
Heinrich Mann
Broschiertes Buch
Der Untertan
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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
»Dieses Buch Heinrich Manns, heute, gottseidank, in aller Hände, ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz: in seiner Sucht zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit.« Kurt Tucholsky
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
»Dieses Buch Heinrich Manns, heute, gottseidank, in aller Hände, ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz: in seiner Sucht zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit.« Kurt Tucholsky
Heinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, begann nach dem Abgang vom Gymnasium eine Buchhhandelslehre, 1891/92 volontierte er im S. Fischer Verlag. Heinrich Mann hat Romane, Erzählungen, Essays und Schauspiele geschrieben. 1933 emigrierte er nach Frankreich, später in die USA. 1949 nahm er die Berufung zum Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Künste in Ost-Berlin an, starb aber 1950 noch in Santa Monica/Kalifornien.

Foto: Wikipedia
Produktdetails
- Fischer Taschenbücher 90026
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- Artikelnr. des Verlages: 1000750
- 8. Aufl.
- Seitenzahl: 447
- Erscheinungstermin: 3. März 2008
- Deutsch
- Abmessung: 123mm x 187mm x 27mm
- Gewicht: 330g
- ISBN-13: 9783596900268
- ISBN-10: 3596900263
- Artikelnr.: 23320718
Herstellerkennzeichnung
FISCHER Taschenbuch
Hedderichstr. 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Aufstieg und Fall des Unterdrückers
Heinrich Manns Satire "Der Untertan" zeigt uns die Deutschen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Dank einer neuen Edition verstehen wir endlich besser, worauf der Autor zielt.
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war "Der Untertan" (1918) abgeschlossen. Vorabdrucke im angriffslustigen "Simplicissimus" 1911 und 1912 sowie auch in der Münchner Wochenschrift "Zeit im Bild" empfahlen ihn als satirischen Zeitroman - "ein in Deutschland bisher wenig gepflegtes Gebiet", wie es in der Vorankündigung heißt. Später erschienen Heinrich Mann der kommende Krieg und die Niederlage in seinem "Roman des bürgerlichen Deutschen" bereits greifbar nahe - und sogar der Faschismus, wie er sich mitten
Heinrich Manns Satire "Der Untertan" zeigt uns die Deutschen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Dank einer neuen Edition verstehen wir endlich besser, worauf der Autor zielt.
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war "Der Untertan" (1918) abgeschlossen. Vorabdrucke im angriffslustigen "Simplicissimus" 1911 und 1912 sowie auch in der Münchner Wochenschrift "Zeit im Bild" empfahlen ihn als satirischen Zeitroman - "ein in Deutschland bisher wenig gepflegtes Gebiet", wie es in der Vorankündigung heißt. Später erschienen Heinrich Mann der kommende Krieg und die Niederlage in seinem "Roman des bürgerlichen Deutschen" bereits greifbar nahe - und sogar der Faschismus, wie er sich mitten
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im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag des Schriftstellers liegt dieses Mentalitätsporträt der Deutschen endlich wieder vor, noch dazu in der legendären gelben Reihe von Reclam, die es in so viele Hände schafft. Aktueller als gerade jetzt, da Verächter unserer Demokratie die schwarzweißrote Nationalflagge des Kaiserreichs wieder hissen, könnte dieser Text gar nicht sein. Dass er zudem in einigen Bundesländern demnächst Abiturthema sein wird, kann als Beitrag zur politischen Bildung nur begrüßt werden.
Diese neue Edition, die textidentisch gleich zweifach daherkommt, ist ein Ereignis. Denn anders als bei Heinrich Manns Bruder Thomas mit der inzwischen kaum zu überbietenden Großen Frankfurter Ausgabe, wird hier erstmals umfassend kommentiert. Die mehr als einhundert Seiten Anmerkungen von Werner Bellmann heben den Roman auf ein völlig neues Niveau. Wer nicht Zeit und Lust hat, sich aus der (überschaubar differenzierten) Forschung all die wertvollen Details selbst zusammenzusuchen, erkennt jetzt auf einen Blick, dass der Untertan Diederich Heßling - und nicht allein er und nicht nur in den großen Reden am Stammtisch, bei Wahlveranstaltungen oder der Denkmalsenthüllung am Schluss - unaufhörlich in Anspielungen auf reale Ereignisse und in Zitaten spricht: vor allem solchen Kaiser Wilhelms II., aber auch Bismarcks, Bülows, Goethes, Hegels, Humboldts, Wagners und anderer.
Das ist keine philologische Petitesse, sondern dringt ins Zentrum dieses Werks. Denn es handelt sich um keine Satire über den Geist des deutschen Kaiserreichs, sondern sie entwickelt sich aus diesem Geist selbst. Wie der journalistische Scharfrichter Karl Kraus mit seiner "Fackel" das Zeitalter von 1899 bis 1936 via Zitat sich selbst vorführen und aufheben lässt, so gelingt Heinrich Mann ein einzigartiges Porträt des autoritären deutschen Charakters allein mit den Farben und Konturen der Zeit. Kaum einer hat das so deutlich erkannt wie der Satiriker Kurt Tucholsky, der den Roman 1919 in der "Weltbühne" ein "Herbarium des deutschen Mannes" und seinen Helden "die Inkarnation des deutschen Machtgedankens" nannte.
Als der "Untertan" vor genau vierzig Jahren im deutschen Südwesten schon einmal im Abitur stand, konnte man die inzwischen detailliert aufgedeckten Bezüge nur ahnen. Der Leseeindruck war dennoch prägend, steigert sich durch die kommentierte Wiederlektüre nun aber immens. Zum Glück hat der Reclam-Verlag diese gründliche Erschließung ungekürzt aus der wohlfeilen Universalbibliothek ins augenfreundliche Großformat der gebundenen Version übernommen.
Die konkurrierende Neuausgabe von Ariane Martin im S. Fischer Verlag enthält demgegenüber zwar 221 vorzüglich gesicherte Dokumente, auf einen fortlaufenden Stellenkommentar als entscheidendes Lesegeländer muss man hier aber verzichten.
Reclam bietet im Hardcover zudem die kantigen Illustrationen des Comic-Zeichners Arne Jysch, der die prägnantesten Szenen dieser Entwicklung ausdrucksvoll ins Bild fasst. Es ist der Aufstieg vom "siegestrunkenen Unterdrücker" Diederich, der den einzigen jüdischen Mitschüler hänselt, bis zum machtbewussten Festredner bei der Enthüllung des Kaiserdenkmals Wilhelms I. An weiteren Stationen seines Wegs sieht man den skrupellosen Verführer von Agnes Göppel, der er als so Befleckter die Ehe verweigert; das Mitglied der schlagenden Verbindung Neuteutonia, in der man mit der Barttracht des Kaisers zum "Gesicht der Macht" gelangt; den braven Untertan, der dem Kaiser in Berlin und Rom zujubelt; den Herausforderer aller Gesinnungsgegner, die er wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht bringt; den politischen Taktiker, der vor keiner schmutzigen Machenschaft zurückschreckt; den ausbeutenden Industriellen, der Arbeitsunfälle vertuscht und die feindliche Übernahme der Konkurrenz vorbereitet; den amourösen Abenteurer, der freizügig mit einer später auch käuflichen Pfarrerstochter scherzt; oder den heimlichen Masochisten, der sich von seiner Guste treten und befehlen lässt: "Auf die Knie, elender Schklafe!"
An den tieferen Gehalt des Romans reicht Jyschs episodische Bildstrecke indes nicht heran. Denn die eigentlichen Pointen und damit auch die Aktualität liegen nicht in der äußerlichen Handlung, die man sonst auch mit Joseph Roths zeitnaher Novelle "Der Vorzugsschüler" (1916) weitaus knapper fassen könnte. Der "durchschnittliche Neudeutsche, der den Berliner Geist in die Provinz trägt", ist einer Notiz Heinrich Manns von 1907 zufolge der Wesenskern. Im Detail möchte er studieren, wie dieser Typus allmählich deformiert wird, etwa durch den "unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus" des Gymnasiums. Er interessiert sich für die Macht, "gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben". Es ist das Erlebnis in einer marschierenden Masse oder vor einer folgsamen Belegschaft, die man vor der "roten Gefahr", vor "Umsturz" und "Aufruhr" warnt, vor allem aber vor der "Schlammflut der Demokratie".
Gemeint sind die Sozialdemokraten, damals noch eine starke Bewegung. Ihr gilt die kaiserliche Lieblingsformel: "den Feind zerschmettern". Im Roman ist das der schwarzbärtige Arbeiterführer Napoleon Fischer, mit dem der nationale Heßling zwar insgeheim taktisch gegen die Freisinnigen paktiert, in dem er aber auch den unheimlichen Vertreter von "jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse" wittert, "die er gern für niedriger gehalten hätte". Im Roman wimmelt es von antijüdischen Stereotypen, die - vom Kommentar unterschätzt - von der jüngsten Forschung aufgedeckt wurden. Das gilt auch für den zweiten wichtigen Antipoden Wolfgang Buck, Sohn einer jüdischen Mutter und eines Achtundvierziger-Revolutionärs, der sich im Gerichtstheater als geschickter Anwalt erweist und später wirklich zur Bühne geht. Für ihn ist der "repräsentative Typus von heute der Schauspieler". Das gilt auch für den Kaiser oder Richard Wagner, den Nietzsche als größten Histrionen seiner Zeit entlarvt. Kaum zufällig überlagert im Roman eine Lohengrin-Aufführung ebenso wie ein trivialer Verschnitt von Goethes "Natürlicher Tochter" das Geschehen: Inszenierungen, die Romanrealität und Bühnengeschehen ineinander verschwimmen lassen.
All das beansprucht größere Texträume. Die Verflechtungen zwischen Politik, Ökonomie und Erotik sind komplex und feinsinnig - ebenso wie die vielen scharf gezeichneten flankierenden und spiegelnden Figuren. Wenn Tucholsky der Satire 1919 die starke Übertreibung der Wahrheit zum Zweck der Verdeutlichung erlaubt, dann hat er ebenso recht wie der Historiker Thomas Nipperdey mit dem Einwand, im Kaiserreich seien neben dem Untertanengeist auch Wurzeln von Recht, Liberalität und Demokratie zu finden.
Bemerkenswerter als die karikierende Überzeichnung von "Unterwürfigkeit, Grobsinnlichkeit und Härte" als Gesetze des Lebens, wie es in einem Essay von 1919 heißt, ist Heinrich Manns ahnungsvoller Vorausblick auf das Kommende. In den Memoiren "Ein Zeitalter wird besichtigt" (1943/44) erkannte er im Rückblick, dass ihm "von dem ungeborenen Faschismus der Begriff" zur Entstehungszeit zwar noch fehlte, nicht aber dessen Anschauung.
ALEXANDER KOSENINA
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Illustriert von Arne Jysch. Hrsg. von Werner Bellmann. Mit einem Nachwort von Andrea Bartl. Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 494 S., 32 Abb., geb., 36,- [Euro]. Als textidentische Taschenbuchausgabe ohne die Illustrationen: 684 S., br., 10,80 [Euro].
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Mit einem Nachwort und Materialienanhang von Ariane Martin. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
638 S., geb., 48,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag des Schriftstellers liegt dieses Mentalitätsporträt der Deutschen endlich wieder vor, noch dazu in der legendären gelben Reihe von Reclam, die es in so viele Hände schafft. Aktueller als gerade jetzt, da Verächter unserer Demokratie die schwarzweißrote Nationalflagge des Kaiserreichs wieder hissen, könnte dieser Text gar nicht sein. Dass er zudem in einigen Bundesländern demnächst Abiturthema sein wird, kann als Beitrag zur politischen Bildung nur begrüßt werden.
Diese neue Edition, die textidentisch gleich zweifach daherkommt, ist ein Ereignis. Denn anders als bei Heinrich Manns Bruder Thomas mit der inzwischen kaum zu überbietenden Großen Frankfurter Ausgabe, wird hier erstmals umfassend kommentiert. Die mehr als einhundert Seiten Anmerkungen von Werner Bellmann heben den Roman auf ein völlig neues Niveau. Wer nicht Zeit und Lust hat, sich aus der (überschaubar differenzierten) Forschung all die wertvollen Details selbst zusammenzusuchen, erkennt jetzt auf einen Blick, dass der Untertan Diederich Heßling - und nicht allein er und nicht nur in den großen Reden am Stammtisch, bei Wahlveranstaltungen oder der Denkmalsenthüllung am Schluss - unaufhörlich in Anspielungen auf reale Ereignisse und in Zitaten spricht: vor allem solchen Kaiser Wilhelms II., aber auch Bismarcks, Bülows, Goethes, Hegels, Humboldts, Wagners und anderer.
Das ist keine philologische Petitesse, sondern dringt ins Zentrum dieses Werks. Denn es handelt sich um keine Satire über den Geist des deutschen Kaiserreichs, sondern sie entwickelt sich aus diesem Geist selbst. Wie der journalistische Scharfrichter Karl Kraus mit seiner "Fackel" das Zeitalter von 1899 bis 1936 via Zitat sich selbst vorführen und aufheben lässt, so gelingt Heinrich Mann ein einzigartiges Porträt des autoritären deutschen Charakters allein mit den Farben und Konturen der Zeit. Kaum einer hat das so deutlich erkannt wie der Satiriker Kurt Tucholsky, der den Roman 1919 in der "Weltbühne" ein "Herbarium des deutschen Mannes" und seinen Helden "die Inkarnation des deutschen Machtgedankens" nannte.
Als der "Untertan" vor genau vierzig Jahren im deutschen Südwesten schon einmal im Abitur stand, konnte man die inzwischen detailliert aufgedeckten Bezüge nur ahnen. Der Leseeindruck war dennoch prägend, steigert sich durch die kommentierte Wiederlektüre nun aber immens. Zum Glück hat der Reclam-Verlag diese gründliche Erschließung ungekürzt aus der wohlfeilen Universalbibliothek ins augenfreundliche Großformat der gebundenen Version übernommen.
Die konkurrierende Neuausgabe von Ariane Martin im S. Fischer Verlag enthält demgegenüber zwar 221 vorzüglich gesicherte Dokumente, auf einen fortlaufenden Stellenkommentar als entscheidendes Lesegeländer muss man hier aber verzichten.
Reclam bietet im Hardcover zudem die kantigen Illustrationen des Comic-Zeichners Arne Jysch, der die prägnantesten Szenen dieser Entwicklung ausdrucksvoll ins Bild fasst. Es ist der Aufstieg vom "siegestrunkenen Unterdrücker" Diederich, der den einzigen jüdischen Mitschüler hänselt, bis zum machtbewussten Festredner bei der Enthüllung des Kaiserdenkmals Wilhelms I. An weiteren Stationen seines Wegs sieht man den skrupellosen Verführer von Agnes Göppel, der er als so Befleckter die Ehe verweigert; das Mitglied der schlagenden Verbindung Neuteutonia, in der man mit der Barttracht des Kaisers zum "Gesicht der Macht" gelangt; den braven Untertan, der dem Kaiser in Berlin und Rom zujubelt; den Herausforderer aller Gesinnungsgegner, die er wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht bringt; den politischen Taktiker, der vor keiner schmutzigen Machenschaft zurückschreckt; den ausbeutenden Industriellen, der Arbeitsunfälle vertuscht und die feindliche Übernahme der Konkurrenz vorbereitet; den amourösen Abenteurer, der freizügig mit einer später auch käuflichen Pfarrerstochter scherzt; oder den heimlichen Masochisten, der sich von seiner Guste treten und befehlen lässt: "Auf die Knie, elender Schklafe!"
An den tieferen Gehalt des Romans reicht Jyschs episodische Bildstrecke indes nicht heran. Denn die eigentlichen Pointen und damit auch die Aktualität liegen nicht in der äußerlichen Handlung, die man sonst auch mit Joseph Roths zeitnaher Novelle "Der Vorzugsschüler" (1916) weitaus knapper fassen könnte. Der "durchschnittliche Neudeutsche, der den Berliner Geist in die Provinz trägt", ist einer Notiz Heinrich Manns von 1907 zufolge der Wesenskern. Im Detail möchte er studieren, wie dieser Typus allmählich deformiert wird, etwa durch den "unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus" des Gymnasiums. Er interessiert sich für die Macht, "gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben". Es ist das Erlebnis in einer marschierenden Masse oder vor einer folgsamen Belegschaft, die man vor der "roten Gefahr", vor "Umsturz" und "Aufruhr" warnt, vor allem aber vor der "Schlammflut der Demokratie".
Gemeint sind die Sozialdemokraten, damals noch eine starke Bewegung. Ihr gilt die kaiserliche Lieblingsformel: "den Feind zerschmettern". Im Roman ist das der schwarzbärtige Arbeiterführer Napoleon Fischer, mit dem der nationale Heßling zwar insgeheim taktisch gegen die Freisinnigen paktiert, in dem er aber auch den unheimlichen Vertreter von "jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse" wittert, "die er gern für niedriger gehalten hätte". Im Roman wimmelt es von antijüdischen Stereotypen, die - vom Kommentar unterschätzt - von der jüngsten Forschung aufgedeckt wurden. Das gilt auch für den zweiten wichtigen Antipoden Wolfgang Buck, Sohn einer jüdischen Mutter und eines Achtundvierziger-Revolutionärs, der sich im Gerichtstheater als geschickter Anwalt erweist und später wirklich zur Bühne geht. Für ihn ist der "repräsentative Typus von heute der Schauspieler". Das gilt auch für den Kaiser oder Richard Wagner, den Nietzsche als größten Histrionen seiner Zeit entlarvt. Kaum zufällig überlagert im Roman eine Lohengrin-Aufführung ebenso wie ein trivialer Verschnitt von Goethes "Natürlicher Tochter" das Geschehen: Inszenierungen, die Romanrealität und Bühnengeschehen ineinander verschwimmen lassen.
All das beansprucht größere Texträume. Die Verflechtungen zwischen Politik, Ökonomie und Erotik sind komplex und feinsinnig - ebenso wie die vielen scharf gezeichneten flankierenden und spiegelnden Figuren. Wenn Tucholsky der Satire 1919 die starke Übertreibung der Wahrheit zum Zweck der Verdeutlichung erlaubt, dann hat er ebenso recht wie der Historiker Thomas Nipperdey mit dem Einwand, im Kaiserreich seien neben dem Untertanengeist auch Wurzeln von Recht, Liberalität und Demokratie zu finden.
Bemerkenswerter als die karikierende Überzeichnung von "Unterwürfigkeit, Grobsinnlichkeit und Härte" als Gesetze des Lebens, wie es in einem Essay von 1919 heißt, ist Heinrich Manns ahnungsvoller Vorausblick auf das Kommende. In den Memoiren "Ein Zeitalter wird besichtigt" (1943/44) erkannte er im Rückblick, dass ihm "von dem ungeborenen Faschismus der Begriff" zur Entstehungszeit zwar noch fehlte, nicht aber dessen Anschauung.
ALEXANDER KOSENINA
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Illustriert von Arne Jysch. Hrsg. von Werner Bellmann. Mit einem Nachwort von Andrea Bartl. Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 494 S., 32 Abb., geb., 36,- [Euro]. Als textidentische Taschenbuchausgabe ohne die Illustrationen: 684 S., br., 10,80 [Euro].
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Mit einem Nachwort und Materialienanhang von Ariane Martin. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
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Diederich Heßling, der Protagonist des Romans, ist der perfekte Untertan, kann aber auch sehr tyrannisch agieren, nach oben buckeln, nach unten treten, das kann er schon als Kind gut, und zusätzlich schafft er es immer wieder, für sich das Beste aus einer Situation herauszuholen. Oh, …
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Diederich Heßling, der Protagonist des Romans, ist der perfekte Untertan, kann aber auch sehr tyrannisch agieren, nach oben buckeln, nach unten treten, das kann er schon als Kind gut, und zusätzlich schafft er es immer wieder, für sich das Beste aus einer Situation herauszuholen. Oh, wie oft ich über ihn den Kopf geschüttelt habe – wie gut, dass das Ganze satirisch gemeint ist – auch wenn es solche Typen wie Heßling sicher gibt, auch heute noch, so hat Heinrich Mann ihn doch sehr überspitzt dargestellt und manch einem seiner Zeitgenossen damit wohl auch einen Spiegel vorgehalten.
Das Untertanenhafte ist heute vielleicht nicht mehr so verbreitet wie noch zu Kaiserszeiten, aber sich immer und überall einen Vorteil zu schaffen, auch auf Kosten anderer, gibt es immer noch, wird es wohl zu allen Zeiten geben. So ist Heßling durchaus auch ein Spiegel unabhängig von seiner Zeit. Er lügt wie gedruckt, ist heuchlerisch, aber auch ziemlich feige, Denunzieren ist sein Hobby.
Leicht zu lesen ist der Roman nicht durchgehend, oft muss man sich schon sehr konzentrieren. Für mich gibt es einige Passagen, die mich amüsiert haben, etwa als Heßling während seiner Hochzeitsreise auf seinen Kaiser trifft, und dann nur noch im Sinn hat, diesen zu stalken, wie man heute sagen würde. Andere Passagen ziehen sich sehr und machen das Lesen schwieriger. Dennoch erzählt Mann anschaulich und die Charaktere sind gut ausgebaut, ihre Beschreibungen sehr bildhaft, wenn auch oft nicht sehr vorteilhaft.
Meine Ausgabe beinhaltet einen umfangreichen Anhang, den ich interessant zu lesen fand.
Heinrich Manns Roman ist gute hundert Jahre alt, wirkt aber in manchem immer noch aktuell. Ich hatte amüsante, aber auch angestrengte Lesestunden. „Der Untertan“ gehört meiner Meinung nach zu den Klassikern, die man gelesen haben sollte.
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Vom hässlichen Deutschen
Aus dem umfangreichen Œuvre von Heinrich Mann ist «Der Untertan», neben dem Hauptwerk mit den beiden grandiosen «Henry Quatre» Bänden, sein erfolgreichster Roman. Er wurde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollendet, der …
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Vom hässlichen Deutschen
Aus dem umfangreichen Œuvre von Heinrich Mann ist «Der Untertan», neben dem Hauptwerk mit den beiden grandiosen «Henry Quatre» Bänden, sein erfolgreichster Roman. Er wurde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollendet, der Vorabdruck, unter anderem im Simplicissimus, fiel jedoch bald der Zensur zum Opfer, erst nach Kriegsende konnte er dann, und zwar gleich in erstaunlich hoher Auflage, veröffentlicht werden. In dieser berühmten Satire nimmt der Autor mit beißender Ironie die Wilhelminische Epoche aufs Korn, eine entlarvende Gesellschaftskritik jener Zeit des widerspruchslosen Obrigkeitsdenkens. Der Roman ist Zeitzeugnis und Lehrstück zugleich, er gehört zweifellos zum Kanon der deutschen Literatur und ist als unterhaltsamer Klassiker auch nach hundert Jahren noch eine empfehlenswerte Lektüre.
Diederich Heßling, Sohn eines Papierfabrikanten in der fiktiven preußischen Provinzstadt Netzig, markiger Student einer schlagenden Verbindung, promovierter Jurist, drückt sich nach seinem Studium erfolgreich um den ungeliebten Militärdienst und übernimmt nach dem Tod des Vaters die Fabrik. Wir erleben als Leser den Aufstieg des rücksichtslosen, aber feigen Opportunisten zu einem angesehenen bourgeoisen Patriarchen, der in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich ist, sich zudem als charakterloser Denunziant erweist. Mit seiner rigiden kaisertreuen Gesinnung jedoch gewinnt er schon bald die Sympathie der konservativen, nationalen Kräfte, macht sich andererseits die Liberalen und Sozialdemokraten zu politischen Feinden. Der unsympathische, ehrlose Protagonist ist tief in politische Ränkespiele mit wechselnden Partnern verstrickt, sucht aus seiner gesellschaftlichen Stellung stets einen materiellen Vorteil zu ziehen, ist durchaus auch korrumpierbar. Sein mit Orden geschmückter politischer Aufstieg findet bei der Einweihungsfeier für ein lang umkämpftes Kaiser Wilhelm Denkmal einen Höhepunkt, als während seiner Festrede ein Unwetter symbolträchtig die Honoratioren in die Flucht treibt, eine Vorahnung drohenden Unheils durch den von verblendeten Patrioten dringend herbeigesehnten Krieg. Auch im Privaten ist Heßling ein bösartiger Tyrann, der sich nicht scheut, beispielsweise dem Vater von Agnes, einer von ihm verführten Jugendfreundin, höhnisch entgegenzuhalten, seine Ehre lasse es nicht zu, ein solcherart «gefallenes» Mädchen zur Mutter seiner Kinder zu machen. Gleiches widerfährt ihm am Ende, nun allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, als seine unverheiratete Schwester in genau derselben Situation ist. Seinen ansehnlichen Wohlstand erwirbt er durch reiche Heirat und vermehrt ihn trickreich mit dubiosen Aktiengeschäften, durch die er Andere ungerührt in den Ruin treibt.
Der Autor erzählt seine ereignisreiche Geschichte aus kritischer Distanz in einem sprachlich sehr gefälligen Stil, dem man natürlich die hundert Jahre anmerkt, die seit Erscheinen des Romans vergangen sind. Er karikiert den autoritätsgläubigen Untertanengeist der Epoche auf amüsante Art, sogar Bismarcks «Reichshund» wird da persifliert in einer köstlichen Szene. Ferner bedient er sich eines zahlreichen Figurenensembles, in dem archetypisch viele Charaktere treudeutscher Mannsbilder vertreten sind, vom erzkonservativen Regierungspräsidenten bis zum sozialistischen Werkmeister in Heßlings Fabrik, der später mit seiner heimlichen Hilfe sogar Abgeordneter des Reichstags wird, - alles aus Kalkül, wohlgemerkt.
Heinrich Mann, dessen Kontakte zu seinem deutschnationalen Bruder jahrelang abgebrochen waren, kritisiert in seinem Roman den rückwärts gewandten Ungeist der Bourgeoisie ebenso wie den heuchlerischen Nationalismus und den schnöden Materialismus der Sozialdemokraten. In einer symbolträchtigen Szene am Ende stirbt ein von Heßling in den Ruin getriebener politischer Gegner, Teilnehmer der Deutschen Revolution von 1848, bei dessen völlig unerwartetem Anblick, - Heßling erscheint ihm geradezu als böser Geist in seiner Todesstunde.
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Der Roman von Heinrich Mann beschreibt die gesellschaftlichen Verhältnisse während der Jahrhundertwende des 19. Jahrhundert. Er beschreibt die damaligen Zustände anhand der Lebensgeschichte Heßlings, einem gespaltenen Man, der sowohl Mächtiger, als auch Untertan ist. Nach …
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Der Roman von Heinrich Mann beschreibt die gesellschaftlichen Verhältnisse während der Jahrhundertwende des 19. Jahrhundert. Er beschreibt die damaligen Zustände anhand der Lebensgeschichte Heßlings, einem gespaltenen Man, der sowohl Mächtiger, als auch Untertan ist. Nach und nach offenbart sich dem Leser ein erschreckendes Bild eines gehorsamen Menschentyps, der seine eigene Identität unbewusst für eine höhere, völlig fremde Idee aufgibt. Dabei glaubt er voller Überzeugung für das Gute im Leben einzutreten und zweifelt keinen Augenblick an seiner Integrität. Die charakterliche Verformung Heßlings war nicht nur für die damalige Zeit typisch, sie hat meiner Ansicht an Aktualität nichts eingebüßt. Wenn man sich aufmerksam umschaut, erkennt man Heßlings überall wieder, Politik, Wirtschaft, Religion. Und es wird auch in Zukunft aktuell bleiben, solange es uns Menschen gibt, dabei ist es wichtig, zu wissen was diese Art von Menschen vorantreibt und wie sie ihr Handeln sich und uns gegenüber rechtfertigen. Lesenswert!
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