel veranschaulicht, dass selbst Leute, die gemeinsam eine wissenschaftlich weitgehend gesicherte Meinung vertreten, die sich mithin nicht über den Wahrheitsgehalt ihrer Überzeugung streiten würden, erhebliche Unterschiede beim Grad der eigenen Rationalität aufweisen können. Im Gegensatz zu den beiden Frauen, die sich gut verstehen dürften, gäbe es gewiss Auseinandersetzungen zwischen, sagen wir, einem Astrophysiker und einem Verschwörungstheoretiker, der sicher ist, dass die amerikanische Flagge, die Neil Armstrong und Buzz Aldrin 1969 im Mondboden befestigt hatten, flatterte - obwohl es dort windstill sein müsste. Scheinbar klarer Fall: Die Astronauten sind nicht ins All geflogen, sondern in einem Hollywoodstudio gewesen. Derartige Mutmaßungen sollte man nicht als Nischenphänomen abtun, denn Umfragen zufolge glaubt ungefähr die Hälfte aller Amerikaner an mindestens eine Verschwörungstheorie.
Während solche Dauerzweifler darauf pochen, nicht nur nicht irrational, sondern eben ganz besonders rational zu sein, verhalten sich viele rationale Menschen im Alltag oft irrational: Man denke an den Talisman, ohne den man nicht ins Flugzeug steigt, oder den Fußballer, der sich vorm Elfmeterschuss bekreuzigt. Religiöser Glaube etwa bezieht einen nicht unerheblichen Teil seiner Wucht aus jener Nichtfalsifizierbarkeit, die ihn erscheinen lässt, als sei er über alle Zweifel erhaben.
Warum aber sind Überzeugungen oder Handlungen, die man außerhalb eines nachvollziehbaren Vernunftrahmens verorten muss, so verbreitet und kein exklusives Symptom eines Wahns? Laut Sterzer ist die Grenze zwischen Sachlichkeit und Unvernunft fließend. Es gebe nicht einmal einen klaren Unterschied zwischen "'normalen' und krankhaft veränderten Prozessen im Gehirn". Vielmehr müsse man es als eine grundlegende Eigenschaft von Menschen betrachten, sich eigene Welten zu bauen, um anschließend an einmal etablierten Anschauungen festzuhalten.
Weltbilder wiederum entstehen entweder, weil wir uns auf "Grundlage der verfügbaren Evidenz" eine Vorstellung machen oder weil wir Ansichten von Eltern, Lehrern, Freunden oder Gurus übernehmen. Manchen Überzeugungen hänge man an, weil sie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe garantieren, weswegen Sterzer sie als "Standortmarkierungen" bezeichnet. Sie gestatten "Rückschlüsse darauf, wo wir stehen und wer wir sind". Ist etwa ein Amerikaner der Meinung, dass der Klimawandel menschengemacht und die Evolutionstheorie wahr ist, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit regelmäßig die Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei wählen.
Was die Psychologie aus dem Bereich der Selbsttäuschungen kennt - wir sehen etwa Gesichter in Wolken- oder Felsformationen -, verdankt sich dem Drang unseres Gehirns, überall bedeutungsvolle Muster auszumachen. Sterzer handelt eine ganze Reihe von kognitiven Verzerrungen ab, die bei der Urteilsbildung wichtig sind. Neues gibt es dabei nicht zu lernen, gleichwohl bietet die Liste einen guten Überblick. Da ist etwa der Halo-Effekt, der darin besteht, dass man ohne Notwendigkeit von einer Eigenschaft einer Person auf weitere Eigenschaften schließt, der Mitläufereffekt (wir folgen den Überzeugungen erfolgreicher Menschen), das emotionale Schlussfolgern (Intuition vor Fakten), der konzeptionelle Konservatismus (wir halten an Überzeugungen selbst dann fest, wenn man uns mit Informationen versorgt, die ihnen widersprechen), die Bestätigungstendenz (man sucht nach jenen Hinweisen und Auskünften, die eine bereits ausgebildete Überzeugung untermauern, etwa in Filterblasen).
Besonders aufschlussreich ist unsere Ignoranz gegenüber solchen Phänomenen. In einer Studie aus den Vereinigten Staaten gaben fünfundachtzig Prozent der Teilnehmer an, nicht so deutlich von Verzerrungen beeinflusst zu werden wie der "Durchschnittsamerikaner". Dieses Ergebnis legt eine "selbstwertdienliche Verzerrung mitsamt Verzerrungsblindheit nahe und widerlegt damit direkt die Selbsteinschätzung der Befragten". Mit anderen Worten: Die meisten halten sich für rationaler als den Rest - was schon als Ausweis der eigenen Irrationalität gewertet werden darf.
Sterzer bezeichnet das Gehirn als "Vorhersagemaschine", weil es ein "inneres Modell der Welt" unterhalte, das sich aus angeeignetem Wissen zusammensetzt. Mit Hilfe dieses Modells würden laufend Hypothesen aufgestellt, um "eingehende Sinnesdaten vorherzusagen". So mache das Gehirn etwa beim Tennisspielen Annahmen über die Strategie des Gegners: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er wieder genau diesen Vorhanddiagonalball spielen. Ich habe nämlich schon oft mit ihm gespielt und weiß, dass sein Spiel nicht besonders variantenreich ist." Erst kommt also die Vorhersage, dann folgt die Wahrnehmung. Abweichungen von Prognosen nutze das Gehirn, um das Modell der Welt zu optimieren.
Eine schwerwiegende, mit Wahnsymptomen einhergehende Form der Irrationalität ist die Schizophrenie. Dieses Leiden, so hebt Sterzer hervor, sei polygenetisch, das heißt, nicht ein einzelnes verändertes Gen führt zur Erkrankung, sondern die Gefahr zu erkranken steigt mit der Anzahl der geerbten Genvarianten. Nur warum haben sich im Laufe der Evolution des Menschen Varianten durchgesetzt, die mit einem Risiko für eine so massive Störung assoziiert sind? Sterzer schreibt, solche Veranlagungen könnten zu früheren Zeiten adaptiv gewesen sein: "Für unsere Vorfahren, die in kleinen sozialen Gruppen zusammenlebten und mit feindlichen Gruppen um knappe Ressourcen konkurrierten, könnten ein Hang zu Misstrauen und paranoide Züge einen Überlebensvorteil bedeutet haben. Man war dadurch eher auf der Hut, erkannte Bedrohungen schneller."
Zudem sei es möglich, dass man psychotisches Erleben einst als Kommunikation mit den Geistern gedeutet habe, was dem Erkrankten den Status eines Schamanen eingebracht haben könnte. Sterzer spricht hier von einem "Erklärungsansatz"; überhaupt markiert er Hypothesen stets genauso gründlich wie gesicherte Erkenntnisse. Auch ob sich, wie vielfach diskutiert wird, die Risikovarianten für Schizophrenie durchgesetzt haben, weil sie Kreativität begünstigen, ist nicht vollständig geklärt. Doch sogar im Bereich der Spekulation folgt man dem Autor gerne, nicht zuletzt deshalb, weil er gar nicht erst versucht, als streng nüchterner Experte Eindruck zu machen. Er räumt lieber die eigene Irrationalität ein und führt so überzeugend durch sein Forschungsfeld, dass auch dem besonnensten Leser aufgeht, wie unvernünftig er häufig ist. KAI SPANKE
Philipp Sterzer: "Die Illusion der Vernunft". Warum wir von unseren Überzeugungen nicht zu überzeugt sein sollten.
Ullstein Verlag, Berlin 2022. 320 S., Abb., geb., 23,99 Euro.
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»Sterzer führt so überzeugend durch sein Forschungsfeld, dass auch dem besonnensten Leser aufgeht, wie unvernünftig er häufig ist.« Kai Spanke Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230318
Philipp Sterzer will uns unsere Illusionen nehmen oder zumindest erreichen, dass wir sie als Illusionen erkennen. Ich hatte mir das Buch mehr philosophisch vorgestellt, aber er ist Psychologe und da ist es mehr psychologisch ausgerichtet. Er erklärt Wahn, Schizophrenie, Paranoia und …
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Philipp Sterzer will uns unsere Illusionen nehmen oder zumindest erreichen, dass wir sie als Illusionen erkennen. Ich hatte mir das Buch mehr philosophisch vorgestellt, aber er ist Psychologe und da ist es mehr psychologisch ausgerichtet. Er erklärt Wahn, Schizophrenie, Paranoia und dergleichen. Krankheiten des Gehirns interessieren mich nicht so sehr sondern mehr das normale Gehirn. Sterzer sieht das Gehirn als Vorhersagemaschine. Das irritiert mich, denn eine Maschine ist es nun wirklich nicht, wohl doch etwas komplizierter, zumindest denke ich mir als Ingenieur das so. Sterzer spricht von Vorhersagefehlern, die das Gehirn macht. Ja die macht es zur Genüge. Deshalb ist Kritik und Vorsicht bei Vorhersagen immer angebracht. Weiterhin ist das menschliche Gehirn Produkt der Evolution und funktioniert entsprechend ihren Grundlagen, so hinsichtlich der Optimierung des Aufwandes als auch der Zielrichtung des Denkens. Die Grenzen zwischen Normalität und Krankheit sind fließend und variabel. Aber damit sagt Sterzer nun wirklich nichts neues auch für mich als Laien auf diesem Gebiet. Bei einigen seiner weitergehenden Schlussfolgerungen bin ich anderer Meinung. Als Beispiel Seite 228: „Die fühlbare Konsequenz aus der aus Vorhersagefehlern entstehenden Unsicherheit ist immer Stress, und diese Art von Stress ist genau das, was wir nicht haben wollen.“ Erstens beruhen Vorhersagefehler nicht nur auf Denkfehlern sondern häufig auf Zufälligkeiten in der Welt. Diese Zufälle können nur mit einer abschätzbaren Wahrscheinlichkeit vorhergesehen werden. Zweitens setzen wir uns häufig willentlich unter diesen Stress. Nein wir wollen ihn häufig ganz sicher nicht vermeiden sonders suchen ihn auch wenn er eine Gefahr darstellt. Wäre es nicht so, dann würde unsere Gesellschaft ganz anders aussehen, nämlich so, als würden Maschinen interagieren. Meine laienhafte Frage an den Psychologen ist, die Sterzer leider nicht klären konnten: ist unser Gehirn, das sich in einem Jahr Milliarden langen Evolutionsprozess entwickelt hat, den Aufgaben, die unsere rasant ändernde, globalisierte Welt an unsere Gehirn stellt, überhaupt noch gewachsen? Muss die Welt oder das menschliche Gehirn verändert werden, so dass das Gehirn sich in der Welt noch zurecht finden kann? Ich vernehme immer häufig den Wunsch: für unser Gehirn müsste die Welt einfacher und kleiner sein.
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Broschiertes Buch
Klappentext:
„Impfgegner, Klimawandelleugner, alternative Fakten – wie ist es möglich, dass Menschen felsenfest von Dingen überzeugt sein können, die eindeutig falsch sind? Sind sie einfach nur schlecht informiert? Oder gar verrückt? Oder liegt es daran, dass sie …
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Klappentext:
„Impfgegner, Klimawandelleugner, alternative Fakten – wie ist es möglich, dass Menschen felsenfest von Dingen überzeugt sein können, die eindeutig falsch sind? Sind sie einfach nur schlecht informiert? Oder gar verrückt? Oder liegt es daran, dass sie gern nur das glauben, was sie glauben möchten? Alle Menschen sind irrational – auch die, die von ihrer Rationalität überzeugt sind. Der Neurologe, Psychiater und Hirnforscher Philipp Sterzer erklärt, warum das so ist und welche Schlüsse wir daraus ziehen können. Ein neuer Blick auf subjektives Erleben, soziales Bewusstsein und die Wahrnehmung der Welt.“
Autor Philipp Sterzer nimmt in diesem Buch unsere Vernunft unter die Lupe. „Vernunft“ wird zumeist immer als allseeligmachend kategorisiert aber oft spielt uns unsere Vernunft auch große Streiche. Genau damit räumt Sterzer hier gekonnt auf. Er beschreibt eindrücklich, fachlich und sachlich, dass unsere Vernunft uns auch mehr als oft täuschen kann und welche Züge das alles annehmen kann. Erschrickt man bei dem was man hier liest? Unsere Vernunft wird es schon richten aber genau das ist. Hinter dieser Thematik stecken hochspannende und sehr interessante Erklärungen und Auslöser. Unser Autor ist Hirnforscher und geht dabei oft sehr ins Detail, was wirklich sehr gut gelungen ist. Er erklärt dadurch mehr als man gedacht hätte und bringt dadurch ein Thema ins Licht, welches wir gern unterschätzen.
Kleines Manko bei diesem Buch: Man sollte schon als Leser etwas in der Medizin und in der Psychologie bewandert sein um all diesen Informationen hier gerecht zu werden. Wer glaubt, man liest dieses Buch einfach mal so weg, sollte erstmal seine Vernunft fragen! In diesem Sinne vergebe ich verdiente 4 Sterne hierfür mit einer klaren Leseempfehlung an alle, die gerne mehr über Vernunft und Rationalität wissen wollen!
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Hörbuch-Download MP3
Eigentlich sehr schlecht!!
Was mich an diesem Hörbuch stört, ist die Tatsache, dass gegendert wird. Und das in der Produktbeschreibung nicht gesagt wird. Dann hätte ich den Mist nicht gekauft.
Es überrascht mich, dass ein studierter Psychiater den Unterschied zwischen Sexus …
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Eigentlich sehr schlecht!!
Was mich an diesem Hörbuch stört, ist die Tatsache, dass gegendert wird. Und das in der Produktbeschreibung nicht gesagt wird. Dann hätte ich den Mist nicht gekauft.
Es überrascht mich, dass ein studierter Psychiater den Unterschied zwischen Sexus und Genus nicht begreift. denn sonst hätte er den mist nicht gemacht.
Am liebsten hätte ich mein Geld zurück.
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